20. | Ida
Maria tat mir leid. Hoffentlich wusste sie nicht, dass die Herzogin sie nicht mochte.
Am nächsten Morgen traf ich nach dem Frühstück auf Julius und Maria. „Guten Morgen, Fräulein Kaufmann", begrüßte mich Julius. „Guten Morgen", erwiderte ich. „Wissen Sie, ob mein Bruder das Buch erhalten hat?"
„Er hat nichts davon gesagt", sagte Julius und sah Maria fragend an. „Weißt du etwas davon?" Maria schüttelte den Kopf. „Nein, leider nicht."
„Kennen Sie meinen Bruder?", fragte Julius jetzt. „Weil Sie sich ein Buch von ihm ausgeliehen haben", fügte er hinzu.
„Ein wenig."
„Sind Sie befreundet?", wollte er wissen.
„Ja, so in etwa."
„Oh", sagte Julius. „Dann müssen Sie ja täglich meine Mutter sehen. Das tut mir leid. Ich weiß nicht, wie mein Bruder das aushält. Ich bin nicht mal 24 Stunden hier und das reicht mir schon. Ich denke, dass Maria und ich morgen wieder abreisen." „Nein", entgegnete Maria, „du wolltest dich doch mit deinem Bruder aussprechen. Wir können doch noch ein wenig bleiben."
„Bist du dir sicher? Meine Mutter möchte weder dich noch mich sehen", Julius war skeptisch. „Mich möchte sie auch nicht sehen", sagte ich und Julius seufzte. „Sie ist wirklich nicht zu ertragen. Das war auch der Hauptgrund für mein Wegziehen. Zum Glück, ansonsten hätte ich Maria nie kennengelernt." Daraufhin nahm er ihre Hand und sie sah ihn glücklich an.
„Sie können meinen Bruder ja fragen, ob er Ihr Buch erhalten hat", schlug Julius vor und ich nickte. Julius und Maria verabschiedeten sich, weil sie zum See wollten. Ich ging zu Arthurs Arbeitszimmer und klopfte an. Wieder war Herr Fasting nicht da, was mich wunderte.
Arthur sah mich erstaunt an, als er mich sah. „Hallo Ida", sagte er und legte den Federkiel, mit dem er geschrieben hatte, zur Seite. „Hallo", antwortete ich. „Ich habe dir gestern das Buch vor dein Arbeitszimmer gelegt. Hast du es gefunden?"
„Ja, danke. Wie war das Buch?"
„Ich fand es gut", erwiderte ich. „Das ist schön", sagte Arthur. „Du kannst dich ruhig setzen, wenn du willst. Oder bist du noch nicht fertig mit dem Zimmer?" „Die Mamsell sagte mir, dass ich bis heute Nachmittag keine Aufgaben habe", sagte ich und setzte mich auf den Stuhl neben ihm.
Auf dem großen Sekretärtisch waren mehrere Zettel verteilt. Ich konnte die Schrift jedoch nicht entziffern. „Charlotte hat mir geschrieben, dass sie kommen möchte", fuhr Arthur fort. „Sie hat mitbekommen, dass meine Verlobung aufgelöst wurde. Sie ist ebenfalls nicht mehr verlobt."
„Wer ist Charlotte?", fragte ich. „Meine ehemalige Partnerin", lautete seine Antwort. „Sie hofft wohl, ich würde sie zurücknehmen, nachdem ich Johanna nicht mehr heirate. Das wird aber definitiv nicht geschehen."
„Warum wurde deine Verlobung eigentlich aufgelöst?"
„Johanna hat mir erzählt, dass sie nicht an Männern interessiert ist", entgegnete er. „Ich weiß leider nicht, wie es ihr ergeht, nachdem ihre Eltern sie verstoßen haben."
„Oh nein, das muss schrecklich sein", sagte ich mitfühlend. „Ja. Ich möchte sie finanziell unterstützen, aber ich kann sie momentan nicht kontaktieren. Deswegen kann ich nur hoffen, dass sie mir von sich aus schreibt."
„Ja, das verstehe ich. Was wirst du Charlotte schreiben?"
„Sie wird kommen. Da ist es egal, was ich schreibe oder denke", erwidert Arthur. „Ich kann dagegen nichts machen. Sobald meine Mutter davon erfährt, wird sie sofort alles Mögliche versuchen, damit ich Charlotte zurücknehme. Obwohl meine Mutter sie eigentlich gar nicht mag."
„Es könnte doch auch sein, dass deine Mutter nichts davon erfährt", überlegte ich laut.
„Meine Mutter kontrolliert alles und jeden. Jeden einzelnen Brief, der an das Schloss geschickt wird und jeder einzelne Brief, der das Schloss verlässt. Das Wort Briefgeheimnis kennt sie nicht. So war es schon immer. Sie ist besessen davon, andere zu kontrollieren. Sei es durch physische oder psychische Gewalt."
„Hat sie das auch bei dir getan?"
„Natürlich", sagte Arthur. „Seit meinem 18. Lebensjahr nicht mehr. Aber die Angst, sie könnte es wieder tun, verfolgt mich regelrecht. Ich weiß, es ist dumm, so etwas zu denken. Es ist schließlich neun Jahre her."
„Ich finde es nicht dumm", antwortete ich. „Aber ich weiß, dass du dich gegen sie durchsetzen kannst."
„Ich will nicht mehr darüber sprechen. Du sagtest, du hättest bis heute Nachmittag Zeit? Möchtest du zufällig fechten lernen?"
„Ja, gerne", entgegnete ich.
„Das freut mich. Du brauchst zunächst eine Maske, Jacke und Handschuhe. Und natürlich ein Schwert, ich habe ein Degenschwert für dich", sagte Arthur.
Er stand auf und überreichte mir eine Maske, eine Jacke und Handschuhe. „Ich hoffe, das passt dir. Treffen wir uns gleich draußen?"
Ich ging schnell in die Kammer zurück, um mich umzuziehen. Dann liefen wir nach draußen in die Nähe des Sees, damit niemand uns beobachten konnte. Schon gar nicht Arthurs Mutter.
Arthur gab mir ein Degenschwert. „Wichtig ist, dass du dich geschwind vorwärts und rückwärts bewegen und schnell reagieren kannst. Das ist anders als dein natürlicher Gang, also ist es nicht schlimm, wenn du etwas Zeit zum Üben brauchst."
Ich nickte und daraufhin fuhr er fort. „Wichtig ist die richtige Haltung, um die Grundlagen der Fußarbeit im Fechten zu beherrschen. Der vorderer Fuß sollte direkt nach vorne zeigen. Du lehnst dich leicht nach vorne und stellst deinen hinteren Fuß senkrecht zu deinem Körper."
Ich war mir sicher, dass ich alles falsch machte, aber Arthur zeigte keine Reaktion, als ich die Haltung versuchte. „Ein gutes Gleichgewicht ist wichtig für die schnellen Bewegungen. Das hast du ja."
Ich war jetzt schon etwas überfordert. „So?", fragte ich und er sah mich prüfend an. „Ja. Das ist gut so."
„Und danach?"
„Ich zeige dir erst einmal zwei Übungen, die du zwischen den Kämpfen umsetzen kannst, damit du deine Fußarbeit verbessern kannst. Einmal die En garde-Übung, bei der du auf jedem Bein balancierst und dann vorwärts oder auch rückwärts hüpfst, während du deinen Stand beibehältst."
Mir schwirrte der Kopf von all den Erklärungen. „Zweitens die Ausfallschritt-Übungen. Angriffe im Fechten beinhalten einen Ausfallschritt nach vorne. Du solltest also üben, diese Bewegung auszuführen und die Position zu halten. Du kannst ebenfalls versuchen, deine Füße in einem Ausfallschritt stehen zu lassen, während du vorwärts und rückwärts wippst", erklärte Arthur.
Ich versuchte die zwei Übungen und hoffte, dass es nicht allzu schlimm aussah. So ging es zwei Stunden weiter, bis wir eine Pause am See machten.
„Wie lange fechtest du schon?", fragte ich. „Ich glaube ungefähr 15 Jahre. Vielleicht aber auch länger. Mach dir keine Sorgen, wenn nicht alles sofort funktioniert, du bist ja gerade erst damit angefangen", erwiderte er.
Das stimmte. Ich legte die Maske und Handschuhe ab und Arthur tat es mir gleich. „Ich glaube, für heute reicht es. Du musst ja bald wieder arbeiten, oder?"
„Ja", erwiderte ich, „in ein paar Stunden."
„Ich hoffe, du bist nicht allzu müde heute Abend. Ansonsten lassen wir das mit dem Fechten."
„Nein, es hat Spaß gemacht", versicherte ich.
„Aber deine Arbeit ist doch bestimmt anstrengend, oder?"
„Ja, das stimmt schon. Körperlich anstrengend. Aber geistig nicht", offenbarte ich.
Ich wollte wieder im Chemielabor mit meinen Kommilitonen experimentieren. Aber das konnte ich ihm nicht sagen.
„Ich werde mit der Mamsell sprechen. Vielleicht kann sie dir eine andere Aufgabe geben."
„Nein, das muss nicht sein", wehrte ich ab. „Es ist schon in Ordnung."
„Wirklich?", Arthur schien nicht überzeugt zu sein. „Es tut mir leid, dass ihr solch schwierigen Bedingungen ausgesetzt seid. Ich werde versuchen, das zu ändern. Was genau stört dich hier?"
„Die Kammer ist eng und kalt. In meiner vorherigen Kammer gab es nicht einmal ein Fenster. Außerdem haben wir kaum Pausen", zählte ich auf. „Ich denke, dass Dorothea, Martha und Frieda noch weitere Dinge haben, die sie stören."
„Jeder von euch bekommt eine neue Kammer. Ihr werdet mehr Pausen bekommen und mehr Lohn. Und alles andere bespreche ich nächste Woche mit der Mamsell", beschloss Arthur.
„Danke", sagte ich und lächelte ihn an. „Da werden sich die anderen freuen. Naja, außer deine Mutter vielleicht."
„Mit ihr muss ich allein klarkommen, darüber machst du dir lieber keine Gedanken", versuchte er mich zu beruhigen. „Sie wird sich daran gewöhnen müssen, einige Aufgaben selbst zu erledigen."
„Zum Beispiel putzen?", fragte ich und musste lachen, als ich mir die Herzogin beim Putzen vorstellte. Das würde wohl niemals passieren.
„Ja. Es wird sehr schwierig, aber ich werde mein Bestes geben, sie zu überzeugen. Allzu lange wird sie nicht mehr hier leben, hoffe ich zumindest. Sie hat einmal erwähnt, dass sie gerne nach London reisen würde. Da kann sie gerne bleiben. Ich hätte nichts dagegen."
Wir schwiegen kurz und betrachteten den See. Das Wasser war klar, was ich gestern Abend nicht bemerken konnte.
„Der See ist wirklich schön", sagte ich begeistert.
„Ja. Aber ich sehe noch etwas Schöneres."
„Was denn?" Ich drehte mich zu ihm um. „Meinst du den Himmel? Da hast du recht, heute sind keine Wolken zu sehen. Wirklich toll."
„Ich meine dich, nicht den Himmel."
Ich wusste nicht, was ich darauf antworten sollte und erinnerte mich an das, was mir Martha, Dorothea und Frieda eingeschärft hatten. Doch ich konnte mir nicht vorstellen, dass Arthur ihren Beschreibungen entsprach.
Es herrschte Stille zwischen uns und ungläubig sah ich ihn an. „Äh, danke", sagte ich unbeholfen und drehte mich wieder zum Wasser um.
„Ida?"
„Ja?"
„Darf ich dich küssen?"
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Mal sehen, was Ida dazu sagen wird..
🙃🙃
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