12. | Arthur
„Wie meinst du das?"
Die Stimme meiner Mutter wurde panischer. „Der Ring ist also verschwunden. Mitsamt der Schachtel. Hat ihn jemand gestohlen?" Nervös sah sie sich in meinem Arbeitszimmer um und durchforstete jede einzelne Schublade.
„Ich weiß es nicht", log ich und mied ihren Blick. Ich musste gut aufpassen, damit sie meine Lüge nicht bemerkte. „Bestimmt hat eines der Stubenmädchen den Ring gestohlen", sagte Maman verächtlich. „Wir müssen die Kammern der drei unbedingt durchsuchen." „Letzte Woche wurde hier gesäubert", antwortete ich. „Gestern war der Ring noch da. Also sind die Stubenmädchen nicht die Verdächtigen."
„Dann war es sicherlich Fasting", beschloss Maman. Mein Herz schlug plötzlich wie verrückt. Warum verdächtigte sie jetzt wahllos unsere Bediensteten? Daran hatte ich nicht gedacht. „Wahrscheinlich habe ich den Ring verlegt", versuchte ich vergeblich sie zu besänftigen. „Ich denke, er taucht bald wieder auf."
„Der Ring soll nicht bald auftauchen, sondern jetzt!", zischte Maman. „Warum suchst du nicht? Du weißt genau, dass es entgültig ist. Du wirst Johanna heiraten! Daran führt kein Weg vorbei."
Sie atmete schwer, als wäre ein Gespräch mit mir anstrengend.
„Es ist bestimmt nicht schlimm, wenn Johanna den Ring ein anderes Mal erhält", sagte ich und sie blickte mich empört an. „Du bist verrückt geworden. Es ist schlimm und das weißt du! Du willst es nur nicht wahrhaben, dass du bald deine Freiheiten ein Stückchen abgeben musst. Unmöglich." Sie schüttelte den Kopf. „Stell dir vor, was nur passieren könnte. Was machen wir, wenn der Herzog von Neuenhofen die Verlobung lösen möchte, weil seine Tochter keinen Ring trägt? Weil sein zukünftiger Schwiegersohn den Ring verloren hat? Das ist schrecklich! Allein die Vorstellung erzürnt mich."
„Maman, es gibt gewiss eine Lösung dafür", versuchte ich es ein zweites Mal. „Können wir das Treffen verschieben und in Ruhe nach dem Ring suchen?" „Nein, auf keinen Fall! Der Herzog von Neuenhofen ist mit seiner Gattin und seiner Tochter bereits unterwegs. Ich werde sie garantiert nicht wegschicken!", ihre Stimme wurde lauter. „Such gefälligst nach dem Ring. Es kann nicht sein, dass er verschwunden ist."
Sie schüttelte erneut den Kopf. „In einigen Minuten kehre ich zurück. Wenn du den Ring bis dahin nicht findest, enterbe ich dich", sagte sie mit fester Stimme.
„Du hast nicht viel bekommen", erinnerte ich sie und zuckte mit den Schultern. „Das meiste hat mein Vater uns Kindern übergeben. Das kannst du gern in seinem Testament nachlesen, wenn du mir nicht glaubst." Maman schnalzte mit der Zunge. „Das ist nicht wahr, Arthur. Du demütigst mich." Sie stand auf und ging in schnellen Schritten zur Tür des Arbeitszimmers. Kurz vorher drehte sie sich um. „Denk an das, was ich gesagt habe. Irgendwann stehst du sogar beim Kaiser schlecht dar."
Ich schwieg und sie eilte in ihr Schlafzimmer. Was sollte ich jetzt machen? Sollte ich den Ring holen? Ich hatte nur an mich selbst gedacht und nicht an die Konsequenzen. Was würde passieren, wenn Maman tatsächlich die Bediensteten verdächtigte? Sie hatte recht gehabt. Ich hatte keine andere Wahl. Also ging ich auf den Dachboden und holte den Verlobungsring hervor.
Meiner Meinung war er ziemlich hässlich. Ich hatte eigentlich einen anderen Ring aussuchen wollen, aber es war in meiner Familie Tradition, den Verlobungsring immer weiterzugeben. Wie ich solche Traditionen hasste.
Gerade noch rechtzeitig kam ich zurück. „Ich hab den Ring gefunden", teilte ich Maman mit und zeigte ihr die purpurrote Schachtel. Innen waren die miteinander verbundenen Wappen unserer Familien zu sehen, darunter stand ein Bibelvers, den sich Maman für Johanna und mich ausgesucht hatte. 1 Korinther 7:2. Wieder etwas, was meine Eltern ständig gebrochen hatten.
Dennoch war meine Mutter der Meinung, es wäre der perfekte Vers für meine Ehe. Mich interessierte das alles nicht, aber sowohl Maman als auch Johannas Familie waren sehr bibelfest. Hoffentlich würde Johanna nicht auf die Idee kommen, jeden Abend mit mir die Bibel zu lesen. Ich hatte wirklich Besseres zu tun.
Maman strahlte, als hätte sie in der Lotterie gewonnen. Begeistert klatschte sie. „Das ist großartig! Wo hast du den Ring gefunden?"„Hinter der Kommode", sagte ich und sie schien mir meine Lüge abzukaufen. „Sehr gut. Jetzt müssen wir uns beeilen. Der Herzog von Neuenhofen und seine Familie werden jeden Moment ankommen. Weißt du, was du sagen wirst?"
Ja, leider. Ich hatte diesen vermaledeiten Text sogar auswendig gelernt. Als wäre ich ein Schuljunge. „Selbstverständlich, Maman", erwiderte ich. Sie schenkte mir ein Lächeln. Das kam selten vor. Früher war es mir beinahe wie ein Geschenk vorgekommen, wenn sie mich überhaupt angesehen hatte.
„Eure Königliche Hoheit", hörte ich die Stimme meines Hausdieners Fasting. Er klopfte kurz und trat dann hinein. „Der Herzog von Neuenhofen ist mit seiner Familie angekommen. Soll ich sie in den Speisesaal bitten?"
„Um Himmels Willen, nein", sagte Maman. „Wir werden den Herzog und seine Familie selbstständig begrüßen." Sie ging vor und ich folgte ihr nach draußen. Es war ein lauer Sommerabend und die Vögel zwitscherten. Aber das alles konnte mich nicht aufmuntern.
Der Herzog von Neuenhofen stieg soeben aus, als wir draußen ankamen. „Wie schön, dass ihr da seid", sagte Maman mit hoher Stimme, als der Herzog, seine Gattin und Johanna vor uns standen. „Wir freuen uns außerordentlich." „Die Freude ist ganz unsererseits", antwortete Johannas Vater.
Fasting führte uns in den Speisesaal, der festlich gedeckt war. So hatte es hier nicht mal an Weihnachten ausgesehen. „Nun, ich denke, wir sollten direkt beginnen, nicht wahr? Möchten Sie einen Tee?" „Gerne", erwiderte der Herzog höflich. Das bedeutete, dass seine Gattin und seine Tochter ebenfalls einen Tee trinken würden.
Maman rief nach der Köchin, die uns prompt den Tee brachte. Somit hatte ich noch Zeit, um nachzudenken. Wann würde ich Johanna heiraten? Hoffentlich nicht in den nächsten Monaten. Am liebsten gar nicht. Aber das war nicht mehr meine Entscheidung.
Während des Tees herrschte Schweigen. Ich betrachtete Johanna unauffällig. Heute trug sie ein dunkelblaues Kleid, das mit Diamanten bestickt war. Ihr blondes Haar war wie immer aufwendig frisiert. Trotz all dem Prunk schien es, als würde sie etwas bedrücken.
Nach dem Tee wusste ich, dass es Zeit war, zu beginnen. Ich war mir sicher, dass sowohl Maman als auch der Herzog, seine Gattin und selbst Johanna darauf warteten. „Ich möchte etwas verkünden", begann ich und räusperte mich. „Die Verlobung mit Johanna von Neuenhofen." Schnell übergab ich ihr die Schachtel, damit es endlich vorbei war, doch sie starrte mich nur wortlos an. Mein Atem wurde hektischer. Hatte ich irgendetwas Falsches gesagt?
Maman hingegen lächelte zufrieden. „Möchten Sie diesen Ring annehmen?", fragte ich Johanna. Sie sagte weiterhin nichts. Peinliche Stille erfüllte den Raum. „Selbstverständlich", fiel ihr Vater ins Wort. „Wir freuen uns."
Auch seine Gattin schien begeistert zu sein. Johanna eher weniger. Sie wollte wohl auch nicht heiraten. Verständlich.
Ich steckte ihr den grässlichen Ring an den Finger und hoffte inständig, sie würde irgendetwas sagen. Stattdessen sah sie nur nach draußen. Das war sehr merkwürdig. Bei den anderen Treffen hatte sie immer viel gesprochen.
Es dauerte zum Glück nicht lange, bis Johanna und ihre Familie wieder nach Hause gingen. „Johanna wird öfter zu uns kommen, damit wir die Hochzeit planen können", sagte Maman, als wir wieder allein waren. „Außerdem müssen wir ein Schlafzimmer und ein Ankleidezimmer vorbereiten."
Ich bezweifelte, dass Johanna die Hochzeit planen würde. Wie ich Maman kannte, würde sie alles bis ins kleinste Detail planen.
„Wann findet die Hochzeit statt?", fragte ich. „So bald wie möglich. Aber ich denke, es wird noch mindestens ein halbes Jahr dauern", erwiderte meine Mutter. Wenigstens ein Lichtblick. Ich hatte schon damit gerechnet, sie nächste Woche zu heiraten.
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