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Die meisten Teenager verbringen wohl mehr als zehn Minuten auf einer Party, aber ich hasse den Trubel. Wenn ich ehrlich bin, weiß ich nicht einmal, wieso ich hergekommen bin. Ich mag den Lärm nicht. Der Geschmack von Alkohol brennt sich unangenehm auf meiner Zunge ein und es riecht im ganzen Haus nach Schweiß, abgestandenem Bier und Verzweiflung.
Ein Teil von mir möchte einfach nur nach Hause. In meinem warmen, gemütlichem Bett liegen und Musik hören, während ich durch meinen Instagram Feed scrolle oder mir auf Netflix koreanische Dramen ansehe. Aber Bonnie ist der Meinung, dass ich als zukünftige Abschlussballkönigin einen Freitagabend auf einer Party verbringen sollte. Und das macht wohl Sinn.
Eine Abschlussballkönigin ist hübsch und sozial, versteht sich mit den Leuten im Jahrgang gut und ist schlicht und einfach beliebt. Ich würde mich nicht als hässlich oder unbeliebt beschreiben, aber sozial bin ich definitiv nicht. Ich verbringe nie einfach nur so Zeit mit Menschen. Es macht mir keinen Spaß. Ich empfinde keine Freude dabei meine Zeit mit anderen Leuten zu verbringen. Lieber bin ich allein, mit meinem Handy oder meinem Fernseher. Ich shoppe auch sehr gerne. Ich meine, wer gibt nicht gerne Geld aus? Und manchmal, wenn meine kreative Ader pocht, probiere ich mich auch ans Zeichnen, Designen und Schneidern. Schon als Kind war ich unglaublich an Mode interessiert.
Aber das ist eine Leidenschaft, die mein Vater nie verstehen konnte.
Es stört ihn ganz und gar nicht, wenn ich meine Kreditkarte strapaziere und mir ein Kleid nach dem anderen kaufe. Schließlich möchte er ja, dass ich eine hübsche, kleine Vorzeigetochter bin. Aber es gefällt ihm nicht, wenn ich Kleidung selber schneidere. Er hat wohl Angst, dass ich neben Jungs und Alkohol wahrhaftige Interessen entwickeln könnte, die meine Zukunft ruinieren. Als millionenschwerer Unternehmer sagt man wohl nur ungern, dass die eigene Tochter Künstlerin ist.
Glücklicherweise sehe ich meinen Vater nur selten. Er ist ganz und gar von der Arbeit eingenommen, weshalb ich eigentlich machen kann, was ich möchte. Vielleicht versuche ich mich wieder daran, einen Rock zu nähen. Die Kleidung, die ich selbst geschneidert habe, trage ich nie vor anderen Leuten. Es ist irgendwie traurig, so viel Zeit und Mühe in ein Kleidungsstück zu investieren, nur um es klammheimlich vor dem Spiegel im Zimmer zu tragen. Aber ich bin eine Anfängerin und meine selbstgemachten Kleider sehen natürlich nicht sehr gut aus. Und irgendwie schäme ich mich dafür. Vielleicht ist es ein Hobby, das ich einfach aufgeben sollte. Wer weiß, ob ich je wirklich gut darin sein werde?
Aber dennoch- Wenn ich einfach weiter übe, ganz im Geheimen, dann kann ich mich nicht blamieren. Und vielleicht bin ich eines Tages so gut, dass ich meine Klamotten auch in der Öffentlichkeit tragen kann. Eines Tages könnte ich möglicherweise sogar so gut sein, dass ich als berühmte Designerin leben kann. Das wäre unglaublich, einfach traumhaft.
Bei diesem Gedanken bin ich so aufgeregt, dass ich am liebsten direkt nach Hause fahren und ein Outfit entwerfen würde. Aber das geht natürlich nicht, schließlich habe ich Bonnie eingewilligt, mit ihr auf die Party zu gehen. Und jetzt stehe ich hier und posiere, mit einem roten Plastikbecher in der Hand, lässig an der Wand gelehnt, während Bonnie Fotos von mir schießt.
Bonnie ist eigentlich die Art Mensch, die ich absolut nicht ausstehen kann. Ihre Persönlichkeit gleicht einer sprudelnden Limonade. Sie ist einfach zu laut, zu schnell, zu viel. Sie plappert wie ein Wasserfall und ihren Modegeschmack empfinde ich als furchtbar, weil sie viel zu viele Farben auf einmal miteinander kombiniert und somit stets wie die Verkörperung eines Regenbogens aus dem Haus stolziert. Dennoch ist sie mir irgendwie ans Herz gewachsen. Ihre brisante Art ist amüsant und sie ist loyal. Eine Eigenschaft an ihr, die ich zu schätzen weiß.
Genervt lässt Bonnie das Handy in ihre Tasche fallen. ,,Das waren mindestens zweitausend Fotos, können wir jetzt bitte ein bisschen Spaß haben?"
Gelangweilt zupft sie an ihren honigbraunen Haaren. Ihre Haut wirkt bronzefarben im dämmrigen Licht. Ich lobe mich in Gedanken dafür, dass ich ihr zum Haare bleichen geraten hatte, da es ihr unglaublich gut steht. Frech grinse ich Bonnie an. ,,Du weißt genau, dass ich mindestens dreitausend Fotos brauche.", erwidere ich sarkastisch. Ich scrolle durch meine Galerie und schaue mir die Bilder an, die Bonnie eben geschossen hat. Die meisten sind passabel. Einige jedoch sind total verschwommen. ,,Du hast dir gar keine Mühe gegeben.", meckere ich und sie verdreht die Augen.
Ich wurde schon auf etliche Party's eingeladen, bin aber nie hingegangen, weil ich - wie wir schon festgestellt haben - nicht sonderlich sozial bin. Aber in ein paar Monaten ist der Abschlussball und wenn ich eine Chance haben will, muss ich mich mit dem Jahrgang besser denn je zuvor verstehen. Meine Attraktivität hat mich schon eine Ecke weit gebracht, mir ein gutes Image zu etablieren, aber die Leute halten mich wegen meinen reichen Dad und meiner Zurückgezogenheit für versnobt. Und wer wählt schon eine versnobte Zicke zur Abschlussballkönigin?
Also musste ein Image-Wechsel her. Für heute Abend trage ich keine Designer-Klamotten, sondern ein schwarzes Top und ein übergroßes Flanellhemd mit Jeans aus Bonnie's Kleiderschrank. Die Haare habe ich mir nicht wie üblich gestylt, sondern mir zu einem lässigen Pferdeschwanz zusammengebunden und ich habe nicht mal eine Tasche mit. Locker flockig. Verdammt nochmal, ich trage sogar billige Turnschuhe. Bodenständiger geht's nicht. Heute Nacht bin ich das normale, überdurchschnittlich heiße Mädchen von neben an und die Fotos sind der Beweis. Sobald ich sie auf meiner Story gepostet habe, weiß so ziemlich jeder aus meiner Schule Bescheid. Und auch noch sechzigtausend andere Menschen, aber die sind im Moment egal.
Der Punkt ist: Ich will Abschlussballkönigin werden. Und dafür bin ich gewillt so ziemlich alles zu tun. Beliebt und hübsch zu sein, reicht nicht. Ich muss mich mit dem ganzen Jahrgang gut verstehen, bei wichtigen Events dabei sein, mein Image anpassen, verfeinern und stärken. Und jetzt gerade bin ich ein cooles, lässiges Mädchen auf einer Party. Dabei ist es völlig egal, dass ich weder cool noch lässig bin. Und auch, dass ich keine Party's mag, spielt keine Rolle.
Bonnie seufzt. ,,Ich verstehe nicht, wieso es dir so wichtig ist."
,,Meine Mutter...", fange ich an, aber Bonnie unterbricht mich sofort. ,,Deine Mutter, ich weiß...Du hast es mir ja nur tausendmal erzählt."
Meine Mutter ist vor Jahren spurlos verschwunden. Keiner weiß, was passiert ist. Sie war einfach weg. Ich erinnere mich kaum an sie, aber eines weiß ich ganz genau. Sie war Abschlussballkönigin. Sie meinte, ihr letztes Schuljahr war das schönste Jahr ihres Lebens. Sie war auf Partys, in Schulkomitees, hatte ihre erste Romanze (mit meinem Vater) und wurde zur Abschlussballkönigin gekrönt. Das will ich auch. Ich habe das Gefühl, ich muss es tun. Als würde sie von mir wollen, dass ich aus meinem letzten Schuljahr das Beste raushole.
Aber natürlich tue ich das nicht nur für meine verschollene Mutter, sondern vor allem für mich. Ich brauche eine süße Erfolgsgeschichte, die ich meinen Kindern weitergeben kann. Eine Erinnerung an einen wunderschönen Abend, an dem man mir ein Diadem und einen Blumenstrauß in die Hand gedrückt hat. Jubel nur für mich. Ich muss einfach diesen einen, perfekten Abend haben, an dem ich mich wie eine Gewinnerin fühle, ehe ich richtig erwachsen werden muss und in die Welt von Bürojobs, Steuern, unglückliche Ehen und Aktien tauche.
,,Ich geh mal Tao suchen.", murmelt Bonnie und verschwindet zwischen ein paar betrunkenen Teenagern. Tao ist seit ein paar Monaten ihr fester Freund. Er ist weiß wie eine Wand, hat kurzes, lockiges Haar, schmale Augen und einen Nebenjob im städtischem Kino. Seit dem die beiden zusammen sind, verbringt sie fast all ihre Zeit mit ihm. Es ist, als wäre sie von ihm besessen. Ich finde ihn ja ganz nett und er sieht gut aus, aber trotzdem kann ich ihre das Ganze nicht nachvollziehen. Vielleicht verstehe ich das nicht, weil ich noch nie verliebt war, aber ich kann mir nicht vorstellen so abhängig von einem Typen zu sein.
Ich nehme seufzend einen Schluck aus dem Plastikbecher, ehe ich es bereuen kann. Es schmeckt genauso, wie ich es mir vorgestellt habe. Nach Nagellack und Putzmittel mit Orangen-Essenz. Es brennt unangenehm stark im Rachen.
,,Coole Party, was?", brummt jemand in mein Ohr und ich drehe mich ruckartig zur Person.
,,Ja, sowas von cool.", flöte ich mit übertrieben hoher Stimme und unterdrücke ein Würgen, als ich die Person wieder erkenne.
Jason. Blonder Typ, hochgewachsen. Seine Augen sind irgendwie knopfartig und seine Nase ist plattgedrückt, als hätte jemand ihm einen Ziegelstein ins Gesicht gepresst. Aber abgesehen davon, sieht er ganz gut aus.
Er ist schlank, groß und hat keine allzu abstoßenden Gesichtszüge. Und er ist recht beliebt, weil er regelmäßig aus Bierschläuchen trinkt und ein Sixpack hat. Aber natürlich ist er dumm wie Brot. Was nicht besonders verwunderlich ist, da er Alkohol in bewundernswert großen Mengen konsumiert. Außerdem ist er recht arrogant für eine Person, die nicht richtig multiplizieren kann. Aber wer bin ich, um ihn zu verurteilen? Ich bin wahrscheinlich doppelt so arrogant wie er. Dennoch kann ich ihn nicht ausstehen.
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