Chào các bạn! Vì nhiều lý do từ nay Truyen2U chính thức đổi tên là Truyen247.Pro. Mong các bạn tiếp tục ủng hộ truy cập tên miền mới này nhé! Mãi yêu... ♥

𝐈𝐈

Die Frau, die in dem kahlen Raum saß, war ihm bereits vertraut. Brandur kannte ihr Gesicht in- und auswendig, hatte er es doch auf den Bildern genaustens studiert. Das spitze Kinn, die Narbe an einer der geschwungenen Augenbrauen, die kleine Nase. Jede Rundung, jede Kante. Häufig verrieten sie nämlich längst mehr über die Fotografierten, als ihnen selbst bewusst war. 

Geändert hatte sich an ihr auffallend wenig. Das schwarze Haar war zwar zerzauster und strähnig, die geröteten Augen untermalt von dunklen Schatten und sie schien noch schmäler und blasser geworden zu sein als sie es auf den schwarz-weißen Fotografien war. Doch der Sturmbannführer hatte andere in kürzerer Zeit in schlechteren Zustand verfallen gesehen. So mancher ließ nach drei Tagen solcher Behandlung jeglichen Widerstand in seiner Zelle zurück.
Ziona Aschkenasy dagegen schien erschöpft, aber ungebrochen.
Eine Zähe. Dacht ich's mir doch.

Andererseits wäre ihm alles andere eine Enttäuschung gewesen. Hinter Schwalbe konnte schließlich nicht nur ein armseliger Schwächling stecken, der gleich einknickte. Und damit verhärtete sich Andersens Verdacht, dass sie nicht nur zur falschen Zeit am falschen Ort befunden hatte.

Das Trommeln ihrer Finger auf die Tischplatte verstummte, als sich die Tür geöffnet hatte, und sie hob den Blick zu den Männern, die eintraten. In dem dunklen Blau spiegelte sich keine Angst – Brandur hatte es auch nicht erwartet. 

Ziona Aschkenasy war klein und zierlich, vielleicht ein wenig zu mager, wie die Vermerke in der Akte es bereits vermuten hatten lassen. Wie auf dem Foto, so auch in der Realität war ihr Gesicht reizvoll, der schwache Überbiss für den Beobachter sogar eher eine charmante Eigenheit als ein Makel. Ja, er konnte sich vorstellen, dass sie hübsch gemacht und lächelnd – statt ernst und ungewaschen wie jetzt – einen Standartenführer Macalek, wie auch alle seine toten Kollegen zuvor, zu bezaubern vermochte. Gut möglich, dass sie tatsächlich die war, mit der er gesehen wurde. 

Eigentlich ganz ansehnlich. Wäre es nicht das Gesicht einer Ratte.

Dennoch schien es dem Beamten jetzt noch unglaublicher, dass sie eine Serienmörderin sein sollte, die dazu fähig war, SS-Offiziere zu meucheln. Jedoch wusste Andersen, wie gewaltig der erste Eindruck täuschen konnte – hinter der unschuldigsten Fassade verbargen sich oft die dunkelsten Abgründe. Hinter dieser steckte möglicherweise Schwalbe.

Gemächlich schritt er auf den Tisch zu, legte die Akte auf der 120 mal 80 Zentimeter großen Fläche ab und setzte sich. Jennings folgte und ließ sich auf den Stuhl daneben fallen.
Der gewohnte Ablauf. Ein Verhör wie jedes andere. Dasselbe Zimmer mit dem vergitterten, schmalen Fenster, den zwei Tischen – der größere in der Mitte und der kleinere verwaist in einer Ecke des Raums – und dem obligatorischen Hitlerbild an der Wand. Heute betrachtete Brandur all das jedoch nicht mit Augen, denen dieser Anblick vertraut war. Nein, dieses Verhör war anders. Vor ihm saß nicht irgendeiner dieser Schädlinge, sondern ein besonderer, den zu beseitigen ihm einen ganz neuen Grad an Anerkennung zuteilwerden ließe.

Bisher war der Rote Turm wie ein Phantom gewesen. Erwischte man einen, hatte man viele. Durch diese erfuhr man von den nächsten und so weiter. Das galt für die meisten dieser Rattennester, mit deren Aushebung sich Andersen brüstete. Nicht so für sie. Jede der wenigen Spuren verlief sogleich ins Nichts. Keines der vereinzelten Mitglieder, die der Gestapo in die Hände gefallen waren, hatte auch nur irgendeine brauchbare Information geliefert. Heute konnte sich alles ändern.

Schweigend schlug der Kriminalrat die Akte auf, scheinbar um sie aufmerksam zu lesen. Natürlich kannte er jedes Wort darin. Stattdessen las er in ihr – Ziona Aschkenasy.

Die meisten Menschen waren sich nicht im Klaren, wie viel sie von sich verrieten. Auf den Fotos in ihren Karteien, mit jeder Regung, jedem Atemzug und Wimpernschlag, während sie davon überzeugt waren eine undurchschaubare Maske aufgesetzt zu haben. Trotz allem wirkte die Frau auch unter genauerer Betrachtung seltsam gefasst, jedenfalls mehr als es viele andere auf diesem Stuhl bisher getan hatten. Sie beobachtete ihn wachsam, aber nicht unfreundlich und dermaßen unerschüttert von der immer länger andauernden Stille, dass es ihn befremdete. Nur an seiner linken Hand, präziser an der Stelle an der sich Ring- und kleiner Finger hätten befinden müssen, verharrte ihr Blick kurzzeitig. Nichts, was ihm nicht schon alltäglich schien. Aber da war eine Unruhe in ihren zarten Beinen und Händen, die sich rastlos immer einige Millimeter bewegten, einmal hier, einmal da platziert wurden oder am Stoff ihrer schmutzigen Kleidung nestelten.

Nervöse Ticks, die sie versuchte, unter Kontrolle zu halten, wie Schacht ganz richtig bemerkt hatte. Ein Wunder, dass es ihm überhaupt aufgefallen war, hatte er doch in derselben Akte so einen schlampigen Fehler bei der Adresse gemacht, über den Andersen nun, da er sich kurz tatsächlich auf deren Inhalt konzentrierte, zum wiederholten Male stolperte.

Doch jetzt war nicht der Zeitpunkt sich darüber zu ärgern, sondern zu beobachten. Beobachten und eine angemessene Strategie zu wählen. Was brachte diese vermeintlich unschuldigen Augen zum Weinen? Womit ließ sich dieser Mund dazu zwingen, alle ihre widerlichen Verbrechen auszuspucken?

Sekunden verstrichen. Minuten. Drei. Fünf. Zehn.
„Entschuldigung, Herr Kommissar, aber wollen wir denn nicht mit der Vernehmung beginnen? Sicherlich handelt es sich hierbei nur um ein Missverständnis, das sich leicht klären lässt. Ich würde ungern Ihre wertvolle Zeit vergeuden." Sie war es, die das Schweigen durchbrach und das immer noch mit derselben Gelassenheit, die sie, seit sie hier waren, an den Tag legte.
Interessant.

Fast schon vorlaut, wie sie mit ihm sprach. Einen anderen, jemanden schlichteren Gemüts, hätte das erbost. Brandur Andersen nicht. Für ihn war es eine wichtige Notiz in der mentalen Akte, die er längst für sie angelegt hatte. Entweder diese Frau spielte ihre Selbstsicherheit bloß oder sie war echt und Aschkenasy damit, wie er aus Erfahrung wusste, anfälliger dafür in eine Falle zu tappen, die sie erst zu spät erkennen würde. Die meisten anderen Gestapo-Beamten ahnten gar nicht, wie herrlich Arroganz einem in die Hände spielen konnte, wenn ihnen ihre eigenen über einer frechen Antwort eines Verhörten ausrutschten. Sie machte unachtsam und blind.

„Sturmbannführer", korrigierte er wie aus der Pistole geschossen, ehe Andersen ungerührt den Blick zu seinem Gegenüber hob. „Wenn Sie so versessen darauf sind, Sie zu beantworten. Dann verraten Sie mir doch, was am Abend des zwölften Oktobers vorgefallen ist."

„Ich wurde völlig unerwartet von SS-Männern aufgehalten und verhaftet."
Unerwartet? Wohl kaum.
„Und davor?"
„Verzeihung, aber ich verstehe nicht ganz, weshalb ich hier bin. Was habe ich denn verbrochen, dass man mich festhalten muss?" Ihre Art zu sprechen war tatsächlich markant. Es schwang ein Hauch des böhmischen Tons mit, weniger ein richtiger Akzent als eine Eigenart, die sie vermutlich ablegen konnte, wenn sie es wünschte.

„Beantworten Sie meine Frage", forderte Brandur sie nüchtern auf. Er hatte keinerlei Intentionen ihr zu verraten, was sie wussten und was nicht. Je weniger der Verhörte davon ahnte, desto besser.
„Darf ich nicht wenigstens erfahren, was mir vorgeworfen wird? Ist es wegen –"

Ohne die Andeutung einer Gefühlsregung betrachtete der Sturmbannführer Ziona und sprach mit derselben Sachlichkeit wie zuvor, als sein Füller über das Protokollpapier glitt und das Geschehene notierte: „Wir stellen die Fragen. Ich rate Ihnen, sie zu beantworten."

Kurz herrschte Schweigen im Raum, währenddessen die junge Frau ihre Hände im Schoß faltete und einmal kaum wahrnehmbar schärfer einatmete. „Es gibt aber doch nichts zu erzählen. Ich war auf dem Weg nach Hause, als ich aufgehalten und verhaftet wurde. Mir ist klar, dass ich die Ausgangssperre missachtet und den Stern nicht getragen habe –"

„Also wissen Sie, dass Sie sich der Unterlassung der jüdischen Kennzeichnungspflicht schuldig gemacht haben?" Brandur hob eine Augenbraue.
Eine kleine Falte grub sich in ihre Stirn. „Natürlich nicht mit Absicht. Ich muss ihn kurz davor verloren haben. Deshalb und weil es so spät war, hatte ich es auch eilig wieder nach Hause zu kommen."

Ein kurzer Blick in die Akte. „In die Porzellangasse 68. Ein Judenhaus, richtig?"
„Jetzt ist es das", antwortete sie, nicht ohne eine gewisse Verbitterung in ihrer Stimme.
Wenn er eines bisher gelernt hatte, dann, dass diese drei Tage Haft die Frau vor ihm nicht hatten einschüchtern können und das war schon etwas Erstaunliches, selbst falls sie wirklich nichts verbrochen hatte. Immerhin war sie Jüdin, ihr Mann noch nicht lange tot und ihre Familie bereits nach Riga abtransportiert. Niemand an ihrer Stelle hätte sich große Hoffnungen gemacht. Und nichtsdestotrotz wirkte sie nicht verzweifelt oder gar apathisch. Wieso? Dennoch konnte, was es auch war, nichts daran ändern, dass Müdigkeit, Hunger und zermürbende Fragen ihr nach und nach den Verstand vernebeln und ihre Widerstandskraft rauben würden.

Andersen hatte ein kurzweiliges Verhör erwartet und etwas sagte ihm bereits, dass Ziona Aschkenasy ihn in dieser Hinsicht nicht enttäuschen würde.
„Warum haben Sie sich nach der Sperrstunde draußen aufgehalten?" Sein kühler Ton ließ nichts von der in ihm aufkommenden Freude bemerken.

Diesmal zögerte die Verhörte einen Moment mit ihrer Antwort: „Das Kind einer Nachbarin hatte hohes Fieber. Ich wollte Medizin besorgen."
Schön zurechtgelegte Geschichte. Dafür hatten sie in der Zelle alle reichlich Zeit: Sich Gedanken zu machen, was sie sagen wollten, wenn es endlich so weit wäre und sie befragt würden. Manchmal war es geradezu lächerlich, wie eifrig sie dem Sturmbannführer diese kleinen Märchen präsentierten, mit denen sie sich in Sicherheit wogen. Das machte es schließlich auch einfacher die Spreu vom Weizen, die Lügen von der Wahrheit zu trennen. Denn letztere erzählte in diesen Wänden wirklich niemand gerne. Nicht die ganze, zumindest. An mancher Stelle wurde immer verschwiegen oder ein Fakt verdreht.
Genau das war es, was Ziona tat. 

„So ist das also." Sein Blick bohrte sich in die junge Frau, während seine Stimme kaum an Monotonie verlor. „Dürfte ich den Namen dieser Nachbarin erfahren?"
Schweigen.
Hier drinnen nannte keiner bedenkenlos Namen, das war nichts Neues.

„Wie heißt sie?", wiederholte er seine Frage, während er sie notierte.
Doch Ziona Aschkenasy blieb stumm, ihre Lippen fest verschlossen. Nun saß sie sogar, wie zum Protest, das erste Mal wirklich still da.
Die Beschuldigte verweigert eine Auskunft, vermerkte er schlicht.
„Der Name." Diesmal war es eine klare Aufforderung.
Keine Antwort.

Kurz herrschte als einziges Geräusch nur das Kratzen des Füllfederhalters auf dem Protokollpapier im Raum. Zur letzten Zeile fügte der Beamte knapp ein „wiederholt" hinzu, in dessen energisch geschwungenen Buchstaben sich sein aufkommender Unmut abzeichnete. Natürlich würden sie es letztendlich erfahren. Doch zum Preis wie viel wertvoller Zeit, die an ein potentiell irrelevantes Detail verschwendet werden musste? Die alberne Auflehnung, die diese Subjekte in Verweigerung zu sehen schienen, war Sturmbannführer Brandur Andersen immer schon ein Ärgernis gewesen. Sie war fürchterlich nutzlos.

„Sie ist auch Jüdin, wohnt mit Ihnen im Judenhaus, richtig?"
Nicht einmal ein Wimpernzucken. Ziona blieb regungslos und hüllte sich weiterhin in Stille. Diesmal allerdings hatte Andersen mit nichts anderem gerechnet. Aber das hatte bald ein Ende. Sie würde reden.

„Wer nichts zu verbergen hat, hat keinen Grund zu schweigen, Frau Aschkenasy. Sie geben an, nichts verbrochen zu haben. Entspricht das etwa nicht der Wahrheit? Davon müssen wir ausgehen, wenn Sie uns nicht antworten, ebenso wie von einer Mitschuld Ihrer Nachbarin. Ist Ihnen bewusst, dass Sie sie damit belasten?"

Ihre Fassade erhielt den ersten Riss. Ein Zucken ihres Mundwinkels.
Immer im selben unaufgeregten, fast gelangweilten Ton fuhr der Sturmbannführer fort: „Ihnen ist klar, dass wir das einfach überprüfen können. Wie viele Frauen mit krankem Kind kann es schon in einem Haus geben, nicht wahr? Es sei denn, auch diese Angaben waren falsch. Das gestaltet Ihre Lage dann schon sehr problematisch."

Brandur meinte beinahe zu sehen, wie ihr müder Verstand arbeitete, die Situation analysierte und den Weg zu finden suchte, der den geringsten Schaden bedeutete. Entweder sie schwieg weiterhin und erhärtete damit jeden etwaigen Verdacht und brachte sich und diese Nachbarin, so sie existierte, in umso größere Bedrängnis oder sie ging das Risiko ein, einen Namen zu nennen. Unbestreitbare oder mögliche Gefahr. Keine schwere Wahl, wie er befand. Keine Klinge war so scharf wie die der Logik.

Zuletzt schlug Ziona den Blick nieder, ein Ausdruck ihres gefallenen Widerstandes.
„Ich habe nicht gelogen."
„Der Name."
„Hedwig Kronberg", presste sie leise hervor, während ein zartes Zittern von ihrem linken Knie Besitz ergriff.

Der Sturmbannführer löste seinen Blick von dem Papier, auf das er ihn eben gesenkt hatte. „Wie bitte? Können Sie das wiederholen? Ich habe Sie leider nicht verstanden."
Hatte es sie zuvor schon große Überwindung gekostet, schien sie jetzt nach weiterem Zögern kaum einen richtigen Ton zustande zu bringen, als sie sich wiederholte.
„Tut mir leid, wie? Sie sprechen zu leise."
Mit unschuldigem Gesicht lügen konnte auch er, dachte er zufrieden.

Ein kleines Beben fuhr durch ihre Lippen und die Jüdin presste die verschränkten Finger fester ineinander. Jetzt zuckten ihre saphirblauen Augen zu Jennings, dessen Passivität sie zunehmend zu irritieren schien. Zuvor hatte sie ihn wenig beachtet, hielt er sich doch im Hintergrund.
Er nickte ihr auffordernd zu.
„Hedwig ... Kronberg ...", sagte sie schließlich mit lauterer, aber dafür umso dünnerer Stimme.

Genüsslich langsam notierte Brandur Andersen den Namen. Soll sie sich ruhig eine Idee davon machen, was ich mit dieser Information anstellen kann. Werde ich Frau Kronberg befragen: ja? – nein? Sie sogar verhaften? Wer weiß? Und wenn ja, was könnte dann mit ihr passieren?

Bei dem Gedanken, dass sie sich am ersten entscheidenden Wendepunkt des Verhörs befanden, breitete sich ein wohliges Kribbeln in seinen Fingerspitzen aus.

„Wissen Sie, Frau Aschkenasy, wenn Ihre Freundin diese Geschichte bestätigt, aber wir herausfinden, dass Sie uns angelogen haben, könnte der Eindruck entstehen, sie wäre eine Komplizin. Was das bedeutet, werde ich Ihnen nicht erklären müssen. Verhaftung, Lager, Hinrichtung", erklärte der Kriminalrat gleichgültig und holte damit zum nächsten Schlag aus – ein viel effizienterer als einer von Götz Schachts massigen Pranken, denn er traf genau den richtigen Punkt.

Zionas Augen weiteten sich. Kleine Schweißperlen glänzten auf ihrer Stirn. „Komplizin? Wobei? Ich habe doch nichts getan, Herr Sturmbannführer!"
Sie sah so aus, als hätte sie keine Ahnung, wovon der Beamte sprach, und das erste Mal schwang hörbarer Schrecken in ihrer Stimme mit. Eine gute Schauspielerin war sie, das musste man ihr lassen, bemerkte Brandur anerkennend. Unter anderen Umständen hätte er ihr fast glauben können. Doch selbst, wenn er sie noch nicht zur Gänze entschlüsselt hatte, war er davon überzeugt, dass sie log.

„Bei Ihnen wurde ein Flugblatt gefunden", wechselte er blitzschnell das Thema, „Sie wissen was darauf steht?"
Die Frau zuckte irritiert ob dieser merkwürdigen Frage mit den Schultern. „Nein, es gehört mir nicht. Propaganda, nehme ich an, wenn Sie mich so fragen?"

„Was Dr. Goebbels verbreitet ist Propaganda. Das hier ist reichsfeindliche Hetze", korrigierte er und zum ersten Mal hob er die Stimme ein wenig. „Wie können Sie nichts darüber wissen? Immerhin hatten Sie es bei sich! Aber lassen Sie uns doch gemeinsam den Inhalt betrachten."
Mit der dreifingrigen Hand holte er das Blatt aus der Akte hervor und begann zu lesen: „In diesen Tagen ist das Verbrechen zum Recht geworden und die Unterdrückung zur Freiheit. Wehrt Euch! Auch der macht sich schuldig, der nichts tut. Wer den Terror stumm erduldet, legt sich selbst die Ketten der Knechtschaft an. Wer das Unrecht nicht verbietet, wenn er kann, der befiehlt es."

„Ist es das, was Sie mir vorwerfen? Dass ich so etwas verbreite?" Die alte Entschlossenheit kehrte in sie zurück, als sie glaubte, begriffen zu haben. Ein trügerischer Schein von Kontrolle in einer Situation, in der sie nicht die geringste besaß.

Ziona schüttelte den Kopf. „Es ist nicht meines. Ich habe es gefunden und nur aufgehoben, weil ich dachte, der Mann vor mir könnte es verloren haben. Aber ich konnte ihn nicht mehr einholen. Ich hatte vergessen, es überhaupt eingesteckt zu haben. Hätte ich es gelesen, wäre mir nie in den Sinn gekommen, es zu behalten. Wenn ich so etwas wirklich verteilen würde, wieso sollte ich dann nur ein Flugblatt bei mir haben?"

Sie entschied sich also für die klassische Lüge. Jeder wollte hier solche Dinge nur rein zufällig gefunden haben. Immer dasselbe.
„Hm, klingt logisch, meinen Sie nicht, Jennings?", fragte er den Jüngeren.
Dieser lächelte. „Absolut. Vielleicht sollten wir die junge Dame einfach gehen lassen. Ihre Geschichte klingt doch einwandfrei."

So sehr sie es auch verbergen wollte, konnte der Kriminalrat mehr als deutlich erkennen, dass Ziona verzweifelt versuchte, zu begreifen, was hier vor sich ging, während ihr Denkvermögen sie zunehmend im Stich zu lassen drohte. 

Weiterhin an Beppo gewandt, ließ Brandur seine Hand wie beiläufig in die Tasche seines Jacketts gleiten und zog einen kleinen Gegenstand hervor, den er ebenso auf dem Tisch platzierte. Ein roter Turm. Aus den Augenwinkeln betrachtete er zufrieden, wie sich ihr Blick daran heftete. Doch ob aus bestürztem Wiedererkennen oder bloß wachsender Irritation vermochte er nicht zu sagen. Ihr Gesicht verriet keine eindeutige Gefühlsregung, blieb allerdings auch nicht so starr, dass es geradezu nach Schmierenkomödie geschrien hätte. 

Je teilnahmsloser, desto unverdächtiger war eine Devise, der genug Verhörte folgten, wenn man ihnen einen belastenden Beweis vorlegte. Anscheinend dachten sie wirklich, dass sie sich alleine mit Entsetzen verraten könnten. Dabei war es gerade ihre scheinbare Emotionslosigkeit, die sie als Lügner entlarvte.

„Meinen Sie? Ich weiß nicht, ich denke wir haben noch ein paar Fragen an sie."
Damit richtete er das Wort erneut an Ziona. „Sagt Ihnen der Name Carl Gustav Macalek etwas, Frau Aschkenasy?"

Die Jüdin riss ihren Blick von dem roten Turm los, der sie sichtlich verwunderte und nach dessen Bedeutung sie vermutlich gerne gefragt hätte. So gut es ihr die gefesselten Hände erlaubten, schob sie sich eine Haarsträhne hinters Ohr und schüttelte den Kopf.
„Ich fürchte, nein."
Brandur prägte sich die Geste ein. Ein Zeichen, dass sie log?

„Diesen Mann", meldete sich Jennings zu Wort, während er eine Fotografie aus der Akte holte und ihr über den Tisch hinweg zuschob, „können Sie ihn agnoszieren?"
Andersen wusste, was es zeigte: Der Standartenführer, ein korpulenterer Enddreißiger mit dunklem Haar, nachdem er sein Ende gefunden hatte, in allen grausamen Details. Er war sich nicht sicher, ob er über Beppos Einmischung verärgert oder doch lieber erfreut sein sollte, aber mit einer kleinen Frage würde er noch keinen Schaden anrichten.

Langsam beugte sich Ziona über den Tisch und betrachtete das Bild. Ihr Atem stockte und ihr Blick zuckte kurz zu den Beamten zurück.
„Nein, kann ich nicht. Wieso fragen Sie mich das? Was ist ihm zugestoßen?"
„Merkwürdig. Ein Zeuge hat bestätigt, Sie mit dem Standartenführer gesehen zu haben." Brandur riss das Wort wieder an sich.

„Standartenführer?" Augenblicklich wurde Aschkenasy noch blasser, wenn das denn möglich war. „Wollen Sie damit sagen, ich hätte ... Nein ... nein. Das war ich nicht. Ich kenne diesen Mann überhaupt nicht!"

Ihre bisher dunkle Stimme wanderte eine Terz höher. Das Wippen ihres Beins schwoll zu einem heftigen Tremor an, der ihr Knie wieder und wieder gegen den Tisch stoßen und die Fläche unter Brandurs Füller Beben ließ. Mit ein paar unleserlichen Linien fand seine letzte Notiz ein jähes Ende. Wären sie keine Folge einer ihn zufriedenstellenden Stressreaktion gewesen, hätte ihn das verärgert. Gewiss verriet das per se nicht viel: Wer wäre in ihrer Position bei einer solchen Anschuldigung nicht unruhig geworden? Sie musste schließlich mit dem Schlimmsten rechnen, ungeachtet ihrer tatsächlichen Schuld. Trotzdem machte eben das sie für seine Methoden empfänglicher.

Wir kommen der Sache näher.

„Unser Zeuge sagt etwas anderes", erwiderte er trocken. „Er hat Sie zusammen im Paradies gesehen-"
„Genauso gut könnte er behaupten, ich wäre im Achmed Beh gewesen. Absurd. Er muss sich täuschen. Ich dürfte ein solches Lokal gar nicht betreten. Das wissen Sie doch", fiel Ziona ihm ins Wort, die sich nach dem ersten Schock wieder gefasst hatte.
Der Sturmbannführer faltete seine Hände, bohrte seinen Blick in die zarte Gestalt vor sich. „Aber ohne Ihren Stern war es Ihnen durchaus möglich."

„So einfach ist das nicht. Mich hätte jederzeit jemand erkennen können. Und wozu überhaupt das Ganze? Um einen mir völlig Fremden umzubringen? Sie müssen mir glauben, ich habe mit diesem Mord nichts zu tun. Ich war nur in der Nähe, um Medizin zu holen." 

„Ich werde Ihnen sagen, was in dieser Nacht wirklich vorgefallen ist. Sie haben darauf geachtet, dass Standartenführer Macalek sich gut amüsiert, viel trinkt", Andersen lehnte sich entspannt in seinem Stuhl zurück und zum ersten Mal schlich sich ein Hauch von Emotion in seine Stimme, „und dann haben sie das Paradies mit ihm verlassen. Danach mussten Sie nur noch den richtigen Augenblick abwarten, um ihm mit einem Rasiermesser die Kehle aufzuschlitzen."

„Das ist verrückt! Ein SS-Mann war er, sagen Sie? Wie, um Himmels willen, hätte ich das schaffen sollen?" Der Widerspruch klang matter, als sie es vermutlich beabsichtigt hatte. Die Erschöpfung begann Überhand zu gewinnen.

Sein Blick bohrte sich in ihren, der ihn stur erwiderte. „Wir haben einen Zeugen. Sie haben ihm die Halsschlagadern durchtrennt und dieses kleine Souvenir für uns zurückgelassen. Ich werde Ihnen nicht erklären müssen, was es bedeutet." Wie um sie noch einmal daran zu erinnern, ergriff er mit drei Fingern die Schachfigur und drehte sie ein paar Mal vor ihrem Gesicht.

„Ich habe keine Ahnung, was das sein, geschweige denn bedeutet soll." Für einen Moment schloss sie die Augen, versuchte eine bequemere Position auf dem harten Stuhl zu finden, die ihr mehr Stütze geboten hätte, fand allerdings keine.
„Natürlich wissen Sie das. Und als Ärztin wissen Sie auch ganz genau, wo sie schneiden müssten, um die Aorta zu durchtrennen."

„Carotis", flüsterte Ziona heiser, ungelenk an der Tischplatte Halt suchend.
„Bitte?"
„Sie sagten doch, ihm wurde die Halsschlagader mit einem Rasiermesser durchtrennt. Das müsste die Carotis gewesen sein, nicht die Aorta." Das tonlose Gemurmel war schwer verständlich. Ihr Zustand hatte sich in kürzester Zeit rapide verschlechtert. Auf der kreidebleichen Haut hatte sich ein sichtbarer Schweißfilm gebildet, Zittern jagte durch ihre Muskeln und sie schien sich kaum noch aufrecht halten zu können. Jetzt zeigten die letzten drei Tage und Nächte ihre volle Wirkung.

Andersen ließ das zufriedene Grinsen, nach dem ihm zu Mute war, nicht seine Lippen erreichen. Sie blieben wie sein restliches Gesicht Teil der starren Maske, die er aufgesetzt hatte.
Umso besser. Jetzt ist es nur eine Frage der Zeit.

„Verzeihung, was für ein dummer Fehler. Die Carotis, natürlich." Er nickte Jennings kaum merklich zu und ließ seine Blicke zum entgegengesetzten Ende des Raumes schnellen, ehe er weitersprach. „Es hat keinen Zweck, es zu leugnen. Wir wissen, dass Sie es waren. Sie haben den Standartenführer ermordet. Oder haben Sie etwa jemand anderen dort gesehen, der es getan haben könnte?"

Der Oberscharführer begriff zu seiner Freude sofort, erhob sich verfolgt von Zionas glasigen blauen Augen von seinem Stuhl und schritt durch den Raum, aus ihrem Sichtfeld. Damit zog er kurzzeitig ihre gesamte Aufmerksamkeit auf sich, sodass sie sogar seine Frage vergaß.
„Antworten Sie. Haben Sie jemanden dort bemerkt?", wiederholte Brandur und zwang sie so, ihn wieder anzusehen.

Auf die Lüge bin ich jetzt gespannt. Welche Geschichte hast du dir für mich ausgedacht? Ein weiterer mysteriöser Fremder?

Die Jüdin schluckte schwer. „Nein. Ich erinnere mich an niemanden, in der Nähe des Paradies. Vielleicht ein betrunkenes Paar ... ich weiß es nicht."
Eine seiner Augenbrauen zuckte unwillkürlich nach oben. Normalerweise logen die Befragten in einem solchen Fall, dass sich die Balken bogen, oder gaben gleich auf und waren geständig. Das hier war etwas Neues.

„Ich habe niemanden ermordet, Herr Sturmbannführer. Bitte, dürfte ich –"
Es war der zurückkehrende Jennings, der sie zum Schweigen brachte. Weniger durch seine bloße Anwesenheit, sondern den Ochsenziemer in seiner Hand, der in ihr lag wie ein Fremdkörper und doch täte man gut daran, nicht zu zweifeln, dass er mitleidlos von ihm Gebrauch machen würde.

„Mit höflichen Fragen kommt man bei so einer nicht weit." Die Kälte in seinem Tenor war selbst dem älteren Gestapo-Beamten unbekannt, doch es war, wie er bereits schnell erkannt hatte – Joseph Jennings durfte man nicht unterschätzen. 

„Frau Aschkenasy, Sie täten gut daran, zu gestehen. Wir bekommen unsere Antworten, es liegt an Ihnen auf welche Art. Ersparen Sie sich die Schwierigkeiten", erklärte Andersen, wieder in seinen sachlichen Ton verfallend, während sich in seinem Inneren warme Zufriedenheit ausbreitete. Diesen Ausdruck hätte er überall wieder erkannt, konnte ihn wahrnehmen, wie ein Hund seine Beute roch. Was Zionas gerötete Augen weitete, ihre Züge erstarren ließ und von ihr spürbar im gesamten Raum verströmt wurde, war nichts anderes als Angst. 

„Ich war es nicht", sagte sie dennoch mit fester Stimme.
„25 sollten vorerst reichen. Sowas fördert die Ehrlichkeit ungemein." Jennings packte die Frau und zwang sie, sich aufzurichten. Hätte der Oberscharführer sie nicht gehalten, wäre sie vermutlich zusammengeklappt wie ein Kartenhaus.

„Sagen Sie mir die Wahrheit und wir sind hier fertig", forderte Brandur.
„Das ist die Wahrheit."
Der Sturmbannführer nickte Jennings zu. Ohne viel Gewalt, die es in ihrem Zustand auch nicht gebraucht hätte, zwang er ihren Oberkörper nach vorne.
Andersen beugte sich zu ihr. „Nur ein Wort, mehr brauch ich nicht. Haben Sie Standartenführer Macalek ermordet?" 

Ziona schwieg, ihre nassen Wangen an ihre Hände gepresst.

„Waren Sie es oder nicht? Eine Antwort und es ist vorbei."
Dass ihre Reaktion weniger Panik als dem Versagen ihres Körpers geschuldet war, kümmerte den Sturmbannführer kaum, führte es doch zum selben Ergebnis.

Zionas Augenlider flatterten.

„Raus damit, verdammt!" Nur Millimeter neben ihrem Gesicht knallte seine Faust auf die Tischplatte.

„Ich war es nicht." Das, was ihr von ihrer Stimme geblieben war, manifestierte sich ein letztes Mal in einem dünnen Schrei. Hinter sich musste sie die Regung Jennings' bemerkt haben, denn sie schloss nur noch halb bei Bewusstsein die Augen, in gefasster Erwartung der angekündigten Schläge.

♜       ♜       ♜

Ich weiß nicht, woran es liegt, aber ich mag dieses Kapitel nicht recht. Ja, ich weiß, sag ich immer, aber ich bin dermaßen unzufrieden (im Gegensatz zu Kapitel 1.1.), dass ich das eigentlich nur ungern poste ... Aber nach keine Ahnung wie oft editieren, hab ich mich geschlagen gegeben und eingesehen, dass es keinen Sinn hat. Ich weiß nicht mal genau, woran es hier scheitert... 

Deshalb lass ich das hier jetzt mal wie es ist auf Wattpad los und freue mich auf das ein oder andere Feedback, auch (oder gerade) konstruktive Kritik ist sehr erwünscht! :D

Bạn đang đọc truyện trên: Truyen247.Pro