10. Kapitel
Das Eichhörnchen sprang am Waldboden herum, hüpfte über Wurzeln, hielt dann und wann inne, um etwas vom Boden aufzuheben und daran zu knabbern.
Rankensee ließ es nicht aus den Augen. Sie hatte sich hinter einer von Moos und Brombeerranken überwucherten Pfote eines Monsters verborgen, die ein Zweibeiner vor mehreren Blattwechseln hier zurückgelassen haben musste. Noch ahnte die Beute nichts von der Gefahr, in der sie sich befand, und kam auf ihrer Suche nach Nahrung allmählich näher. Bereit zum Sprung, wartete Rankensee auf den richtigen Moment.
Eigentlich sollte ihre Patrouille die Grenze kontrollieren, doch der Clan brauchte die Beute mehr denn je, da die Stammeskatzen nun ebenfalls auf dem Gebiet des BlattClans jagten. Somit wurde der Marsch zum Rand des Territoriums für eine kurze Jagd genutzt.
»...wir hatten schon von den Clans gehört, lange bevor wir Blattstern trafen und sie uns angeboten hat, uns in den BlattClan aufzunehmen.« Das war Borkensprungs Miauen gewesen.
»Wie das?«, war Beerenfleck zu hören.
»Oh, wir haben im Zweibeinerort einen NachtClan-Schüler getroffen, der uns davon erzählt hat.«
Das Gespräch der beiden Kater wurde lauter, anscheinend kamen sie näher. Rankensee hoffte nur, sie würden bald das Eichhörnchen entdecken und still sein.
»Im Zweibeinerort? Und dann beschweren die clangeborenen sich, dass wir uns noch nicht an ihr Gesetz gewöhnt haben...« Beerenflecks Schnurren klang eher amüsiert als vorwurfsvoll.
Verwundert spähte Rankensee zwischen den Baumstämmen in die Richtung, in der die beiden Kater sich befinden mussten. Sie selbst war zwar im Clan geboren worden, aber sie hatte ihren Clangefährten deswegen noch nie Vorwürfe gemacht und sie konnte sich auch nicht vorstellen, dass Blattstern das getan hatte. Vielleicht waren die Katzen des FederClans und des NachtClans gemeint...
Abgelenkt von dem eben Gehörten wäre ihr beinahe entgangen, wie die Ohren des Eichhörnchens zuckten und es herumwirbelte. Jetzt oder nie! Eigentlich hätte Rankensee noch kurz abwarten wollen, noch war die Beute zu weit entfernt, um den Abstand zu ihr mit einem einzigen Sprung zu überbrücken. Doch ihre beiden Clangefährten ließen ihr keine andere Wahl, als ihre Deckung aufzugeben.
Im selben Moment, als das Eichhörnchen sich in Bewegung setzte und auf den nächstgelegenen Baum zusteuerte, sprang Rankensee hinter der Monsterpfote hervor. Trockenes Laub wirbelte bei der Landung auf, verdeckte ihr teilweise die Sicht. Einen Herzschlag lang zögerte Rankensee, dann preschte sie hinter dem Eichhörnchen her, holte es ein, als es gerade eine Kaninchenlänge des Baumstammes erklommen hatte. Die Kriegerin zerrte ihre Beute mit den Vorderpfoten zu Boden und tötete sie mit einem schnellen Biss ins Genick.
»Guter Fang!« Borkensprung trat gefolgt von Kieselfang, Beerenfleck und Jade hinter einem Brombeerdickicht hervor.
»Ich denke, wir sollten nächstes Mal leiser sein, wenn wir nicht sämtliche Beute verscheuchen wollen. Fast wäre Rankensee leer ausgegangen«, miaute Jade.
»Da hast du recht«, murmelte Kieselfang schnurrend. »Manchmal können offenbar auch Mentoren noch etwas von ihren Schülern lernen.«
***
Die kräftigen Orangetöne des Sonnenaufgangs waren längst grauen Wolken gewichen und kalter Wind zerrte an Rankensees Pelz, als sie an der Grenze zum NachtClan angekommen waren. Er fegte durch die Schneise, die der Donnerweg durch den Wald fraß, wirbelte buntes Laub umher und erinnerte sie an die nahende Blattleere. Normalerweise fand die Morgenpatrouille schon eher statt, aber heute hatten die Katzen etwas länger in ihren Nestern gelegen, da in der letzten Nacht die Große Versammlung stattgefunden hatte.
Bisher hatten sich die BlattClan-Katzen im Windschatten einiger Sträucher halten können, doch nun folgte eine offene Fläche, die sie durchqueren müssten, bevor sie in Richtung Steinlichtung abbiegen würden.
Die Erleichterung darüber, dass sie zum ersten mal seit über einem halben Mond bei einer Grenzpatrouille den Donnerweg nicht überqueren müsste, machte den Wind beinahe erträglich. Noch immer jagte dieser graue, steinharte Pfad, auf dem die Monster entlang stürmten, Rankensee mehr Angst ein, als jeder anderen Katze, die sie kannte. Auch wenn es nicht mehr so schlimm war, wie zu ihren Zeiten als Schülerin im NachtClan. Ein wenig hatte sie sich während ihrer Reise zur Geisterkatze und den Grenzpatrouillen im letzten halben Mond dann doch daran gewöhnt. Bisher hatten sie den Donnerweg immer überqueren müssen, um in das Gebiet zu gelangen, das ursprünglich dem NachtClan gehört hatte, aber dieses Stück Territorium hatte Blattstern dem Stamm abgegeben.
»Rankensee!« Kieselfangs Ruf ließ die Kriegerin hochschrecken. Die anderen hatten sich einige Baumlängen von der Grenze entfernt. Man sah kaum mehr als ihre Augen, die aus den Schatten unter einem Haufen alter Zweibeinerdinge hervor leuchteten.
»Komm, schnell!«
Was ist denn los?, fragte sich die Kriegerin, dennoch tat sie wie geheißen und flitzte los, auf ihre Clangefährten zu. Ein schriller Schrei ertönte über ihr, den sie nicht so recht einordnen konnte. Eine Katze war das nicht gewesen. Eilig quetschte sie sich zwischen Borkensprung und Jade und blickte nach oben in den Nachthimmel. Die dunkle Silhouette eines Vogels schwebte dort am Himmel.
»Ein Adler!«, flüsterte Jade. »In den Bergen hatten wir manchmal Probleme mit ihnen.«
Kieselfang nickte. »Wir hatten auch schon einmal mit einem von ihnen zu tun. Er hat mich angegriffen, ich habe es Borkensprung und Birkensee zu verdanken, dass ich ihm entkommen konnte.«
Schaudernd blickte Rankensee dem Greifvogel nach, der über dem Wald des NachtClans seine Kreise zog und dabei langsam an Höhe verlor. Bald schien er zwischen den Baumkronen verschwunden zu sein... Sie selbst hatte nie zuvor einen gesehen, hatte nur in Kinderstubengeschichten von ihnen gehört.
»Hat uns nicht mal jemand erzählt, dass die Adler am ehesten über offenem Gebiet jagen würden?«, miaute Borkensprung.
»Ja...« Kieselfang schien nachzudenken ehe er fortfuhr. »Dieser alte, ehemalige Streuner, den wir im Zweibeinerort am Fluss getroffen haben.«
»Der, der immer mit seinen Heldentaten aus seiner Jugend geprahlt hat?«
»Ja«, miaute Kieselfang. »Jedenfalls wird der FederClan die größten Probleme haben, wenn es stimmt, was er gesagt hat.«
»Wir sollten trotzdem wachsam sein«, murmelte Rankensee, die nur halb zugehört hatte, weil sie etwas in den Rücken pikste. Irgendein Stab stand aus dem großen, flachen Zweibeinerding ab, das die Decke dieser Höhle bildete, in der sie Zuflucht gesucht hatten. Die Wände bestanden aus zwei Monsterpfoten auf der einen Seite und einem Stapel von ihr fremden, seltsam anmutenden Konstruktionen auf der anderen Seite.
»Da ist er wieder!« Bei Jades Flüstern wandte Rankensee ihre Aufmerksamkeit auf den Waldrand und erblickte den Adler, der dort ein rundliches Gebilde hoch in einem der Bäume ansteuerte.
»Das muss sein Nest sein«, murmelte Kieselfang. »Ich denke, wir sollten einen Teil der Grenzpatrouille auslassen und von hier verschwinden, bevor einer von uns zu Adlerbeute wird.«
Borkensprung versuchte sich umzudrehen und rammte Rankensee unsanft in die Seite, sodass die Kriegerin gegen das Spitze Ding in der Höhlendecke stieß.
»Au!« Das Miauen war lauter gewesen als beabsichtigt.
»Borkensprung, was machst du denn da?«, beschwerte sich Beerenfleck, der neben ihm gesessen hatte.
»Ich suche nach...«, setzte Borkensprung zu einer Antwort an und verstummte. Ein Scharren war zu hören und dann ein erfreutes Miauen: »Oh, ich habe ihn gefunden. Einen Hinterausgang, wenn wir den benutzen, wird uns der Adler nicht sehen!«
»Zu spät!« Rankensee beobachtete mit angehaltenem Atem den Greifvogel, der sich soeben in die Luft erhob. Er war am Nestrand aufgetaucht, nachdem Rankensee sich an dem Stab gestoßen hatte.
»Mäusedreck!«, fluchte Beerenfleck und schob Jade in Richtung des Hinterausgangs. Rankensee warf einen Blick zu ihm hinüber und erkannte, dass dieser Ausgang lediglich eine winzige Lücke war, durch die sich die Katzen nacheinander quetschen müssten.
»Das dauert zu lange!« Kieselfang stieß sie an und sprang auf die große Öffnung in der Wand zu, durch die Rankensee den Adler sah, wie er auf sie zu segelte. Sie zögerte, doch tief in ihrem Inneren wusste sie, dass sie dem Kater folgen musste, direkt auf den Jäger zu rennen musste. Und zwar jetzt.
»Stell dir vor, es wäre ein Donnerweg, den du überqueren musst«, miaute eine Stimme neben ihr. Storms Stimme! »Das hast du trotz deiner Angst auch geschafft.«
Rankensee blieb keine Zeit mehr, sich zu freuen, dass ihre Mutter sie endlich wieder besuchte. Sie flitzte los, um die Monsterpfoten herum. Ihre Pfoten rutscht in dem nassen Laub weg, als sie um die Ecke bog, etwas bohrte sich in ihr Nackenfell, sie blickte hoch. Doch es war nur Kieselfang, der ihr auf die Beine half.
Flügelschläge verwirbelten die Luft hinter ihr, beinahe meinte sie, den Luftzug spüren zu können, als sie Seite an Seite mit Kieselfang in den Wald hinein preschte.
Es war tatsächlich, als würde sie über einen Donnerweg rennen. Nur dass sie nun fürchtete, von dem Adler erwischt zu werden, statt von einem Monster. Aber die Panik war dieselbe. Ihre Pfoten trommelten über den Waldboden, sie wich Baumstämmen aus, tauchte unter Dornenranken hindurch, sprang über Wurzeln, folgte Kieselfang durch das Unterholz.
Schließlich wurde der Kater langsamer, blieb stehen und drehte sich zu Rankensee um.
»Wir haben ihn abgehängt«, japste er.
Rankensee nickte, sie konnte den Adler nirgendwo sehen und durch das dichte Unterholz würde er kaum hindurch fliegen können. Dennoch prüfte sie zur Sicherheit noch einmal die Luft, konnte aber nur die vertrauten Gerüche ihres Territoriums erkennen. »Wo sind Jade, Borkensprung und Beerenfleck?«
»Ich weiß es nicht...« Kieselfangs Blick wanderte durch den Wald. »Jade?«, rief er. »Borkensprung?«
Keine Antwort.
»Beerenfleck?« Rankensee traute sich kaum, laut zu Miauen, aus Angst, den Adler erneut anzulocken.
Kieselfang tappte in Richtung der Steinlichtung durchs Unterholz. »Kommst du, Rankensee? Wir sollten sie suchen...«
***
Niedergeschlagen trottete Rankensee mit dem Eichhörnchen im Maul neben Kieselfang auf das BlattClan-Lager zu. Die Beute hatten sie unterwegs eingesammelt, aber ihre drei Clangefährten hatten sie nicht wiederfinden können. Hoffentlich geht es ihnen gut!
Nacheinander traten die beiden Krieger durch die Lücke im Lagerwall.
»Da seid ihr ja!« Borkensprung kam ihnen entgegen gestürmt. »Wir dachten schon, euch wäre etwas zugestoßen, als wir euch nicht gefunden haben.«
»Wie geht es den anderen?«, wollte Rankensee wissen. Sie konnte weder Jade, noch Beerenfleck irgendwo entdecken. Außerdem schien ihr Borkensprung ernster zu sein als sonst, irgendetwas bedrückte ihn.
»Es geht ihnen gut. Abgesehen davon, dass Beerenfleck an einer Brombeerranke hängengeblieben ist und nun einen Dorn im Ballen hat. Wir wollten ihn eben zu Moon bringen und...«
»Habt ihr Blattstern schon Bericht erstattet?«, wollte Kieselfang wissen.
»Jetzt unterbrich mich doch nicht!«, murrte Borkensprung. »Nein, dazu war noch keine Zeit. Rankensee und ich können das aber übernehmen, weil...«
Ein Schrei aus Richtung Kinderstube unterbrach ihn, der Rankensee zusammenzucken ließ. War der Adler etwa zurückgekehrt? Sie blickte in den Himmel, doch da war nichts.
»...deswegen. Birkensees Jungen kommen, Moon ist schon bei ihr, aber du willst bestimmt auch nach ihr sehen.«
Für mehr als ein kurzes Nicken hatte Kieselfang keine Zeit und stürmte in Richtung Kinderstube davon zu seiner Gefährtin. Borkensprung sah ihm eine Weile hinterher und seufzte.
»Was ist los?«, erkundigte sich Rankensee, während die beiden zum Anführerbau liefen.
»Meine Schwester – Birkensee – hat schon einmal Junge erwartet. Es war eine schwierige Geburt und Birkensee hätte sie beinahe nicht überstanden...« Borkensprung war stehen geblieben. Sein Blick schweifte im Lager umher, doch er schien seine Umgebung gar nicht wirklich wahrzunehmen, sondern in Erinnerungen festzuhängen. So nachdenklich kannte Rankensee ihn sonst gar nicht. »Ihre einzige Tochter war von Anfang an sehr schwach und Birkensee hatte selbst für ein einziges Junges zu wenig Milch, weshalb die Kleine nicht überlebt hat.«
»Das... das tut mir leid«, stotterte Rankensee. Beinahe hätte sie hinzugefügt, dass das Junge nun bestimmt vom SternenClan aus über sie wachte, bis sie sich erinnerte, dass es ja ein Streunerjunges gewesen war. Wo immer es nun war, soweit Rankensee wusste, kamen nur Clankatzen in den SternenClan.
Borkensprung betrachtete einen Moment lang die Kinderstube, dann wandte er sich an Rankensee. »Das ist alles schon lange her und diesmal wird es bestimmt besser laufen. Schließlich ist Moon ja da. Sie hat mehr Erfahrung in solchen Sachen und kann im Gegensatz zu mir und Kieselfang damals wirklich helfen. Außerdem hortet sie haufenweise Grünzeug in ihrem Bau. Sowas wie das, das wir Mückenpfote aus dem NachtClan geschenkt haben.«
Ein weiterer Schrei aus Richtung Kinderstube unterbrach Borkensprung. Ein Schatten huschte über seine Gesichtszüge, dennoch wirkte er schon nicht mehr ganz so niedergeschlagen wie eben. Er tappte weiter Richtung Anführerbau und gab Rankensee mit einer Geste seines Schweifes zu verstehen, dass sie ihm folgen sollte. »Ich habe mich, nachdem wir Mückenpfote dieses Malvengewächs gegeben haben, mit Orion unterhalten. Er hat mir davon erzählt, wie Moon mit ihren Kräutern Kratzer aus Kämpfen behandelt hat. Und auf der letzten Großen Versammlung hat mir Mückenpfote für die Malven gedankt und sein Mentor hat mir verraten, wofür all das Grünzeug, das die Heiler so sammeln, gut ist. Ich hätte nie gedacht, dass ein paar Blätter mehr bewirken können, als mein Nest zu polstern und mir auf der Jagd Deckung zu geben.«
Die beiden Krieger blieben vor dem Eingang des Anführerbaus, einer Höhle unter einem Felsen, stehen und Borkensprung warf einen letzten Blick zur Kinderstube. »Es gibt sogar ein Kraut, das den Müttern hilft, mehr Milch für ihre Jungen zu haben. Ist das nicht großartig?«
Rankensee nickte, froh darüber, dass Borkensprung wieder so munter wirkte wie eh und je. Der Krieger schien das jedoch gar nicht gesehen zu haben, er war bereits – ohne, wie sonst üblich, um Einlass zu bitten – in den Anführerbau gesprungen. Rankensee rief eilig »Blattstern?« in die Dunkelheit des Baus hinein, bevor sie Borkensprung folgte.
»Was führt euch hierher?«
Es dauerte einen Moment, bis sich Rankensees Augen so weit an die Finsternis gewöhnt hatten, dass sie die Anführerin erkennen konnte, die neben ihrem Nest saß. Vor ihren Pfoten lagen die Reste einer Maus, offenbar hatte sie gerade gegessen.
»Wir wurden von einem Adler angegriffen«, berichtete Borkensprung. »Wir hatten uns vor ihm versteckt, aber er hat uns trotzdem gesehen. Zum Glück konnten wir ihm alle entkommen. Er hat übrigens ein Nest neben dem Donnerweg.«
Blattstern rührte mit ihrer Pfote die Überreste der Maus zur Seite. »Habt ihr die komplette Grenze kontrollieren können, oder habt ihr einen Teil auslassen müssen?«
»Wir haben die Patrouille abgebrochen. Beim FederClan sind wir gar nicht gewesen«, gab Rankensee zu.
Einen Moment schwieg Blattstern, dann miaute sie: »Nun gut, das kann auch bis zur Morgenpatrouille warten. Ich werde Eagle Bescheid geben, dass ab jetzt immer mindestens vier Katzen an einer Patrouille teilnehmen sollen, besonders auf den Grenzpatrouillen.«
»An der FederClan-Grenze sollten wir ebenfalls vorsichtig sein«, miaute Rankensee. »Borkensprung meinte, die Adler würden am liebsten auf offenen Flächen jagen.«
»Mag sein«, miaute Blattstern und erhob sich auf die Pfoten. »Der FederClan hatte bereits Schwierigkeiten mit Adlern, als ich noch eine Schülerin war, während wir im NachtClan keine so großen Probleme mit ihnen hatten. Auf jeden Fall sollte ich meinen Clan warnen.«
Mit diesen Worten tappte sie aus dem Bau heraus. Rankensee und Borkensprung folgten ihr.
***
»...und deswegen wird vorerst kein Krieger allein an die Grenze gehen. Für Grenzpatrouillen werden mindestens vier Katzen eingeteilt.«
Rankensee hörte Blattstern, die oben auf dem Felsen über dem Anführerbau stand, nur halb zu. Ihre Gedanken kreisten um den Angriff des Adlers, darum, wie knapp sie ihm entkommen waren und um Storm, die in der Höhle aus Zweibeinerdingen zu ihr gesprochen hatte.
Immer wieder waren Birkensees Schmerzenslaute aus der Kinderstube zu hören und Moons sanftes Miauen. Hoffentlich geht alles gut! Voller Sorge blickte Rankensee in Richtung des Baues und bat den SternenClan im Stillen darum, dass Borkensprung Recht behalten würde und Birkensee und die Jungen alles gut überstehen würden.
»Eine weitere Sache wäre noch zu besprechen«, fuhr Blattstern fort und Rankensee spitzte die Ohren. Was das Problem mit den Adlern anging, schien vorerst alles geklärt und es gab weder Schüler, noch Krieger zu ernennen, was also könnte Blattstern ihrem Clan noch zu verkünden haben?
Die Anführerin musterte ihren Clan, ehe sie fortfuhr. »Es geht um das Gesetz der Krieger.«
Ist Blattstern etwa doch diejenige gewesen, die Beerenfleck, Borkensprung und die anderen kritisiert hat, weil sie das Gesetz nicht so sehr verinnerlicht haben, wie es von einer Clankatze verlangt wird, fragte sich Rankensee und erinnerte sich an das Gespräch, das sie auf der Jagd nach dem Eichhörnchen unfreiwillig mitgehört hatte.
»Bisher ist es vor allem das Gesetz der anderen Clans, aber es scheint noch nicht fest zum BlattClan zu gehören.«
Die Worte der Anführerin schienen Rankensees Verdacht bestätigen zu wollen und ihre Clangefährten hatten offenbar eine ähnliche Schlussfolgerung gezogen wie sie. Missmutiges Gemurmel war von hier und dort zu hören.
Blattstern achtete nicht weiter darauf. »Aber wir sollten uns nicht verbiegen müssen, nur um dem zu entsprechen, was sich andere Katzen unter einem richtigen Clan vorstellen. Viel mehr sollten wir das Gesetz an unsere Lebensweise anpassen, so wie wir es schon einmal getan haben.«
Der leise geflüsterte Protest von eben war verstummt und Stimmen gewichen, die ihre Zustimmung bekundeten. Auch Rankensee war erleichtert und wartete gespannt ab, auf welchen Teil des Gesetzes ihre Anführerin hinaus wollte.
»Konkret meine ich damit, die ablehnende Haltung gegenüber Streunern und Einzelläufern. Auf der letzten Großen Versammlung ist mir einmal mehr klar geworden, dass wir ein Zeichen dagegen setzen müssen. Regenstern klang, als wolle sie es als ein Verbrechen darstellen, dass wir Streuner aufgenommen haben. Aber niemand hier ist in einem Clan geboren, abgesehen von Rankensee und mir. Und selbst wir sind lediglich HalbClan. Wir waren alle Streuner und Einzelläufer oder stammen von einem ab. Warum also sollen wir einen der unseren als Feind ansehen?«
Blattstern blickte in die Runde. »Nun fragt ihr euch vielleicht, welche der einzelnen Regeln des Gesetzes ich anpassen möchte. Zwar heißt es an einer Stelle, dass ein Krieger das verweichlichte Leben der Hauskätzchen ablehnen soll, aber zu Streunern wird nichts gesagt, zumindest nicht so deutlich. Daher habe ich mir Folgendes gedacht: Vom Gesetz der Krieger wurde bisher gefordert, Jungen in Not zu helfen. Das weiten wir auf alle Katzen jeglichen Alters in Not aus – wovon besonders Streuner profitieren – bei Katzen anderer Clans reicht es, die jeweiligen Clangefährten zu verständigen.
Zudem würde ich gern eine neue Regel zum Gesetz hinzufügen, welche lautet, dass jede Katze, die den Wunsch äußert, zum BlattClan zu gehören, zwei Monde im Clan wie ein Schüler trainiert werden soll. Wenn sie in ihrem Herzen ein Krieger ist und kein Hauskätzchen, dann darf sie sich dem Clan hinterher anschließen.
Doch all das ist nur ein Vorschlag. Wir sollten als Clan darüber abstimmen. Jeder, der dafür ist, läuft zum Loch in der Zweibeinernestwand, alle anderen zum Kriegerbau.«
Kaum hatte sie geendet, geriet Bewegung in die Katzen auf der Lichtung. Rankensee tappte hinter Eagle und Orion her zur Zweibeinernestwand. Als sie sich dort angekommen setzte, stellte sie fest, dass ihr alle anderen gefolgt waren, abgesehen von Beerenfleck und Winter. Die Wurfgefährten hatten sich keine Mauselänge gerührt, sie saßen nach wie vor mitten im Lager.
Winter neigte den Kopf vor Blattstern. »Ich habe auf der Großen Versammlung kurz mit Klippenfall reden können. Er erzählte mir, dass er unsere Eltern getroffen hat, während er mit Hagelsturm und Wolfsfeuer zur Geisterkatze unterwegs war. Sie baten darum, in den Clan zurückkehren zu dürfen. Wird diese Regel auch für sie gelten?«
Blattstern zögerte einen Moment. »Sie hatten ihre Chance bereits. Aber ich werde darüber nachdenken.«
Winter schien noch nicht zufrieden, ihre Haltung verriet Anspannung und ihr Nackenfell war leicht gesträubt. Dennoch neigte sie erneut den Kopf vor der Anführerin und miaute: »Nun, dann bin auch ich dafür.«
Neben ihr sprang Beerenfleck auf die Pfoten und miaute: »Ich ebenfalls!«
***
»Du kannst mir nicht verbieten, meiner Mutter zu verzeihen!« Jades Fauchen ließ Rankensee aus ihren Gedanken hochschrecken.
Die junge Schülerin stand am Brombeerwall ihrem Vater Eagle gegenüber. Ihr Fell war gesträubt und ihr Schweif peitschte durch die Luft. »Das ist allein meine Entscheidung. Ich habe dich nicht dazu aufgefordert, ihr ebenfalls zu verzeihen. Ich möchte nur, dass du es akzeptierst, wenn ich mich mit ihr vielleicht wieder vertrage. Vielleicht. Da bin ich mir ja selbst nicht einmal sicher. Aber lass es mich doch wenigstens in Erwägung ziehen! Ja, sie hat Fehler gemacht, welche Katze tut das nicht? Du hast auch Fehler gemacht. Und vielleicht würde ich auch darüber nachdenken, dir zu verzeihen, wenn du das endlich mal einsehen würdest.«
»Jade, ich...«, begann Eagle, wurde aber sogleich wieder von seiner Tochter unterbrochen: »Du wolltest nur das beste für mich. Ja, ich weiß. Ich hätte nur gedacht, dass du mich gut genug kennst, um zu wissen, wie sehr ich es hasse, angelogen zu werden!«
Ohne auf ein weiteres Wort ihres Vaters zu warten, wirbelte sie herum und stürmte durch die Lücke im Brombeerwall aus dem Lager.
»Warte!«, rief Eagle, doch entweder konnte oder wollte Jade ihn nicht mehr hören.
Rankensee blickte ihr mit einem unguten Gefühl hinterher. Seitdem sie Flamme an der Grenze getroffen hatten und Jade die Wahrheit über ihre Mutter erfahren hatte, gab es zwischen ihr und Eagle ständig Streit. Der zweite Anführer bemühte sich sichtlich, das Vertrauen seiner Tochter zurückzugewinnen, jedoch waren bisher all seine Versuche vergeblich geblieben.
»Ich werde nach ihr sehen. Wir sollten wegen des Adlers wachsam sein«, miaute Blattstern, die soeben neben Eagle aufgetaucht war und huschte hinter Jade her und durch den Lagereingang nach draußen.
Eagles Blick blieb noch eine Weile an der Lücke im Brombeerwall hängen, dann stand er auf und gesellte sich zu Beerenfleck und Winter, die sich gerade ein Kaninchen teilten.
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