7. | Arthur
Die nächsten Tage vergingen rasch. Ich traf mehrere Vertreter des Kaisers - mehrheitlich ältere Männer. Maman drängte mich zu einem weiteren Treffen mit Johanna von Neuenhofen, was ich aber immer wieder verschob und es mit meiner fehlenden Zeit entschuldigte.
Es war jetzt schon Sonntag. Alle Bediensteten waren für zwei Stunden außer Haus. Dementsprechend waren nur Maman und ich im Schloss. Ich befand mich in meinem Arbeitszimmer und verfasste einen Brief an meinen Bruder Julius, der mich mal wieder um Geld gegeben hatte, das er dieses Mal - so versprach er es in seinem Brief - es in sinnvolle Aktivitäten, die das Herzogtum bereichern würden, investieren wollte.
Ich glaubte ihm nicht mehr. Das hatte er schon die letzten zwei Male geschrieben. Und jedes Mal war ich darüber informiert worden, dass Julius das Geld für Feiern, Alkohol und Schmuck für seine Affären, deren Namen ich gar nicht versuchte zu lernen, verprasst hatte.
Ich wollte, dass er wieder zurück kam, damit ich ein Auge auf ihn hatte. So schlimm es klang, war es dennoch notwendig. Julius war zwar 25 Jahre alt und damit längst erwachsen, aber die Pflichten eines Herzogssohnes interessierten ihn nicht.
Kein Wunder, denn früher war es egal gewesen, was der zweite Sohn einer Herzogsfamilie machte. Alle Augen waren stets auf mich gerichtet. Aber seit dem Tod meines Vaters hatte sich dies geändert.
Julius verschlechterte mit seinen Skandalen unseren guten Ruf; und obwohl ich alles in der Welt Mögliche dafür tat, dass seine Eskapaden unter dem Teppich gekehrt wurden, konnte es irgendwann in die Öffentlichkeit gelangen.
Die Feder, mit der ich schrieb, kratzte leicht über das Papier. Mit meiner Unterschrift endete ich den Brief, in dem ich Julius dazu aufforderte, zurück ins Schloss und endlich zur Besinnung zu kommen. Letzteres hatte ich nicht geschrieben, aber ich hoffte sehr, dass er sich dieses Mal meinem Wunsch nicht widersetzen würde.
In wenigen Minuten wären die Bediensteten zurück und ich konnte Fasting und den Kutscher Waldmann dazu auffordern, den Brief wegzubringen. Plötzlich hörte ich ein langsames Klopfen. Ich runzelte die Stirn.
Waren sie jetzt schon zurück? Von Fasting hatte ich erfahren, dass er sich mit seinem jüngeren Bruder treffen wollte, der aus Deutsch-Ostafrika zurückgekehrt war. Weber hingegen wollte seine kranke Mutter besuchen. „Herein", rief ich und die Mamsell öffnete die Tür. „Eure Königliche Hoheit", ihre Stimme klang aufgeregt.
„Ich muss Sie darüber informieren, dass ich das Stubenmädchen Lene Bachmann und Ihren Diener Theodor Weber in einer... unglücklichen Situation gefunden habe." Sie machte eine Kunstpause.
„Ich verstehe nicht ganz", erwiderte ich. Die Mamsell räusperte sich. „Nun, ich habe die beiden beim vorehelichen Beischlaf erwischt. Wie bewerten Sie dieses unsittliche Verhalten?" Es war ihr sichtlich unangenehm.
Mir persönlich war es egal, ob die beiden eine Beziehung führten oder nicht, aber ich wusste, dass meine Mutter ganz und gar nicht davon begeistert wäre.
Als hätte sie meine Gedanken gehört, trat sie auf einmal hinter die Mamsell. „Fräulein Landwehr, was ist Ihr Anliegen?", hakte sie nach. Die Mamsell sah noch unglücklicher aus als zuvor. „Eure Königliche Hoheit, ich habe Euren Sohn darüber informiert, dass sich zwei Bedienstete unsittlich verhalten haben."
Maman sah erschrocken aus und ging an der Mamsell vorbei in mein Arbeitszimmer, wo sie sich auf einen freien Stuhl setzte. „Das muss bestraft werden", forderte sie. „Das Herzogtum von Kehlenbach duldet so etwas nicht."
„Ich bin derselben Meinung", entgegnete die Mamsell. Beide Frauen sahen mich erwartungsvoll an. „Ich finde nicht, dass sie bestraft werden sollen. Das Privatleben meiner Bediensteten interessiert mich nicht. Solange beide gut arbeiten, sehe ich keinen Grund, sie des Hauses zu verweisen."
Die Mamsell und meine Mutter japsten erschrocken nach Luft. Maman hielt sich ihr goldbesticktes Taschentuch vor die Nase. „Mein lieber Sohn, ich muss dich doch bitten", sagte sie. „Was würde der Kaiser von dir denken, wenn du so etwas tolerierst?"
Und jedes Mal schaffte sie es, meine Meinung zu ändern, indem sie den Kaiser erwähnte. In meiner Kindheit wurde mir eingebläut, dass die Meinung des Kaisers das Wichtigste war. Er konnte uns alles wegnehmen und wir mussten stets in seinem Willen handeln.
Wobei es meiner Mutter im Gegensatz zu mir nicht in Geringsten interessierte, was Julius in Schwerin tat und seine Handlungen entsprachen ganz bestimmt nicht dem Willen des Kaisers. Dies ließ mich daran erinnern, dass ich Fasting damit beauftragen wollte, den Brief zur Post zu bringen.
„Maman, ich bezweifle, dass der Kaiser davon erfährt", sagte ich scharf und wunderte mich über meinen Tonfall. Sie anscheinend auch, denn sie sah mich mit ihren braunen Augen streng an. „Sag niemals nie." Ihre Stimme verriet, dass sie keinen Widerspruch duldete.
Ich presste die Lippen zusammen. Oskar und meine Schwester Florentine hatten mir schon oft gesagt, dass ich mich endlich gegen meine Mutter stellen sollte. Aber es war kompliziert. Denn ich war zwar kein Kind mehr, aber es passierte manchmal immer noch, dass ich davon träumte, wie sie mich in meiner Kindheit behandelt hatte.
Sie hatte mich zwar, seitdem ich 18 Jahre alt war, nicht mehr misshandelt, aber meine Angst blieb seit neun Jahren jeden Tag bestehen. Ich erinnerte mich noch zu gut daran, wie sie mich an meinem sechsten Geburtstag sieben Stunden lang in meinem Zimmer eingesperrt hatte, nur weil ich ihr einmal widersprochen hatte.
Meine damalige Gouvernante Wilhelmine hatte mich mehr als einmal vor ihr verstecken müssen, wenn sie wütend gewesen war. Häufig war es Wilhelmine gewesen, die meine Wunden verarztet oder mir Kleidung gegeben hatte, die die Narben und blauen Flecken verdeckten.
Eine große Narbe hatte ich am Rücken, als sie mich an einem Sonntag mit einem Schlagstock geschlagen hatte, weil ich nicht in den Gottesdienst gehen wollte. Das war jetzt knapp 13 Jahre her. Zum Glück hatte bis jetzt niemand die Narbe gesehen und das würde auch so bleiben.
„In Ordnung. Fräulein Bachmann und Herr Weber werden das Schloss verlassen", brachte ich heraus und hasste mich dafür.
Maman lächelte zufrieden und auch die Mamsell brachte ein erleichtertes Lächeln zustande. „Ich bin erfreut, Eure Königliche Hoheit. Wir brauchen allerdings jemanden, der Fräulein Bachmanns und Herr Webers Stelle übernimmt", gab die Mamsell zu Bedenken.
Maman winkte ab. „Ach, Fräulein Landwehr, der Meinung bin ich nicht. Dann müssen die anderen eben härter arbeiten." Die Mamsell öffnete den Mund und ein verärgerter Ausdruck huschte kurz über ihr von Falten übersätes Gesicht. Sie hatte sich jedoch schnell gefangen und zwang sich zu einem Lächeln.
„Selbstverständlich, Eure Königliche Hoheit. Ich werde das Zeugnis ausstellen." Mit diesen Worten ging sie. Maman warf mir einen warnenden Blick zu. „Arthur, was sollte das gerade? Das ist nicht tolerabel! Die beiden sollten Gott um Vergebung bitten. Du weißt doch, dass es eine Sünde ist."
Ich unterdrückte den Wunsch, die Augen zu verdrehen. Was ging mich die Liebe zwischen zwei Bediensteten an? Richtig, gar nichts. Dennoch stimmte ich Maman zu und hasste mich erneut dafür.
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