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𝐈𝐈

Triggerwarnung: Darstellung von Gewalt (Mord), Andeutung von ungesundem Umgang mit Medikamenten, Erwähnung von Suizidgedanken

Jetzt, da es tatsächlich dazu kommt, denke ich, dass ein kleiner Verweis angebracht wäre. Gerade die letzten zwei Punkte möchte ich an dieser Stelle sensibel behandeln. Sicherlich ist vor allem der kurz angerissene Umgang mit Medikamenten in der entsprechenden Situation absolut nachvollziehbar – das heißt aber nicht, dass er dadurch von mir gut geheißen werden soll. Es ist nicht gesund und soll auch nicht so dargestellten werden. Ähnliches gilt für Punkt Nummer 3.

Sollte irgendetwas an meiner Darstellung unpassend erscheinen, bitte zögert nicht, mich darauf hinweisen.

Ihr müsste nach dieser Warnung wirklich keine Angst haben. Ich ergehe mich hier nicht in grausamen Details o. ä., aber nachdem eine meiner Geschichten (ohne für mich ersichtlichen Grund) gemeldet und gelöscht wurde, bin ich einfach super vorsichtig was alles angeht. Deshalb werde ich die Geschichte wahrscheinlich auch auf Erwachseneninhalt stellen – just in case.

Und wie man merkt, bin ich was dieses Kapitel betrifft auf so ziemlich allen Ebenen unsicher. Ich komm aber einfach nicht drauf, woran es liegt und was mich so dermaßen stört. Wenn euch also etwas – was auch immer es sein mag – auffällt, das unschlüssig, unangebracht, deplatziert, nicht stimmig, schlecht/zu wenig/zu viel beschrieben oder nicht gut formuliert erscheint, sagt mir das gerne.

Weil ich dieses hässliche Trennbanner (ich muss echt mal neue machen) nun nicht länger anstarren möchte, beende ich hier meine viel zu lange Anmerkung ...


Für gewöhnlich kannte die Stadt den Anblick der Sterne nicht. Das Licht der Häuser und Straßen bezwang das ihre und verwandelte den Himmel in eine gräuliche Decke über den Dächern.
Heute zeichneten sie sich klar in dem Tiefschwarz neben der silbrigen Mondsichel ab.

Wien erschien um diese Zeit wie eine Tote. Ihre Gassen waren von erstickender Dunkelheit verschluckt, die sich auch ihrer Bewohner bemächtigt hatte. Viele wurden zu dieser Stunde in ihre Wohnungen verbannt, andere blieben freiwillig dort und wieder anderen behagte die Finsternis. Sie lockte sie sogar hinaus, denn sie verbarg nicht nur, was um einen lag, sondern auch diese Menschen selbst vor dem wachsamen Auge des Gesetzes. In ihrer Sicherheit spazierten Männer Hand in Hand durch den Park, verteilte man unerlaubte Schriften – oder beging einen Mord.

Nun schlug ihr Schutz in eine unbestimmbare Gefahr um.
Ziona meinte bereits zu hören, wie hinter ihr eine Pistole entsichert wurde und die Kälte des Laufs durch ihren Mantel hindurchsickern zu spüren. Musste es nicht irgendwann so kommen? Siebzehn Mal hatte sie gewonnen. Einmal musste es eben in einer Niederlage enden. Damit rechnete sie seit Monaten und doch machte es ihr diesen Augenblick nicht leichter.

Wieso? Warum ausgerechnet heute? Wie sie die Situation auch drehte und wendete, sie fand ihren Fehler nicht.

Aus einem geöffneten Fenster schwebten ihr unheilverkündend die Klänge von Liszts Les Préludes zwischen lautem Männergejohle entgegen, die in ihr nicht mehr die Erinnerung an den letzten Konzertbesuch mit Isaak weckten, sondern an die Wehrmachtsberichte im Radio, denen das Stück voranging. Vielleicht ein Zeichen, dass der größte Krieg im eigenen Land, gegen die eigenen Bürger geführt wurde.

Sag die Wahrheit, aber du musst wissen, wie du entkommen kannst, kam ihr das tschechische Sprichwort in den Sinn, an das sie ihr Vater als kleines Mädchen immer mit einem Augenzwinkern erinnerte, wenn sie etwas angestellt hatte. Nun wäre sie vielleicht gezwungen es zu tun – und kein Fluchtweg in Sicht.

Zionas zitternde Hände ballten sich zu Fäusten und für den Bruchteil einer Sekunde erwog sie, das Rasiermesser aus ihrem Ärmel gleiten zu lassen und jetzt zuzuschlagen. Doch wofür? Ein letzter, sinnloser Aufstand rettete sie auch nicht mehr. Ihre Lage wäre aussichtslos, aber diesmal hätte sie nicht wie im Schach eine Chance auf eine Revanche. Verlieren bedeutete den Tod.

Leise Panik stieg in ihr auf. Angst – das ist doch bloß eine neurobiologische Reaktion, rief sie sich ins Gedächtnis und rezitierte im Geiste Walter Cannons Werk, um sich zur Ruhe zu zwingen.
Mit pochendem Herzen wandte sie sich zu Macalek um. Irgendwo zersplitterte Glas.

„Meine Güte, schauen Sie mich doch nicht so verschreckt an."
Keine Pistole in seiner Hand, bloß immer noch die Zigarette. Der Mann schien sogar sichtlich überrascht von Zionas Reaktion.
„Sie müssen verzeihen, wenn man diesen befehlenden Ton den ganzen Tag braucht, wird er einem ganz natürlich", fügte er beruhigend hinzu. „Ich wollte nicht unhöflich sein. Warten Sie kurz hier."

Damit machte er kehrt und schritt auf die Gruppe Betrunkener zu, in der ein heftiger Streit entbrannt schien. Die jungen Soldaten auf Fronturlaub, die knapp nach ihnen das Paradies verlassen hatten, wie Ziona jetzt erkannte.

Einer von ihnen hatte seinen Kameraden am Kragen gepackt und holte gerade zum Schlag aus.
„Sag das noch einmal, du –"
„Soldat!", erklang es scharf von Macalek.

„Halt' dich da raus", lallte der junge Mann, ehe er erkannte, wer ihn da angesprochen hatte und Ziona glaubte auszumachen – auch wenn es natürlich unmöglich mit Bestimmtheit zu sagen war – wie der Soldat erbleichte.
„He-Herr Standartenführer ... Verzeihung ich ..." Ungeschickt unternahm er den Versuch stramm zu stehen.

„Ist Ihnen klar, dass Sie unsere Land repräsentieren, solange Sie diese Uniform tragen?", fragte Macalek schneidend. „Sie repräsentieren die Wehrmacht. Da benimmt man sich nicht wie ein besoffener Trottel, der nachts die Ruhe anständiger Bürger stört."

„Jawohl, Herr Standartenführer", murmelte der Mann geknickt und ließ den anderen los.
„Ich denke, es ist an der Zeit für Sie, nach Hause zu gehen, hm?"

Ziona schalt sich selbst einen Dummkopf. Darum war es also gegangen? Ein paar Soldaten zusammenzustauchen? Und sie hatte sich bereits ihr Ende ausgemalt.

Stattdessen kehrte Macalek nach wie vor ohne die leiseste Ahnung ihrer Ziele zu ihr zurück und schritt nach diesem kleinen Umweg, seinem Ende erneut ohne zu Zögern entgegen. Ganz entspannt, schlendernd und auf den Lippen diesen neuen Schlager von Evelyn Künneke, der diesen Abend auch im Paradies gespielt worden und wohl noch als letzter kleiner Widerstand gegen das Verbot von Swing zu verstehen war.

Haben Sie schon mal im Dunkeln geküsst, ja?
Wissen Sie denn auch wie schön so 'was ist, nein?
Wenn man wirklich einmal alles vergisst,
das ist ein Blick ins Himmelreich."

Vom Standartenführer konnte man allerdings nicht behaupten, dass er sonderlich musikalisch war. Darüber vermochten auch sein charmantes Lächeln und das kleine Zwinkern nicht hinwegzutäuschen.

Waren Sie schon einmal richtig verliebt, ja?"
Ja, antwortete Ziona in Gedanken. Mittlerweile aber erschien ihr all das so weit weg. Die Zeiten, in denen sie noch Freunde gewesen waren und Isaaks Klassenkameraden gespöttelt hatten, wie unzertrennlich er und die „kleine Herz" doch waren, dann jene, in denen sie sich im Studium wiederbegegnet waren – und diesmal nicht nur als Partner im Schach. Bis vor kurzem hätte sie sich noch in jedem Detail daran erinnert, wie nervös sie gewesen war, als sie ihren Eltern von ihm erzählt hatte. Völlig ungeschickt, im allerletzten Moment.

„Ich möchte euch jemanden vorstellen", setzte sie an, als die Zeiger der Uhr bereits fünf vor vier standen, der Zeit, zu der Isaak – zweifellos pünktlich wie immer – bei ihnen erscheinen würde.

„Ah ja?" Leopold Herz hob den Blick nicht einmal von seiner Zeitung, Salomea kochte ungerührt weiter Kaffee. Nichts, absolut gar nichts vermochte die gewohnten Bahnen des Alltags der Familie Herz stören – und wenn die Welt draußen unterging. Für gewöhnlich war es das, was Ziona an ihren Eltern so schätzte, doch im Augenblick verwünschte sie diese Eigenart.

„Wir wollen uns verloben", platzte es nun aus ihr heraus. Jäh verstummten das Rascheln des Wochenblattes und die kleinen Geräusche aus der angrenzenden Küche und Sekunden später waren zwei überraschte Augenpaare auf sie gerichtet.

„Verloben?"
„Jawohl, verloben. Ich hab' ihn zum Kaffee eingeladen. In drei Minuten sollte er hier sein."
Vielleicht hatte sie sich getäuscht und es gab da doch etwas, das den Herz'schen Tagesablauf seiner Beständigkeit berauben konnte. Die Verlobung ihres einzigen Kindes zum Beispiel.

„Ist er denn auch Jude?", durchbrach ihr Vater mit kritischem Blick die fast drückende Stille.
„Leopold!" Sofort versetzte ihm seine Frau einen sanften Schlag mit dem Geschirrtuch, das sie verkrampft zwischen den Fingern hielt. „Als wäre das jetzt das Wichtigste! Ob das ein anständiger Mensch ist will ich wissen."
„Man wird ja wohl noch fragen dürfen ...", grummelte der Restaurator.

„Wie heißt denn dieser Mann? Was ist sein Beruf? Ist er zuverlässig?" Natürlich machte Zionas Mutter sich sofort Sorgen, ob ihr Auserwählter denn tatsächlich der Richtige sei. Vielleicht zweifelte man in dieser Hinsicht auch ein bisschen an ihrer Urteilskraft.
„Beruhig dich, miláčku. Unsere Zionka wird wohl keinen Filou heiraten wollen."
Amüsiert über die Szene antwortete sie: „Er hat Medizin studiert, wie ich jetzt. Aber genau genommen kennt ihr ihn schon." Wie auf Befehl ertönte die Türklingel. „Ah, das muss Isaak sein."

„Isaak? Du meinst, der Sohn der Aschkenasys?" Die Verwunderung stand ihrem Vater geradezu ins Gesicht geschrieben.
Mit einem breiten Grinsen stand Ziona auf und eilte zu Eingangstür. „Genau der. Heute wäre ein guter Tag, das schöne Kaffeeservice rauszuholen. Meinst du nicht, maminka?"

Das hatten sie immer nur an besonderen Tagen gemacht – heute waren davon nur Scherben übrig. Wie von jenen Zeiten.
Die Ärztin glaubte, dass die alten Bilder langsam an Farbe verloren, verblassten und so sehr sie sie auch festhalten wollte, ihren Händen entschlüpften, denn mit dem Erinnern ging auch immer der Schmerz der Vergänglichkeit all des Guten einher. Es war ihr Trost und Leid zugleich. Um letzteres nicht in ihr Herz zu lassen, musste sie auch auf erstes verzichten. Diesen stummen Pakt war sie mit sich vor Monaten eingegangen. 

Bis wieder bessere Tage kommen. Besonders in dieser Nacht, da sie nicht Ziona Aschkenasy, sondern Edith Hafner hieß – und vor jener erfundenen Figur noch war sie Schwalbe.

Wir sind grad' allein, kommen Sie nur in meine Näh',
nur nicht ängstlich sein, denn das tut bestimmt nicht weh", ertönte Macaleks schiefer Gesang nach wie vor neben ihr.
Ein kleines Schaudern jagte durch ihren Körper.
„Ist Ihnen kalt, Fräulein Edith?"
Ziona nickte. „Ein wenig."

„Na ... eigentlich ist das ja verboten. Aber so im Dunkeln kann's ja unter uns bleiben." Der Standartenführer zog seine Uniformjacke aus und legte sie ihr fast fürsorglich um die Schultern.
Es war befremdlich von diesem Stück Stoff vor der Kälte geschützt zu werden, das alles symbolisierte, das Ziona verachtete, und in ihm sogar noch die Wärme des früheren Trägers zu finden, die bald aus seinem Körper weichen würde. Doch es gehörte nun einmal zum Plan.

Macalek hatte sich sein Zigarettenetui und das Feuerzeug aus der Tasche genommen, das allerdings keine Flamme ausspucken wollte und damit mit einem genervten Schnauben wieder sinken gelassen wurde. Stattdessen griff der SS-Offizier nun nach seinem Portemonnaie und zog daraus ein schmales Briefchen Zünder hervor.

Zionas Blick fiel auf eine kleine Fotografie, die er darin aufbewahrte. Ein junger Mann in der Uniform eines Stabsgefreiten der Wehrmacht, mit einem breiten kindlichen Lächeln und einem runden Gesicht. Ganz entfernt hatte er Ähnlichkeit zu Macalek – zumindest teilten sie dasselbe dunkle Haar und diesen Ausdruck der Gutmütigkeit.

„Sie haben einen Sohn?", fragte sie erstaunt, mit dem unangenehmen Gefühl, dass sie das hätte wissen müssen. Wofür sonst sammelte man Informationen über seine Zielperson? Sie benahm sich wie eine ungeschickte Anfängerin! Unter ihrer Haut breitete sich kribbelnd Unsicherheit aus – was war ihnen noch entgangen? Ihres Wissens nach war Macalek, entgegen der Ideale der NSDAP, ein Junggeselle wie er im Buche stand. Geschieden, ohne eigenes Interesse an seinem Familienstand großartig etwas zu verändern und, zumindest soweit nach außen hin bekannt, kinderlos.

„Nein." Er zuckte mit den Schultern. „Ist der Bub meiner Schwester. Hat seinen Vater früh verloren und so war ich ihm mehr einer als ein Onkel. Mit seinem achtzehnten Geburtstag ist er direkt in den Krieg. Jetzt ist er an der Ostfront. Scheiß Gegend ist das, sag ich Ihnen. Na wenigstens haben wir das Theater bald hinter uns."

Es war vermutlich dem Alkohol, der aus ihm sprach, und ihn zum Plaudern brachte. Obwohl er versuchte, es zu verbergen, merkte man ihm die vielen geleerten Gläser an.
Abrupt stoppte er sich selbst mit einem kleinen Kopfschütteln. „Pardon, entschuldigen Sie die harte Sprache."

„Ach, Sie haben doch völlig recht. Wir können alle froh sein, wenn der Krieg endet." Ziona lächelt süßlich.
Nur hoffentlich nicht mit einem Sieg für euch. Wie es auch enden würde, Macalek würde es nicht erleben. Seine Zeit war abgelaufen.

Mit einem kleinen Lächeln, das ihr schmerzlich vertraut war, entzog er die Fotographie wieder ihren beiden Blicken. Ziona kannte es von ihrem eigenen Vater – stolz, zärtlich, aber doch immer ein wenig sorgenvoll. Und sie wusste nicht, ob es sie rühren oder erschrecken sollte.
„Hermann ist ein guter Junge. Ich hoffe, er muss nicht dort drüben bleiben", murmelte er vor sich hin.

Zionas Blicke streiften durch die Dunkelheit, weit und breit niemanden erkennend. Außer dem leisen Klackern ihrer eigenen Absätze völlig Stille. Sie waren alleine, fremden Augen durch den riesigen Schatten über Wien entzogen und nichts zeugte davon, dass sich das in den nächsten Sekunden ändern würde.
Es war der richtige Moment.
Doch Ziona zögerte.
Worauf wartest du?, fragte sie sich selbst.

Macalek war da – unaufmerksam, betrunken. Die durch ihre Haut gewärmte Rasierklinge ruhte einsatzbereit an ihrem Platz. Niemand war hier. Ein leichtes Opfer, ein schneller Schnitt, wenn sie nur – und das tat sie immer – das Überraschungsmoment ausnutzen wüsste. Es war die perfekte Gelegenheit. Und doch tat sie nichts.

Warum? Weil ihre Gedanken zu dem strahlenden Hermann wanderten, der in diesem Augenblick irgendwo am Schlachtfeld saß und verzweifelt dafür betete, Mutter und Onkel wiederzusehen? Weil sie sich fragen musste, ob dieses halbe Kind, dem Jugend und vielleicht auch Zukunft geraubt wurden, jemals wieder so lächeln würde, wenn es bei der Rückkehr von der Ermordung eines geliebten Menschen erfahren würde? Weil sie wusste, dass sie ihm damit erneut seinen Vater nahm? Wie ihr ihre Familie genommen worden war.

Zionas Blicke streiften Carls Profil.
Er war eben nicht nur Standartenführer.
Aber wer von ihnen war das schon?
Ja, wer hatte keine Lieben, um die er sich sorgte und die Tränen über seinen Tod vergießen würden? Selbst diese Monster in ihren Uniformen. Doch sie waren nicht gleich. Das hier war nicht wie der Verlust ihres Vaters. Denn die SS-Männer besannen sich nicht ihrer Familien, wenn sie andere Menschen gewaltsam auseinanderrissen, sie beraubten und in den Tod schickten. Sie kannten keine Gnade – und damit durfte sie auch ihnen nicht gewehrt werden. Bis bessere Tage kommen.

Abrupt hielt sie inne. Der Standartenführer bemerkte es nicht.
Ließe Ziona Macalek jetzt davonkommen, stürben durch ihn unzählige weitere Menschen. Würde deren Blut nicht auch an ihren Händen kleben?

Ihre Finger glitten in die Tasche ihres Mantels unter der Uniform und holten einen kleinen, kühlen Gegenstand daraus hervor.
In einer idealen Welt wurden die Guten belohnt und die Bösen bestraft. Nicht in dieser. Im Krieg war Mitgefühl kein guter Ratgeber und Gnade existierte nicht.

Geschickt schnippte ihr Daumen die rote Schachfigur in die Luft, die mit einem vernehmbaren Geräusch zu Boden fiel und über das Pflaster bis vor Macaleks Stiefelspitzen rollte. Zwar konnte sie es nicht sehen, doch wusste Ziona, dass er jetzt irritiert die Augenbrauen zusammenzog, ehe er sich danach bückte. Und dann – das erkannte sie an dem plötzlichen Versteifen seiner Muskeln – begriff er.

Zu spät.
Ziona war bereits über ihm. Die Klinge aus ihrem Ärmel schnitt durch die Luft, glitt widerstandlos durch die dünne Haut, grub sich Platysma und die darunter liegende Muskulatur zerteilend tiefer bis zu ihrem Ziel: Trachea und Arteria carotis. Beides in einer einzigen fließenden Bewegung sauber durchtrennt; einen Schwall hervorschießendes Blut nach sich ziehend.

Ihr habt diese Spielregeln selbst gewählt.

Mit einem dumpfen Aufprall landete Macalek auf dem Pflaster. Die im Dunkel fast schwarze Flüssigkeit quoll unaufhörlich aus seiner geöffneten Kehle, während sein Körper in der Lache zuckte wie ein Fisch, den man aus dem Wasser gezogen hatte. Ein Überlebenskampf ohne jegliche Aussicht auf Sieg. Reflexartig hatte sich seine eine Hand gegen die Wunde gepresst, die andere hielt verkrampft den roten Turm.

Ziona wandte den Blick ab. Unwillkürlich formten ihre Lippen stumm Worte, die sie das letzte Mal vor Ewigkeiten gesprochen haben musste. Das Widduj, das jüdische Sündenbekenntnis. Doch zu wem sprach sie überhaupt? Niemand erhörte sie. Niemand richtete über sie. Niemand vergab ihnen.

Nach wenigen Augenblicken war der Standartenführer erschlafft, den Blick in die Leere gerichtet. Vorbei. So schnell.
So einfach beendete man ein ganzes Leben. Es bedurfte nicht einmal einer ganzen Minute für den alles entscheidenden Schnitt.

Mechanisch streifte Ziona die Uniformjacke ab, die wie vorgesehen als einziges ein paar kleine Blutspritzer davongetragen hatte, sorgfältig darauf achtend keinen der Knöpfe zu berühren, ehe sie das Rasiermesser damit notdürftig reinigte. Letztendlich warf sie das Kleidungsstück achtlos zu Macalek in die Lache am Boden, die die Flecken auf dem Ärmel ineinander verschmelzen ließ.
Nun sah man zum ersten Mal, was seine glänzenden Orden tatsächlich waren – blutgetränkt.

Sie hatte getan, was nötig war, jetzt musste sie so schnell wie möglich von hier verschwinden, ohne gesehen zu werden. Durch Zionas Körper rauschte Adrenalin, als sie geschwind um die nächste Straßenecke huschte. Ihr Herz schlug in einem hektischen Takt gegen den Brustkorb und verriet als einziges ihre Nervosität, während ihr Verstand nach wie vor kühl und scharf schien, ungerührt von den Geschehnissen der letzten Minuten. Obwohl sie wusste, dass sie, sobald sie heute im Bett die Augen schließen würde, wieder sein Gesicht vor sich sehen würde. 

Konnte die Seele zwischen Herz und Kopf gespalten sein? Früher hatte sie sich das oft gefragt.
Ihr Körper jedenfalls tat, was er in diesen Momenten musste: Er funktionierte. Die Beine trugen sie sicher und schnell weiter und weiter weg vom Ort des Verbrechens, Ohren und Augen erforschten wachsam die Gegend und ihr Gesicht zeigte keinerlei Anzeichen dessen, was soeben geschehen war. Bloß ihre Finger klammerten sich an das kleine Fläschchen Veronal in ihrer Manteltasche, wie an einen Rettungsanker. Für sie war es einer.

Dann hörte sie es – Gebrüll. Nicht genau definierbar. Vielleicht bloß Betrunkene, aber dafür klang es zu kontrolliert. Zu klar. Zu exakt. Ziona schien es wie ein fernes Warnsignal.
Sie waren ihr bereits auf den Fersen.

Wie ist das möglich? So schnell? Carl Gustav Macalek war erst seit zwei Minuten tot. Unmöglich konnte jemand in ihrer Nähe gewesen sein.
Hastig griff sie sich das Rasiermesser, reinigte es im Laufen von möglichen Fingerabdrücken und steckte es in eine schmale Kerbe zwischen zwei Steinen einer Hausmauer. Kein gutes Versteck, aber bei der Dunkelheit vorerst gut genug.

Wenn sie ihn gefunden hätte, wie schnell könnten sie sie einholen? Ziona entschloss sich, ihre geplante Route ein klein wenig zu ändern, bog in die nächste finstere Gasse ein. Sie musste weg, aber unauffällig.

Ein zartes Zittern breitete sich durch ihren Körper aus, das nicht der Kälte entsprang, während sie weiterlief, schnell, aber nicht wie eine Flüchtige, sondern immer noch wie eine Passantin. Kurz hatte sie erwogen, einfach loszurennen, doch das wäre eine Reaktion aus blinder Angst gewesen – und verhängnisvoll. Jetzt musste sie an ihrer Tarnung festhalten. 

Irgendwo hinter ihr trommelten Stiefel auf die Straße, näherten sich beständig in hektischem Takt.

Ziona biss die Zähne zusammen, kämpfte den Reflex zu flüchten nieder und ignorierte die Stimme, die ihr ängstlich zubrüllte, sie solle endlich die Beine in die Hand nehmen. Weg von hier, von den Männern in Uniform, die nichts anderes bringen konnten als den Tod.
Nein, sie musste sich ruhig verhalten. Das war ihre einzige Chance.

„Stehen bleiben", ertönte hinter ihr eine Stimme – und sie gehorchte, der Vernunft folgend, die zum Glück immer noch mächtiger war als jede Furcht.

Wie überrascht und ein wenig verunsichert wandte sie sich um und setzte eine scheinbar erleichterte Miene auf, als sie die Uniform erkannte. Tatsächlich jagte ihr der Anblick einen kühlen Schauer über den Rücken, und das umso mehr als sie das Gesicht des SS-Mannes erkannte. Einer von Macaleks Kameraden, mit denen er das Paradies betreten hatte. Eigentlich besaß er ein Allerweltsgesicht, wäre in der kleinen Gruppe für die meisten Anwesenden völlig untergegangen, doch Ziona hatte sich jeden einzelnen von ihnen eingeprägt. 

Ihr Gegenüber – ein Rottenführer von Rang – konnte nicht viel älter als zwanzig Jahre sein. Selbst der strenge Ausdruck und die straffe Haltung vermochten nicht darüber hinwegzutäuschen, und so wirkte er mit seinem sorgfältig gescheitelten hellbraunen Haar und den bemüht kühlen blauen Augen eher wie ein Junge, den man in ein Kostüm gesteckt hatte.
Doch Aussehen konnte bekanntlich täuschen. Manchmal waren diese jungen Grünschnäbel weitaus teuflischer als so mancher ältere Offizier.

„Oh, guten Abend. Stimmt etwas nicht?"
Verdutzt sah der Mann sie an, der sie in der Dunkelheit wohl nur vage erkannt hatte und musterte sie fast enttäuscht, als stünde für ihn fest, dass sie nicht die Gesuchte sein könne. Vermutlich rechnete er sich im Kopf gerade aus, ob Größe und Körperbau vielleicht doch passen könnten, verwarf den Gedanken aber augenscheinlich sofort wieder. Offensichtlich erkannte er sie nicht wieder.

„Haben Sie eben jemanden hier in der Gegend gesehen?"
Ziona blinzelte mit einem leicht ahnungslosen Blick zu ihm hoch. „Ich? Nein, aber man sieht bei der Finsternis auch nicht gar so viel, Herr Sturmführer."
„Rottenführer", korrigierte er und tippte sich an den Kragenspiegel, als wäre es selbsterklärend.
„Oh, ich kenne mich damit nicht besonders gut aus." Sie lächelte beschämt.

Seinem Blick nach schien er dem nichts entgegenzusetzen zu haben und wollte dieses Thema auch nicht weiter erörtern. Offensichtlich hatte er es eilig. Doch ihm war sofort anzumerken, dass er unerfahren war, was ihr einen winzigen Vorteil verschaffte.

„Sie sind sich sicher, dass Sie niemanden gesehen haben?", fragte er ungeduldig.
„Ja – ach warten Sie, doch, da war einer. Ein jüngerer Mann, glaub ich. Der ist in dieser Straße verschwunden."
Sie deutete in besagte Richtung. 

„Wieso? Hat er etwas angestellt?", fragte sie mit einem plötzlichen Hauch von Angst in der Stimme, sich des Ernstes des SS-Mannes bewusst werdend, als befürchte sie, gerade einem ganz furchtbaren „Volkschädling" über den Weg gelaufen zu sein.
Der junge Rottenführer glaubte ihr, das konnte Ziona ihm vom Gesicht ablesen. Jetzt würde er sich also bedanken, dieser endlosen Spur folgen und mit ihr verschwinden.

„Sagen Sie mal, was tun Sie denn da, Schützmann?" Die schneidend kalte Stimme ließ den Mann kaum merklich zusammenzucken. „Wollen Sie mir sagen, dass Sie jetzt mit irgendeinem Fräulein schäkern."
Abrupt wandte sich der Angesprochene um und straffte die Schultern. „Aber nein, Herr Hauptsturmführer. Ich habe die Dame befragt."

Auch den Mann, der nun auf sie zugehinkt kam, erkannte Ziona. Es war dieser SS-Offizier aus dem Kreise Macaleks, der als einziger alles andere als wohlgelaunt erschienen war. Mit den Falten, deren Tiefe nicht seinem Alter entsprach, hätte man sogar meinen können, dass diesem mürrischen Mann jegliche Freude und Liebenswürdigkeit fremd war. Nun war sein Gesichtsausdruck sogar noch finsterer als zuvor im Paradies.

Die Jüdin schluckte. Was, wenn er sie wiedererkennen würde? Dieser Hauptsturmführer schien keinesfalls so auf den Kopf gefallen, wie sein junger Untergebener.
Seine blassen Augen – dieselbe Farbe wie sein frühzeitig ergrautes Haar und der düstere Hauch, der ihn zu umgeben schien – bohrten sich in ihre.

„Und was will die Frau gesehen haben?", fragte er mit leiser, heiserer Stimme. Den Akzent konnte sie nicht genau einordnen. Deutsch, vermutlich. Wo, wusste sie nicht.
„Ein Mann. Er ist an mir vorbeigelaufen. Dort entlang."
„Ach, ist dem so?"

„Hauptsturmführer, ich werde sofort die Verfolgung –", setzte Schützmann an.
„Bleiben Sie hier."
Die Lippen des Rottenführers öffneten sich zu etwas, das der Ansatz für einen Widerspruch hätte sein können, doch er besann sich eines Besseren, obwohl es ihm auf der Zunge zu brennen schienen.
„Jawoll, Hauptsturmführer Teufel."
Teufel? Nomen est omen. Nie war sie jemandem begegnet, der dieses Sprichwort auf beinahe lächerliche verkörperte. Der Hauptsturmführer machte seinem Namen alle Ehre.

„Wer das auch sein mag, er käme sowieso nicht weit. Das Gebiet wird bereits durchkämmt", erlöste ihn Teufel dann doch noch mit einer knappen Erklärung von seiner Verwirrung. „Haben Sie schon die Papiere der Dame überprüft?"
„Papiere ... überprüft?" Schützmann stotterte die Worte hervor, als hörte er sie zum ersten Mal.
Der Hauptsturmführer schnaubte. „Weit und breit war hier bis jetzt niemand zu finden, als diese Frau. Und Sie kommen nicht einmal auf die Idee sich ihre Kennkarte anzusehen?"
„Nun ich dachte –"

Teufel schnaubte. „Wer hat diesen Trottel nur in die SS gelassen", murmelte er mehr zu sich selbst.
„Meinen Sie etwa ...?" Die Augen des Jüngeren weiteten sich, als er zu begreifen schien.
Der Hauptsturmführer schenkte ihm keine weitere Aufmerksamkeit, sondern wandte sich Ziona zu. Beinahe drohend langsam streckten sich ihr seine Finger entgegen.
„Die Papiere, wenn ich bitten darf."

Trotz der vermeintlich höflichen Wortwahl bemühte er sich nicht um einen entsprechenden Ton. Er ließ keinen Zweifel daran, dass es sich hierbei nicht um eine Bitte, sondern einen Befehl handelte.

Zionas Herz blieb stehen. Nun war diese Nacht also doch das Ende.

Mit einer drückenden Schwere in ihrem Brustkorb tastete sie nach der Kennkarte in ihrer Manteltasche und berührte kühles Glas. Das Veronal. Sie hatte genug davon. Ihre Gedanken schweiften zu den Erzählungen von den Folterkellern der Gestapo, den Lagern, dem Fallbeil und ließen ihren Magen vor Übelkeit verkrampfen. Und wenn sie nach den Tabletten, statt dem Ausweis griffe? Wie viele könnte sie schlucken, bevor man sie stoppte? Wären es genug, um dem Grauen, das jetzt folgen mochte, zu entgehen? 

Was würden die Herren von der SS sagen, wenn ich ihnen vor ihren Augen von der Schippe springe?

Das Fläschchen blieb, wo es war. Langsam überreichte Ziona dem Hauptsturmführer ihre Papiere. Selbst in der Dunkelheit schien das rote J kräftig zu leuchten. 

Teufels Blicke flogen kein bisschen überrascht über die Daten, ehe er sie wieder hob – zu der Stelle an ihrem Mantel, an der ein Davidstern befestigt hätte sein sollen –, wo sie kurz verweilten. Dann brannten sie sich wieder wie zwei glühende Eisen in ihre Augen.
„Frau Aschkenasy, ich muss Sie auffordern, uns zu begleiten."


An dieser Stelle noch (für alle, die diese Geschichte mögen und sich für historische Romane interessieren): es würde mich wahnsinnig freuen, wenn ihr bei  »Blut und Tinte« auf meinem Profil reinschauen und Feedback dalassen würdet :D


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