Die Versteigerung
Selina stand vor dem Spiegel. Das Kleid war sehr elegant, doch Selina fühlte sich unwohl darin. Schließlich hatte dieses Kleid den einzigen Zweck, ihre weiblichen Reize besonders hervorzuheben. Das Dekollté war tief ausgeschnitten und das Mieder so eng geschnürt, so dass sie das Gefühl hatte, kaum noch Luft zu bekommen. Sie wagte es kaum zu atmen, damit ihre Brüste nicht herausfielen. Sie wurde in einen kleinen Salon geführt. Die Tür ging auf und derFreiherr trat herein. Mit einem gierigen Blick begutachtete er sie. Er war sichtlich erfreut von ihrer Erscheinung. „Wunderschön! Komm meine Liebe, die Interessenten warten schon." Er bot ihr seinen Arm und etwas zögerlich legte sie ihren auf seinen. Während sie in den großen Salon gingen, zischte er ihr zu: „Nur ein falsches Wort oder Verhalten und du landest für immer in der Gosse. Kein Mann wird dich je wieder begehren." Sofort als er den Raum mit ihr betrat, setzte er ein überaus freundliches Lächeln auf. Im Salon warteten fünf überwiegend ältere Männer, die sie teils mit gierigem Blick an sahen. Sie wusste nicht, welchen von diesen Herren sie mehr anwiderte. Zwei waren klein und dicklich, der eine hatte ein hochrotes Gesicht und war beinahe am sabbern. Der dritte war ähnlich hager wie der Freiherr, stütze sich schwerfällig auf einen Gehstock und schien schon sehr gebrechlich. Der Vierte war ein wenig jünger, aber auch sein Blick zog sie beinahe aus. Er machte ihr Angst. Nur ein Mann schien nicht so wirklich in die Runde zu passen. Der elegant gekleidete Herr mittleren Alters mit leicht ergrauten Haaren musterte sie nur kurz und überließ ansonsten den anderen Männern das Feld. Diese umkreisten sie wie die Hyänen ihre Beute. Als die Herren sie an den verschiedensten Stellen anfassten, wäre sie am liebsten weggelaufen. Auf die Frage, was sie vorher gemachte habe, antwortete der Freiherr für sie, dass sie als Gouvernante ihr Brot verdient hätte. Darauf hin stieg einer der Herren aus, da er der Meinung war, das gebildete Frauen nicht gut im Bett seien und zu Widerspruch neigten. Für die anderen Herren schien das allerdings kein Hindernis zu sein. Es wurden noch die eine oder andere Frage gestellt. Sie musste sich drehen, singen, tanzen und Klavier spielen. Sie machte alles was man von ihr verlangte in der Hoffnung, dass es bald vorbei sei. Nach einer gefühlten Ewigkeit meinte der Freiherr schließlich, dass es nun an der Zeit sei, Gebote abzugeben. Er wollte Selina wegschicken, doch der zurückhaltende Herr mit den grauen Haaren und dem eleganten Gehrock meinte, dass sie doch bis zum Ende der Versteigerung anwesend sein könne. Die anderen Herren stimmten ebenfalls dafür, dass das Objekt der Versteigerung im Raum bliebe.
Die Herren begannen zu bieten und wetteiferten darum, sich zu überbieten, nur der Herr im Gehrock bot nicht mit. Er verfolgte nur, wie die anderen sich hin einem hitzigen Wettbewerb gegenseitig überboten. Die Augen des Freiherren leuchteten Angesichts der Summe, die immer weiter stieg. Zum Schluß blieb nur noch einer der dicklichen, schmierigen Herren übrig, der bereits siegesgewiss sie anlächelte. Der Freiherr fragte ein letztes Mal in die Runde, ob es doch noch ein höheres Angebot für ihre Jungfräulichkeit gebe. Da trat der Herr mit dem eleganten Gehrock hervor und sagte mit ruhiger Stimme: „Ich überbiete das letzte Angebot des Herrn um die Hälfte des Gebotes." Der dickliche Herr wurde ganz rot im Gesicht. „Welch Unverschämtheit! Dies lasse ich mir nicht bieten, ICH hatte das letzte Angebot abgeben. Die Frau ist Mein, haben sie gehört MEIN!" Die letzten Worte hatte er beinahe geschrien. Der andere Herr blieb ruhig und sah den Freiherrn an. Der Freiherr war zunächst etwas verblüfft, doch dann wandte es sich dem dicklichen Herrn zu. „Tut mir leid, Mr. Finch, ich hatte die Auktion noch nicht beendet und der Herr hat sie überboten." Mit hochrotem Kopf und laut schimpfend verließ der erwähnte Mr. Finch den Salon. Der Freiherr warf einen fragenden Blick in die Runde der verbliebenen Bieter, doch keiner gab ein weiteres Gebot ab. „Den Zuschlag erhält der Herr im Gehrock." Die anderen Herren verließen den Salon, zurück blieben der Freiherr, Selina und der Höchstbietende.
„Herzlichen Glückwunsch! Darf ich euch nach eurem Namen fragen und für die Formalia in mein Büro bitten?" Der Freiherr ging auf den Herrn zu und reichte ihm die Hand. Doch dieser verweigerte den Handschlag. Mit ernster Miene meinte der Herr schließlich: „ Da wir nun unter uns sind, können wir nun zum Geschäftlichen kommen. Mein Herr, der anonym bleiben möchte, verlangt, dass sie Miss Linnard sofort freilassen OHNE jegliche Geldzahlungen. Mein Herr ist sehr einflußreich und weiß um eure Geheimnisse. Um einen Skandal zu vermeiden, werden sie die junge Dame unverzüglich in meine Obhut übergeben. Bevor sie antworten, sollten sie dieses Schreiben meines Herrn aufmerksam lesen." Er überreichte dem überraschten Freiherrn ein Schriftstück. Während der Freiherr den Brief lass, wechselte seine Gesichtsfarbe von hoch rot zu leichenblass. Sehr getroffen faltete er den Brief wieder zusammen und antwortete schließlich zähneknirschend: „Sie können sie sofort mitnehmen. Ich möchte lediglich meine Außenstände beglichen haben. Dann werden sie nie mehr etwas von mir hören. Sagen sie das ihrem Herrn." „Ich glaube nicht, dass sie noch Forderungen stellen können, aber ich werde mit meinem Herrn reden." Schließlich dreht er sich zu Selina um, die völlig verwirrt die ganze Situation verfolgt hatte und nicht verstand was da gerade passiert war. „Kommen sie, Miss Linnard. Ich bringe sie hier weg. Vertrauen sie mir, ihnen wird nichts geschehen." So verließ sie mit dem Herrn im Gehrock den Landsitz des Freiherrn, immer noch nicht wissend, was da gerade vor sich gegangen war.
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