Neue Aufgaben
Selina saß auf ihrem Bett. Die wenigen Habseligkeiten waren schnell in Schränke und Kommoden geräumt. Nachdem sie sich ein wenig ausgeruht hatte von der langen Reise, tauschte sie noch ihr Reisekleid gegen ihr Alltagstrauerkleid und steckte ihre Haare zu einem Nackenknoten zusammen. Schließlich wollte sie möglichst einen guten ersten Eindruck hinterlassen bei ihrem neuen Herrn. Sie war bereit für einen neuen Lebensabschnitt, dennoch überkam sie eine gewisse Nervosität. Würde sie auch die Erwartungen, die man an sie stellte, erfüllen können?
Wenige Minuten später klopfte es an ihrer Tür. Sie sprang auf und strich ihre Röcke glatt. „Ja, bitte." Eine Bedienstete trat ein und knickst kurz: „Der gnädige Herr lässt sie in sein Büro bitten." Selina nickte und folgte der Hausangestellten. Als sie am Arbeitszimmer des Hausherrn angekommen waren, klopfte diese kurz und trat nach Aufforderung ein. „Miss Linnard, die neue Erzieherin, gnädiger Herr." Selina betrat einen großen, hellen Raum, der von einem großen elegantem Schreibtisch dominiert wurde. Der Herr dahinter, der kurz zuvor noch in das Studium der Papiere vertieft war, erhob sich und sah Selina prüfend an, während er sein Wort an die Bedienstete richtete: „Bringen Sie uns noch bitte zwei Tassen Tee." Diese nickte und schloss die Tür. „Bitte nehmen sie doch Platz, Miss Linnard" Er wies dabei auf einen der Stühle vor seinem Schreibtisch. „Danke, das ist sehr freundlich.", antworte Selina und nahm vor dem Schreibtisch Platz. Nachdem Mr. Glendish sich ebenfalls wieder gesetzt hatte, vertiefte er sich wieder in die vor ihm liegenden Papiere. Nach einer kurzen Pause sah er sie wieder an: „Wie ich ihren Papieren entnehmen kann, haben sie eine sehr gute Ausbildung genossen und waren bereits als Lehrerin tätig. Sie scheinen mir allerdings für eine Lehrerin und Erzieherin noch recht jung zu sein." Noch bevor sie darauf etwas erwidern konnte, klopfte es kurz. Ein Diener mit einem Tablett trat ein und stellte zwei Tassen mit heißem Tee auf den Schreibtisch. „Danke, Linley." Mr. Glendish nickte dem Diener zu und dieser verließ wieder das Büro. „Sie sollen wissen, dass ich ihr junges Alter keineswegs als Nachteil sehe, sondern ich mich bewusst für eine junge Erzieherin entschieden habe, weil ich für meine kleine Tochter weniger eine strenge Gouvernante als eine liebevolle Betreuerin und einfühlsame Erzieherin bevorzuge." Er nahm einen Schluck Tee und fuhr fort: „Sie müssen wissen, dass dieses keine gewöhnliche Stelle als Erzieherin ist. Ich bin Geschäftsmann und betreibe recht erfolgreich Handel mit ausländischen Partnern meist aus Übersee. Dass heißt, dass ich oft und auch länger geschäftlich unterwegs bin. Da muss ich mich darauf verlassen können, dass auch während meiner Abwesenheit alles hier weiterhin reibungslos und in meinem Sinne erledigt wird." Sie nickte zustimmend: „Sie können sich auf mich verlassen." „Daran habe ich keine Zweifel, aber darum geht es nicht." Er erhob sich und ging Richtung Fenster. „Sind sie schon mal zur See gefahren?" Er stand mit dem Rücken zu ihr und schaute aus dem Fenster. Selina war verwirrt ob der überraschenden Frage. „Entschuldigen sie, aber ich verstehe ihre Frage nicht, mein Herr." Er drehte sich um und fragte etwas ungeduldig: „Sind sie schon mal auf einem Segelschiff gereist?" „Ähm, nein, tut mir leid. Diese Ehre war mir noch nicht vergönnt.", antwortete Selina etwas unsicher. „Na, ob das so eine Ehre ist, wird sich noch herausstellen. Ich hoffe, dass sie zumindest leidlich seefest sind, denn ich beabsichtige in Zukunft auf längeren Reisen meine Tochter mitzunehmen. Neben der Betreuung meiner Tochter an Bord, soll auch ihre Erziehung auf meinen Reisen fortgeführt geführt werden. Ich hoffe doch, sie fühlen sich dieser besonderen Herausforderung gewachsen, Miss Linnard?" Er sah sie fragend an und verzog schließlich das Gesicht zu einem belustigenden Grinsen ob ihres verwirrten Gesichtsausdrucks. „Da ich noch nie auf einem Segelschiff war, kann ich ihnen nicht sagen, ob ich seefest bin. Aber sie können versichert sein, dass ich mein Bestes geben werde, um sie zufrieden zu stellen und für ihre kleine Tochter eine gute Erzieherin zu sein." Er nickte. „Das Glück meiner Tochter steht für mich über meinem Eigenen, verstehen sie?" Selina sah ihn an und nickte. Er drehte sich herum und setzte sich wieder an seinem Schreibtisch. „Sie haben ja von ihrem Tee noch nicht probiert. Sie sollten ihn genießen, solange er noch warm ist. Die Teelieferung kam vor zwei Tagen erst im Hafen an und ist von bester Qualität.", stellte er tadelnd fest. Er ergriff seine Tasse und trank seinen Tee in einem Zug aus. „Verzeihen Sie, wie unhöflich von mir.", antworte Selina schuldbewusst und trank ein paar Schlucke aus ihrer Tasse. Sie konnte sich nicht erinnern, ob sie jemals einen derartig aromatischen Tee getrunken hatte. „Achja, bevor sie gehen, habe ich noch eine dringende Bitte. Verzichten sie in Anwesenheit meiner Tochter auf ihre triste Trauerkleidung und ziehen sie etwas Farbenfroheres an. Eine schwarze Schärpe sollte als Zeichen der Trauer reichen. Außerdem macht die schwarze Kleidung sie blass." Selina senkte den Kopf und antworte leise: „Ja, gnädiger Herr, wie sie wünschen, aber außer der Trauergarderobe besitze ich kaum andere geeignete Kleidung." „Dann sagen sie der Haushälterin Mrs. Higgings, sie soll ihnen eine adäquatere Garderobe besorgen. Morgen früh zum Frühstück lernen sie dann auch meine kleine Tochter Eliza kennen. Miss Linnard, sie können dann gehen. Ich sehe sie dann morgen früh wieder. Heute abend speise ich geschäftlich außer Haus. Guten Abend." „Guten Abend." Sie erhob sich und verließ das Arbeitszimmer.
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