9. Kapitel
Unruhig tigerte Hagelsturm auf der Lichtung vor dem Pelzbaum umher und warf ab und an einen Blick nach oben in den Himmel. Dort, halb verborgen von einigen Wolkenfetzen und den schattenhaften Ästen der umstehenden Bäume, leuchtete der Vollmond auf den Wald des NachtClans herab. Nur bewegte er sich viel zu langsam am Sternenvlies entlang. Erst bei Mondhoch würde die große Versammlung stattfinden und es kam ihr vor, als würde die Zeit bis dahin niemals vergehen wollen.
»Ist es dir nicht zu kalt dort draußen?« Die junge Kriegerin Echolied saß neben Klippenfall und ihrem Gefährten Rotnebel zwischen den herabhängenden Zweigen der großen Linde, unter der sich auch die Baue befanden.
Hagelsturm schüttelte den Kopf. Ihr dichter Pelz hielt einen Großteil der Eiseskälte ab und durch das ständige Umherrennen war ihr allmählich warm geworden. Dennoch spürte sie nur allzu deutlich, dass das Wetter seit der letzten Großen Versammlung unangenehmer geworden war. Sicherlich würde es nicht mehr lange dauern, bis morgens der Frost auf Zweigen, Ranken und totem Laub glänzte.
»Was denkst du, Klippenfall«, wandte sich Hagelsturm an ihren Bruder. »Wann werden wir endlich aufbrechen?«
Klippenfall schnurrte. »Ich schätze, du wirst dich noch etwas gedulden müssen. Die Sonnenuntergang-Patrouille ist gerade erst von der FederClan-Grenze zurückgekehrt.«
Ein weiterer Blick zum Nachthimmel schien seine Worte bestätigen zu wollen. Blieb nur zu hoffen, dass Hagelsturm nicht am Ende noch einen ganzen Mond warten müsste, bis sie Rankensee und die anderen BlattClan-Katzen wiedersehen würde. Einige der Wolken, die sich dunkel vom Sternenvlies abzeichneten, sahen wirklich böse aus. Wenn sie sich nun vor den Mond schieben würden...
Eine Bewegung, die Hagelsturm nur aus dem Augenwinkel wahrnahm, ließ sie herumfahren. Blitz war im Lagereingang aufgetaucht, tastete sich rückwärts laufend Schritt für Schritt voran und zerrte einen Ast hinter ihr her. Der war mehr als doppelt so lang wie sie selbst, dabei jedoch nur gerade so dick, dass er das Gewicht einer Katze halten könnte.
Was soll das denn werden? Ist einer der Baue beschädigt? Hagelsturm konnte sich nicht erinnern, dass irgendwo ein Loch geflickt werden sollte. Vielleicht war es ihr auch entgangen, weil sie den gesamten Tag auf der Jagd verbracht hatte.
Als der Ast schließlich mitten auf der Lichtung lag, wandte sich Blitz zu ihr und keuchte: »Lass uns diese Gleichgewichtsübung wiederholen! Du siehst aus, als könntest du eine Beschäftigung gebrauchen.«
Ohne auf eine Antwort zu warten platzierte sie den Ast über einer Kuhle im Boden, hüpfte zum Lagerwall und suchte sich ein trockenes Lindenblatt. Hagelsturm brauchte einen Moment, bis erkannte, was ihre Freundin vorhatte. Seit sie zum Clan zurückgekehrt waren, hatten sie zu zweit so einige Jagd- und Kampfübungen durchgeführt, doch die waren gar nicht gemeint. Nein, was Blitz da vorbereitete, war das Balanciertraining, das sie sich auf ihrer Reise ausgedacht hatte.
»Was machst du da?« Lurchpfote zwängte sich gefolgt von Teichjunges zwischen Echolied und Rotnebel hindurch und beäugte die Konstruktion misstrauisch, die da mitten im Lager errichtet worden war.
»Eine Übung.« Blitz begann, über den Ast zu balancieren. »Damit man besser im Anschleichen wird. Wenn ihr vorsichtig genug auftretet und es schafft, euer Gleichgewicht zu halten, dann fällt das Laub nicht herunter.«
Kaum hatte sie ausgesprochen, geriet das Holz unter ihren Pfoten in Schwingung und das Lindenblatt segelte zu Boden.
»Genau so sollte es also nicht aussehen?« Mirabellenpfote war zu ihrer Schwester gesprungen. »Lass es mich mal ausprobieren!«
Hagelsturm tappte zu Blitz hinüber und eine Weile beobachteten sie, wie die beiden Schülerinnen das Balancieren trainierten. Lange stand Teichjunges daneben und sah einfach nur zu, bis er Lurchpfote etwas zuflüsterte, die daraufhin schnurrte.
»Teichjunges möchte es auch mal versuchen«, miaute sie.
»Na dann, los!« Mit ihren Krallen spießte Hagelsturm das Lindenblatt auf und platzierte es zum wiederholten Mal auf dem Ast.
Gerade hatte sich der junge Kater in Bewegung gesetzt, da ließ ihn Regensterns Ruf innehalten. »Alle Katzen, die alt genug sind, eigene Beute zu erlegen, mögen sich auf der Lichtung zu einem Clantreffen versammeln!«
Hagelsturm wirbelte herum und erblickte die Anführerin, die auf dem untersten Ast des Pelzbaumes saß. Ihre gelbgrünen Augen, die aus den Schatten heraus leuchteten, waren auf das Lager unterhalb ihrer Pfoten gerichtet. Nach und nach tauchten die NachtClan-Katzen zwischen den Ästen der großen Linde auf und tappten auf die Lichtung. Dort drängten sie sich gegen den eisigen Wind dicht beisammen. Dabei ging der Blattfall erst zu Ende und die Kälte, die Hagelsturm aus der letzten Blattleere kannte, war noch lange nicht erreicht.
Gerade als die letzte ihrer Clangefährten sich zu ihnen geselllte und Hagelsturm sich zu fragen begann, was Regenstern zu sagen hatte, fuhr die Anführerin fort: »Heute ist es wieder Zeit für eine Große Versammlung. Seit der letzten Vollmondnacht hat sich jedoch einiges verändert. Eine Streunerin ist seit einigen Sonnenaufgängen in unserem Lager zu Gast und zudem hat der BlattClan uns Territorium gestohlen. Zwei Dinge, über die wir vor Mondhoch als Clan sprechen sollten.« Nacheinander schien Regenstern all die Katzen auf der Lichtung zu mustern. »Lange hat es keine solch angespannte Beziehung zwischen uns und einem feindlichen Clan gegeben. Und die Veränderungen des letzten Mondes lassen uns schwach wirken. Das darf nicht sein.«
Sie richtete ihren Blick auf Blitz. »Deshalb habe ich beschlossen, dass du gehen musst, Blitz. Bis zum nächsten Sonnenuntergang musst du unser Territorium verlassen haben.«
»Was?« Hagelsturm war aufgesprungen. »Der BlattClan hat doch auch Streuner aufgenommen und er ist deswegen nicht schwächer geworden. Im Gegenteil, sie haben uns dadurch besiegt!«
»Hagelsturm!«, zischte Blitz neben ihr. »Du weißt genau, dass ich nicht vorhabe, lange zu bleiben. Es ist also in Ordnung, wenn ich morgen schon gehen muss.«
Gerade wollte Hagelsturm erneut widersprechen, als Regenstern weitersprach: »Stärker werden wir nur, wenn wir neue Krieger gewinnen, auf deren Treue wir uns verlassen können. Bei Blitz ist dies nicht der Fall, da sie nie vorhatte, Teil unseres Clans zu werden.«
»Aber...«, hob die Kriegerin an, bekam jedoch keine Gelegenheit, ihren Satz zu vollenden.
»Ich sagte, Nein!« Die Anführerin peitschte mit dem Schweif. »In der Vergangenheit haben die Streuner, die wir aufgenommen haben, dem NachtClan nicht besonders viel Glück gebracht. Selbst Rankensee, die schon als Junges zu uns kam, hat uns verlassen.«
Eine Weile herrschte Stille auf der Lichtung vor dem Pelzbaum und umso länger sie anhielt, desto weiter wuchs Hagelsturms Enttäuschung. Sie hätte alles dafür gegeben, Blitz als Clangefährtin zu gewinnen.
»Doch es gibt auch eine erfreuliche Nachricht für den Clan«, fuhr Regenstern fort. »Es gibt einen neunen Schüler zu ernennen. Teichjunges, bitte trete vor.«
Einige Fuchslängen vor ihr zuckte der junge, hellgraue Kater zusammen, bevor er sich zögerlich aufrichtete und nach vorn tapste.
»Teichjunges, du hast nun deinen sechsten Mond vollendet und bist damit alt genug, um deine Ausbildung zu beginnen. Von diesem Moment an, bis zu seiner Prüfung bei der Geisterkatze soll dieser junge Kater den Namen Teichpfote tragen. Ich rufe meine Kriegerahnen auf, über ihn zu wachen, bis er die Kraft eines Kriegers in seinen Pfoten trägt.«
Die Anführerin ließ ihren Blick über die versammelten Katzen wandern. »Dein Mentor wird Klippenfall sein. Er wurde von Lärchenflamme hervorragend ausgebildet, hat die Prüfung bei der Geisterkatze bestanden und ist bereit für seinen ersten Schüler.«
Klippenfall, der hinter Hagelsturm gesessen hatte, tappte an ihr vorbei und bahnte sich einen Weg durch ihre Clangefährten zu Teichpfote. Glücklich beobachtete sie ihren Bruder. Möglicherweise konnte sie ja ab und an bei der Ausbildung des neuen Schülers mitwirken, denn schließlich war sie die Wurfgefährtin seines Mentors und würde sicherlich oft mit ihm auf Patrouille gehen.
Natürlich wäre es ihr lieber gewesen, wenn Blitz hätte bleiben dürfen. Für einige wenige Sonnenaufgänge hatte Hagelsturm sie trainiert, aber das war nun vorbei. Erneut würde sie eine gute Freundin verlieren, was ihre Freude über Teichpfotes Schülerernennung trübte.
»Du bist ein intelligenter und loyaler Krieger, Klippenfall«, miaute Regenstern. »Ich vertraue darauf, dass du deine Fähigkeiten an deinen Schüler weitergeben wirst.«
Aus großen Augen blickte Teichpfote zu seinem Mentor auf, als sich die beiden Nase an Nase begrüßten.
»Teichpfote!«, führte Knospenlicht die Jubelrufe an und einen Herzschlag später schloss sich ihr auch der Rest des Clans an.
***
»Rankensee!« Viel zu lange hatte Hagelsturm warten müssen, aber jetzt stand sie endlich auf der Steinlichtung, wo die Großen Versammlungen stattfanden.
Nach den letzten Regenfällen hatte sich in der Mitte des Platzes wieder einmal eine Pfütze gebildet. Sie umgab die Felsen, auf der die Anführer ihre Reden hielten und Hagelsturm beobachtete mit einem missmutigen Schnauben, wie Regenstern, Blattstern und Wasserstern hindurch staksten. Die Versammlung würde in Kürze beginnen.
Das war ja mal wieder von vornherein klar gewesen! Natürlich waren ihre Clangefährten wieder so langsam gewesen, dass Hagelsturm sich nun kaum noch mit Rankensee unterhalten konnte. Wenn ihr schon nicht mehr viel Zeit blieb, bis Blitz gehen musste, so wollte sie zumindest eine Weile mit ihrer Freundin aus Kinderstubentagen reden.
»Rankensee!«, rief sie erneut, entdeckte einen Augenblick später das hellbraune Fell der BlattClan-Kriegerin und schlängelte sich zwischen den anderen Katzen hindurch zu ihr hinüber.
Warum muss es hier nur immer so eng sein? Seit sich jeden Vollmond drei Clans an diesem Ort versammelten statt zweien, schien ihr die Lichtung völlig überfüllt. Ständig stand einem jemand im Weg.
Über einen letzten Schweif stolperte Hagelsturm noch, bis sie Rankensee erreicht hatte und sich neben ihr niederließ. »Ich muss dir unbedingt von der Reise zu Wolfsfeuers Kriegerernennung erzählen! Wir haben Cloud und Blue getroffen, aber das Beste war, als ich...«
»Still! Die Versammlung beginnt!« Rankensee nickte zu den Felsen hinüber, auf denen die Anführer thronten und tatsächlich: Wasserstern war vorgetreten und wedelte mit dem Schweif, um die Aufmerksamkeit der Clankatzen zu gewinnen.
...vom SternenClan geträumt habe und mir unsere Ahnen eine Prophezeiung mitgeteilt haben, vervollständigte Hagelsturm ihren Satz in Gedanken. Beinahe hätte sie geknurrt, als Wasserstern zu sprechen begann. Wegen ihm konnte sie ihrer Freundin ihre sagenhafte Neuigkeit nicht mitteilen. Ebensowenig, wie sie sich darüber auslassen konnte, dass Blitz nicht bleiben durfte.
»Unserem Clan geht es gut. Es gibt genügend Beute und zwei unserer Jungen werden im nächsten Mond das Schüleralter erreichen. Nur eines störte vor wenigen Sonennaufgängen unser friedliches Leben. Zwei NachtClan-Krieger, die mit einer Streunerin in unser Territorium eindrangen, um ein Kaninchen zu stehlen.«
Hagelsturm hielt die Luft an. Natürlich wusste sie sofort, dass von ihr, Klippenfall und Blitz die Rede war. Aber es war eine Lüge, die Wasserstern da verbreitete! Sie hatte das Beutetier weder gefangen, noch hatte sie es stehlen wollen! Das alles war Flammes Schuld gewesen. Als Hagelsturm die Kätzin im FederClan-Territorium gesehen hatte, hatte sie das doch nicht ignorieren können! Hätte sie etwa an der Grenze stehen und zusehen sollen, wie sich diese Verräterin in Clanterritorium einschlich? Wäre es nur irgendeine Streunerin gewesen, noch dazu nicht auf NachtClan-Gebiet, dann hätte Hagelsturm es den Katzen des anderen Clans überlassen, sie zu vertreiben. Aber es war Flamme! Eine Kätzin, die doch eigentlich in den Bergen leben sollte. Wieso konnte sie nicht einfach dort bleiben?
»Keine Sorge«, zischte Klippenfall schräg hinter ihr. Hagelsturm hatte gar nicht bemerkt, dass er ihr gefolgt war. »Ich habe Regenstern bereits erzählt, was wirklich geschehen ist.«
Das hatte Hagelsturm noch gar nicht bedacht und umso dankbarer war sie ihrem Bruder nun. Regenstern würde sie ganz bestimmt verteidigen, es wäre das einzig Richtige.
Gespannt spitzte sie die Ohren, als die NachtClan-Anführerin von ihrem Platz aufsprang und sich Wasserstern gegenüber positionierte. »Mir wurde bereits von diesem Vorfall berichtet. Eine Kätzin, die ihr erst kürzlich in euren Clan aufgenommen habt, hat das Kaninchen gefangen und meine Krieger über eure Grenze gelockt. Wenn ihr mich fragt, wollte sie nur Ärger verursachen, so wie sie es auch zuvor schon oft im Sinn hatte, denn diese Kätzin war Flamme!«
Geflüster war überall auf der Lichtung zu hören, die Pelze der BlattClan-Katzen in der Menge waren gesträubt. Eagle, der weiter vorn gesessen hatte, war gar auf die Pfoten gesprungen und peitschte mit dem Schweif.
Regenstern wartete, bis die Katzen sich wieder beruhigten. »Wasserstern, vielleicht weißt du noch nicht, wer Flamme ist.« Sie warf dem anderen Anführer einen Blick zu, den Hagelsturm wegen der nächtlichen Dunkelheit nicht deuten konnte. »Natürlich weißt du nicht, wer sie ist, ansonsten hättest du sie nicht in deinen Clan aufgenommen. Sie hat ihr Junges im Stich gelassen, ihren Gefährten verraten und ihre Freunde ausspioniert. Sie...«
»Das weiß ich alles«, unterbrach Wasserstern sie. »Aber Katzen können sich ändern. Was meinst du, warum sie hier ist? Nachdem sie von ihrer Familie getrennt wurde, hat sie festgestellt, dass sie einen Fehler begangen hat. Einen Fehler, den sie zutiefst bereut. Sie wollte alles wieder gut machen, doch sie traute sich nicht, direkt zum BlattClan – zu den Katzen, denen sie Schaden zugefügt hat – zu gehen. Deshalb hat sie sich vorerst uns angeschlossen.«
Regenstern knurrte. »Trotzdem hat sie unsere Katzen in euer Territorium gelockt und eine Lüge verbreitet.«
»Mag sein.« Wasserstern neigte den Kopf vor der Anführerin. »Doch leider ist sie nicht hier und kann sich nicht zu deinen Vorwürfen äußern. Wir werden schon noch herausfinden, was wirklich geschehen ist. Sei versichert, dass das hier nicht das Ende ist. Diese Angelegenheit wird noch geklärt werden, aber sorge du dafür, dass deine Katzen bis dahin nicht noch einmal Grenzen übertreten!«
»Das werde ich«, versicherte Regenstern ihm, während er sich einen Schritt zurückzog.
Einen Moment lang beobachtete die Anführerin ihn noch, bevor sie ihren Blick auf die Clankatzen unter ihr richtete. »Auch der NachtClan hat sich von der Kälte der herannahenden Blattleere nicht schwächen lassen. Einer unserer Schüler hat erfolgreich seine Prüfung bei der Geisterkatze bestanden. Wolfspfote heißt nun Wolfsfeuer. Zudem ist aus Teichjunges Teichpfote geworden!«
»Teichpfote!«, war Knospenlicht irgendwo hinter Hagelsturm zu hören und Mohnregen, Falkenblick und Eismond, die einige Fuchslängen weiter vorn saßen, stimmten mit ein: »Wolfsfeuer, Teichpfote!«
Mehr und mehr Katzen schlossen sich den Jubelrufen an, wobei einige der FederClan-Katzen still blieben.
Regenstern wartete, bis Ruhe einkehrte, dann fuhr sie fort: »Dennoch schmerzt uns der Verlust eines Teils von unserem Territorium. Der BlattClan hat im letzten Mond Streuner in seine Reihen aufgenommen, um mit ihrer Hilfe unsere Jagdgründe zu stehlen. Doch wir sind stark, wir werden es uns schon noch zurückerobern, wenn die Zeit gekommen ist.«
Ihre Worte verhallten auf der Lichtung und für einen Augenblick herrschte Stille. Dann nickte sie Blattstern zu und machte der jungen Anführerin Platz.
Diese trat vor und begann ebenfalls über den letzten Mond in ihrem Clan zu berichten. Wie immer sprach sie leiser als die anderen, während ihr Blick nacheinander alle versammelten Katzen zu fixieren schien. »Der BlattClan wird immer stärker. Die von Regenstern erwähnten Streuner haben sich gut in das Clanleben eingefunden und helfen uns bei der Verteidigung unserer Grenzen ebenso wie bei der Jagd. Doch auch mir gefällt der Gedanke nicht, dass Flamme nun im FederClan lebt. Sie gehört nicht zu uns, sie hatte ihre Chance und hat bewiesen, dass man ihr nicht trauen kann...«
»Flamme ist im FederClan?!« Irgendwoher kannte Hagelsturm die Stimme, die sie nun herumwirbeln ließ. »Habt ihr sie etwa entführt?«
Dort, am Rande der Lichtung, in den Schatten unter den Bäumen waren Katzengestalten aufgetaucht. Schemenhaft hoben sich ihre Körper von den Brombeerranken hinter ihnen ab, nur ihre Augen leuchteten aus der Dunkelheit.
Eine der Gestalten löste sich aus der Menge – aber nicht die, die gesprochen hatte, wie Hagelsturm in dem Moment erkannte, als der Kater ins Mondlicht trat. Er hatte hellbraunes Fell mit dunklen Flecken, das wirr und ungepflegt in alle Richtungen abstand. Weide! Nur zu gut erinnerte sich Hagelsturm an den verrückten Anführer des Stammes der düsteren Wolken.
Nun geriet auch Bewegung in den Rest der Gruppe und während sie aus den Schatten heraustraten, erkannte Hagelsturm mehr und mehr von ihnen aus der Zeit, in der sie die Gefangene der Stammeskatzen gewesen war. Da waren Weides Brüder Mücke und Dunst, sowie seine Töchter Rauch und Falter. Einige Pfotenschritte hinter ihnen lief der junge Beere, begleitet von seiner Mentorin Biene und zwei Kätzinnen im Schüleralter, die Hagelsturm nur vage bekannt vorkamen. Weitere Katzen folgten, Lilie, die zu einer Freundin geworden war, Frosch, der alles andere als ein Freund war, Dohle, Qualm, Brand, Schimmer...
Was suchen die denn hier?! Sind sie alle nur wegen Flamme gekommen?
Zuvor hatte Hagelsturm den Versammlungsplatz schon für überfüllt gehalten, doch wie durch ein Wunder fanden die Stammeskatzen auch Platz. Die meisten von ihnen hielten sich am Rande der Lichtung, nur Rauch und Weide bahnten sich einen Weg durch die Menge hinüber zu den Felsen in der Mitte.
Überall wurde wild durcheinander miaut, wobei die BlattClan-Katzen die lautesten waren, die wegen dem Stamm ihre Heimat verloren hatten. Rauch schien sie gar nicht zu bemerken, während sie und Weide zu den drei Clananführern hochkletterten.
Irgendwo hinter Hagelsturm knurrte eine der Stammeskatzen: »Dann waren es also FederClan-Katzen, die Flamme in den Bergen überfallen und sie hierher gebracht haben? Deren Geruch wir gefolgt sind?«
»Nein«, antwortete eine andere Stimme. »Das war NachtClan-Geruch. Hast du ihn nicht wiedererkannt?«
Hagelsturm wollte gerade protestieren – wie kamen diese Mäusehirne darauf, eine NachtClan-Katze würde Flamme entführen? Sie alle wären froh gewesen, wenn sie diese Verräterin niemals hätten wiedersehen müssen – als Rauch zu sprechen begann.
»Clankatzen! Katzen des Stammes, hört zu, was ich euch zu sagen habe.« Die Kätzin stand neben ihrem Vater und musterte die Lichtung vor ihr. »Wir sind hier, um herauszufinden, was genau mit unserer Stammesgefährtin Flamme geschehen ist. Deshalb werden wir eine Weile bleinen und einige Katzen zum FederClan schicken, wenn diese Versammlung vorüber ist. Unsere Reise war anstrengend und wir werden die Gelegenheit nutzen, um zur Ruhe zu kommen und neue Kraft zu schöpfen. Ich denke, unter den gegebenen Umständen steht uns ein wenig Hilfe zu.«
»Was genau willst du von uns?« Regenstern drängte sich zwischen Weide und Rauch und starrte die andere Kätzin mit gesträubtem Fell an.
»Ich? Ich möchte lediglich für einige Sonnenaufgänge einen Teil euer Territorien für die Jagd nutzen können, bis sich geklärt hat, was ihr mit unserer Stammesgefährtin angestellt habt.«
»Wir werden unser Territorium nicht hergeben.« Regenstern löste ihren Blick von Rauch und richtete ihn wieder auf die vielen versammelten Katzen. »Wir brauchen es selbst. Wir haben keine Beute zu verschenken und ich denke, dass Wasserstern und Blattstern das ähnlich sehen werden.«
»Ich werde einen kleinen Teil unserer Jagdgründe abgeben.« Ein paar leise Worte aus Blattsterns Maul genügten, dass überall Protestgeheul ausbrach. Die Anführerin wartete, bis es erneut Stille eintrat und fuhr dann fort: »Nur einen kleinen Teil. Wenn sie tatsächlich nicht lange bleiben, werden wir es verkraften können. Alle Katzen brauchen Beute. Wenn sie keine haben, werden sie darum kämpfen. Für einige Sonnenaufgänge auf eine Pfote voll Beute zu verzichten, ist das geringere Übel.«
Wasserstern nickte ihr zu. »Blattstern hat Recht mit dem, was sie sagt. Auch der FederClan wird den Stamm unterstützen, allerdings nur unter einer Voraussetzung: Mit dem ersten Schnee seid ihr verschwunden.«
Zum ersten Mal regte sich auch Weide. Er neigte den Kopf vor den Anführern. »Das werden wir sein. Regenstern, wirst du deine Meinung ändern?«
Die Anführerin zögerte einen Moment. »Nein. Der BlattClan hat uns bereits Territorium geraubt. Sollen sie euch doch die Beute geben, die ihnen sowieso nicht zugestanden hätte.«
***
Kalter Wind zerzauste Hagelsturms Pelz, als sie zwischen den Bäumen hindurch ihren Clangefährten folgte. Wolkenfetzen hatten sich vor den Mond geschoben und beinahe hätte die Große Versammlung wegen ihnen ein früheres Ende gefunden. Doch die Anführer hatten beschlossen, dass sie, solange sie noch einen Teil des Mondes sehen konnten, weiter diskutieren würden.
Hagelsturm hatte es nicht interessiert, was besprochen worden war, nachdem feststand, dass der Stamm die Beute ihres Clans nicht anrühren würde. Während Regenstern sich zurückgezogen hatte, hatten Wasserstern und Blattstern Ewigkeiten darüber verhandelt, in welchen ihrer Gebiete die Stammeskatzen jagen durften.
Niemals hätte Hagelsturm damit gerechnet, auf einer Großen Versammlung einmal kurz vorm Einschlafen zu sein, aber heute war es so gewesen. Anfangs hatte sie sich noch gewundert, dass überhaupt jemand dem Stamm helfen zu wollte, wo doch sonst alle so sehr auf die Einhaltung von Grenzen pochten. Vor allem, weil er Hagelsturm gefangen gehalten und den jetzigen BlattClan aus ihrer Heimat vertrieben hatte, hätte sie nicht Blattsterns und Wassersterns Entscheidung gerechnet.
Allerdings war ihr Blick dann an Lilie hängengeblieben, die damals zu ihrer Freundin geworden war. Ihr hätte Hagelsturm ohne zu zögern geholfen. Ebenso wie Dunst, der sie mit seinen ekelhaften Heilkräutern behandelt hatte, oder dem kleinen Beere, der unentwegt von seiner Mentorin schikaniert wurde und es doch nie gewagt hatte, sich zu wehren.
Gähnend wich Hagelsturm einer Brombeerranke aus, die sich quer durchs Unterholz schlängelte. Fast wäre sie mit ihrem Pelz daran hängenbeblieben.
»Hagelsturm?« Klippenfall, der hinter ihr gelaufen war, schloss zu ihr auf. »Was hältst du von alldem? Und was denkst du über Flamme?«
»Der FederClan muss mäusehirnig sein, dass er Flamme aufnimmt«, murmelte Hagelsturm.
Ihr Bruder schüttelte den Kopf. »Das meine ich nicht. Ich traue es ihr durchaus zu, geschickt genug zu lügen, dass Wasserstern ihr vertraut. Worauf ich hinaus wollte, ist ihre angebliche Entführung.«
»Ein paar Stammeskatzen meinten, NachtClan-Krieger seien dafür verantwortlich!« Auf einmal fühlte sie sich hellwach. Was für eine flohhirnige Anschuldigung!
»Weißt du noch, wie ich dir davon erzählt habe, dass Wolfsfeuer und ich auf unserer Rückreise verfolgt wurden?«
Hagelsturm nickte.
»Das muss Flamme gewesen sein. Sie hat Spuren gelegt, die ihre Stammesgefährten dazu gebracht haben, zu glauben, wir würden zu dritt reisen. Aus irgendeinem Grund muss sie sie hierher geführt haben.«
»Warum hast du das nicht schon auf der Großen Versammlung gesagt?« Fassungslos starrte Hagelsturm ihren Bruder an.
»Ich brauche mehr Beweise... Und außerdem... Was auch immer Flamme plant, sie soll besser nicht gleich wissen, dass wir sie im Auge behalten. Dann wird es möglicherweise einfacher für uns, mehr herauszufinden.«
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