Kapitel 10
Ich versuche mich an einem bezaubernden Augenaufschlag, der den empörten Typen vor mir milde stimmen soll. Er trägt ein weißes Polohemd, dazu eine beige Chino-Hose über braunen Segelschuhen und rundet den schnöseligen Look mit einer blau-grün gestreiften Krawatte ab. Eine Krawatte im Club? Will er den Laden kaufen oder was? Um ihn trotz seiner Seriosität um den Finger zu wickeln, vertiefe mein unschuldiges Lächeln so weit, dass meine Wangenmuskulatur anfängt, zu schmerzen.
"Entschuldige!", rufe ich ihm dann mit lieblicher Stimme zu und schaue ihn mit extra großen Augen an. Bald fallen sie mir aus den Augenhöhlen. "Mir ist kurzzeitig schwindlig geworden und ich musste mich dringend setzen, damit ich nicht umkippe." Konrad sieht mich verdutzt an, denn natürlich war das wieder gelogen, obwohl ein Schwindelanfall gar nicht so weit hergeholt ist, bei der sauerstoffarmen Luft auf der Tanzfläche.
"Oh, das verstehe ich natürlich! Dann bleib gerne noch ein bisschen sitzen. Brauchst du Wasser? Oder Zucker? Soll ich dir was holen?", fragt der Schnösel besorgt. Erstaunt und etwas übermütig aufgrund meines oskarreifen Schauspiels antworte ich:
"Ein Schokoriegel wäre toll!"
"Okay, ich bin schon unterwegs!", reagiert er sofort und macht auf dem Absatz kehrt. Wow, wie habe ich den denn zu meiner Marionette gemacht? Ich kann also doch charmant sein! Nicht wie ein Trampeltier auf einer Ameisen-Versammlung, wie es mir mein Exfreund Kai einmal vorgeworfen hat. Ich strecke ihm in Gedanken die Zunge heraus.
"Wem streckst du die Zunge heraus?", fragt mich Konrad irritiert. Ups, also doch nicht nur in Gedanken. Ich fahre sie schnell wieder ein.
"Niemandem. Ich wollte nur schauen, ob sie noch da ist." Oh nein, wie dämlich.
"Aha.", sagt er gedehnt. "Weil Zungen manchmal einfach abfallen?" Ich nicke peinlich berührt. Dieser Abend wird immer blöder. Erst ignoriert mich Tobi und flirtet mit einem dahergelaufenen Vamp, dann ist die Musik beschissen und die einzige, mit der ich dazu trotzdem Spaß haben könnte, ist mit einem Kerl anderweitig beschäftigt. Und jetzt sitze ich hier illegal mit Konrad auf einem Sofa und mache alberne Grimassen zu Menschen, die gar nicht anwesend sind. Ich sollte mehr trinken. Durch das Tanzen bin ich schon wieder viel zu nüchtern geworden und das kann ich heute Abend nicht gebrauchen. Ich erhebe mich gerade vom Sofa, als der Schnösel wieder vor uns auftaucht.
"Hier!" Er überreicht mir einen Riegel in blauer Verpackung. Ich bin etwas überrascht, dass er mir tatsächlich einen Snack geholt hat und dass dieser Club sowas anbietet. Perplex nehme ich ihn entgegen und wiege ihn unschlüssig in meinen Händen hin und her.
"Äh, danke! Das ist wirklich sehr nett von dir." Soll ich ihm jetzt das Geld dafür geben?
"Keine Ursache! Ich bin übrigens Alexander.", ruft er gegen die Musik an und kramt in seiner Hosentasche. "Das ist meine Visitenkarte. Da steht meine Nummer drauf. Falls dir wieder schwindlig wird." Er hält mir eine Karte hin, die ich verdattert ergreife. Visitenkarte? Trägt er davon immer mehrere in seiner Hosentasche herum? Ich lese, was auf darauf steht:
"Alexander von Schwartzberg,
Jura-Student"
Und darunter stehen seine Email-Adresse und seine Telefonnummer. Ich drehe die Karte um und sehe ein Logo aus seinem Namen. Wtf. Der hält sich wohl für den Oberknaller.
"Angenehm. Ich habe meine Visitenkarten für heute leider schon verteilt.", gebe ich sarkastisch zurück.
"Kein Problem. Du kannst mir auch deine virtuelle geben. Dann speichere ich sie in meiner Karten-App.", sagt er gönnerisch und überhört meinen Sarkasmus einfach.
Sicherlich nicht! Dem würde ich nicht mal meine Fake-Email-Adresse geben.
"Ach, weißt du, ich schreibe dich später einfach an. Dann hast du meine Nummer ja." Darauf kann er ewig warten.
"Na gut. Studierst du auch?" Alexander von Schwartzberg nimmt neben mir auf dem Sofa Platz. Ich rutsche instinktiv ein Stück von ihm ab und lande dabei fast auf Konrads Schoß. Der schaut Alexander immer noch verstört an.
"Ähm ja, Informatik.", antworte ich automatisch. Wie werde ich diesen Snob wieder los?
"Ah ja. Jura ist halt nicht für jeden was.", sagt besagter Snob und lächelt dabei ein wenig überheblich. Unverschämtheit.
"Was soll das heißen?", frage ich ihn streitlustig, doch ehe er darauf eingehen kann, taucht ein ebenso schick angezogener Macho vor uns auf.
"Hey Alexander, wen hast du uns denn da Hübsches geangelt?", fragt er offensichtlich betrunken und glotzt mir in den Ausschnitt meines schwarzen Tops, zu dem mir Sid am frühen Abend zusammen mit der engen Jeans geraten hat. Ich ziehe es provokativ bis zum Hals hoch.
Alexander legt den Arm um meine Schulter und beugt sich zu mir herunter.
"Wie heißt du denn?"
Ich schüttele seinen Arm grob ab.
"Dörte." Meinen echten Namen sage ich ihm ganz sicher nicht.
Alexander hält kurz irritiert inne, dann ruft er seinem Freund zu:
"Das ist Dora und sie studiert Informatik."
"Dörte.", verbessere ich grimmig. "Und ich muss jetzt aufs Klo.", füge ich hinzu und stehe ruckartig auf. Das überhebliche Gehabe von Alexander und die gierigen Blicke von dem anderen Lüstling kann ich mir nicht länger antun. Konrad erhebt sich ebenfalls und sieht mich erleichtert an.
"Du kommst danach aber wieder, oder?", schreit mir Alexander hinterher, doch ich tue so, als hätte ich es nicht gehört. Blödmann.
Als wir an der Bar angekommen sind, fragt mich Konrad: "Und jetzt? Gehen wir nach Hause?" Ich schüttele den Kopf, denn ich will den Abend noch nicht ganz aufgeben und außerdem habe ich soeben Tobi entdeckt, der alleine an der Bar steht. Ha! Das ist meine Chance. Ich lasse Konrad einfach stehen und schlängele mich an den vielen Menschen vorbei bis zu Tobi.
"Hey! Wie geht's?", fange ich ein Gespräch an. Oh Mann, noch langweiliger hätte ich nicht einsteigen können.
"Äh, ganz gut. Und dir?", gibt Tobi zurück.
"Auch ganz gut." Denk nach, Milla, welche spannenden Gesprächsthemen gibt es? Ich versuche mich an den Artikel über Fragen, die man beim ersten Date stellen kann und den ich letztens erst zufällig gelesen habe, zu erinnern. Leider ist nicht viel hängen geblieben.
"Was bringt dich so richtig zum Lachen?"
"Hä?"
Okay, das war wohl nicht die beste Frage zum Einstieg.
"Oder, was macht dich glücklich?", formuliere ich die Frage um. Nach Tobis verständnislosem Blick zu urteilen, ist das auch nicht besser.
Ich will gerade zu einer neuen Frage ansetzen, da höre ich es neben mir flöten: "Da bin ich wieder!"
Das Vamp-Girl... na toll. Sie trägt ein dunkelrotes, sehr knappes Kleid und klimpert mit ihren zentimeterlangen Wimpern. Die müssen künstlich sein. So lange Wimpern gibt es doch nicht in echt! Mich überkommt das Bedürfnis, daran zu ziehen und zu schauen, ob sie abgehen.
"Na, hast du mich vermisst?" Vamp-Girl lächelt so strahlend, als wäre sie eine Glühbirne. Ich möchte sie anschreien und befehlen, doch ein paar Watt herunterzuschalten, aber ich reiße mich zusammen und mache gute Miene zum bösen Spiel, mit einem ebenso breiten Lächeln.
"Ja sicher. Das ist übrigens Milla aus meiner Nachbar-WG.", stellt Tobi mich vor. Vamp-Girl dreht sich zu mir und ihr Lächeln wechselt in den Energiesparmodus.
"Freut mich. Ich bin Cora.", sagt sie und sieht dabei das Gegenteil von erfreut aus. Ja, das kann ich nur zurückgeben.
"Hallo.", erwidere ich lahm.
"Ich hätte noch Lust auf 'Sex on the beach'.", trällert Cora und lächelt Tobi dabei verführerisch an. Ein laszives Grinsen breitet sich auch auf seinem Gesicht aus. Das gefällt mir gar nicht und ich überlege fieberhaft, wie ich das Gespräch an mich reißen kann.
"Dörte!", ertönt in dem Moment eine laute Stimme hinter mir. "Da bist du ja!" Oh nein, nicht der schon wieder. Tobi und Cora schauen den schnöseligen Alexander einen Moment verdutzt an, dann widmen sie sich wieder ihrem anzüglichen Blickaustausch.
"Du wolltest doch wieder in den VIP-Bereich kommen!" Nein, wollte ich nicht. Zisch ab!
"Wieso gehst du nicht schon mal vor? Und ich gehe noch schnell aufs Klo.", sage ich mit einem erneuten unschuldigen Augenaufschlag.
"Ach, ich warte hier." Och, komm schon.
"Es wird aber dauern.", versuche ich ihn vom Warten abzuschrecken.
"Kein Problem."
Ich runzele die Stirn. Wieso ist er denn so hartnäckig? Der soll mich gefälligst in Ruhe lassen. Ich überlege, ob ich wirklich einfach aufs Klo verschwinden soll, aber ich will Tobi und Cora nicht allein lassen. Sie schauen sich gerade eindeutig zu tief in die Augen.
"Hey, willst du mir einen Drink spendieren?", frage ich also, um eine Ausrede zu haben, noch länger hier stehen zu bleiben.
"Klar! Was willst du?"
Was braucht am längsten Zeit, um hergestellt zu werden?
"Einen heißen Punsch."
Alexander runzelt die Stirn. "Ich glaube nicht, dass die im Frühling sowas anbieten."
"Ich will aber nichts anderes."
"Okay, dann werde ich mal nachfragen." Er zieht von dannen. Und ich richte meine Aufmerksamkeit auf die zwei Turteltäubchen. Was sage ich jetzt nur, um sie vom Schmachten abzuhalten?
"Was war denn eigentlich in dem Paket, dass du gestern bei uns abgeholt hast, Tobi?", frage ich schließlich, denn das hat mich die ganze Zeit schon brennend interessiert. Tobi schaut mich eine ganze Weile befremdet an, bis er meine Frage endlich verarbeitet hat. Dann grinst er. "Das ist nicht jugendfrei.", sagt er und wirft Cora einen vielsagenden Blick zu. Die kichert ihr Glöckchen-Lachen und schon widmet Tobi ihr wieder seine volle Aufmerksamkeit. Das darf nicht wahr sein! Unbehaglichkeit und Frust machen sich in mir breit.
"Hey Dörte, die haben weder die Zutaten für einen Punsch noch einen Herd, um ihn zu erhitzen. Ich habe schon mit meinen Anwälten gedroht, aber ich schätze, da lässt sich nichts machen." Alexander ist plötzlich wieder neben mir aufgetaucht und schaut mich resigniert an. Er wollte doch nicht ernsthaft seine Anwälte wegen so einer Lappalie einschalten? Tickt der noch ganz richtig?
"Na gut, dann nehme ich einen Martini. Geschüttelt, nicht gerührt." Keine Ahnung, was da drin ist, aber ich hätte jetzt gerne ein James-Bond-Feeling.
"Okay." Alexander schnippst den Barkeeper herbei.
"Ist das deine Freundin mit den Extra-Wünschen?", fragt dieser genervt und verdreht die Augen. Oh, das ist mir jetzt irgendwie unangenehm.
"Nur Standard-Ansprüche zu haben wird einem im Leben nicht viel weiter bringen.", tönt Alexander blasiert und reckt das Kinn in die Höhe. "Mir zum Beispiel hat das Abitur nie gereicht. Ich bin erst zufrieden, wenn ich eine renommierte Anwaltskanzlei in New York besitze." Würg. Wie hochnäsig kann man sein? Ich trete zwei Schritte zurück, um hinter seinem Rücken zu verschwinden. Aus dem Augenwinkel beobachte ich wie Tobi und Cora zum Knutschen übergegangen sind. In mir zieht es sich zusammen und mich juckt es in den Fingern, Cora jedes ihrer Seidenhaare einzeln auszureißen. Und dann die Wimpern.
"Natürlich habe ich mit meinem Abitur von 1,2 die besten Voraussetzungen, um auch das Jura-Studium exzellent abzuschließen.", prahlt Alexander weiter und vergewissert sich mit einem Blick nach hinten, dass ich ihn auch höre. Ich bin jedoch in Gedanken immer noch dabei, Cora alle erdenklichen Schmerzen zuzufügen und erschrecke dabei vor mir selbst. Eigentlich würde ich mich nicht als sonderlich gewalttätig oder krankhaft eifersüchtig bezeichnen, aber seit den zwei Unterhaltungen mit Tobi auf dem Balkon, muss ich ziemlich oft an ihn denken und will ihn nicht gleich an eine dahergelaufene Vamp-Schnepfe verlieren, bevor er mich richtig kennengelernt hat.
"Und jetzt, wo ich jeden Tag in einem AMG zur Uni fahre, kann ich mich noch besser auf mein Studium konzentrieren.", gibt Alexander weiter an.
Soll ich Cora einfach von hinten anrempeln? Dann müsste sie ihr ekliges Herumgesabbere beenden. Sie küsst aber auch wirklich komisch.
"Ab morgen habe ich auch endlich einen Privatparkplatz direkt neben dem Seiteneingang. Da spare ich zusätzlich unglaublich viel Zeit."
Andererseits weiß ich nicht, ob ich das Anrempeln so beiläufig hinbekomme. Und dann wäre meine Eifersucht zu offensichtlich.
"Und weil der Uni-Präsident ein guter Freund von meinem Vater ist, legt er bei meinen Dozenten ein gutes Wort für mich ein, wenn es um den Stundenplan geht."
Wiederum andererseits fällt mir nichts Besseres ein, was Cora davon abhalten würde, ihre Zunge in Tobis Mund zu stecken und ihn am Magen zu kitzeln.
"Sonst überschneiden sich die Kurse mit meinen Business-Kursen, die ich zusätzlich zum Jura-Studium belege."
Aber wie soll ich am besten vorgehen?
"Dörte, hörst du mir überhaupt zu?", fragt Alexander argwöhnisch.
"Ja, ja. Das hört sich alles sehr spannend an!", antworte ich abwesend.
"Hier ist der geschüttelte Martini." Der Barkeeper übergibt Alexander meinen Drink, der ihn wiederum an mich weiterreichen will. Da kommt mir eine Idee. Ich tue so, als würde ich stolpern und stoße dabei heftig gegen Alexander, der dadurch ins Wanken gerät und sich mit einem Schritt zur Seite wieder auffangen will. Dabei rempelt er ausversehen Cora an und verschüttet auch noch die Hälfte des Martinis auf deren Kleid. Die schreit entsetzt auf und schaut fassungslos an sich hinunter.
"Oh, das tut mir furchtbar leid!", ruft Alexander und legt sich eine Hand auf die Brust.
"Wegen dir ist mein Kleid ruiniert! Weißt du eigentlich, wie teuer das ist?", quakt Cora lauthals.
"Für sowas habe ich eine gute Haftpflichtversicherung abgeschlossen! Warte, ich rufe soeben meinen Kontakt dort an.", sagt Alexander und will nach seinem Handy greifen.
"Ach, vergiss es!", schnaubt Cora wütend. "Ich will jetzt gehen. Das ist mir hier eh zu voll. Kommst du, Tobi?" Sie wartet seine Antwort gar nicht ab, sondern rauscht stinkig an uns vorbei. Tobi zuckt entschuldigend mit den Schultern und setzt sich ebenfalls in Bewegung.
'Halt!', will ich schreien, doch ich bekomme keinen Ton heraus, so überrumpelt bin ich von der Wendung, die diese Geschichte genommen hat. Ich stehe noch ein paar Sekunden mit großen Augen in der Gegend herum, bis ich mich wieder gefangen habe. Was soll ich jetzt tun? Ihnen hinterherrennen? Nee, das ist nun wirklich zu viel des Guten. Aber ich kann Tobi doch nicht einfach so aufgeben!
Doch! Du bist jetzt schon erbärmlich genug, meldet sich nach langer Zeit mal wieder meine Vernunftsstimme. Ohne sie hat es mir besser gefallen. Du reißt dich jetzt gefälligst zusammen und vergisst den Typen. Der hat kein Interesse an dir. Aber wir wollten doch zusammen auf einen anderen Planeten auswandern. Und wir haben uns so gut verstanden! Als würde uns ein unsichtbares Band verbinden. Er sieht das scheinbar anders. Aua. Dein ganzes Rumgesülze ist lächerlich. Hör auf zu jammern und setz' deine rosarote Brille ab. Das wird nichts.
Manno. Ich ziehe eine frustrierte Schnute.
"Soll ich dir einen neuen Martini bestellen?", reißt mich Alexander aus meinem inneren Konflikt. Er glaubt wohl, dass mein leidender Gesichtsausdruck vom Verlust des halben Cocktails herrührt. Ich nicke, denn ich muss jetzt dringend meinen Frust in Alkohol ertränken.
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Na, wie findet ihr Cora und Alexander?
Tragt ihr auch immer eure Visitenkarten in der Hosentasche herum?
Wenn ja, gebt ihr diesem Kapitel jetzt ein Sternchen!
Wenn nein, auch ;) <3
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