Kapitel 12 - Schweigend und Sündigend
Will wusste nicht, warum und wann es anfing, und gleichzeitig erinnerte er sich noch genau an den Moment.
Es war ein Fehler gewesen, aber wenigstens war er bei Nico.
Sie hatten in seinem Zimmer gesessen, so wie immer, aber sie hatten nicht geredet. Beide hatten es vermeiden, über den Kuss zu reden, und jetzt hielt sie das davon ab, über irgendetwas anderes zu reden.
Die Stille erdrückte sie.
Also hatte Will ihn geküsst. Und seitdem taten sie nichts anderes.
Aber es waren leere Küssen, nur der verzweifelte Wunsch, etwas miteinander zu tun.
Will wünschte, sie könnten miteinander reden, aber er wusste nicht mehr, worüber sie die ganzen letzten Monate so viele Stunden lang geredet hatten, und solange ihre Münder beschäftigt waren, mussten sich ihre Köpfe nicht fragen, warum sie nicht redeten.
Diese Gedanken verfolgten sie bis tief in die Nacht hinein, aber sie hielten sie nicht auf, jeden Tag denselben Fehler wieder und wieder zu begehen.
Ihm fielen auch die Blicke auf.
Das Anwesen war zwar riesig, doch die Monotonie des Alltages war fruchtbarer Boden für Gerüchte, und er und Nico waren nicht gerade allzu verschwiegen mit ihren Aktivitäten.
Und warum sollten sie? Es war ja nahezu der Grund, warum man Will überhaupt gekauft hatte.
Und so überraschte es ihn nicht, sich in dem Büro wiederzufinden, in dem er einmal mit Farbe im Hemd gestanden hatte.
„Ah," begrüßte ihn Nicos Vater und schielte dann versucht unauffällig auf einen Zettel. „Will. Wie schön, Sie wiederzusehen. Diesmal sogar aufrecht, weniger horizontal."
Will erinnerte sich an den Zwischenfall mit der Rose und errötete leicht.
„Gleichfalls, Herr."
Dann wartete er. Die Sekunden verstrichen, während der Mann am Schreibtisch vor ihm Akten aufschlug, Zettel unterschrieb und Notizen anfertigte.
Will betete, dass er bald damit anfing, zu sagen, weshalb er ihn hatte rufen lassen, nur damit er nicht gezwungen war, zu fragen.
„Mir sind einige... Gerüchte zu Ohren gekommen," fing er dann an, und der Blonde dankte allen Göttern, deren Namen er kannte.
„Gerüchte, Herr?"
„Ja, dass die Beziehung von meinem Sohn und Ihnen... die platonische Ebene überwunden hat."
Dunkle Augen durchbohrten ihn. „Trifft dies zu?"
Will nickte langsam.
„Ich würde es als recht zutreffend bezeichnen, Herr. Ist... das... ein Problem?"
„Oh," sagte der Mann und schüttelte den Kopf. „Nein, nein. Ich stelle das Wohlbefinden meines Sohnes über den patriarchischen Drang nach Erben."
Gut, weniger Di Angelos, dachte Will. Weniger tote Solangelos, wenn wir schon dabei sind.
„Das ist sehr fortschrittlich, Herr," lobte Will nervös.
„Oh bitte, hören Sie auf, sich einzuschleimen. Ich habe nicht vor, mich Ihrer zu entledigen, besonders jetzt nicht, wo mein Sohn einen so großen Gefallen an Ihnen gefunden hat."
Bei den Worten durchblätterte er eine neue Akte, und seine Stimme nahm einen distanzierten Ton an. Das verwirrte Will nur noch mehr, denn er war sich nicht sicher, weshalb zur Hölle er überhaupt da war.
Er wartete wieder einige peinlich stille Sekunden, bis Nicos Vater seine Aufmerksamkeit wieder ihm zuwandte.
„Nico scheint glücklicher zu sein, seit Sie hier sind, Will. Das freut mich zu sehen. Ich habe viele schlaflose Nächte wegen seiner... Verfassung verbracht.
Ich stelle sein Wohlbefinden nicht nur über seine Sexualität, William, sondern auch über viele andere Dinge.
Geld, Moral, das Leben anderer Menschen."
Will begann wieder zu beten.
Er hoffte, dass die Akten jetzt sofort die Aufmerksamkeit bekamen. Der Blick machte ihn jetzt nicht nur nervös, sondern er machte ihm Angst.
„Ich würde alles tun, um dafür zu sorgen, dass es meinem Sohn besser geht. Alles. Und es wäre Ihnen gut geraten, die Einstellungen zu kopieren. Verstehen Sie, was ich meine?"
Wills Mund war trocken, und er nickte.
„Ja Herr, ich verstehe Sie laut und deutlich."
Und er tat es. Er dachte an Hetzjagden im Wald. Er verstand, dass manche Dinge getan werden mussten.
„Gut, dann sind Sie nun entlassen."
Will rannte nicht aus dem Büro, aber schneller gehen konnte er auch nicht. Er klopfte nicht an, und Nico sah überrascht von seinem Spiel auf.
„Alter! Ah scheiße, ich bin tot. Erschreck mich doch nicht so!", beschwerte er sich und sah gequält auf den Bildschirm und auf den Controller in seinen Händen.
„Tut mir leid," sagte Will dumpf und ließ sich neben ihm fallen.
Nico sah ihn besorgt an.
Er pausierte das Spiel und dachte nach. Will sah ihm dabei zu, wie er den Mund öffnete, um etwas zu sagen, aber er sagte nichts.
Dasselbe, was sie seit Tagen davon abhielt, zu reden, ließ ihn auch jetzt schweigen.
Will sah ihm zu, wie er sich quälte, und die Spannung lud sich auf.
Diese peinliche Stille.
Sie war das Schlimmste.
Die Erkenntnis, dass sie nichts zu reden hatten.
Also tat Will das einzige, was sie davon abhielt, weiter zu denken. Er lehnte sich nach vorne und küsste ihn.
Nico nahm die Entschuldigung, nicht zu reden, gierig auf.
Will nahm ihm vorsichtig den Controller aus den Händen und legte ihn auf den Boden.
Er dachte an seinen Namen auf einem kleinen Zettel.
Seine Lippen fuhren über Nicos Kehle. Kleine Haare stachen seine Zunge, der bittere Geschmack von seinem Parfüm füllte seinen Mund.
Der Geruch seine Nase.
Er dachte an Akten auf dem Schreibtisch aus dunklem Holz als seine Hände über den nackten Rücken fuhren, und an Fingerspitzen, die über sie gleiten, als er sein Hemd auf dem Boden neben dem Controller fallen ließ.
Nico war warm, immer warm.
Seine Anzughose und Nicos Jogginghose gesellten sich zu ihren Oberteilen.
Der Controller wurde verschluckt von dem Stoff.
Seine nackte Haut brannte auf Wills, und für einen Moment wünschte er sich, einfach so schlafen zu können. Sich einfach neben ihn zu legen und die Wärme zu genießen, aber er war nicht zum Vergnügen hier.
Manche Dinge mussten getan werden.
Seine Hände fuhren über das elastische Band von Nicos Unterhose.
„Hey, hey, warte kurz, ja?", bat er atemlos und sah zu dem Blonden auf.
Sein Gesicht war rot, und seine Haare standen noch mehr ab als sonst.
„Willst du nicht?", fragte Will verwirrte. „Weil, es fühlt sich ehrlich gesagt so an, als würdest du wollen."
Nico schielte auf die Stelle, wo sich ihre Hüften berührten.
„Haha, Arschloch. Nein, ich... ich habe nichts hier, weißt du?", murmelte er dann leise und sah auf den Fernseher. Seine Wangen wurden dunkler.
„Du meinst...?"
„Gleitmittel, Kondome? Ich meine, theoretisch ist hier bestimmt irgendwo etwas, aber, äh..."
Sein Blick glitt durch sein Zimmer.
Auch wenn nichts mehr aktiv darin verschimmelte, war das Chaos immer noch sehr wohl präsent.
„Du kennst mein Zimmer."
Will lehnte sich vor und küsste Nicos Schlüsselbein.
„Wenn du es wirklich brauchst, bin ich mir sicher, dass Frettchen etwas für uns holen würde," flüsterte er.
Sein Atem strich über Nicos Haut, und der atmete schwerer.
„Okay, Bastard, zwei Dinge. Erstens, warum glaubst du, dass ich das Gleitmittel brauchen werde? Hm?"
Er sah Will provokant an, eine Augenbraue hochgezogen.
„Und außerdem, so sehr ich Frettchens Gesichtsausdruck lieben würde, wenn du ihn rufst und ihm befiehlst Kondome zu besorgen, ich glaube das würde jede Spur einer Erektion zerstören."
Will lachte, und küsste ihn.
Er dachte an Hetzjagden durch den Wald.
„Also, ich brauche nichts von beidem," murmelte er. Es wäre schmerzhaft.
Nico setzte sich auf und sah ihn an. Ihre Nasen berührten sich fast.
„Ach wirklich?", fragte er spöttisch.
Seine Augen glitzerten in dem dumpfen Licht.
„Wirklich."
Manche Dinge müssen getan werden.
Nicos Finger glitten über Wills Bauch, weiter herunter.
Er grinste, als er seine Hand auf Wills Schritt legte, und Will schluckte. Das Grinsen gefror auf Nicos Lippen.
„Du willst das hier nicht wirklich," sagte er dann sanft und zog seine Hand zurück.
„Was? Doch." Will packte die Hand und zwang sie zurück, er drückte. „Spürst du? Ich will das," stöhnte er leise und lehnte seine Stirn gegen Nicos.
„Das zählt nicht. Du willst nicht."
Nico schob ihn von sich, sanft, aber bestimmt.
‚Du bist wirklich eine Schönheit, was?'.
„Nico, komm schon," lachte er und zog ihn wieder an sich, doch der Junge schüttelte den Kopf.
„Bitte, Nico. Ich will. Wir müssen keinen Sex haben, aber etwas anderes vielleicht...?"
Will versuchte zu flirten, aber der andere sah ihn nicht an.
„Hör auf damit, bitte."
„Nico, guck mich an," flehte er und nahm sein Gesicht in die Hände.
Er küsste ihn, wieder und wieder und weider, doch er reagierte nicht.
„Du willst das nicht."
„Sag mir nicht, was ich will und was nicht!"
Nico zuckte zurück, seine Augen waren groß. Will starrte ihn ebenso entsetzt an.
„Es tut mir leid, ich wollte nicht schreien. Aber ich will es, wirklich. Das hast du gefühlt."
Nico schüttelte den Kopf und schaffte es, sich von unter Will zu befreien.
„Eine Erektion zu haben heißt nicht, es zu wollen, Will," murmelte er, während er sich seine Hose anzog.
„Oh, und was soll ich sonst tun? Ich habe ‚Ja' gesagt, nicht dass das irgendetwas wert wäre hier." Seine Stimme brach, und Nico sah ihn an.
„Was meinst du damit? Hat dich jemand angefasst?"
Will sah ihn an.
Nicos Blick war intensiv, er schien zu brennen.
Er hatte den Blonden schon so lange nicht mehr so angeguckt, als würde er ihn sehen.
Ein Teil von ihm wollte lügen, jemanden anklagen, nur, damit Nico ihn weiter so ansah, aber er schüttelte den Kopf.
„Nein, aber jeder könnte. Du könntest, dein Vater könnte, Hazel könnte. Nico, ich habe meine Autonomie mit meinem Körper verkauft. Wie soll ich dann ‚Ja' sagen? ‚Nein' könnte meinen Tod bedeuten."
Seine Stimme wurde immer leiser, gedämpfter, und er sackte in sich selbst zusammen.
Nico ließ sich neben ihn fallen.
„Was für eine Shitshow," murmelte der, dem Kopf langsam schüttelnd.
„Gott! Fuck!"
Will zuckte zusammen, als der andere schrie.
„Weißt du, ich will wirklich mit dir zusammen sein," sagte Nico, Tränen in den Augen. „Ich glaube ich liebe dich, aber ich weiß nicht, ob du mich liebst. Ich weiß nicht, ob du das kannst."
Will sah ihn an, und strich ihm über die Wange. „Ich- Ich weiß nicht, ob ich ganz verstehe."
„Es ist wie fucking Stockholm-Syndrom. Willst du mich, oder willst du nicht sterben?"
Er sah Will an, als würde er eine Antwort wollen, aber Will wusste nicht, was er sagen sollte.
„Ich weiß es nicht, „antwortete er ehrlich.
„Genau. ‚Ich weiß es nicht' ist kein ‚Ja'. ‚Ja' ist nur ‚Ja' wenn es ohne Angst, ohne Alkohol, und ohne Abhängigkeit gesagt wird." Er hörte sich an, als würde er etwas zitieren.
„Das habe ich von Jason," murmelte er.
„Du hast Angst, Will, und du bist abhängig. Ich weiß nicht, was du, und was deine Angst sagt, und ich glaube nicht, dass du selbst das weißt."
Will sagte nichts.
„Vielleicht sollten wir etwas Distanz gewinnen, was sagst du?"
„Bitte schick mich nicht weg," platzte es aus dem Blonden heraus, und Nico sah ihn traurig an.
„Genau deswegen kannst du nicht sagen, ob du es willst oder nicht. Gott. Nein, du wirst nicht weiterverkauft. Keine Sorge. Und ich werde dafür sorgen, dass Dad das auch nicht macht. Nur... etwas Zeit, damit du nachdenken kannst."
Und Will dachte nach.
„Wo?"
„Percy und Annabeth haben ein Anwesen, etwa vier Stunden von hier. Sie werden sich um dich kümmern, wenn ich sie bitte. Aber nur, wenn du das willst. Ansonsten kann ich auch andere fragen, ich kenne noch andere, weiter weg. Etwa zehn Stunden weiter weg ist Valdez, und um zu Rachel zu komme musst du fliegen."
„Percy und Annabeth schienen nett," murmelte Will.
Nico nickte.
„Dann werde ich so früh wie möglich Vorkehrungen treffen."
„Danke," flüsterte Will und legte seinen Kopf auf Nicos Schulter. Der Dunkelhaarige seufzte und drückte einen Kuss auf seine Stirn.
„Du solltest überhaupt nicht hier sein," sagte er.
„Es sollte überhaupt nicht nötig sein."
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