Kapitel 4
Wie sollte die Organisation mir helfen können, wenn ich nicht mal selbst in der Lage bin, meine eigene Mutter mit ins Boot zu holen? Es ist so anstrengend, jeden Tag eine Maske tragen zu müssen, nur damit nicht jeder nach meinem Wohlbefinden fragt.
Meine Füße tragen mich ins Bett und ich sinke erschöpft ins Kopfkissen hinein, ohne auch nur mir die Mühe zu machen, meine Alltagsklamotten auszuziehen.
„Cora." Ich nehme eine vertrauliche Stimme wahr, dennoch kann ich nicht zuordnen, zu wem sie gehört. Während die kalten Fließen meine nackten Füße berühren, gehe ich den Korridor hinab bis ich ein Zimmer erblicke, wo die Tür nur einen Spalt offen steht. Mein Herz rast vor Aufregung und ich habe große Hoffnung zu erfahren, wer im Zimmer liegt. Näher trete ich an die schmale Öffnung des Zimmers und schaue hindurch. Zu meiner Enttäuschung hat die Person gerade Besuch und es wäre eine Unverschämtheit von mir, die beiden zu unterbrechen. Ich habe nicht gedacht, dass du auch Verständnis zeigen kannst.
Die triumphierende Stimme von John Wilson hallt in meinem Gedächtnis nach und lässt mich erniedrigt zurück. Mühevoll schiebe ich John aus meinen Gedanken, sodass meine ganze Aufmerksamkeit nur den beiden Personen gilt. Über mir an der Decke flackert eine Lampe in einem gleichmäßigen Tempo, sodass ein leises Knacken zwischendurch entsteht. Meine Nackenhaare stellen sich auf und mein Bauchgefühl sagt mir, dass ich hier nichts zu suchen habe, dennoch bleibe ich stur an meinem Platz stehen.
Meine Augen gewöhnen sich an das schummrige Licht, sodass ich den Besuch als weibliche Person identifizieren kann. Ihre Haare bedecken ihre Schultern und sie geht in die Knie, um der Person im Bett näher zu treten. „Sie haben mich gerufen, Coral und ich habe mich beeilt, so schnell wie möglich bei dir zu sein."
Coral, mein voller Name, hallt in mir wieder und ich erstarre, denn es ist lange her, seitdem ich ihn das letzte Mal gehört habe. Mit beiden Händen kralle ich mich im Türrahmen fest, denn ich habe das Gefühl, dass der Boden jeden Moment unter meinen Füßen nachgibt.
„Der Mann, die Spritze. Er hat mir eine Spritze verpasst. Er hat mir verdammt noch mal eine Spritze verpasst." Ich höre, wie sie schneller zu atmen beginnt und ich fühle Ihren Schmerz, den auch ich jeden verdammten Tag durchleben muss, immer wieder aufs Neue.
Lauwarme Luft streichelt meinen Nacken und mein ganzer Körper spannt sich an.
Mir wird mulmig zumute und ich habe das Gefühl, nicht mehr alleine im Türrahmen zu stehen. Ich versuche mich weiter auf das Geschehen im Raum zu konzentrieren, aber das ganze Bild flackert, als würde jemand seine Taschenlampe an und ausschalten.
„Was machst du hier, Cora?" Schreit John hinter mir, während er mich zur Seite schubst. Er schubst mich mit so viel Kraft weg, sodass ich mein Gleichgewicht verliere und falle.
Es fühlt sich unbeschreiblich gut an, zu fallen. Während dem Fall fühle ich mich frei und leicht wie ein Vogel. Den Wind um mich, herum durchlebe ich, warm und tröstlich zugleich, sodass ich mich dankbar dem fallen hingebe.
Ich falle unbeschwert weiter und genieße den Sturz in die Tiefe.
Schlagartig erwache ich aus meinem Traum und ich spüre das Holz unter meinen Hintern.
Mein Herz schlägt im unregelmäßigen Rhythmus, als ob es Angst hat, jeden Moment still zu stehen.
Verwirrt schaue ich mich im Zimmer um. Alles ist dunkel, sodass sich meine Augen erstmal an die neue Umgebung gewöhnen müssen.
Erst jetzt realisiere ich, dass ich mich in meinem eigenen Zimmer befinde.
Ich richte mich auf und ziehe mich an die Bettkante hoch.
„Cora, Abendessen." Die Vertraute Stimme von meiner Mom dringt durch
meine dünne Holztür hinein in mein Zimmer. „Ich komm ja schon."
Genervt versuche ich in der Dunkelheit mich zu orientieren, bis ich irgendwie gegen etwas Kaltes stoße.
Das muss die Türklinke sein. Ich greife mit meiner rechten Hand nach der Türklinke und drücke sie runter , so dass ich zügig aus meinem Zimmer verschwinden kann.
„Du siehst so mitgenommen aus Cora, fehlt dir was?" Ihre Frage nach meinem Wohlbefinden überrascht mich, denn sie fragt mich viel zu selten, wie es mir geht.
Es geht mir wirklich super. Ich will ihr diese vier Worte an den Kopf werfen, doch es folgt ein eisernes Schweigen. „Cora, du machst mir Angst." Mom setzt sich zu mir an den Esstisch und sie gibt mir etwas Nudeln auf meinem Teller. „Früher hättest du mir sofort gesagt, was los ist, aber dein seltsames Schweigen ist mir neu", fährt sie weiterhin fort, in der Hoffnung ich würde mich ihr gegenüber öffnen. Ich beiße mir hilflos auf meiner Unterlippe bis ich einen metallischen Geschmack wahrnehme. Blut.
„Cora bitte", fleht Mom mich an und ich höre ihre weinerliche Stimme langsam ersticken. Sie ist den Tränen nahe, dennoch schaut sie mir weiterhin tief in die Augen. „Irgendetwas ist mit dir, ich sehe in deinen Augen, wie du mit dir selber ringst." Sie hat recht, sie hat so verdammt recht, dass ich mit mir selbst kämpfe, um mich ihr zu öffnen. Ich gebe mir einen Ruck, denn nur so komme ich weiter und alles an mir strebt danach nicht mehr auf derselben Stelle stehen zu wollen.
Geschwächt gebe ich mich meinen wahren Gefühlen hin, bis sich mein trockenes Gesicht mit dem Meer voller Tränen füllt. Ich öffne meinen Mund, der sich so schwer wie Eisen anfühlt und dann schreie ich.
„Es tut mir so leid, Mom. Es tut mir so unglaublich leid, aber ich kann nicht mehr."
Mom sagt zu meiner Überraschung nichts, aber sie ergreift auch nicht die Flucht.
Sie bleibt still neben mir sitzen und hört mir zu. Genau so wie ich sie gerade brauche, zeigt sie sich und dafür bin ich ihr sehr dankbar.
Später nach dem Abendessen stehe ich draußen auf der Terrasse.
Der kühle Wind zerrt an meinen dünnen Klamotten und nebenbei ziehe ich das Nikotin aus meiner Zigarette. Der Sternenhimmel beruhigt mich und etwas später spüre ich auch schon die Kälte nicht mehr.
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