14.
„In Ordnung. Ich bringe ihn sogleich an Ihren Tisch. Sie haben ja gerade freie Auswahl."
Er wirft mir einen bedeutungsvollen Blick zu und deutet dann auf die leeren Tische hinter mir. Ich nicke, wende mich lächelnd von ihm ab und setze mich an einen Platz direkt am Fenster. Vor mir breite ich schonmal meinen Laptop aus, um weiterarbeiten zu können. Regenwetter passt dafür doch perfekt.
„Hier, Ihr Blaubeersaft." Er stellt mir ein großes Glas mit der leuchtend blauen Flüssigkeit vor die Nase. Daneben noch eine kleine Schale mit ganzen Heidelbeeren, Erdbeeren und hauseigenen Keksen.
„Oh, Dankeschön." Ich lächele ihn überrascht über den Zusatz an, worauf er sich nur auf die, inzwischen nicht mehr ganz so blaue Lippe beißt und dann rasch wieder von mir abwendet, um zurück hinter die Theke zu gehen. Kurz davor dreht er sich jedoch nochmal um, als hätte er etwas vergessen.
„Guten Genuss", wünscht er mir und in seinem Blick liegt etwas, das mich jetzt nur noch neugieriger auf diesen Saft werden lässt.
Vorsichtig nehme ich einen Schluck und spüre sofort die Explosion in meinem Mund. Wow ich kann ihn verstehen. An dieses Aroma-Erlebnis kann man sich leicht gewöhnen. Ich merke, wie meine Zellen und müden Gehirnsynapsen dieses Elixier sofort in sich aufsaugen. Ist wohl genau das Richtige, um jetzt arbeiten zu können.
Kurz darauf will ich den nächsten Schluck nehmen doch merke, dass ich in der Zwischenzeit das ganze Glas wohl schon ausgetrunken habe. Das ging aber schnell.
Enttäuscht stelle ich es wieder zurück auf den Tisch und widme mich stattdessen den Köstlichkeiten in der Schüssel, während ich mit der anderen Hand zugleich weiter über die Tasten tanze.
Heute scheint ein guter Tag zu sein. Die Texte schreiben sich fast wie von allein.
Plötzlich erscheint eine Bewegung neben mir und eine Hand, welche das leere Glas mit einem neuen austauscht. Erstaunt sehe ich auf.
„Hatte ich... noch etwas bestellt?" Der junge Mann zuckt nur mit den Schultern und wirft mir einen kurzen, intensiven Blick zu. „Geht aufs Haus." Bevor ich antworten, geschweige denn reagieren kann dreht er sich einfach weg und ist mir nichts, dir nichts auch schon wieder aus meinem Sichtfeld verschwunden.
Perplex starre ich ihm hinterher und dann auf das große Glas vor mir.
Im selben Moment betreten neue Gäste das Café und die ruhigere Zeit scheint vorbei zu sein. Dennoch empfinde ich die summenden Gespräche im Hintergrund nicht als störend, um mich zu konzentrieren.
Was mich schon eher ablenkt, sind meine Gedanken, welche sich immer wieder um den Beerensaft, oder besser gesagt die Intention, weshalb dieser gerade bei mir steht, drehen.
Ich genieße jeden Schluck daraus und versuche zugleich die Blicke, welche ich mir einbilde immer mal wieder auf mir zu spüren zu ignorieren. Hatte Lil vielleicht recht?
Ich fühle mich innerlich beinahe schon selber wie eine Blaubeere, als ich einige Zeit später aufstehe, um zu bezahlen.
Der Mann ist gerade bei einem der Tische, hat aber schon bemerkt, dass ich an der Kasse stehe, da er mir einen kurzen Blick zuwirft.
Als er dann schließlich da ist, streift er schnell seine Hände an der Schürze ab, obwohl sie eigentlich sauber aussehen.
„Und wirst du wiederkommen?", kommt es als Nebenbemerkung von ihm, während er begonnen hat, ein bisschen Ordnung hinter dem Tresen wiederherzustellen.
„Einige holen sich diesen Saft jeden Tag. Sie meinen, ohne diesen wäre es nicht das Gleiche", erklärt er und scheint irgendwie nervös. Wahrscheinlich hat er ein bisschen Stress wegen all der Menschen, die auf eine Bedienung warten.
„Das ist durchaus schlau. Ich werde auf jeden Fall hierher zurückkommen. Dieses Beerenelixier will ich nicht das letzte Mal in meinem Leben getrunken haben."
Ein breites Lächeln ziert nun seinen Mund.
„Kann ich verstehen." Er beißt sich schon wieder auf die Lippe und bleibt dann schmunzelnd auf meinen hängen. „Jetzt sind deine übrigens ziemlich blau... also deine Lippen... Mund... meine ich." Er räuspert sich, als hätte er Angst mit seinen Worten eben etwas falsch ausgedrückt zu haben.
Ich lache. „Ups." Mit meiner Zunge fahre ich mir über besagte Stelle, doch er schüttelt nur belustigt den Kopf. „Keine Chance." Hat also nicht geklappt?
Als Nächstes versuche ich es mit meinem Handrücken, ehe ich wieder mit meiner Zunge fortfahre. Irgendwann muss das Blau doch abgehen.
Sein Blick verfolgt meine Bewegungen und ich frage mich, was wohl gerade in seinem Kopf vor sich geht. Ich erwidere seinen Augenkontakt und merke, dass es mir Spaß macht, wie wir uns gerade ansehen. Solange es dabei bleibt habe ich ja kein Problem damit.
Ich kann nicht verhindern, dass auch meine Mundwinkel sich vorsichtig nach oben ziehen. Er ist ja schon echt nett. Es gibt so viele tolle Menschen auf der Welt. Zu schade, dass man niemals alle von dieser Sorte kennenlernen wird. Dafür ist das Leben einfach zu kurz.
„Also dann, wie viel macht das?" Ich hole mein Portemonnaie hervor und will schon das Geld herausholen, doch er schüttelt den Kopf.
„Ich habe doch gesagt es geht aufs Haus!"
„Aber doch nicht alles. Den ersten Saft hatte ich..." Bevor ich weitersprechen kann, hat er seine Hand ausgestreckt und meine eigene, die gerade eine beliebige Summe Geldscheine auf den Tresen legen wollte zurückgeschoben.
Er will eindeutig nicht, dass ich bezahle und ich weiß ehrlich gesagt nicht, was ich davon halten soll.
Ich darf das eigentlich nicht annehmen. Nicht, wenn so deutlich ist wie gerade, dass er es macht, weil... ja.. weil?
Ich merke, wie ich innerlich plötzlich nervös werde und leicht verspanne, doch lasse es mir äußerlich nicht anmerken. Darin war ich schon immer gut.
„Kommt nicht infrage." Ich will es erneut herausziehen, doch seine Hand liegt nach wie vor auf meiner, um mich davon abzuhalten, was ich erst jetzt so richtig realisiere.
Ich halte die Luft an, als mir die Berührung nun bewusster wird und das warme Gefühl seiner Finger auf mich überstrahlt. Er hat einen sanften, doch zugleich auch bestimmten Griff. Man meint ja oft, der Händedruck sagt sehr viel über die Persönlichkeit eines Menschen aus.
Dieses Gefühl, welches seine auf meiner vermittelt, gibt sehr gut das wieder, was ich auch zuvor bei ihm wahrgenommen habe, nur noch etwas potenzierter. Er weiß, was er will, anders als ich in dieser Hinsicht. Ich sollte jetzt besser gehen.
„Ähm... danke."
Er schenkt mir ein zufriedenes Lächeln, ehe er seine Finger von mir löst, um sich dem neuen Kunden an der Kasse zu widmen, ohne allerdings gleich seinen Blick von mir abzuwenden.
Als er es schließlich doch tut, klemme ich dennoch blitzschnell einen Schein unter ein Glas und verschwinde dann rasch nach draußen.
Mist, ich glaube, er hat es bemerkt.
„Hey Taifun. Wie geht es deinem Flügel?" Ich trete vorsichtig auf ihn zu und bewundere seine majestätische Ruhe und Kraft, die er ausstrahlt. Wie ein Felsen, dem nichts und niemand etwas anhaben kann. Sein scharfer Blick starr und eingehend auf mich gerichtet, sodass ich eine leichte Gänsehaut bekomme.
So gerne würde ich manchmal sein wie er. Klar und bei sich selbst. Genau seine Ziele vor Augen. Im Wissen, was er will und wie er es bekommt.
Ich schlucke und streife mit meiner Hand seufzend über mein Gesicht. Lasse sie kurz vor meinen Augen verweilen, um nichts zu sehen und nur diese Verzweiflung zu spüren, welche tief in mir drinnen zu wüten scheint.
Das bin ich. Die Augen verschlossen. Blind herumtappend, wie ein Maulwurf in der Sonne. Was, wenn Yla meine Sonne ist?
Erschrocken über diesen Gedanken zucke ich zusammen und lasse augenblicklich meine Hand fallen. Was habe ich da gerade gedacht? So etwas sollte ich nicht denken... Aber was, wenn es genauso ist?
Wenn Yla die Sonne ist, die mich wärmt und der Stern in der Nacht, der mir den Weg zeigt?
Denn das tut sie. Auf so viele erdenkliche Weise. Allein die Art, wenn sie lacht. Wie ihre Augen funkeln, wenn sie von etwas begeistert ist. Ihr Ausdruck, wenn sie dabei ist etwas in mir zu durchschauen. Der Klang ihres Atems, wenn sie sich ihrem Sein hingibt und einfach im Hier und Jetzt ist. Ich liebe es diese Momente mit ihr zu teilen, genau wie alle anderen.
„Sie ist meine beste Freundin...", erkläre ich Taifun, da ich selber ja anscheinend nicht auf mich hören will.
„Hast du... also kennst du das? Eine Sonne in deinem Leben zu haben, meine ich?" Ich räuspere mich auf meine Aussage hin. Ich habe sie nicht! Yla leuchtet dort, wo sie will und das ist nicht immer in meiner Nähe, das weiß ich und zugleich tut sie es doch... Irgendwie... ist sie immer bei mir. In mir.
Ich kann nicht verhindern, dass dieses Gefühl, wenn ich an sie denke, überhaupt nicht weggeht, egal, wo auf der Welt sie sich befindet.
Es ist schrecklich... oder... ehrlich gesagt ist es alles andere als das. Wäre es... Es wäre das Wundervollste, doch es geht nicht, oder?
„Ich... kann es ihr doch nicht einfach sagen. Wir sind doch... Was, wenn sie mich wirklich einfach nur als guten Freund sieht? Denn das tut sie, das weiß ich genau. Wie sie sich letztens gefreut hat, als Frederik meinte, ich hätte mich verliebt... Sie wirkte so begeistert und hätte es mir gewünscht. Das würde sie doch nicht tun, wenn sie das Gleiche empfinden würde, wie ich für sie, oder?"
Ich halte erschrocken die Luft an, als meine Worte, wie ein lautes Donnergrollen in mir nach vibrieren. Das Gleiche empfinden...
Was empfinde ich denn für Yla?
Ein Kloß bildet sich in meinem Hals. Viel mehr, als ich sollte. Viel mehr, als gesund für unsere Freundschaft ist. Ich sollte das unbedingt in den Griff bekommen. Ich darf das, was Yla und ich haben nicht einfach zerstören. Das wäre das Schlimmste, was passieren kann.
Was, wenn Yla sich dann von mir distanziert? Wenn unsere Freundschaft zerbricht? Ich merke, wie mir der Atem entweicht und es sich plötzlich anfühlt, als würden schwere Gewichte an meinen Beinen und Armen ziehen und sich schwer auf meine Brust drücken. Der Boden unter meinen Füßen droht sich zu verschieben. Als würde dieser sich bewegen, ohne dass ich dazu in der Lage bin diesem Verlauf zu folgen.
Ich kann das nicht.
Ich könnte es nicht ertragen, wenn Yla mir ab da an nicht mehr so unbefangen in die Augen sehen kann, wie sie es jetzt tut, da sie wüsste, dass von meiner Seite mehr dahintersteckt, als bei ihr.
Oder ihre Worte zu hören... „Es tut mir leid, Tayzo, aber ich mag dich nur als guten Freund..."
Das ist okay... Das wäre... Damit könnte ich gerade noch leben. Hauptsache sie sagt nicht...
„Es tut mir leid, aber ich glaube, es wäre besser, wenn wir nicht mehr befreundet sind. Das wäre dir und deinen Gefühlen gegenüber nicht fair."
Ich schlucke. Verdammt. Wieso habe ich das Gefühl, dass sie so etwas tatsächlich sagen könnte? Okay, wir kennen uns schon seitdem wir Kinder sind. Leicht würde es ihr also wahrscheinlich nicht fallen, aber es wäre eindeutig anders als zuvor und ich habe keine Ahnung, wie Yla mit so etwas umgeht.
Was ist aber, wenn ich es nicht mehr aushalte und ich es ihr wirklich beichten muss? Vielleicht sollte ich die Sache dann sehr vorsichtig angehen? Ihr nicht gleich alles offenbaren. Ich balle meine Hände zu Fäusten. Ich werde es ihr überhaupt nicht sagen.
Das, was ich dadurch verlieren könnte, wäre viel zu viel. Ich muss mich einfach zusammenreißen!
Taifun wirft mir einen Blick zu, bei dem ich mich fühle, wie ein dummer, begriffsstutziger Strohhalm im Sand. Kopfüber versteht sich.
Ich verziehe das Gesicht, während er mich mit einer inneren Ruhe betrachtet, die mich regelrecht schrumpfen lässt, wie ein überlagertes Radieschen, welches sich weigert gegessen zu werden. Ertappt wende ich mein Gesicht halb zur Seite, ohne ihn jedoch aus den Augen zu lassen.
„Was ist?"
Keine Antwort. Stattdessen dringen seine klugen Augen immer tiefer in mich ein.
Ein Bild erscheint in meinem Inneren. Eine riesige Blumenwiese. Der Wind weht warm über das Gesicht und zerrt liebevoll an meinen Haaren. Taifun fliegt hoch oben über die Lande. Verbreitet mit seinen Schwingen Wärme und Leichtigkeit in die Welt. Ein lauter Ruf, der sich tief in die Herzen gräbt und alles zum Vibrieren bringt...
Er zieht seine Kreise über mir... nein... über uns.
... sanfte Fingerspitzen tasten nach den meinen. Wie ein Frühblüher nach den ersten Sonnenstrahlen, die sie nach den kalten Monaten aus der Erde ziehen. Die erste Berührung. Mild, zärtlich und kraftvoll zugleich.
Vielleicht aber auch eher, wie ein Schmetterlingsflügel. Hauchzart. Ein Luftzug. Schüchtern. Ein Versuch sich zu öffnen, doch jederzeit bereit wegzuflattern. So ist es.
Als ich mich nach diesen umdrehen will, um zu sehen, von wem sie kommen, blicke ich stattdessen wieder direkt in Taifuns Augen.
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Hi ihr Lieben. Heute ein etwas kürzeres Kapitel.♥ Was sind eure Gedanken? Fühlt euch willkommen diese hier zu teilen, wenn ihr wollt.
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