Kapitel Einundzwanzig - Mindesthaltbarkeitsdatum
Kapitel Einundzwanzig - Mindesthaltbarkeitsdatum
***
Ich saß gegenüber von Bobby am Tisch und aß gerade ein Stück Pizza, auch die anderen fielen über die riesige Familienpizza her. Es blieben mir nur noch viereinhalb verdammte Tage. Viereinhalb Tage, in der ich mit allen meinen geliebten Menschen verbringen möchte. Ja, selbst Bobby hatte ich ins Herz geschlossen. Aber trotzdem wollte ich noch nach Hause, um Zeit mit meiner Mutter und meiner Lieblingsschwester zu verbringen. Und ich wollte mich von meinem Vater verabschieden. Und von so vielen Dingen. Ich hatte schlagartig keinen Hunger mehr, als ich den Gedanken hatte, dass ich es vermutlich noch Dean und Leah erzählen sollte. Aber es war viel zu riskant es zu tun. Dean würde vermutlich auf dieselbe Idee kommen, wie ich sie bei Leah hatte. Das soll nicht passieren. Ganz und gar nicht. Und deshalb muss ich schweigen und sie in Ungewissheit lassen, wenn mein Mindesthaltbarkeitsdatum abgelaufen ist.
Dean bemerkte, dass mir irgendwas auf den Magen schlug und musterte mein Gesicht. "Liegen dir die Burger von letzter Nacht noch quer im Magen?"
"Ja", nickte ich und legte das Pizzastück weg.
Mensch, Nia, reiß dich zusammen, meckerte ich mich selber an. Ich muss mich wie immer benehmen, sonst forschte Dean herum und kommt letztlich noch dahinter. "Ich hab nur vergessen zu sagen, dass ich heute Abend noch fahren muss. Mein Chef hat mich angerufen und er braucht mich auf der Arbeit."
"Oh", meinte Dean. "Okay. Wenn es nicht anders geht. Ich will dich nicht los werden, aber du kannst auch gleich fahren. Dann kommst du nicht mitten in der Nacht zu Hause an. Ist auch gut für Leah."
Leah wirkte gar nicht begeistert. "Kann ich nicht hier bleiben?", fragte sie mich.
Dean schaltete sofort. "Das geht leider nicht", sagte er. "Deine Mom hat zu entscheiden, wo du bist und außerdem haben wir Jungs auch noch eine Menge zu tun."
"Ja, die ganzen Dämonen und Geister jagen sich leider nicht von alleine", sagte Bobby und seufzte. "Obwohl. Manchmal wäre es schon super."
"Ja, da stimme ich dir zu", nickte Sam. "Aber, Dean und ich, kommen euch beiden die Ferien auch noch besuchen. Die laufen ja noch ein paar Wochen."
"Na gut", sagte Leah. "Ich bin froh, endlich wieder in mein Bett zu kommen."
"Wen sagst du das", stimmte ich zu und blickte das Pizzastück vor mich an. Trotzdem hatte ich immer noch keinen Hunger, weshalb ich auch nichts mehr anrührte.
***
Etwas traurig, packte Leah ihre Sachen zusammen. Ich musterte sie, als sie ihren Nintendo in meine Handtasche legte.
"Leah", sagte ich schon fast leidend.
"Was denn?", fragte sie mich und blickte zu mir. Ich bekam Leahs blutverschmiertes T-Shirt in die Hand und ließ es schnell in meinem Koffer verschwinden.
"Ich weiß, dass du vermutlich sauer auf mich bist, da unsere Reise wieder nach Hause ansteht, obwohl ich versprochen hatte, dass wir vieles unternehmen. Aber Mamas Job ist ihr wichtig. Ich verdiene so Geld für uns und unsere Zukunft. Nicht mehr lange und wir haben unser Haus." Oder auch nicht. "Vielleicht gibt es später einmal ein Hund, wenn du damit aufhörst, dein Spielzeug zu verlegen. Oder eine Katze, ein Fisch, oder was du auch immer haben willst."
"Eine Schildkröte", sagte sie stur und musterte mein Gesicht. "Ja, dass ist blöd, dass wir fahren müssen. Aber wenn es nicht anders geht. Sonst können wir ja nicht unsere Wünsche erfüllen."
Leah klopfte mir brüderlich auf die Schulter und wandte sich wieder ihre Sachen zu. "Ich nehme mir schon mal richtig frei. Und dann stelle ich auch mein Handy aus. Dann nervt uns keiner."
"Aber dann", sagte Leah und kam zu mir. "Fahren wir ins Disneyland. Mit Dean, also Dad!"
Ich blickte Leah an und hätte am liebsten geweint. Aber ich hielt inne und rümpfte die Nase. "Klar, dass machen wir", nickte ich und warf Leah einen Blick voller Lügen zu.
Sie lächelte kurz und packte dann ihre Sachen weiter zusammen.
Als ich alle Sachen in den Kofferraum legte, fuhr auch schon der schwarze Impala vor, in dem einzig alleine Dean saß.
Anscheinend wollte er noch einmal auf Wiedersehen sagen.
Wenn er nur wüsste, dass es vermutlich unser letztes Goodbye war.
Ich schluckte, als Dean neben mir hielt und unterdrückte und versteckte mal wieder ein paar Tränen, in der ich mich in den Kofferraum lehnte und so tat, als würde ich alles noch mal kontrollieren.
"Ich kann euch nicht fahren lassen, ohne mich noch einmal richtig zu verabschieden", sagte Dean. Ich wischte mir die Tränen aus dem Augenwinkel und schaute ihn an. "Wir sehen uns doch bald wieder." Vermutlich erst in der Hölle.
Ich drückte auf den Knopf und ließ den Kofferraum runterfahren. Leah balancierte weiter auf dem Bürgersteig. Aus meiner Handtasche zog ich die Schlüsselkarte fürs Zimmer, die Dean mir aus der Hand zog.
"Was hast du vor?", fragte ich und blickte zu Dean, welcher zu Leah ging.
Ich konnte nicht glauben, dass er sie einfach auf den Spielplatz schickte, wo andere Kinder am spielen waren. Aber dann wurde mir klar, dass sie zehn war und keine fünf. Das ist doch wieder was anderes. "Aber bitte bleib nur hier", hörte ich Dean sagen. "Ich muss mich gleich auch noch von dir verabschieden."
"Und nochmals, was hast du vor?", fragte ich Dean noch einmal, als er zu mir kam.
"Keine Ahnung, wie lange wir uns nicht mehr sehen werden", sagte er und zog mich ins Zimmer. Nie wieder. "Aber das will ich noch einmal nutzen. Und schließlich soll das Ding niemand sehen. Sonst könnten Leute vor Neid platzen."
"Du willst doch nicht jetzt etwa...?", fragte ich zickig. Wie konnte er jetzt an das eine denken, wenn er zuvor Leah weg geschickt hatte.
"Hat dir die Nummer vorhin zwischen den Autowracks nicht gereicht?"
"Was? Kein Sex!", sagte Dean und zog aus seiner inneren Jackentasche ein silberneres Klappmesser. "Hier. Für den Notfall."
"D-Danke. Hab ich was zu befürchten?"
"In Lawrence sind in letzter Zeit ziemlich komische Dinge am laufen. Vermehrt. Ich will nur, dass du dich ein wenig beschützt fühlst. Und ich habe keine Ahnung, wie du dazu stehst, dass ich dich noch in anderen Sachen einweihe..."
"Nein, Dean. Das ist deine Arbeit und ich möchte das nicht. Ich will, dass wenn du bei Leah... und mir bist, dass du da nicht an die Arbeit denkst. Da denkst du an deine Familie. Bei uns hast du Urlaub. Und ich will nichts weiter darüber wissen. Und wenn, dann frage ich dich."
"Okay", nickte Dean. "Okay. Dann ist meine kleine Familie wohl mein Urlaub."
"Ja", nickte ich.
"Und Danke, dass du mich nicht dazu zwingst, die Vaterschaft für Leah anzuerkennen. Sonst sind die Bullen wieder hinter mir her und..."
"Ich weiß. Deswegen und weil ich weiß, dass du nicht gerade Geld für den Unterhalt scheißt. Ist schon in Ordnung."
"Danke", sagte Dean und umarmte mich fest. Als wir uns aus der langen Umarmung lösten, blickte ich ihn für einen Augenblick an, ehe ich ihn in küsste. Unser letzter Kuss.
***
"You are my sunshine, my only sunshine- you'll make me happy, when skies are grey!", sangen Leah und ich auf dem Weg nach Hause. Von drei Stunden hatten wir noch zwei Stunden Fahrt vor uns und es fühlte sich an wie früher. Da waren keine Gedanken, wie Abschied und Tod und meine große Lüge. Leah lenkte mich ab und zeigte mir, dass ich das hier genießen sollte. Die letzten Tage mit ihr. Und ich hatte auch noch einiges zu tun. Briefe hinterlassen, damit sie sich keine weiteren Sorgen machten. Mein alles entscheidendes auf Wiedersehen zu denen, den ich ein Brief hinterlassen wollte. Und ich musste zu einem Notar. Ich musste mein geringes Vermögen aufteilen, hinterlassen, dass meine Tochter bei meiner Mutter bleiben soll, da war sie sicherer als wie bei ihrem Vater. Und dann meine Lebensversicherung. Die sollte Leah an ihren 18 Geburtstag bekommen, genau wie mein geringes Vermögen. Oder ich handhabte das anders.
Ich weiß es noch nicht. Aber so lange blieb mir keine Zeit eine Entscheidung zu treffen. Es musste schnell gehen. Schließlich waren es bald nur noch drei verfluchte Tage.
"Mama, wieso singst du nicht weiter?", fragte sie mich.
"Oh, Entschuldigung, Liebes", sagte ich und sang weiter. Leah stimmte mit ein und wir sangen gemeinsam. Normalerweise wäre ich irgendwann dank unserer Gesangseinlage völlig genervt gewesen. Aber dieses Mal nicht. Ich genoss es regelrecht mit Leah durchzusingen. Stunden lang und ohne eine große Pause. Und nein, wir sangen nicht nur das eine Lied. Sonst wäre ich aus dem fahrenden Auto gesprungen.
***
Kurz nach zwanzig Uhr am Abend kamen wir wieder in Lawrence an. Während Leah völlig übermüdet im Bett landete, saß ich in meinem Zimmer und köpfte eine Flasche Whiskey. Ich musste morgen nicht arbeiten. Das war gelogen.
Ein Fotoalbum lag auf meinem Oberschenkel. Nach jeder Seite, die alte Erinnerungen aufbrachte, trank ich einen großen Schluck aus der Flasche. Ich musste lachen, als ich ein altes Foto von Dean sah. In seiner Jugend. Gott. Ich hatte völlig vergessen, dass Dean blonde Strähnchen in seinem Haar hatte. Leise lachend blickte ich das Foto weiter an und war auch von mir zufrieden, dass ich so ein gutes Foto von ihm gemacht hatte. Obwohl, er sah schon immer gut aus. Egal aus welchem Winkel.
Seufzend trank ich wieder einen Schluck vom Whiskey und bemerkte gar nicht, dass meine Mom im Zimmer stand.
"Hast du ihn schon wieder abserviert?", fragte sie mich.
"Was?", horchte ich auf und blickte zu ihr.
"Dasselbe traurige Bild wie damals. Heulend auf dem Bett lungern, dass eine Foto von ihm anstarren... nur das du den Kakao mit Hochprozentigem gewechselt hast."
"Nein, ist alles gut zwischen Dean und mir", versicherte ich Mom. "Wir haben einiges geklärt und sind zu dem Entschluss gekommen, dass wir es miteinander versuchen. Nochmals, aber..."
"Du zweifelst an ihm, oder?"
"Nein, quatsch. Es ist nur die Ungewissheit, Mom. Er ist auf der Jagd und ich habe keine Ahnung, wie es ihm geht und ob er verletzt ist und wie schwer. Ich hab immer im Hinterkopf, dass ich diesen Anruf von Bobby bekomme und er sagt mir, dass Dean nicht mehr ist. Wie soll ich das ertragen? Wie soll Leah das ertragen?"
"Er ist noch nicht mal als leiblicher Vater von Leah eingetragen und zahlt kein Unterhalt... wo wir denn auch wieder bei diesem Thema wären. Trag ihn ein und..."
"Nein", warf ich sofort ein. "Das mach ich nicht und dafür gibt es Gründe, über Dean und ich gesprochen haben."
"Ich höre."
"Mom, dass ist mein Leben und meine Familie. Du erzählst mir auch nicht immer alles. Du hast genauso Geheimnisse vor mir, wie ich von dir."
"Wie kommst du darauf, dass ich ein Geheimnis verberge."
Und dann platzte es einfach aus mir heraus. "Dad starb nicht an den Folgen eines Autounfalls. Er starb an den Folgen eines Angriffes!"
"Wer hat die diesen Scheiß erzählt? Dean?"
"Ein Dämon griff Dad an, aus Rache, da Dad seine Familie auslöschte. Dad war ein Jäger, genau wie John und Bobby. Und Bobby war sein Partner!"
"Das stimmt nicht!", fuhr meine Mutter mich an. "Das stimmt nicht. Dein Vater starb an den Folgen eines Autounfalls und er war kein Jäger..."
Ich blickte Mama an. "Dean weiß davon? Dean wusste das Dad ein Jäger war?"
"Nia, verdammt noch mal!", sagte Mama sauer. "Ich schwöre dir, dass dein Vater kein Jäger war. Er war ein ganz normaler Mann, mit einem normalen Job und einem normalen Leben. Er würde sich im Grab umdrehen, wenn er wüsste, dass du mich einer Lüge bezichtigst!"
"Geh aus mein Zimmer!", sagte ich. "Und komm erst wieder, wenn du dir im Klaren bist und mir endlich die Wahrheit erzählst! Jagdausflüge nach Wild mit Bobby Singer! Das ich nicht lache."
"Das ist mein Haus!", fuhr meine Mutter mich an. "Und bevor ich aus einen der Räume hier herausgeschmissen werde, ziehst du zu und verziehst dich."
"Dann nehme ich Leah mit!"
"Leah bleibt bei mir!"
"Sie ist meine Tochter und das Gericht hat entschieden, dass das Sorgerecht mir alleine gehört. Sofern kein Vater eingetragen ist. Wobei. Ich könnte mich auch ganz aus Lawrence verpissen und dann siehst du uns nie wieder!"
"Du übertreibst. Schlaf deinen Rausch aus", sagte sie. "Und sehe ich dich noch einmal mit einer Flasche Alkohol in der Hand, dann schwöre ich dir, dass ich dich beim Jugendamt anschwärze."
"Du genehmigst dir doch abends auch immer einen. Oder mehreren. Und dann fährst du Auto!"
"Halt deine große Klappe, Kind! Ich bin es leid mich mit dir streiten zu müssen. Schau mal auf das Datum, was gerade anbricht."
Mit einem lauten Türknall verließ sie das Zimmer und ich blieb verdutzt zurück. Was für ein Datum?
Ich schaute in meinen kleinen Taschenkalender und war verdutzt. Es war mitten in der Nacht und heute war der Todestag meines Vaters. Der zweite August.
Und dann tat mir einfach alles leid. Das ich meine Mutter so blöd angemacht habe. Ich hätte es auch vorsichtiger angehen können.
Aber wenn das mit dem Jäger-Leben meines Vaters stimmte und Dean darüber in Kenntnis war, was dieser erlebte und woran er starb... nein, Nia, du hast nicht mehr lange. Kein Grund jetzt noch überall Pallaber zu machen. Versöhnlich schnappte ich mir ein Foto von Dad und die Flasche mit dem Whiskey und suchte im Haus nach meiner Mutter. Sie war nicht im Wohnzimmer und sie war nicht in ihrem Schlafzimmer. An der Kellertür blieb ich stehen, als ich ein Geschirr klirren hörte. Außerdem brennte dort Licht. Ich ging die Treppen runter. Mom war in einem der Kellerräume und durchwühlte einer der vielen Umzugskartons mit Dads persönlichen Sachen. Sie zog aus dem Karton ein altes und braunes Buch hervor. Ähnlich wie John sein Buch, welches Dean damals hatte. In dem Karton sah ich noch mehr von diesen Büchern, gefolgt von Büchern über Dämonen und dem Zeug.
"Also doch", sagte ich. "Dad war ein Jäger!"
Meine Mom blickte mich an. Doch anstatt zu Leugnen und mich einer Lüge zu bezichtigen nickte sie nur.
"Hier sind seine Tagebücher. Wenn du willst können wir sie lesen. Hier steht nicht nur etwas über die Jagd drinnen."
Ich nickte und blickte auf die fast leere Whiskey-Flasche in meiner Hand. "Ich befürchte, dass der nicht für uns beiden reichen wird."
Mama lachte leise. "Ohja. Schnappen wir uns die Kisten und setzen uns ins Büro."
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