Kapitel 64
Verträumt
Ge. 02- Kapitel 64
»Olcay?«, fragte ich und setzte mich sofort zu ihr. Sie verdeckte ihr Gesicht immer noch mit ihrer Hand. Ihre Locken bewegten sich millimeterweise nach hinten und dann nach vorne, als würde sie zittern.
»Iyimisin? (Geht es dir gut?)«
Sie nickte und legte ihre Hände weg. Auf ihrem Gesicht war keine einzige Träne, doch ihre Augen waren leicht rötlich umrandet. »Mir geht es gut, geh du zum Unterricht.«
»Nein«
»Cihan geh!«
»Dann rutscht es vielleicht aus mir heraus, dass du hier bist. Am besten ich bleibe hier.«
Ich grinste leicht. Ein Kloß hatte sich in meinem Hals gebildet. Selbst, dass sie rötliche Augen hatte, bedrückte mich, nur warum?
»Es ist mir egal, was du sagst.«
»Kriegst du dann keinen Ärger zu Hause?«
Sie schüttelte den Kopf, aber sehr glaubhaft war das nicht.
Ich setzte mich einfach vor sie und sah sie einfach nur an. Ihre Augen, es kam mir so vor, als würde ich darin den Himmel sehen, die Wolken, das Meer, es war unglaublich. Für den Moment fühlte es sich so an, als sei ich wo anders. Ich sah nur noch die Tiefe ihrer Augen, bis eine Stimme mich wieder zur Realität holte. »Gehst du nun?«, fragte Olcay. Sie neigte den Kopf, wobei ihre Locken mittanzten. Ich musste bei diesem Anblick grinsen. »Keine Chance«
»Keine?«
Ich schüttelte den Kopf.
»Habe ich denn eine Chance, dich zur Schule zu bringen?«
Sie schüttelte den Kopf.
»Keine?«
»Keine!«, sagte sie und sah dann aus dem Fenster.
»Hey, wenn wir sowieso nicht zur Schule gehen und auch den ganze Tag nicht hier verbringen können, wie wäre es, wenn wir zu einem Park gehen?«
Sie zuckte mir den Schultern.
Wir standen dann auf und gingen aus dem Cafe. Olcay sah die ganze Zeit nur nach vorne.
»Zu Fuß dauert es ein wenig, wenn du willst, kann ich mein Motorrad schnell besorgen«, meinte ich und grinste. Ich wollte einfach unbedingt wissen, wie sie darauf reagierte. Olcay blieb stehen und sah mich böse an. »Erstens, wenn du dein Motorrad hierher bringst, kann man daraus schließen, dass du nicht in der Schule bist und zweitens haben wir viel zu viel Zeit.«
Ich grinste noch breiter. »Wenn du meinst.«
Also liefen wir bis zum Park, auch wenn es etwas länger dauerte. Der Park war nahe an dem Kindergarten von Mine. Am liebsten hätte ich sie noch kurz besucht, aber ich war mir nicht sicher, ob Mine das für sich halten konnte.
Am Park angekommen, sah ich etwas in Olcays Augen funkeln. Es war ein kurzes aber wunderschönes Funkeln.
»Ist etwas?«, fragte ich sie, doch sie antwortete nicht. Stattdessen sah sie sich den Park an und lächelte.
»Komm mal«, forderte ich sie auf und zog sie an ihrer Hand zu der Schaukel. Am Gerüst stand nämlich ganz klein ein Satz, den ich ihr unbedingt zeigen wollte.
Da stand "Olcay is dum". Das "is" sollte wohl "ist" heißen und das "dum" eben "dumm".
Zum ersten Mal in meinem Leben sah ich Olcay richtig lachen. Sie lachte aus tiefster Seele und dieses Lachen war atemberaubend. Es fühlte sich so an, als seien alle Sorgen weg, als sei es egal, wo wir waren und warum wir hier waren. Als seien nur wir beide hier. Komisch. Ich hätte mir dieses Lachen den ganzen Tag ansehen können, trotzdem wäre es nicht genug.
Olcay strich über die Schrift, ihr Lächeln ging dabei nicht zurück und das Funkeln in ihren Augen ebenfalls nicht. »Dafür hab ich mich aber ziemlich fies gerächt.«
»Was?«
Olcay lachte kurz. »Die Olcay, die hier als dumm bezeichnet wurde, bin ich. Das waren meine Cousine und meine Mutter. Damals waren wie noch so klein.«
»Wie?«
Irgendwie kam ich nicht mehr ganz mit.
»Meine Cousine hatte den Stift vorne in der Hand und meine Mutter hinten. Sie hat einfach drauflos gekritzelt und absichtlich Rechtschreibfehler gemacht.«
Sie drehte sich um und lehnte sich mit ihrem Rücken an die Schrift an. »Ich hab hier in der Nähe früher gewohnt, weißt du?«
»Echt?«, fragte ich und war wirklich überrascht. Olcay nickte und ging zu den Schaukeln. Sie setzte sich auf eine und fing an sich hin und her zu wippen. Ich ließ mich auf die andere Schaukel fallen und sah zu ihr herüber. Sie sah zum Boden und lächelte noch leicht.
»Wer am weitesten springen kann?«, fragte sie dann und ich nickte. Sie fing an zu schaukeln. »Ich gewinne aber eh nie. Alle konnten mich besiegen, deshalb hab ich mich einfach immer vor die Schaukel geworfen und behauptet, ich hätte einen Krampf oder so etwas gehabt.«
Sie schaukelte immer höher und dabei sahen ihre Haare atemberaubend aus.
»Eins-Zwei-Drei!«, zählte sie und wir sprangen runter. Ich war sehr viel weiter als sie, doch das machte ihr nichts im Geringsten aus.
»Hab's doch gesagt!«, rief sie und lachte. Sie sah nach oben und zeigte direkt auf eine Wolke. Ihre Augen glitzerten. »Sieh mal ein Herz!«
Ich sah zu der Wolke, die einem Herz ähnelte.
»Jetzt bist du dran!«
»Äh«, murmelte ich und zeigte auf eine Wolke. »Das ist eine Wolke.«
Olcay schlug mir leicht gegen die Schulter. »Du bist voll der Spielverderber.«
Danach stand sie auf und klopfte den Sand von ihrer Hose. Ich stand auch auf und sie sah mich dabei finster an.
»Ich wusste gar nicht, dass du auf so kindische Spiele stehst.«
Sie schlug mich wieder. »Die Spiele sind nicht kindisch.«
»Okay, okay, dann sind sie eben nicht kindisch.«
Ich sah auf die Uhr und stellte fest, dass wir noch sehr viel Zeit hatten.
»Was machen wir jetzt?«, fragte ich und Olcay lächelte wieder. »Du hast mir deinen Park gezeigt, also zeige ich dir meinen Lieblingsplatz. Wir müssen dafür aber eine Weile Laufen.«
»Gerne«, erwiderte ich und grinste schief. Danach machten wir uns auf den Weg.
Ich hatte das Gefühl, dass ich Olcay noch viel besser kennenlernen würde und irgendwie war sie mir jetzt schon ans Herz gewachsen... irgendwie.
Wir kamen an einem See an. Hier war aber nicht überall Grün. Es waren nicht weit von hier viele Läden und Stände. Vor dem Meer waren Steine und Felsen. Olcay grinste und zeigte auf den See. »Ich liebe es hier. Hier hab ich so viele Erinnerungen...«
»Wie schön«, sagte ich und sah mich um. An diesen See war ich früher auch öfter gewesen, jetzt nicht mehr so.
»Ich hab Hunger, sollen wir uns etwas holen?«, fragte Olcay. Ich nickte und wir gingen uns Brötchen holen. In der Bäckerei, welches in der Nähe des Sees war, sah ich dann voller Überraschung meine Mutter. Verdammt, die würde mich umbringen, es meinem Vater erzählen und danach wäre ich nicht mehr am Leben.
Olcay biss in ihr Schokobrötchen und da schnappte ich sie an ihrem Arm und zog sie weg. Meine Mutter hatte mich noch nicht gesehen und das wollte ich, nein musste ich verhindern.
Ich sah noch von Augenwinkel, wie sich meine Mutter zu unserer Richtung drehte und versteckte mich hinter einer großen Pappfigur. Dabei zog ich Olcay mit mir. Zum Glück stellte die Pappfigur einen fetten Mann mit Pizza in der Hand da, sonst hätten wir beide nicht dahinter gepasst.
Als ich Olcay zu mir zog, damit man sie nicht sah, war ihr Gesicht sie nah zu meinem, dass sich vor Schock ihre Augen weiteten.
»Meine Mutter ist da«, flüsterte ich ihr ins Ohr. »Du kriegst vielleicht keinen Ärger, ich dafür aber schon.«
Ihre Augen weiteten sich noch mehr, doch sie brachte keinen Mucks heraus. Ich sah kurz nach, ob meine Mutter noch herschaute und merkte, dass die Luft rein war. Mit schnellen Schritten ging ich mit Olcay davon und merkte schon, dass meine Mutter auch hinter uns herkam. Ich rannte mit Olcay weiter und kapierte, dass meine Mutter uns noch nicht gesehen hatte. Wahrscheinlich hatte sie sich beobachtet gefühlt oder so. Sie kam auf jeden Fall hinter uns her. Wir liefen deshalb etwas langsamer, um keinen Verdacht schöpfen zu lassen, aber langsam gingen wir nun auch nicht.
Vor uns war ein kleiner Bootverleih. Ich deutete mit meinem Kopf darauf, doch Olcay schüttelte sofort den Kopf.
»Olmaz! (Das geht nicht!)«
»Ach, warum? Hat die kleine Olcay auch vor dem Wasser Angst?«
Sie schüttelte wieder ihren Kopf, während ich unauffällig nach hinten sah. Meine Mutter stand weit weg und sah sich stirnrunzelnd um.
Ich drückte dem Verleiher das nötige Geld und schnappte das Boot.
»Dann dürfte es ja auch kein Problem geben, oder?«, fragte ich und stieg ein. Danach reichte ich ihr meine Hand, um ihr aufzuhelfen. Olcay nahm zögernd meine Hand und stieg auf das Boot.
Wir setzten uns hin und ich schnappte mir das Ruder. Dann begann ich zu rudern und saß genau so, dass meine Mutter mich wenn schon nur von hinten sehen könnte.
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