Kapitel 2
Mit offenem Mund stand Brooke da und senkte rasch den Blick, als sie den Mann aus dem Supermarkt erkannte. Jetzt war er weitaus legerer gekleidet. Sein Haar war sorgfältig nach hinten gekämmt und zusammengebunden. Die dunkle Kleidung passte zu ihm, ließen ihn jedoch gleichzeitig gruselig erscheinen. Eine Gänsehaut kroch über ihre Haut und das ungute Gefühl, das sie verspürte, konnte sie nicht abschütteln.
Während sie das Gefühl hatte, die Zeit würde stehenbleiben, hörte sie ihr eigenes Blut in den Ohren rauschen und nicht mehr die Musik und das Gelächter der Gäste. Was machte dieser Mann hier? Hatte er sie etwa verfolgt? Oder war es reiner Zufall, dass sie ihn hier wiedersah?
„Ich habe einen Whisky Sour bestellt", sagte er mit dunkler Stimme.
Hastig nahm sie das Glas vom Tablett und stellte es vor ihm ab. Sein gehauchtes: „Danke", ließ sie erschaudern und sie beeilte sich, die anderen Getränke abzuladen.
Zurück an der Bar entschuldigte sich Brooke für einen Moment bei Michael und bahnte sich ihren Weg zu den Toiletten. Dabei hatte sie das Gefühl, beobachtet zu werden.
In den Toilettenräumen war niemand. Erleichtert lehnte sich Brooke für einen Moment an das Waschbecken, das dank ihr sauber war. Die laute Bass der Musik hallte durch die Kabinen und ließen die Wände leicht erzittern. Brooke hasste diese Art von Musik.
Im Schummerlicht über dem Spiegel sah sie, wie blass sie geworden war. Um sich zu beruhigen, atmete Brooke langsam tief ein und aus. Ihre Hände krallte sie in den Waschbeckenrand. So sehr, bis ihre Knöchel weiß wurden. So sehr sie es versuchte, es gelang ihr nur mäßig, ruhig zu werden. Evan hatte Recht. Jeder Fremde war böse und stellte eine Bedrohung für sie dar.
Minutenlang blieb Brooke vor dem Spiegel stehen und starrte sich an. Erst Michaels wütender Ruf, wo sie blieb, rissen sie aus ihren Gedanken und sie spritzte sich vorsichtig etwas Wasser ins Gesicht, bevor sie zu ihm zurückkehrte.
Warnend sah Michael sie an und fauchte, dass sie hier war, um zu arbeiten und nicht, um ihre Zeit auf der Toilette zu verbringen. Für ihr Verhalten entschuldigte sich Brooke mehrmals und schnappte sich ein Tablett, um die nächsten Gäste zu bedienen. So gut es ging, vermied sie es, an Tisch neun zu kommen. Das ließ sich jedoch nicht immer vermeiden. Jedes Mal bekam sie allerdings eine Gänsehaut und ein unwohles Gefühl, das sie zur Flucht trieb.
Als Michael sie ermahnte, dass sie ordentlich arbeiten sollte, entschuldigte sich Brooke. Sie musste sich zusammenreißen und durfte nicht nachlassen!
Als er sie anwies, Tisch neun erneut zu bedienen, zuckte sie zusammen. „Michael, ich habe gerade einen anderen Tisch. Könnte vielleicht eine andere ...?", wagte Brooke zu fragen, wurde jedoch Michael genervt unterbrochen.
„Sie verlangen nach dir, Brooke. Sie wollen keine andere Bedienung", erwiderte er streng. Sein Tonfall verriet, dass er nicht glücklich darüber war.
Entsetzt sah Brooke ihn an und spürte eine Übelkeit in sich aufkommen. Ganz sicher warteten die Gäste auf ihre Beute, um sich über sie auszulassen. So, wie viele andere es zuvor auch schon getan hatten.
Brooke nahm zitternd die Getränke und ging. Jeder Schritt fühlte sich an, als wäre sie auf dem Weg zur Schlachtbank. Kaum hatte sie den Tisch erreicht, erkundigte sie sich mit piepsiger Stimme, wer welches Getränk bekam. Trotz dem wiehernden Gelächter am Nebentisch schienen die Gäste sie zu hören.
„Whisky Sour."
Brooke wusste, zu wem die dunkle Stimme gehörte, weshalb sie nicht aufsah, als sie ihm das Glas servierte. Allerdings zitterte ihre Hand so stark, dass sie einen Teil der goldenen Flüssigkeit verschüttete. „Oh, das tut mir leid! Ich ...", begann sie hektisch und wollte ihre Hand zurückziehen. Doch bevor das geschah, packte der Mann sie und hielt sie fest. Trotz ihres panischen Versuchs, sich zu befreien, ließ er nicht nach.
„Es ist nichts passiert, mach einfach weiter", sagte er schmeichelnd, als würde er sie beruhigen wollen.
Allerdings führte das bei ihr zu mehr Panik und sie riss sich los, bevor sie zurück zum Tresen eilte.Ihr Herz klopfte wild und Brooke bekam kaum Luft, als sie die Worte eines Gastes vernahm.
„Nathan, sie ist so tollpatschig. Warum wolltest du ausgerechnet sie? Verschüttet deinen Whisky!", sagte sein Freund und die blonde Begleiterin lachte abfällig.
Die darauffolgenden Worte von Nathan hörte sie nicht mehr, aber sie spürte seinen Blick im Rücken. Selbst, als sie hinter dem Tresen war, um ein Tuch zu holen. Mit diesem kam sie schließlich zurück, säuberte mit entschuldigenden Worten den Tisch und stellte dem Gast ein neues Glas, das sie gleich mitgebracht hatte, vor die Nase. Brooke gab es ungern zu, doch die Ausstrahlung des Mannes schüchterte sie mehr als bei anderen ein. Ihr war nicht einmal bewusst, dass sie die Luft angehalten hatte, bis sie wieder am Tresen war.
Während sie auf die nächste Bestellung wartete, stützte sich Brooke auf dem Tresen ab und versuchte, ruhig zu atmen.
Plötzlich stellten sich ihre Nackenhaare auf. Obwohl sie sich nicht umdrehte, verspürte sie eine Wärme an ihrem Rücken. Brooke zuckte heftig zusammen und krallte sich in das dunkle Holz des Tresens. Ihr Atem wurde schneller, als sich ein Arm neben sie legte. Sofort wich Brooke zurück und stieß gegen eine Brust. Keuchend versuchte sie, einen Schritt zur Seite zu machen, doch dann legte sich ein zweiter Arm neben sie. Nun war sie eingekesselt.
Brooke schloss ihre Augen und begann zu zählen, um ihr Zittern zu beenden. Sie hatte Angst, sich umzudrehen. Eigentlich half ihr die Musik und de Gespräche der Gäste meistens, sich abzulenken, wenn sie sich unwohl fühlte, doch jetzt funktionierte es nicht. Dazu war die Präsenz des Mannes zu deutlich. Selbst das nach Kräutern riechende Aftershave machte auf ihn aufmerksam.
„Warum bist du denn so nervös?", fragte er belustigt.
Allerdings antwortete Brooke nicht, sondern schüttelte lediglich den Kopf. Sie wusste nicht, was sie machen sollte und war überrascht, als ausgerechnet Michael ihr ungeahnt zur Hilfe kam, indem er mit den Worten: „Tisch vier", ein Tablett vor ihr abstellte. Erleichtert nahm Brooke dieses und drehte sich schließlich um. „Lassen Sie mich bitte weiterarbeiten", bat sie so freundlich sie konnte, ohne ihn anzusehen.
Tatsächlich nahm er seine Arme vom Tresen, sodass Brooke bedienen konnte. Seinen Blick spürte sie dennoch weiterhin im Nacken. Das sorgte dafür, dass sie sich immer unwohler fühlte und versuchte, seinen Tisch zu vermeiden. Das hohe Lachen der Frauen entging ihr allerdings nichts. Immer, wenn sie in der Nähe war, hörte sie die Leute reden. Nicht über sie, wie sie angenommen hatte, aber irgendetwas musste die Gruppe erheitern. Was, das wusste sie nicht.
Kurz vor vier Uhr morgens kassierte Brooke die letzten Gäste ab. Völlig außer Atem, aber trotzdem mit einem freundlichen Lächeln, die Schicht hinter sich gebracht zu haben, bedankte sie sich bei den Menschen.
Was ihr nicht gefiel war, dass sie auch noch Tisch neun abkassieren musste. Ihre Kollegen waren dabei, das Geschirr abzuräumen und zu reinigen, weshalb es heute ihre Aufgabe war, das Geld einzutreiben. Das mochte Brooke nicht wirklich. Sie war lieber diejenige, die spülte.
Mit piepsiger Stimme wollte Brooke von Tisch neun wissen, ob sie zusammen oder getrennt zahlen wollten.
„Zusammen." Ein fünfhundert Dollarschein wurde ihr zugeschoben, ohne auf ihre Summe zu warten. Brookes Augen wurden groß und sie zögerte zuerst, bevor sie zitternd den Schein nahm, um das Wechselgeld herauszuholen. Ein Winken ließ sie innehalten und sie sah auf. „Trinkgeld gehört dir."
Brooke setzte zum Protest an, doch sein eindringlicher Blick ließ sie schweigen und nicken. „Danke. Einen schönen Abend noch", flüsterte sie und steckte das Geld ein.
Mit diesem ging sie zu Michael und überreichte ihm das Wechselgeld, nachdem sie nachgerechnet hatte, wie viel Trinkgeld es gewesen war. „Hübsche Summe. Wenigstens bringst du ein wenig Geld", murrte ihr Chef und zählte nach.
„Das Trinkgeld gehört ihr, Michael", erklang plötzlich eine ruhige, aber warnende Stimme.
„Es gehört mir, Nathan. Es ist ihre Entschädigung", erwiderte Michael gelassen und zählte in aller Ruhe die Scheine.
Brooke beobachtete, wie dieser Nathan ihrem Chef näher kam und wissen wollte, von welcher Entschädigung er sprach. „Na sieh sie dir doch an, Nathan. Mit ihrem Aussehen vergrault sie mir die Kunden, also behalte ich ihr Trinkgeld, damit sie mir wenigstens etwas einbringt", behauptete er, ohne sich einschüchtern zu lassen. Das änderte sich, als Nathan ihn am Hemd packte und leicht nach oben zog. „Schon gut! Brooke, nimm das verfluchte Trinkgeld", fauchte er.
Anstatt alles zu nehmen, krallte sich Brooke lediglich ein paar Scheine und ignorierte Nathans seltsamen Blick. Sie nahm sich vor, Michael das Geld morgen wiederzugeben. Noch mehr Ärger konnte sie nicht gebrauchen. Eilig verabschiedete sie sich und verließ die Bar.
Draußen atmete sie tief durch und lehnte sich einen Moment lang gegen eine Hauswand. Brooke zitterte vor Aufregung. Sie hasste solche Auseinandersetzungen und kam mit ihnen nicht gut zurecht.
Langsam machte sie sich auf den Weg nach Hause. Das unwohle Gefühl begleitete sie bis zur Haustür. Hoffentlich war es die letzte Begegnung dieser Art gewesen. Sonst sah sich Brooke gezwungen, doch noch eine andere Arbeit zu suchen.
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