2. | Arthur
„Sie ist wunderschön, nicht wahr?"
Maman schloss die Tür und deutete auf das Gemälde einer blonden, ernst dreinblickenden Frau. „Johanna von Neuenhofen. Eine reizende junge Dame und zudem äußerst fromm."
Das alles interessierte mich nicht. „Ja", sagte ich knapp und wandte mich wieder dem Brief an den Kaiser zu. Wilhelm II. hatte mich zu einem Treffen eingeladen. „Sie wäre eine gute Herzogin für dich", murmelte Maman gedankenverloren. Ich hob den Kopf. „Wie bitte?"
Maman strahlte. „Ja, sie wäre eine bezaubernde Herzogin. Dein Vater wäre endlich stolz auf dich. Damit würden wir unsere Beziehung mit dem Herzog von Neuenhofen stärken."
„Ich will sie aber nicht." „Es geht nicht um dich. Du hast deinen Spaß gehabt. Jetzt ist es Zeit, sich eine Frau zu suchen, die unser Herzogtum repräsentiert." Maman schnalzte mit der Zunge. „Schau sie dir doch mal näher an. Sie trifft doch genau deinen Geschmack. Blonde Haare, blaue Augen... Genau wie die Baronin Rauwolf." Ich sprang auf und sah ihr fest in die Augen. „Lass Charlotte aus dem Spiel."
Maman lächelte ungerührt. „Sie ist nicht gut genug, um eine Herzogin zu sein. Das müsste dir doch bewusst sein. Sie ist nur eine Baronin, mehr nicht. Ihr Vater hat ihr ganzes Anwesen verspielt. Und so jemanden willst du ehelichen? Ich bitte dich. Was würde der Kaiser von dir denken? Ich bin mir sicher, er wäre enttäuscht."
„Sie ist verlobt", sagte ich leise.
„Na, sieh an. Dann hat es sich ja endgültig erledigt. Heute Abend kommt das Herzogspaar von Neuenhofen mit ihrer Tochter. Ich bin mir sicher, dass du dich blendend mit der bezaubernden Johanna verstehen wirst."
Ich seufzte auf. „Wieso darf Julius alles machen, was er möchte und ich nicht?" „Weil du der Herzog bist. Dein Bruder hat auch seine Pflichten. Aber das tut nichts zur Sache. Dein Verhalten könnte uns alle schaden. Willst du das etwa?", fragte Maman. Ihre Stimme wurde lauter.
„Natürlich nicht. Aber ich will keine arrangierte Ehe. Ich will überhaupt nicht heiraten und wenn, dann nur aus Liebe", sagte ich. Maman lachte auf, aber es war ein freudloses Lachen. „Du weißt, dass ich mich nicht gerne wiederhole. Ich meine es ernst, mein Sohn. Es geht hier nicht mehr um deine Interessen. Du hattest genug Zeit, um dich auszutoben. Lange habe ich deine Eskapaden toleriert. Jetzt ist Schluss damit."
Meine Eskapaden? Ich hatte zwar einige Beziehungen geführt, die nie zu einer Verlobung geführt hatten, aber ich hatte mich nie skandalös verhalten! Anders als mein Bruder. Ich öffnete den Mund, um ihr zu widersprechen, aber sie fiel mir ins Wort.
„Du bist 27 Jahre alt. Sei froh, dass du eine junge Herzogstochter heiratest und keine alte Jungfer. Sieh dir doch deine Schwester an. Florentine hatte auch eine arrangierte Ehe. Sie ist seit zehn Jahren glücklich verheiratet und hat sechs Kinder."
„Ich will keine sechs Kinder! Vor allem nicht mit Johanna!"
Mamans Kopf wurde rot. „Warum bist du so stur? Genau wie dein elender Vater! Unfassbar. Gott möge dir verzeihen." „Maman, ich muss jetzt arbeiten", sagte ich schlicht. Sie schüttelte den Kopf und verließ mein Arbeitszimmer. Ich atmete tief durch und wandte mich meinem Brief zu. Doch ich konnte mich nicht konzentrieren. Meine Gedanken drehten sich nur um heute Abend.
Ich hatte keine Lust, eine Frau zu heiraten, die ich nicht liebte. Zwischen Charlotte und mir war es schon seit mehreren Monaten vorbei. Ich liebte sie nicht mehr. Aber ich wollte diese Herzogstochter auf keinen Fall heiraten. Wie sollte ich also meine Mutter überzeugen?
Genervt legte ich den Brief zur Seite und rief nach Richard Fasting, meinen Hausdiener. „Fasting, bringen Sie mir ein Bier", sagte ich. Irgendwie musste ich den Abend überleben. Herr Fasting verbeugte sich. „Selbstverständlich, Eure Königliche Hoheit", näselte er. Weniger Minuten später brachte mir Theodor Weber, ein weiterer Diener, ein Glas Bier. „Möchten Eure Königliche Hoheit noch etwas?", erkundigte er sich.
„Nein."
„Ich stehe Euch jederzeit zur Verfügung, Eure Königliche Hoheit."
„Ich weiß. Gehen Sie bitte, Weber. Ich möchte meine Ruhe." „Natürlich, Eure Königliche Hoheit", antwortete er und verbeugte sich. Die restliche Zeit verging schnell. Ich beendete meinen Brief an den Kaiser. Das Mittagessen verlief schweigend. Maman würdigte mich keines Blickes. Meine Geschwister und ich nannten sie seit unserer Kindheit Maman, weil sie in Frankreich geboren und dort aufgewachsen war.
Am Abend war es dann so weit. Um 18 Uhr fuhr die Kutsche des Herzoges von Neuenhofen auf den Schlosshof. Maman, ihre Zofe, Herr Fasting, die Mamsell und ich warteten vor der Schlosstür. Zuerst stieg der Herzog aus.
Er war ein kleiner, korpulenter Mann, seine wenigen Haare flatterten im Wind. Er verbeugte sich kurz. „Eure Königliche Hoheit", sagte er laut, „wir freuen uns außerordentlich, Euch zu treffen." Seine Stimme dröhnte in meinem Ohren. Dieser Mann sollte also mein Schwiegervater werden.
„Die Freude liegt ganz unsererseits", log ich und zwang mich zu einem Lächeln. Nach ihrem Ehemann stieg die Herzogin von Neuenhofen aus. Sie trug ein grässliches Kleid. Es war knallgrün und mit roten Rüschen bestickt. Auf ihrem Kopf thronte ein riesiger, weißer Hut. Das war also die neue Mode hierzulande. Ich fand, dass es ziemlich hässlich aussah, aber Maman strahlte sie an, als wäre sie Kaiserin Auguste höchstpersönlich.
„Guten Abend", sie knickste und stellte sich neben ihren Ehemann. Maman und ich begrüßten die Herzogin ebenfalls.
Als letztes stieg ihre Tochter aus. Johanna von Neuenhofen, mit der mich Maman verheiraten wollte, sah genauso aus wie auf dem Gemälde. Ihr langes, blondes Haar war aufwendig geflochten. Sie war sehr schmal, dafür aber groß. Ihre Wangen waren leicht gerötet.
„Eure Königliche Hoheit", begrüßte sie mich. „Ich freue mich, Euch endlich kennenzulernen." Ich freute mich überhaupt nicht. Dennoch lächelte ich wie zuvor bei ihren Eltern. Herr Fasting führte uns in den Speisesaal, wo das Köchin Fräulein Meier gemeinsam mit dem Küchenmädchen Fräulein Bauer das Essen auftrug. Maman setzte sich neben der Herzogin, sodass ich leider direkt neben Johanna von Neuenhofen saß.
Ich unterdrückte ein Stöhnen. Das war ja ein großartiger Abend. Johanna verwickelte mich prompt in ein Gespräch über... Worüber eigentlich? Ich konnte ihren Gedankengängen nicht folgen. Mal sprach sie über die Natur, dann über das Essen, danach wieder über die Natur und so weiter. Ihre Stimme klang schrill. Ich versuchte nicht einmal, ansatzweise interessiert zu wirken.
Sehr zum Missfallen meiner Mutter, denn sie warf mir mehrmals einen warnenden Blick zu. Zwei Stunden später war es Gott sei Dank vorbei und wir verabschiedeten die Herzogsfamilie. Als sie weg waren und Maman und ich uns zurück in den Speisesaal setzten, machte ich mich darauf gefasst, dass sie bereits die Hochzeit und die Nachkommen - die natürlich alle männlich sein mussten - geplant hatte. Das war zum Glück nicht der Fall.
„Wie findest du sie?", fragte sie und nahm einen Schluck aus ihrem Glas Rotwein. „Meiner Meinung nach ist sie beeindruckend."
„Nein", sagte ich. „Wohl eher das Gegenteil." Maman seufzte laut. „Du machst mir das Leben schwer, Arthur. Wenn nicht sie, wer dann? Die Baronin Rauwolf kannst du vergessen."
„Das zwischen Charlotte und mir ist längst vorbei", antwortete ich scharf. „Mir scheint es, als würdest du ihr immer noch hinterhertrauern. Sie ist über dich hinweg. Du hast doch selbst gesagt, dass sie verlobt ist."
„Ich habe damit abgeschlossen, Maman", sagte ich kalt und stand auf. „Wenn du mich jetzt entschuldigen würdest. Ich möchte gerne zu Bett gehen."
Ohne auf ihre Antwort zu warten, verließ ich den Speisesaal. Ich war entsetzlich müde. Deshalb ging ich sofort in meine Gemächer, jedoch nicht ohne Herrn Fasting Bescheid zu sagen, dass er mich bitte um 7 Uhr morgen wecken solle. Morgen wollte ich mich nämlich mit meinem guten Freund, Graf Oskar zu Rechberg, treffen.
Doch ich konnte kein Auge zu machen. Es war viel zu hell, mir war übel und ich hörte aus dem Nebenzimmer Maman mit ihrer Zofe sprechen. Als Kind hatte ich gedacht, mein Vater und sein Diener seien ein Paar. Ich hatte auch geglaubt, dass Maman und ihre Zofe verliebt seien. Als ich Maman gefragt hatte, wurde ich zum Pfarrer geschickt, der mir erklärt hatte, eine Liebe zwischen dem gleichen Geschlecht sei unnatürlich, nicht von Gott gewollt und im Kaiserreich verboten. Paragraph 175 war mir seitdem ein Dorn im Auge. Das durfte ich aber nicht laut mitteilen.
Um 23 Uhr, als ich mir sicher war, dass alle schliefen, schlich ich mich auf den Flur. Ich wollte draußen frische Luft schnappen. Ich stand gerade vor der Schlosstür, als ich ein Geräusch hörte.
Jemand war da. Ich hielt den Atem an, die Person ebenfalls. „Wer ist da?", fragte ich mit drohender Stimme und suchte im Dunkeln nach etwas, womit ich mich im Notfall verteidigen konnte. Niemand antwortete mir.
„Ich weiß, dass da jemand ist", sagte ich wütend. „Treten Sie hervor." Ein Rascheln. Mein Atem ging hektischer. „Ich warne Sie. Kommen Sie jetzt."
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