Seltsames Verhalten
Die Vorbereitungen auf die Reise waren im vollen Gange. Selina's Tage war vollgefüllt mit der Organisation und dem Packen von allen für die Reise notwendigen Sachen für Eliza und sie selbst. Aber trotz allem versuchte sie den Unterricht und die Zeit mit Eliza nicht zu kurz kommen zu lassen. Allerdings wurde der Unterricht mit jedem Tag schwieriger, weil Eliza sich kaum noch auf die alltäglichen Dinge konzentrieren konnte und fast nur noch von der bevorstehenden Reise sprach. Selina versuchte beruhigend auf das Kind einzuwirken und ging mit ihr viel spazieren, möglichst weg von all der Aufregung im Haus. Bisweilen gelang es ihr auch, Eliza für ein paar Augenblicke die bevorstehende Reise vergessen zu lassen und sie in der Natur in eine andere Welt mitzunehmen. Aber auch bei Selina stieg mit jedem Tag Aufregung. Daher war sie erleichtert, dass sie drei Tage vor der geplanten Abreise Mr. Glendish mitteilen konnte, dass ihr Teil der Vorbereitungen für die Reise abgeschlossen waren und ausser den Kleiderkoffern alles auf der Seawind untergebracht war. Mr. Glendish grinste Selina an: „Sehr gut. Ich habe ihre Packlisten gesehen. Ich war erstaunt, wie strukturiert sie vorgegangen sind bei der Zusammenstellung. Vielleicht sollte ich sie zum Lademeister auf der Seawind ernennen." Nach seinem letzten Satz lachte er kurz und sah Selina leicht spöttisch an. Selina war leicht errötet und wusste jetzt nicht, ob sie gerade ein verstecktes Kompliment erhalten hatte oder er sich nur über sie lustig machte. Sie zog es vor, das Beste aus der Situation mitzunehmen und erwiderte nur: „Danke für das Kompliment, Sir." „Richtig so, mein Kind!", erscholl plötzlich die Stimme eines älteren Herren hinter ihr, „Lassen sie sich nicht durch solche Bemerkungen einschüchtern." Mr. Glendish überging diese Bemerkung leicht gereizt und ging auf den etwas kurz geratenen, rundlichen Herrn mit einer Nickelbrille zu und streckte ihm seine Hand entgegen: „Ah Georg, ich habe dich ehrlich gesagt erst später erwartet." „Ich war gerade geschäftlich in der Gegend und hatte Zeit.", antworte der freundliche Herr und reichte Mr. Glendish die Hand. Dann sah er wieder Selina an. „Julian, willst du mir nicht die nette, schlagfertige, junge Dame vorstellen?" „Nun ja. Georg, darf dir Miss Selina Linnard vorstellen. Sie ist Eliza' s neue Gouvernante. Miss Linnard, das ist Georg Stevens, mein Anwalt und ein langjähriger Freund der Familie." Selina reichte Mr. Stevens ihre Hand, der sich formvollendet verbeugte und einen Handkuss andeutete. „Es ist mir ein Vergnügen, sie kennen zu lernen, Miss Linnard.", lächelte er Selina freundlich an. Bevor Selina jedoch etwas erwidern konnte, fuhr Mr. Glendish dazwischen. „Georg, Miss Linnard wollte gerade gehen, sie hat noch mit den Vorbereitungen für große Reise zu tun.", log er und fuhr fort, „Außerdem habe ich noch ein paar wichtige Dinge mit dir vor meiner Abreise zu besprechen." „Schade.", antworte Mr. Stevens mit deutlichem Bedauern und lächelte Selina noch einmal kurz freundlich zu bevor er Mr. Glendish zu dessen Schreibtisch folgte. Selina verliess nachdenklich das Arbeitszimmer. Sie fand das Verhalten von Mr. Glendish gerade etwas seltsam. Warum wollte er nicht, dass Mr. Stevens ihr Komplimente machte? Warum hatte er Mr. Stevens gegenüber gelogen, um eine weitere Unterhaltung zu unterbinden und sie loszuwerden? Je länger sie Mr. Glendish kannte, um so seltsamer wurde sein Verhalten ihr gegenüber. Sie seufzte kurz. Hoffentlich würde es auf der lange Reise besser werden, weil sie sich dort doch öfter begegnen würden. Sie dachte darüber nach, ob die Ursache für dieses seltsame Verhalten bei ihr zu suchen sei. Doch sie kam zu wirklichen Ergebnis. Schließlich schob sie es auf die allgemeine Nervosität aller Beteiligten vor der geplanten Abreise.
Tatsächlich war die Aufregung mittlerweile im ganzen Haus sehr deutlich zu spüren und auch Eliza konnte sich kaum noch auf die von Selina gestellten Aufgaben konzentrieren. Geduldig versuchte sie die vielen Fragen soweit sie konnte zu beantworten. Da sie aber selber noch nie auf einem Schiff gereist war, musste sie Eliza einige Antworten schuldig bleiben. Daher versuchte sich Selina mit dem Lesen von Büchern ein wenig auf die kommende Reise vorzubereiten und daher sass in der wenigen freien Zeit, die ihr blieb, öfters in der Bibliothek des Hauses. Als sie zwei Tage vor der Abreise Abends nach dem sie Eliza zu Bett gebracht hatte, wieder in einen Reisebericht vertieft in der Bibliothek saß, betrat plötzlich Mr. Glendish den Raum. „Ach hier haben sie sich versteckt. Ich habe sie schon überall gesucht. Mrs. Higgins hat mir gesagt, dass ich sie wahrscheinlich hier finden würde." Erschrocken war Selina aufgesprungen und dabei klappte das Buch vor ihr mit einem lauten Geräusch zu. Mr. Glendish trat an den Tisch an dem sie gesessen hatte und schaute neugierig auf das Buch vor ihr auf dem Tisch. „Sie lesen Reiseberichte?", fragte er, wieder mit diesem spöttischen Unterton. „Was erwarten sie von der Fahrt? Dies wird keine Vergnügungsreise und eine Forschungsreise auch nicht. Sie haben den Umstand, dass sie auf dieser Fahrt dabei sind, allein der Tatsache zu verdanken, dass ich auf meinen zukünftigen Reisen meine Tochter dabei haben möchte und jemand brauche, der an Bord sich um sie und ihre Erziehung kümmert, wenn ich beschäftigt bin. Alleine dafür wurden sie eingestellt. Sie werden also ganz überwiegend unter Deck bleiben und sich um nichts anderes kümmern. Haben sie verstanden?", fuhr er Selina mit einer Mischung aus Wut und Spott an. Diese war so erschrocken über seinen Ausbruch, dass sie lediglich eine leises „Ja, Sir." stammelte und es nicht wagte, ihn anzuschauen, obwohl oder gerade weil er direkt vor ihr stand. „Und vergessen sie das nicht wieder." setzte er nach und verließ eiligen Schrittes den Raum. Selina stand noch eine ganze Weile wie erstarrt an ihrem Platz, ihre Augen schimmerten feucht. Schließlich eilte sie in ihr Zimmer zurück und vergrub sich schluchzend in ihrem Bett.
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