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Kapitel 1

Ich hatte Lust, mal meine Protagonistin zu zeichnen! Leider ist sie mir doch etwas zu hübsch geraten... Eigentlich wollte ich sie durchschnittlicher aussehen lassen ;)
Und jetzt viel Spaß beim ersten Kapitel!

♡❤♡

Ich stehe in einem Meer aus vollgepackten Kartons und frage mich, wie ich so viel Kram ansammeln konnte. Sehr viel überflüssigen Kram obendrein! Aus einem der Kartons ragt eine Spielzeug-Angel, mit der ich in Kindertagen gerne Plastikfische gefangen habe. Als allerdings ein Fisch nach dem anderen auf nebulöse Weise verschwunden war, verbannte ich die Angel samt Plastikwurm in die Tiefen meines Schranks und vergaß sie. Das gleiche Schicksal ereilte auch die sprechende Spinne, die portable Alarmanlage aus einer Zeitschrift der Sendung mit der Maus und mein Kinderfernglas, obwohl sie mir wirklich gute Dienste geleistet hatten.

Das Tolle an der Spinne war, dass sie mit Hilfe ihrer integrierten Aufnahme- und Wiedergabefunktion alles, was ich ihr vorsagte, in einer quietschenden Stimme nachsprach. So konnte ich mir den fiesen, überdimensionalen Nachbarsjungen vom Leib halten, als ich herausfand, dass er an einer Spinnenphobie litt und Tara Tarantel tatsächlich für echt hielt. Nach Taras bedrohlich gewispertem "Komm Milla nicht nochmal zu nahe, sonst werde ich meine giftigen Beinhaare auf dich schießen!" machte der reumütige Klops einen großen Bogen um mich.

Die Alarmanlage kam dagegen bei meinen geliebten Schokopuddings zum Einsatz, die sich über Nacht in Luft aufzulösen pflegten. Nur die leeren Schalen blieben jedes Mal als Denkmäler für den himmlischen Genuss zurück, der mir verwehrt blieb. Ich sah mich also gezwungen, eines Nachts die Alarmanlage geschickt an der Tür des Kühlschranks zu befestigen und darauf zu warten, dass sie den Verbrecher in die Flucht schlug, ehe er mich erneut meines Schmauses beraubte. So geschah es. Nur, trieb es auch den Rest meiner Familie panisch in die Küche, wo ich mich für die nächtliche Unruhe verantworten musste. Immerhin entlarvte ich dabei den Dieb: es war mein unersättlicher Stiefbruder Phil. Nach dieser Nacht verschwand kein einziger Schokopudding mehr.

Für mein Kinderfernglas fand ich Verwendung, als die Mathe-Hausaufgaben zu schwer wurden und sich außerdem eine fundamentale Faulheit meiner bemächtigte. Erfreulicherweise hatte ich volle Sicht auf das Wohnzimmer der Familie eines meiner Mitschüler, der nebenan wohnte und für gewöhnlich seine Hausaufgaben am Wohnzimmertisch machte. Mit meiner Faulheit kamen zum Glück auch die genialen Einfälle. Und so griff ich nach dem Fernglas und musste eine ganze Weile keine Energie mehr für Mathe verschwenden, bis Mama allerdings von meinen schlechten Noten Wind bekam. Während sie mir eine Standpauke hielt, räumte ich das Fernglas in die hinterste Ecke meines Schrankes zu Tara Tarantel, der Alarmanlage und der Plastikangel mit dem Plastik-Wurm.

All diese lebensnotwendigen Dinge waren vor zwei Tagen wieder aufgetaucht, als ich meine Habseligkeiten für den Umzug zusammengepackt hatte. James, mein Stiefvater und beruflicher Taxifahrer, hatte extra das Großraumtaxi ausgeliehen und dennoch mussten wir dreimal hin- und herfahren, um alle Kartons und Möbel in meine neue 3er-WG zu transportieren. Das hätte ein ziemlich anstrengender und nerviger Tag werden können, hätte James nicht wie üblich seine gute Laune verbreitet und Cosima glucksend über seine schlechten Witze gelacht.

Cosima ist meine fünfjährige Halbschwester und einfach zuckersüß. Jedem, dem sie begegnet, zaubert sie ohne Mühe ein Lächeln auf die Lippen. Sie war übrigens alles andere als begeistert, dass ich nun erst mal woanders wohnen würde und für sie abends keine Gute-Nacht-Geschichte mehr erfinden könne. Erst, als ich ihr den sprechenden Schmetterling schenkte, den ich damals in einem Doppelpack mit der sprechenden Spinne bekommen hatte, konnte ich sie einigermaßen beruhigen. Die Spinne wollte sie nicht haben...

Außerdem musste James ihr versprechen, an meiner Stelle die Geschichte vom weißen Hoppelhäschen namens Cosima und seinem braunen, ebenso flauschigen Gefährten - auch namens Cosima - weiterzuerzählen. Die Namen haben sie von meiner Halbschwester, denn sie benennt grundsätzlich alles nach ihr. Auch ihre Kuscheltiere heißen alle Cosima. Außer das Schwein. Das heißt Milla, weil Cosima findet, es sähe mir so ähnlich. Danke.

Leider erzählt sich die Geschichte der beiden Hasen ziemlich umständlich, wenn man ständig erklären muss, welche der beiden Cosimas jetzt gemeint ist. Und James würde das wohl komplett verwirren.

Er ist Cosimas Vater und Mamas Freund seit neun Jahren. Ich habe ihn damals sofort ins Herz geschlossen, als Mama und ich mit ihm und seinem damals neunjährigen Sohn Philipp zusammengezogen waren. Schließlich hatte ich bis dahin nie so etwas wie einen Vater gehabt und außerdem behandelte James mich seit dem ersten Tag wie eine Prinzessin. Das gefiel mir natürlich sehr gut, obwohl ich ihn nicht verstehen konnte, weil er damals nur sehr schlecht Deutsch sprach...

Plötzlich klopft es an der Bodenluke und ich schrecke aus meinen Gedanken hoch. Wer mag das sein? Vorhin hatte die Wohnung uns doch noch mit gähnender Leere begrüßt. Da die beiden anderen Zimmer bei meiner Ankunft schon belegt waren, musste ich mit dem Dachbodenzimmer Vorlieb nehmen. Es umfasst nur zwölf Quadratmeter, was zwar immer noch drei Quadratmeter größer ist als mein altes Zimmer, aber im Vergleich zu den anderen beiden Zimmern der WG doch deutlich kleiner. Dafür hat es aber ein großes Fenster in der linken Dachschräge und ich kann hoffentlich gut sternegucken. Mein Kinderfernglas will ich schließlich nicht sinnloserweise mitgenommen haben. Sonst muss ich noch darauf zurückgreifen, potenziell heiße Nachbarn auszuspionieren.

Es klopft wieder. "Herein!", rufe ich und mache zwei Schritte bis zur Luke, ehe sie mit einem Ruck aufklappt. Vor mir schiebt sich ein sehr schlankes, hochgewachsenes Mädchen mit schwarzen Stoppelhaaren durch die Öffnung. Das muss meine neue Mitbewohnerin sein.

Sie ist so groß, dass sie nur in der Mitte des Zimmers aufrecht stehen kann. Deshalb wollte sie wohl das Dachbodenzimmer nicht. Sie trägt schwarze Boots, ein schwarzes Kleid mit einem Tiefsee-Ausschnitt, das ihre doch sehr beträchtliche Oberweite zur Geltung bringt, und eine schwarze Netzstrumpfhose. Ihr Gesicht ist mit mehreren Piercings geziert: ein Ring durch die Nasenscheidewand, ein Edelstein mittig über der Oberlippe, ein offener Ring durch die Mitte der Unterlippe und außerdem glänzt ein Edelstein auf ihrem linken Wangenknochen. Von den Ohrpiercings will ich gar nicht erst anfangen. Trotz ihres sonst so ruppigen Erscheinungsbildes komme ich nicht umher, zu bestaunen, was für ein hübsches Gesicht sie doch hat. Ihre großen Katzenaugen strahlen in einem so hellen Blau, wie ich es sonst nur von Karibikstränden kenne. Die vollen, rosa Lippen sind fein geschwungen, ihr Teint gleicht Porzellan und ihre Nase ist klein und stupsig. Meine sieht dagegen aus wie eine fette Kartoffel. Wären diese ganzen Piercings und die dunkle Kleidung nicht, sähe sie aus wie ein fleischgewordenes Püppchen. Ein sehr großes Püppchen.

"Hallo, ich bin Sid", sagt sie und streckt mir freundlich ihre Hand entgegen. Perplex greife ich danach und schüttele sie. Sid? Was ist das denn für ein Name? Sie sieht mir die Verwirrung wohl an, denn sie erklärt: "Wie das Faultier aus Ice Age." und zwinkert schelmisch. Aha, schräg. Ihre Eltern müssen unglaubliche Fans von Ice Age sein. Wie James von Asterix und Obelix. Gott sei Dank, hat keines seiner Kinder so einen Namen abbekommen! Cosimix, Phillipix... schrecklich.

"Ach schön, äh, ich bin Milla", stammele ich. Sid lächelt herzlich und dabei bilden sich niedliche Grübchen in ihren Wangen.

"Hast du Lust auf ein Bier?", fragt sie und, ohne eine Antwort abzuwarten, klettert sie die kleine Holztreppe hinunter, die in das Wohnzimmer führt.

"Ähm... Ja klar!", rufe ich ihr hinterher. Kartons auspacken kann ich ja auch noch morgen.

Auf dem Weg schaue ich mir die Wohnung nochmal genauer an. Sie ist wirklich wunderschön. Das große Wohnzimmer wirkt mit seinem hellbraunen Holz-Stil und den schrägen Dachbalken sehr gemütlich. Durch die vielen Fenster scheint das helle Sonnenlicht und zeichnet die Muster der durchscheinenden Vorhänge auf das Parkett. Mein Blick gleitet über das große, bequeme Ecksofa, das ich am liebsten gleich mit einem Hechtsprung erobern will. Ihm gegenüber steht ein Fernseher auf einem Holztisch und wartet darauf, dass ich ihn einschalte und meinen "Breaking Bad"-Marathon fortsetze und mir dabei eine Laster-Ladung Chips einverleibe. Mmh-hm, das wird mein neuer Lieblingsort in der Wohnung sein. Ich gehe am Sofa vorbei zur Küche, die ebenfalls aussieht wie einer Zeitschrift für schönes Wohnen entsprungen.

Ich kann immer noch nicht glauben, dass ich das nächste Semester hier residieren darf. Eigentlich wird das Apartment an Touristen vermietet, die am wunderschönen Bodensee ihre Seele baumeln lassen wollen, aber da wir uns gerade in der Nebensaison befinden, würde sie sowieso leer stehen. Also beschloss die Vermieterin, sie in der Zeit einfach an Studenten zu vermieten. Und zwar recht billig. Sie meinte, dass sie schon so viel Geld in der Hauptsaison einnehmen würde, dass sie nicht noch armen Studenten das Geld aus der Tasche ziehen müsse, hatte Tante Rosa mir erzählt. Die Vermieterin war nämlich eine alte Schulfreundin von ihr, weshalb ich es überhaupt in die Endauswahl für diese Wohnung geschafft hatte. Den Gefallen, den mir Tante Rosa damit tat, reibt sie Mama bestimmt stündlich unter die Nase.

Sid steht am offenen Kühlschrank und angelt sich zwei Bier aus dem Seitenfach. "Ich habe mich ein bisschen ausgebreitet", sagt sie. Der proppenvolle Kühlschrank scheint sie mit seinem Ächzen für ihre Untertreibung auszulachen.

"Du kannst meine Sachen einfach beiseite schieben, wenn du mehr Platz brauchst." Gibt es ein Geheimfach als zusätzlichen Stauraum, oder wie soll das gehen?

"Danke, das mach' ich.", erwidere ich zögernd. Sie hält mir das Bier hin, das ich sogleich entgegen nehme. Je mehr Bierflaschen wir leeren, desto mehr Platz wird für meine Lieblingsschokopuddings frei, die ich mir hoffentlich am Montag beim Supermarkt um die Ecke holen kann.

"Lass uns auf den Balkon gehen.", fordert sie mich auf und leitet mich den Flur entlang durch eine Glastür auf den schnuckligen Balkon hinaus. Schnucklig deswegen, weil hier einfach überall Pflanzen herumstehen und vor sich hin photosynthetisieren. In einer Ecke liegt ein Stapel flauschiger Decken, den wir sicherlich brauchen werden, denn für April ist es echt saukalt.

"Und jetzt erzähl mal, Milla, was bringt dich hier her?", fragt mich Sid neugierig, nachdem wir uns auf eine türkis gestrichene Holzbank zwischen zwei buschigen Pflanzen gesetzt haben.

Ich erzähle ihr, dass ich vor einem halben Jahr mein Abi bestanden habe (mehr schlecht als recht) und danach vier Monate in einer Fahrradwerkstatt gearbeitet habe, bis mich die Fahrräder sogar in meine Träume verfolgten und mein trostloser Lebensinhalt aus nichts anderem mehr bestand. Bevor mir noch zwei Räder und ein Lenkrad wuchsen, kündigte ich schließlich den Job. Das einzig Gute war, dass mir dort endlich jemand das Radfahren beibrachte. Meine Mutter hatte das in meiner Kindheit einfach vergessen.

Da ich mir nicht vorstellen konnte, nochmal eine so eintönige Arbeit zu machen und der Stellenmarkt nichts Besseres hergab, beschloss ich, dass es Zeit für den ersten Schritt auf meiner Karriereleiter war. Nur, in was sollte ich denn Karriere machen? Es hatte kein Fach gegeben, in dem ich besonders gut gewesen war.

In Mathe kam ich nach der ersten Erwähnung von 'x' nicht mehr mit. Ich hatte ja wirklich lange gebraucht, um mich mit Zahlen anzufreunden. Und wofür? Dafür, dass sie nach ein paar Jahren gewaltsam von Buchstaben verdrängt wurden?

Und in Deutsch verstand ich nie den Sinn hinter einer Gedichtinterpretation und schrieb stattdessen mein eigenes Gedicht:

Deutsch ist doch scheiße,
Lehrer haben 'ne Meise.
Gib mir jetzt 'ne eins
Oder das ist das Ende deines Schienbeins.

Das Gedicht kam nicht gut an. Wahrscheinlich haben Deutschlehrer schon im Sandkasten nur mit rhetorischen Figuren gespielt und auf Schnitzeljagden nach dem Wortschatz gesucht. Verständlich, dass sie also zu Personifikationen von Frust heranwuchsen und meine Note als Stilmittel zum Zweck missbrauchten, um sich besser zu fühlen.

Auch die Naturwissenschaften wurden mir irgendwann zu langweilig, denn mit dem Einzug der Nomenklatur ging der Auszug der Freude einher: wir hörten auf, Experimente durchzuführen und ich konnte keine Reagenzgläser mehr explodieren lassen.

In Kunst gab sich Herr Geschwafel (so hieß er nicht in echt; seine Schüler nannten ihn nur so) zwar deutlich Mühe, meine Zeichnungen und Skulpturen sehr wohlwollend zu begutachten, aber es reichte trotzdem nur für eine vier. Und das, obwohl ich wirklich ein Auge für Details entwickelte und mir bei gewissen Körperteilen meiner Adonis-Interpretation besonders viel Mühe gab.

Von Religion will ich gar nicht erst anfangen. Der Lehrer hatte mich aufgegeben, nachdem ich ihn eine ganze Stunde lang skeptisch all das gefragt hatte, was für mich in der Bibel keinen Sinn ergab. Am Ende betete er nur, Gott möge mich trotz meines Misstrauens in die Reihe seiner Schäfchen aufnehmen.

Und so weiter.

Wie man sieht, war guter Rat in meiner Karrierefrage teuer. Auch das Seminar, in dem ich meinen geheimen Berufswunsch herausfinden sollte, kam letztendlich nur zu dem Schluss, dass ich am liebsten überhaupt nicht arbeiten wollte. Ja besten Dank, darauf wäre ich wohl nie allein gekommen.

Also blieb mir nichts anderes übrig, als mich an meine Mutter zu wenden, obwohl ich genau wusste, wo sie mich am liebsten sehen würde. Nämlich bei Google im Silicon Valley. Dort, wo die reichsten Menschen der Welt arbeiteten, bzw. gearbeitet haben und reich geworden sind, wie sie in ihrer Lieblingszeitschrift ("The Boss Lady") gelesen hatte. Da weder Mama noch James bei ihrer Arbeit viel verdienten, hatten wir es schon immer schwer gehabt über die Runden zu kommen. Ich trug daher nur abgetragene Klamotten von meiner drei Jahre älteren Großcousine, die einen fürchterlichen Geschmack hatte: Sie lief am liebsten in Oma-Gardinen herum. Das musste ich dann ebenfalls. Etwas Gutes hatte die Sache trotzdem: Ich konnte mich auf Familienfeiern perfekt tarnen, wenn ich mich neben den Vorhang stellte und damit schlabbrigen Bussis ausweichen.

Auch meine Geschenke zu Weihnachten und zu meinen Geburtstagen fielen entsprechend mickrig aus und wurden stets beim Flohmarkt um die Ecke erworben, wie die Plastikangel mit den Plastikfischen. Nur die Labertiere Tara Tarantel und Cosima Schmetterling bekam ich ungebraucht als Belohnung dafür, dass ich nach der Blinddarmoperation beim Kreischen die höchsten Oktaven vermied.

Wenn in einem Jahr schon die Waschmaschine repariert werden musste, wurde mir statt eines Spielzeugs aber nur ein schicker, neuer Haarschnitt zu den Feiertagen geschenkt, den mir meine Mutter als berufliche Friseurin eigenhändig verpasste. Einmal trug ich innerhalb von drei Monaten vier verschiedene Frisuren: Zu Weihnachten, Ostern, meinem Geburtstag und meinem Halbjahreszeugnis, das damals noch gut ausgefallen war und etwas Anerkennung verdiente. Nach diesem Vierteljahr blieben mir fast keine Haare mehr auf dem Kopf.

Kein Wunder, dass mich meine Klassenkameraden seltsam fanden, wenn ich als wandelnde Gardine mit monatlich wechselndem Haarschnitt im Klassenzimmer auftauchte. Zumal meine Mutter eine andere Definition von 'schickem' Haarschnitt hatte als alle anderen, denn sie war geschmacklich in den Achtzigern bei den stufigen Vokuhila-Frisuren hängengeblieben.

Am schlimmsten fand ich es, wenn Tante Rosa mit ihrer Tochter Malina zu uns zu Besuch kam. Die waren nämlich das genaue Gegenteil von uns: Sie trugen immer die neuesten Trends, achteten generell penibel auf ihre äußerliche Erscheinung, gaben sich zielstrebig und wirkten so intelligent wie Albert Einstein. Malinas schlechteste Note war eine zwei und ich will gar nicht wissen, was das für ein Theater gegeben hat. Tante Rosa quittierte das bestimmt mit zwei Wochen Hausarrest, denn so eine schlechte Note durfte im Hause 'Chenet' (Rosa hatte einen Franzosen geheiratet) schlichtweg nicht vorkommen.

Währenddessen hatte James uns, wenn Phil und ich denn mal eine zwei hatten, mit einem herausgeputzten Taxi und einer uralten 'Burger King' - Krone auf unseren Köpfen zu unserem Lieblingsimbiss kutschiert und uns auf der Fahrt seinen Lieblings-Reggae-Song um die Ohren geträllert. Wir hatten nur leider fast nie eine zwei.

James sah alles, was mit der Schule zu tun hatte, immer sehr locker. Wir könnten ja schließlich auch ohne Abschluss noch Taxifahrer werden. Und generell solle man das Leben nicht so schwer nehmen, sagt er immer noch ständig. Da kommt die Mentalität des Jamaikaners in ihm hervor, die er natürlich beibehalten hat, als er vor zehn Jahren nach Deutschland kam. Leider ist meine Mutter nicht mal halb so entspannt. Sie wollte schon zu meiner Schulzeit, dass ich so gute Noten schrieb wie Malina und hatte mir alle Nachhilfe-Lehrer im Umkreis auf den Hals gehetzt. Dabei wurde ersichtlich wie neidisch sie auf ihre Schwester und deren Vorzeigekind war und es immer noch ist. Andauernd erzählte sie mir, Phil und James, was es neues Großartiges bei den Chenets gab. Und dann versuchte sie, genau dasselbe - oder vorzugsweise besser - bei uns umzusetzen. James lachte nur. Aber Phil und ich schauten uns jedes Mal zutiefst genervt an.

Dementsprechend wollte meine Mutter nichts anderes, als dass ich einen Studiengang absolvierte, der mich reich machte und unsere Familie gleich mit. Einen, mit dem ich im Silicon Valley arbeiten und sie endlich nach Kalifornien ziehen könnte. Nämlich Informatik. Was wir nach einmal googeln herausfanden. Informatik! Uff. Das war so verlockend wie ein Bachelor in Blockflöte. (Das gibt es tatsächlich. Habe ich durch das Googeln ebenfalls herausgefunden.)

Als ich keine bessere Alternative vorweisen konnte (zum großen Teil auch, weil mein Abi so grottig ist), setzte meine Mutter mit ihrer perfiden Überredungsstrategie an. Die bestand wie üblich aus einer Mischung aus perfekter, glücklicher Zukunft (die auf mich warten würde, wenn ich ihrem Rat folgte), dem Gegenteil davon (wenn ich ihrem Rat nicht folgen würde; nämlich ein Weltuntergangsszenario) und natürlich ganz viel emotionale Manipulation à la "Denk doch auch mal an James, Cosi, Phil und mich." (die doch auch nicht für immer in dieser winzigen Vierzimmerwohnung bleiben wollten). Dieser geballten Ladung an Scheinargumenten konnte ich nicht standhalten und willigte ein, es doch wenigstens einmal mit Informatik zu versuchen. Und James meinte, danach könne ich ja immer noch Taxifahrerin werden.

Und jetzt sitze ich hier auf dem Balkon in meiner neuen WG und unterhalte mich mit meiner neuen Mitbewohnerin. Sie erzählt mir gerade, dass sie Physik mit Schwerpunkt Astronomie studiert und mir fallen beinahe die Augen aus dem Kopf. Ihrem Aussehen nach dachte ich eher, sie studiere so Grufti-Wissenschaften. Irgendwas mit Metal, Tod und vielen Sechsen.

"Seit wann wusstest du, dass du Physik studieren willst?", frage ich sie beeindruckt.

Sie überlegt kurz und trinkt einen Schluck aus ihrer Bierflasche. "Eigentlich wollte ich pure Astronomie studieren, aber das wird in Deutschland fast nirgends angeboten. Also habe ich mich dazu entschieden, auf Physik umzusatteln und von dort aus Astronomie zu vertiefen... Außerdem wollte ich schon immer Astronautin werden und dafür ist ein naturwissenschaftlicher Studiengang wie Physik, Biologie und Chemie sinnvoll, denn Astronauten führen vor allem Versuche im Weltall durch, um die Auswirkung der Schwerkraft beziehungsweise der geschwächten Schwerkraft im All auf Flora und Fauna zu untersuchen", sprudelt sie hervor. Mir schwirrt der Kopf. Wow. Ich habe sie definitiv unterschätzt.

"Ich hatte schon immer so ein Ding mit der Schwerkraft. Ich wollte mich einfach nicht von ihr beherrschen lassen. Das hat mich ein paar gebrochene Gliedmaßen gekostet, wenn ich versucht habe, davonzufliegen. Deswegen träume ich insgeheim davon, einen Weg zu finden, sie auszuschalten. - Zumindest für ein paar Momente am Tag... Wenn ich diesen Weg dann auch noch als Astronautin auf der ISS finden würde, wäre mein Lebensziel mehr als nur erreicht", fährt sie fort und strahlt dabei über das ganze Püppchen-Gesicht.

Krass. Ich weiß nicht, was ich erwidern soll. Sie scheint ihren Sinn des Lebens schon gefunden zu haben. Und ich? Ich bin gerade noch dabei, zu lernen, wie man "Sinn des Lebens" schreibt.

Ich knibbele an meinen Fingernägeln herum, wie immer, wenn ich das Gefühl habe, ich müsste etwas (in dem Fall mein Leben) besser unter Kontrolle haben.

"Das hört sich echt toll an! Wie finden denn deine Eltern, dass du später mal ins All fliegen willst?", frage ich aus Ermangelung einer besseren, tiefgründigeren Frage. Meine Mutter würde jauchzen vor Freude, platzen vor Stolz und übersprudeln vor Glück. Alles gleichzeitig. Sie hätte plötzlich die Anerkennung, die sie sich immer wünscht. Und ich vermutlich auch.

Sids Gesicht verdüstert sich auf einen Schlag. "Lass uns über was Anderes reden!", fordert sie barsch. Ich zucke erschrocken zurück.

"O-okay gerne. Über was denn?", stammele ich. War ihr das zu persönlich oder sind ihre Eltern einfach scheiße? Oder beides?

Einen Moment sitzt sie schweigend da und ihr Blick geht ins Leere, als würde sie einer Erinnerung nachspüren. Dann schüttelt sie die Emotionen ab und richtet ihren, nun freundlicheren Blick, wieder auf mich.

"Was ist dein Lieblingsdinosaurier?", fragt sie grinsend.

Mir muss mein "Hä?" wohl auf der Stirn geschrieben stehen, denn sie fügt hinzu:

"Das werde ich andauernd in meiner Dating-App gefragt. Ist wohl der neue Smalltalk-Trend für die Leute, die Smalltalk hassen." Sie verdreht die Augen. Was? Hat sie ihre gewünschte Altersspanne auf 'fünf bis sieben Jahre' eingestellt, oder wie?

"Ähm", mache ich und überlege. Was gab es überhaupt für Dinosaurier? Ich kann mich nur noch an den Tyrannosaurus Rex erinnern, aber den nimmt bestimmt jeder. Und ich will ja keinen langweiligen Eindruck machen. Auf einmal kommt mir die Kinderserie 'Urmel aus dem Eis' in den Sinn. Hatte das nicht irgendwas mit Dinos zu tun?

"Der Urmelsaurus ist mein liebster", rate ich auf gut Glück und trinke einen Schluck Bier.

"Ausgezeichnete Wahl!", lobt sie anerkennend, aber mir ist das kurze Stirnrunzeln nicht entgangen. Sie blufft also auch nur.

Ich grinse. "Und deiner?"

"Der Stegosaurus", erwidert sie mit ernster Miene. Aha.

"Oh, den hätte ich auch beinahe genommen!", rufe ich gespielt erfreut aus.

Wir müssen beide lachen.

Danach unterhalten wir uns noch über alles Mögliche: Den kommenden Sommer, der mein Dachbodenzimmer vermutlich in einen Ofen verwandeln wird, das Studentenleben und seine Vorzüge, und, und, und... Dabei trinken wir ein komplettes Kühlschrankfach an Bierflaschen leer. Meinen Lieblingsschokopuddings steht nun also nichts mehr im Wege!

♡❤♡

Na, wie gefällt es euch bis jetzt?

Wurdet ihr in einer Dating-App auch schon nach eurem Lieblingsdinosaurier gefragt? 

Wenn ja, dann gebt ihr diesem Kapitel jetzt ein Vote! (Und wenn nicht, dann auch :p)

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