Kapitel Siebenundzwanzig - Sam ist behindert
Kapitel Siebenundzwanzig - Sam ist behindert
***
Lawrence, Februar 1995
Eindringlich blickte mich mein Dad an und ich ihn. Komm schon, sag doch einfach "Ja, du kannst mein Auto haben", aber er sagte nichts, sondern starrte mich nur an.
"Dad, komm schon. Ich will nicht andauernd in diesem Schulbus fahren. Da gibt es keine Klimaanlage und es ist warm draußen. Pubertäre Menschen, Dad. Die stinken und haben noch nichts vom Deo gehört! Bitte!"
"Du stinkst auch", mischte Sam mit ein. "Und weißt du nach was? Zu viel Deo. Also fahr mit dem Bus. Dann riecht das auch besser."
"Misch dich da nicht ein", sagte ich zu meinen kleinen Bruder. "Du bist zwölf und du hast keine Ahnung", dann wandte ich mich wieder zu Dad. "Bitte, ich mäh auch den Rasen. Putze den Impala, mit einer Zahnbürste."
Dad runzelte wieder mal die Stirn und sagte endlich mal etwas. "Wieso, Dean?"
"Wieso? Ich bin der einzige der immer noch nicht mit dem Auto zur Schule fährt. Mit sechzehn und mit einem Führerschein."
"Kauf dir doch ein Auto."
"Ach, von welchem Geld denn?", fragte ich ihm.
"Geh doch arbeiten", lachte er.
"Was? Wieso lachst du denn jetzt?"
"Dad, da steckt bestimmt ein Mädchen hinter", murmelte Sam in die Tasse mit dem Kakao.
"Die Vermutung ist mir auch schon in den Sinn gekommen", nickte Dad und blickte zu mir. "Wie heißt sie?"
"Was? Nein! Da steckt doch kein Mädchen hinter. Die sind doch voll widerlich", log ich und schnitt eine Grimasse. "Dann fahr ich halt eben mit dem Bus."
Ich löffelte mir Rührei in den Mund und seufzte.
"Wie lange habt ihr heute Schule?", fragte Dad uns und somit war das Thema Auto auch schon wieder beendet.
"Bis um drei", log ich, obwohl ich nur bis zwölf hatte. Ich hatte heute noch was vor. Und ja. Da steckte ein Mädchen dahinter.
"Bis um zwei."
"Sam, dann wartest du auf Dean, damit ihr beide nach Hause könnt. Ich bin nicht da. Nehmt ein Schlüssel mit."
"Wieder mal auf Fortbildung für ein paar Tage, ja?", fragte ich ihn. Wir wussten doch alle was John Winchester in seiner Freizeit macht. Von wegen Fortbildung. Dämonen und Geister abmurksen passt da eher. Nur weiß Sammy davon kein bisschen.
John musterte mich. "Ja, heute ist Montag. Ich bin im verlaufe des Freitages wieder da. Passt du bitte gut auf deinen Bruder auf?"
"Ja", schluckte ich. Wieder mal konnte ich ihr absagen. Wieder einmal musste ich auf meinen elfjährigen Bruder aufpassen. Als ob er das nicht langsam alleine konnte. Aber was musste man nicht alles für seine Familie tun. Da stellt man seine Bedürfnisse nach hinten aus und scheißt mal wieder auf sich selber.
Und schon wieder habe ich keinen verdammten Hunger. Ich legte die Gabel weg und trank noch einen Schluck vom kalten Orangensaft, ehe ich aufstand.
"Der Bus kommt doch erst in fünfzehn Minuten", bemerkte Dad nach einem Blick auf die Uhr.
"Ich weiß. Ich steige nur früher ein, um einen Sitzplatz zu bekommen. Ich muss ein bisschen gehen. Bis um zwölf", sagte ich zu Sam. Ich schnappte mir meinen Rucksack und verließ darauf hin, dass Haus.
Ich schlenderte durch die Straßen meiner Nachbarschaft und kam dann zwei Straßen weiter an der Bushaltestelle an. Gerade rechtzeitig. Der Bus war schon da. Anscheinend hatte ich wohl ziemlich getrödelt. Ich sprang in den Bus und suchte die Schüler ab, bis ich endlich das beste Gesicht zwischen den ganzen pickeligen und überschminkten Gesichtern sah. Grinsend setzte ich mich auf den Ledersitz und drückte der Person gleichzeitig einen Kuss auf die Wange.
Erschrocken fuhr Nia zusammen und blickte mich an. Sie zog die schwarzen Kopfhörer ihres Walkmans aus den Ohren und fing ebenfalls an zu lächeln.
"Morgen", sagte sie.
"Morgen, Süße", entgegnete ich und legte sofort einen Arm um ihre Schulter. "Bereit für einen weiteren Tag in der Hölle?"
Sie rollte die Augen. "Es ist nicht so schlimm."
"Du hasst die Schule."
"Ja, aber du machst die nicht allzu schlimm."
"Da fühle ich mich aber geehrt", sagte ich und drückte ihr einen Kuss auf den Mund. "Was hörst du denn?"
"Nirvana", sagte sie und hielt mir einen Kopfhörer hin.
Ich nahm diesen entgegen. "Ich muss dir für nachher absagen."
Nia blickte mich komisch an. "Hat dein Dad wieder eine Fortbildung und du musst als Babysitter einspringen?"
"Ja", sagte ich nicht gerade begeistert.
Nia seufzte. "Du brauchst mir nicht absagen."
Verwundert blickte ich sie an. Was meinte die denn jetzt? "Was?", fragte ich sie.
"Dein Dad ist nicht da und wir sind schon seit ein paar Monaten zusammen. Ich meine, wenn es dir peinlich vor deinem kleinen Bruder ist, deine Freundin mit nach Hause zu nehmen..."
"Nein", warf ich sofort ein. "Nein, es ist nicht peinlich. Ich will das du heute mit zu mir kommst. Sam ist zwölf und kann sich auch mit sich alleine beschäftigen. Und du kannst mir auch beim Kochen helfen."
"Wenn ich dich nicht wieder anderweitig ablenke", lächelte Nia und presste einfach ihre sanften Lippen auf meine. Ich erwiderte den Kuss und drückte sie zurück. "Hör auf damit, du weißt, dass ich das nicht wirklich unter Kontrolle habe."
Sie lachte leise. "Oh, ich weiß", dann steckte sie sich den Ohrstöpsel in die Ohren. Ich tat es ihr nach und hörte eben mit.
***
"Du und dieses Nilpferd, Winchester. Das ist ziemlich lächerlich. Erstickst du nicht unter ihr?"
Wieder einmal hörte ich mir diese Sprüche in der Umkleidekabine vor und nach dem Training an.
Entnervt blickte ich zu Jackson. "Sagt der der eine Salzstange nagelt. Wie ist das so wenn ihre Hüftknochen über deine schleifen? Oder wie ist es denn, mit einem Flachland zu poppen? Hast du nicht Angst, dass sie unter dir durchknackst?"
"Hör mir mal zu", fuhr er mich an und schupste mich volle Kanüle an meinen Spind. Ich blickte ihn nur belustigend an. "Du hast kein Recht so über meine Freundin zu reden, ist das klar."
Ich schubste Jackson zurück. "Genauso wenig wie du über meine Freundin."
"Das ist doch kein Mensch!"
"Deine Freundin ist kein Mensch, sondern eine Salzstange. Also pass auf, was du sagst. Passt auf was ihr alle sagt. Es kann doch nicht wahr sein, dass ihr jemand wegen seines Gewichtes fertig macht. Egal war, ob ihr oder die Cheeleader-Bratzen..."
"Winchester, was ist hier los?", wurde sofort die Frage gestellt, als der Coach bellend und wütend in die Kabine kam. Jackson schubste mich zurück.
"Er hat mich angegriffen. Er verträgt die Wahrheit nicht."
"Ich vertrage deine widerliche Dummheit nicht! Ihr könnt nichts anderes außer Hetzen und Leute fertig machen, nur weil die euch vom Aussehen her nicht passen. Kein Wunder, dass einen irgendwann die Hutschnur wegen solcher Dummheit platzt!"
"Winchester! Zum Direktor. Sofort!"
Entsetzt blickte ich Coach Rhoden an. "Ja, war klar", sagte ich und schnappte mir meine Sachen. "Das kriegst du noch zurück", zischte ich Jackson im Vorbeigehen zu.
Nachdem ich mal wieder, weil ich mich für meine Freundin einsetze, eine Ansage vom Direx kassiert hatte, war mein Tag gelaufen. Klar, meckern über die die Helfen und Verteidigen können alle. Aber den helfen, die fertig gemacht werden? Wieso auch. Wieso sich die Mühe machen. Grummelnd schlenderte ich durch den Korridor und blieb an meinem Spind stehen. Meine Laune war im Keller, wegen diesen widerlichen Jackson und Schülern, wegen den faulen und dummen Direx, der sich nur um die nächste Basketball-Saison kümmerte und ob ich weiter so gut bin. Aber was mit Nia ist, dass interessierte ihn nicht.
"Wenn es wirklich so schlimm wäre, dann würde sie schon zu mir kommen."
Dafür hätte ich ihm am liebsten mit dem Briefbeschwerer einen übergebraten, aber bevor ich noch nen Anschiss von meinem Vater bekam, ließ ich es bleiben.
Ich suchte die Bücher für die letzten zwei Stunden Amerikanische Geschichte heraus, als jemand hinter mir vorbei lief und direkt ins Mädchenklo.
Das war Saskia gewesen, die ein Jahr ältere Schwester von Nia. Die war eigentlich ganz cool und erträglicher, als Nias anderen Schwestern, die bereits auf dem College waren. Ella und Cecilia- die Zwillinge des Grauens. Ich war nicht gerade Fanclubbeauftragter der beiden Schwestern. Die waren einfach viel zu blond und viel zu bitchig und ließen es gerne an ihrer kleinsten Schwester aus. Richtig Nia. Ich knallte die Spindtür zu und ging zum Mädchenklo, um zu lauschen.
"Ich fasse es nicht! Diese dumme Kuh. Die wird dafür bluten. Nur weil du endlich mal deinen Mund aufbekommen hast, weil er dich wieder fertig gemacht hat, ist das kein Grund dir eine reinzuhauen."
Warte? Was?
Ohne weiter drüber nach zu denken ging ich aufs Mädchenklo. Saskia fuhr zusammen, während Nia sich Klopapier an die blutende Nase hielt.
"Wer war das?", fragte ich sofort.
Die beiden sagten nichts. "Sagt mir sofort, wer das war."
"Nia hat endlich mal etwas gegen Lydia gesagt. Lydia ist zu Jackson gelaufen und hat ihr es gesteckt. Dann hat er Nia aufgesucht und ihr eine reingehauen."
"Das war Jackson?"
"Dean!", rief Nia mir hinter her, als ich Saskia die Bücher in die Hand drückte und meinen Rucksack auf den Boden, ehe ich vom Klo stürmte. Ich wusste wo er war. Er hatte eine Freistunde und gammelte sicherlich an seinem Porsche herum, um diesen wieder auf Hochglanz zu polieren. Also stürzte ich, weil ich ziemlich sauer war und eigentlich zum Unterricht müsste, auf den Parkplatz und suchte nach Jackson. Und ich fand ihn sofort. Wie bereits gedacht, an seinem hässlichen grauen Auto, hing die Hackfresse herum. Ohne großartig etwas zu sagen, packte ich Jackson am Kragen. Dieser quietschte erschrocken auf und schaute mich mit großen Augen an, als ich ihn mit den Rücken auf die Motorhaube drückte.
"Was fällt dir ein eine Frau zu schlagen? Hast du kein Respekt vor Frauen?"
Er lachte. "Das ist ein Nilpferd und kein Mensch."
Und schon hatte Jackson von mir eine sitzen. Meine Faust auf seiner riesigen Hakennase. Gerade als ich diesem Stück Scheiße noch eine verpassen wollte, packte mich jemand am Kragen und zog mich zurück.
"Dean!", bellte Dad und schob mich zurück. "Was soll das?"
Ziemlich sauer riss ich mich aus dem Griff zurück und blickte Dad an. "Das hat seinen verdammten Grund! Der hat Gemmas Kleinsten auf die Nase gehauen."
Dad blickte zu Jackson. "Haben dir deine Eltern nichts beigebracht. Packt man das andere Geschlecht so an?"
"Die hat meine Freundin beleidigt."
"Das ist natürlich ein Grund ihr eine reinzuhauen!", knurrte ich und wollte wieder auf den Typen zugehen. Jedoch reagierte Dad und schob mich zurück. "In die Klasse! Und wir beide", er packte sich Jackson. "Gehen zum Direktor. Ich glaub ich spinne."
***
Dad war wieder weg, ich durfte früher nach Hause und holte Sammy von der Nachbarsschule ab. Dad hatte nicht weiter nach gefragt, wieso ich Nia verteidigte. Er dachte sich vermutlich seinen Teil, da unsere Eltern befreundet waren. Jackson sagte auch nichts.
"Ich kriege nachher Besuch", sagte ich zu Sam und fuhr über meine blutigen Handknöchel.
"Wen denn? Und was hast du da gemacht?", fragte er mich neugierig. Immer diese vielen Fragen von diesem kleinen Kerl.
"Gemmas Tochter- Nia."
"Magst du sie?", fragte Sam mich.
"Ja."
"Und wieso hast du blutige Finger?"
"Weil ich jemanden eine reingehauen habe. Was du nie machen wirst, verstanden?"
"Ja."
"Und nun hör auf immer so blöd zu fragen. Du machst deine Hausaufgaben und lässt mich gleich in Ruhe. Ich will nicht, dass du mich nervst. Ich hole dich zum Essen."
"Ich will nicht nur in meinem Zimmer sein und ich habe niemanden der mir bei meinen Hausaufgaben hilft. Kannst du mir da helfen?"
"Mal gucken", meinte ich. "Ich will nicht, dass du einfach ins Zimmer kommst oder das du mich nerven tust."
Ich schmiss meine Tasche in die Ecke und blickte zu Sammy, der mich irritiert anschaute.
"Was macht ihr beiden denn?"
"Dinge, die für dich nicht relevant sind. Ich bin duschen", sagte ich und lief nach oben.
"Ich hab Hunger, Dean."
"'Mach dir nen Brot oder nimm dir einen Apfel."
***
"Was macht deine Nase?", fragte ich Nia, als wir nebeneinander im Bett lagen. Sie hatte sich an mich herangekuschelt, während ich einen Arm um sie herum legte. Dann zog ich die Decke weiter hoch.
"Ach, alles okay. Die ist wohl ziemlich stabil. Die ist nicht gebrochen."
"Ich wollte dich eigentlich früher fragen, aber du hast mich viel zu schnell aufs Zimmer gezogen", lachte ich und drückte ihr einen Kuss auf die Stirn.
"Das war nur mein kleines Dankeschön."
"Du bist es wert. Für dich hätte ich ihn sogar mit seinem hässlichen Porsche überfahren."
Nia lachte leise. "Das glaube ich dir."
Ich fasste an Nias Kinn und drückte ihr Gesicht ein bisschen nach oben. Sie verstand sofort und drehte sich auf den Bauch, und blickte mich an. "Was?", fragte sie mich.
Ich legte eine Hand auf ihre Wange und streichelte mit dem Daumen über die weiche und sommersprossige Haut. "Nia, ich will mit keiner anderen zusammen sein, außer mit dir."
"Das hast du schon mal gesagt. Das weiß ich doch. Und du beweist das immer und immer wieder."
"Ja, aber eins habe ich noch nie gesagt und wir sind fast fünf Monate zusammen."
"Was kommt jetzt?", fragte sie mich. "Fürs heiraten bin ich zu jung", sie lachte und ich stimmte mit ein. Dann wurde ich wieder ein bisschen ernster.
"Mag sein, aber ich wollte was anderes sagen."
"Und was?"
"Nia, ich liebe dich."
Sie lächelte und dann grinste sie, was mich ebenfalls zum bescheuerten Grinsen brachte. "Ich liebe dich", gab sie dann zurück. Das war wie Musik in meinen Ohren. Ich zog Nia wieder in einen Kuss hinein und sie erwiderte diesen.
"Dean, ich hab Hunger!", Sam platzte einfach ins Zimmer.
"Sam! Raus!" Nia rutschte sofort unter die Decke, die ich weiter hoch zog.
"Iiiih, ihr seid ja nackt!", kreischte Sam und stürzte wieder aus dem Zimmer.
"Die Tür geht nicht von alleine zu!", schrie ich und sprang auf. Ich schlüpfte schnell in eine Boxershorts und wollte gerade die Tür zu machen, als Sam schrie.
"Sam!", rief ich und stürzte aus dem Zimmer ins angrenzende Badezimmer. Sam hing über den Waschbecken und kniff die Augen zusammen. "Was machst du?"
"Ich wollte meine Augen mit Seife auswaschen", weinte er. "Das brennt so! Mach was, Dean!"
"Mit Seife? Wieso nimmst du nicht gleich Chlorreiniger?"
"Echt?"
"Nein! Du bist doch behindert, Junge."
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