Kapitel Sechs - „Feigling."
Kapitel Sechs – „Feigling."
*** März 2006 ***
Ich riss meine Augen auf, als ich durch das Fluchen eines Mannes und Gestöhne einer Frau geweckt wurde.
„Diese verdammte Technik!", fluchte Dad panisch herum und haute auf den Tasten von Sams Laptop herum. Leise lachend stand ich auf um zum Schreibtisch zu gehen. Ich stellte mich hinter ihm und schnappte mir die USB-Maus, um die Seite zu schließen.
„Was machst du da?", fragte ich.
„Ich wollte nur nach Nachrichten gucken, ob irgendwas Merkwürdiges passiert ist. Aber da war diese asiatische Omi, die mit ihren weiblichen Körperteilen herumgewedelt hat."
„Im Alter hängt es meist. Das musst du doch wissen", hörte ich meinen kleinen Bruder sagen, der ebenfalls ins Wohnzimmer kam. Ich lachte leise, als Sam das Aussprach, was ich dachte.
„Ich hab keine Ahnung von was du da redest", sagte Dad trocken und schnitt eine Grimasse. „Wir gehen gleich Frühstücken, Dean. Mach dich fertig."
Ich schnappte mir frische Klamotten und ging ins Badezimmer, um mich frisch zu machen.
Nachdem ich fertig war, fuhr ich mit Dad und Sam zum nächsten Diner, um zu frühstücken.
Aber so grauenvoll der Hunger war, so schnell verflog der auch wieder, als Dad mit einem verhassten Thema anfangen musste.
„Wir sind in der Nähe von Lawrence, Dean. Willst du jetzt nicht mal über deinen Schatten springen?"
Ich ließ die Gabel mit dem aufgespießten Stück Pfannenkuchen auf den Teller fallen und blickte meinen Vater sauer an. „Ich würde meine Enkelin auch endlich mal kennenlernen. Und Nia habe ich auch lange nicht mehr gesehen."
„Dean", ermahnte mich Sam.
„Schon mal daran gedacht, dass ich das nicht will?", fragte ich beide.
„Was willst du nicht?"
„Vater sein."
„Wieso willst du das nicht? Hast du Angst Verantwortung zu übernehmen?", fragte Dad mich.
„Angst vor Windeln wechseln brauchst du ja nicht mehr haben."
„Ist mir egal, ob die Kleine Stubenrein ist, oder nicht. Es geht ums Prinzip. Meine Ex hat mich angelogen. Mehr als zehn Jahre lang. Ich hab die Hälfte verpasst. Mit achtzehn interessiert sie sich vermutlich nicht mehr für ihre Eltern. Und außerdem geht meine Arbeit vor."
„Leah ist die ersten zehn Jahre ohne Vater aufgewachsen, mag sein. Aber Dean, sie braucht ihren Vater. Besser du gehst jetzt einen Schritt auf Nia und Leah zu, bevor es zu spät ist. In dem Alter nehmen Kinder andere Menschen gerne in ihrem Leben auf. Vor allen Dingen ihr Vater."
„Ach, Dad."
„Stell dir vor Leah ist sechszehn, steckt mitten in der Pubertät und findet alles Scheiße. Das kennst du selber. Und dann taucht auf einmal ihr Dad auf. Ziemlich unverständlich für ein hormongesteuerter Teenager. Und Nia wird sicherlich ihren Grund dafür gehabt haben, wieso sie dir erst vor vier Monaten davon erzählte."
Ich seufzte, als Sam anfing zu reden. „Sie hatte Angst."
„Angst vor was?", wollte ich wissen. Auch Dad schien neugierig. „Habt ihr Kontakt?"
„Ja, haben wir. Zick jetzt nicht rum."
„Ich bin völlig tiefenentspannt."
„Sie wusste, dass du deinen Job aufgegeben hast, Dad und das wir wegen Moms Tod nicht mehr in Lawrence bleiben wollten, weil es eine Qual für uns ist. Sie wollte uns nicht in Lawrence festnageln. Sie wollte uns diese Tortur nicht mehr antun. Und mit wollte sie mit uns auch nicht. Erstens wollte sie bei ihrer Mom bleiben, die ihr ziemlich geholfen hat und zweitens wollte sie uns nicht zur Last fallen."
„Wieso erzählte sie Dean nicht von Leah. Wieso hat sie nicht Kontakt zu ihm aufgenommen?"
„Ich hab ihr gesagt, dass Dean kein Geld für Unterhalt hätte und dir das Geld aus der Tasche zieht."
Dad zog die Brauen hoch. Auch ich war verblüfft.
„Wieso sagst du das?"
„Weil ich ihr nicht von unserem wahren Leben erzählen wollte."
„Mittlerweile weiß sie es ja, was auch nicht zu vermeiden war. Sie bewahrte dich vor dem Knast und dich vor dem Tod."
„Eine kleine Samariterin", brummte ich und stopfte mein Mund mit Pfannkuchen voll.
„Mich hat sie auch angelogen, dass du der Vater bist und ich komme mir schrecklich vor, dass ich Leah länger kenne. Sie ist echt ein liebes Mädchen und du weißt gar nicht, wie oft sie nach ihren Dad fragt. Gib dir einen Ruck, Dean. Jeder hat noch eine Chance verdient." Sam stupste mich an und selbst Dad schaute mich auffordernd an.
Ich seufzte. Hm. Dad hatte Recht und Sam irgendwie auch. Jeder verdiente eine Chance und ich hatte genug Zeit um meine Gedanken zu sammeln, wenn ich nicht auf Jagd war. Klar, wollte ich Leah kennen lernen, mein Fleisch und Blut. Aber ich hatte Angst. Was wenn die mich nicht mag? Was ist, wenn ich sie irgendwann in Gefahr bringe, durch das was ich mache?
Ich wurde aus meinen kleinen Gedanken gerissen, als das Handy von Sam klingelte. Seufzend stand ich mit meiner leeren Kaffeetasse auf und ging zum Kaffeeautomaten, um meinen Kaffee aufzufüllen.
„Erst mal mein Beileid, zu dem Verlust Ihrer Tochter, ja, entschuldige Gemma, wir waren beim Du!"
Dad und ich lauschten gleichzeitig auf. Das war Gemma? Gemma hat ihre Tochter verloren? Was?
Oh Gott. Mein Magen drehte sich um, als ich mich an den Tisch setzte. Ich starrte Sam an, der am Lauschen war, was Gemma erzählte.
„Nia?", fragte ich leise.
Sam hob die Hand, um mir anzudeuten, dass ich ja die Klappe halten soll. „Sie war doch eine gute Schwimmerin, wenn ich mich recht erinnere." Ich atmete auf. Das konnte nicht Nia sein, da sie noch nicht mal einen Freischwimmer hatte und allgemein eine grauenvolle Schwimmerin war. Aber ich konnte mich nicht daran erinnern, welche von Gemmas Töchtern eine gute Schwimmerin war. „Ihr wart also am See schwimmen und dann wurde Cecilia einfach unter Wasser gezogen? Von was? Keine Ahnung. Trotz Sonargerät haben die Polizisten nichts gefunden? Nicht einmal ihre Leiche?" Wieder lauschte Sam. „Klar, wenn du mit meinen Vater reden willst." Dann lachte er. „Nein, gibt es nicht. Was erzählt Nia denn? Wie, dass war Leah? Leah glaubt es gibt Geister. Ja. Ich gebe dir John."
Sam hielt Dad sein Handy hin. „Leah glaubt an Geister?", fragte ich Sam.
„Mag sein, dass Nia ihr Geschichten erzählt hat."
Sam und ich blickten Dad hinter her, der aufgestanden war und das Diner verließ. Ich ließ meinen Kaffee einfach stehen und folgte meinen Vater, um zu lauschen.
„Du sagst, dass Leah immer wieder von einen Jungen träumt? Nicht nur Leah? Sondern deine anderen Enkelkinder ebenfalls? Vermutlich sind das nur Tagträume, wenn Leah im Kindergarten ist."
Dad hielt inne. „Ja, ich weiß, dass Leah meine Enkelin ist. Und ja, ich bin mit Dean unterwegs. Und du glaubst wirklich, dass das ein Geist ist?" Wieder hielt er inne. „Vor zwei Wochen starb der Mann von Ella... in der Badewanne ertrunken. Hm. Und jetzt Cecilia. Ebenfalls ertrunken. Okay. Das ist komisch. Wie meinst du das? Du hast eine Delle in Ellas Auto vor einem Monat entdeckt... danke für die Forschung, da bleibt mir ja nicht mehr viel übrig. Und du denkst, der Tod des Jungen hat etwas mit den Vorfällen in deiner Familie zu tun? Eigentlich haben wir dafür keine Zeit, aber es hört sich an als wäre meine Enkelin in Gefahr. Wir sind eh in der Nähe, Gemma. Ja, wir erledigen das. Wir rufen zurück, wenn wir kurz vor Lawrence sind. Wo wir sind? Wir sind gerade an der Grenze zwischen Kansas und Colorado. Ja, eine lange Fahrt... was sagt Nia dazu?" wieder lauschte er. „Ach, sie kam auf die Idee, dass das etwas mit dem Unfall an den Jungen zu tun hat? Ja, meine Jungs haben sie aufgeklärt. Keine Ahnung, wie sie das aufgenommen hat. Ich war nicht dabei. Alles klar, bis in ein paar Stunden."
„Hast du gelauscht?", fragte er mich, als er sich zu mir drehte.
„Bin gerade erst raus. Also Lawrence, oder?"
„Ja", nickte Dad und reichte Sam sein Handy, als dieser sich neben mich stellte.
„Klärt ihr mich auf."
„Vor zwei Wochen starb Herb Sheen, der Mann von Ella, Nias ältere Schwester. Er ertrank in der Badewanne. Gestern waren Nia, Leah, Cecilia und Ella am Kuna See. Cecilia ertrank, was komisch ist, da sie immer noch Wettkampfschwimmerin ist. Die anderen drei haben gesehen, dass Cecilia von irgendwas unter Wasser gezerrt wurde. Die Leiche wurde bisher nicht gefunden. Und ihr wisst, der See ist nicht groß. Die haben jeden Millimeter abgesucht. Da sind noch nicht mal Fische drinnen. Das komische ist, dass Leah und die anderen zwei Enkelkinder immer wieder einen Jungen sehen, der mit ihnen spielen will. Sei es im Traum, oder am Tag, wenn sie bei vollen Bewusstsein sind."
„Ein Geist?"
Dad nickte. „Ich denke es mal. Vor einem Monat wurde ein kleiner Junge angefahren. Zehn Jahre alt. Er war auf der Wickery Bridge unterwegs. Er wurde angefahren. Er stürzte von der Brücke in den reißenden Fluss. Seine Leiche wurde immer noch nicht gefunden."
„Aber was hat das mit Gemmas Töchtern und Enkelkindern zu tun?"
„In derselben Nacht fanden Nia uns Gemma Ellas Auto vor. Vorne rechts waren sämtliche Kratzer und Beulen. Ella erzählte, dass sie ein Reh angefahren hätte. Nia reparierte das Auto. Das kam Gemma komisch vor, vor allen Dingen, da der Unfallfahrer immer noch nicht gefunden wurde."
„Und Leah sieht diesen Geist, oder was?", hakte ich nach.
„Er will immer mit ihr spielen. Immer irgendwo am Wasser. Ich weiß, wir sind Nahe am Dämon dran. Wir haben den Colt mit dem wir ihn töten können. Aber ich denke nicht, dass wir uns das irgendwie nie verzeihen können, wenn Leah was passiert."
Ich schluckte und nickte gleichzeitig. „Ja, Sir."
„Fahren wir nach Lawrence."
„Du bist ja doch kein Feigling, Dean", bemerkte Sammy. „Glaubst du, dass du dich mit Nia zusammenraufst? Alleine wegen Leah."
„Halt die Klappe du Schlampe."
„Idiot."
„Hört auf euch zu beleidigen, ihr Blödköpfe!", sagte Dad und stieg in seinen Pick-Up. „Wer von euch beiden hat bezahlt?"
„Dean."
„Sam."
Sam und ich blickten uns an. „Du bist dran mit bezahlen!", sagten wir im Chor.
Irritiert blickten wir Dad hinter her, der mit quietschenden Reifen den Parkplatz verließ.
„Sieh dir den Geisterjagenden Alan Harper...", ich drehte mich zu Sam, der bereits im Impala saß. Ich zog eine Schnute uns ging hinter her. Kaum saß ich hinterm Steuer fuhr ich schnell los.
Ja, ich wollte Leah kennenlernen. Was sprach denn schon dagegen? Vielleicht werden Nia und ich uns aussprechen. Vielleicht ist dann alles so wie früher. Oder vielleicht auch nicht.
Desto näher wir Lawrence kamen, desto nervöser wurde ich und das sah man auch an meinem Fahrstil.
„Fahr nicht immer so nah dran!", rief Sammy, als ich meinem Vater schon fast an der Stoßstange hing.
„Dann soll der Alte nicht so langsam fahren. Hier fährt man hundert."
Sam lehnte sich rüber und schaute zum Tacho. „Du fährst neunundachtzig."
„Zwei Kilometer pro Stunde zu langsam. Das ist grauenvoll."
„Wieso fährst du nicht neben Dad. Die Straße ist mehrspurig."
„Weil er dann schneller fährt und irgendwann wieder vor mir. Du kennst ihn."
„Irgendwie schon", nickte Sam. „Und, schon nervös?"
„Wieso sollte ich nervös sein?"
„Weil du deine Tochter kennenlernst und sie dich."
„Hm."
„Du hast Schiss."
„Ich weiß nicht wie ich das handhaben soll. Das ist ein Kind. Kinder sind komisch."
„Das sagst du. Und irgendwie hast du Recht. Mensch, Dean, aber vielleicht ist Leah nicht gruselig und komisch. Da sie eben deine Tochter ist."
„Kann sein. Ich hab echt kein Plan wie ich das angehen soll."
„Erstmal redest du mit Nia. Ich denke, dass sie nicht will, dass ein fremder Typ sich einfach als ihr Dad vorstellt. Das macht ihr drei in Ruhe."
„Also nicht vor sie springen und schreien, dass ich ihr Dad bin?", murmelte ich ironisch.
„Immer wenn du unsicher bist, bist du ironisch oder sarkastisch. Scheiß dir nicht in die Hose, Dean. Das ist ein Kind und kein Serienkiller."
„Ein Serienkiller sabbert sicherlich nicht so viel."
„Du hast echt keine Ahnung von Kindern. Babys sabbern, ich denke zehn Jahre alte Kinder sind dicht."
Ich seufzte. „Ich hab keine Ahnung. Glaubst du die mag mich?" unsicher blickte ich Sam an.
„Also mich mag sie", sagte Sam. „Dich wird sie sicherlich auch mögen."
„Du kennst sie ja. Was mag sie, was mag sie nicht? Soll ich ihr eine Barbie kaufen?"
„Sie mag Autos", sagte Sam. „Jessica und ich haben ihr vor zwei Jahren zum Geburtstag eine Barbiepuppe geschenkt. „Die fand sie nicht so toll. Sie hat mir die ins Gesicht gepfeffert."
Ich lachte. „Ja, ich denke, dass wird doch nicht so schwer mit ihr." Hoffentlich.
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