3 | Folge mir
„Und was bist du dann?", fragte ich flüsternd, als wollte ich nicht, dass jemand außer ihr diese Worte hörte.
Dein Albtraum, der den Tag zur Nacht werden lässt.
Ich vergrub meinen Kopf in den Händen. Meine Befürchtung war also wahr. Mein Verstand begann, durch das Gift verrückt zu spielen.
Wieso hatte ich ihm damals nur dieses verdammte Versprechen gegeben? War ich etwa wirklich davon überzeugt gewesen, es ihm schuldig zu sein? Das war ich nämlich nie gewesen! Er selbst hatte sich sein Schicksal zuzuschreiben. Ich hatte nichts damit zu tun gehabt.
Bist du dir da sicher? Was ist mit deiner Anwesenheit, hm? Hätte er es gemacht, wenn du nicht wärst?
„Halt' die Klappe!"
Das Schlimmste, was einem geschehen konnte, war wohl der Moment, in dem sich der eigene Verstand gegen einen selbst stellte.
Ich bin nicht dein Verstand, Emorie. Ich verdrehe ihn nur für meine Zwecke. Und vielleicht noch etwas mehr, tönte mir die hohe Stimme, die auf einmal leichte sadistische Züge angenommen hatte, entgegen.
„Wer bist du dann?" Darauf folgte Stille. Eine bedrohliche Stille, als würde da etwas in der Dunkelheit lauern und nur auf den Angriff warten. „Wer bist du?", wiederholte ich mit etwas mehr Nachdruck.
Wieder nichts. Ärgerlich schlug ich die Augen auf und lehnte mich an die Bretterwand eines Hauses, das sogleich mit einem lauten Knarzen verkündete, dass ich mich an diesem Ort aufhielt. Wurde Zeit, von hier zu verschwinden.
Wenn es diese Stimme in meinem Kopf nur bei leeren Drohungen beließ, dann würde es keinen Grund zur Panik geben. Wenn.
Denn irgendetwas lag da in dieser Stimme, das mich stutzig werden ließ. War es der Tonfall? Dieser kalte, vor nichts zurückschreckende Unterton?
✵
Die Wachen aus Arlan hatten sich in der ganzen Stadt postiert. Durchtrainierte, muskulöse Männer standen mit Schwert und Speer bewaffnet an den Hausecken. Unbewegliche Späher, die uns genau im Auge behielten. Und einschreiten, sich zu Kämpfern wandeln würden, wenn etwas nicht nach Plan verlaufen sollte.
Teils gelangweilt, teils argwöhnisch wurde ich von ihnen gemustert, während ich so schnell es nur ging an ihnen vorbeilief. Ich wusste selbst nicht, was mich so antrieb. Vielleicht war es die Tatsache, dass das Feuer versiegt war und die Stimme weiterhin geschwiegen hatte. Mich beschlich das Gefühl, dass das nichts Gutes zu bedeuten hatte.
Ich folgte der gewundenen Straße, die zum Hauptplatz führte. Es war eine Handelsstraße, zu beiden Seiten waren Karren aufgestellt und Händler boten ihre Waren zu völlig überteuerten Preisen an. Dass hier Verhandlungen in handgreifliche Auseinandersetzungen übergingen, war Alltag. Und für Diebe wie mich eine gern gesehene Chance, die ein oder andere Sache mitgehen zu lassen. Man tat eben, was nötig war, um zu überleben.
Zwischen den Händlern aus Arlan standen einige wenige Bürger aus Andurin, die versuchten, den Vorbeilaufenden etwas von ihrer halb verfaulten Nahrung oder der unsauberen, zerrissenen Kleidungsstücken anzudrehen. Sie waren gerissen, das musste man schon lassen. Festhalten und Einschüchtern, so lautete ihre Devise.
Eigentlich hatte ich mir vorgenommen, die überfüllten Plätze der Stadt zu meiden, doch in mir wuchs das Gefühl, dass ich zum Hauptplatz gehen musste. Etwas war dort und wartete auf meine Ankunft. Und dieses etwas zog mich zu sich wie an einem seidenen Faden.
Ein Mann schob sich an mir vorbei, sein Gesicht hatte er unter seiner Kapuze verborgen. „Wir müssen reden. Folge mir unauffällig", wisperte er und ging unbehelligt weiter, als wäre das gerade nie geschehen.
Ich hatte diese Stimme schon einmal gehört. Sollte ich tun, was er gesagt hatte? Was war, wenn er mich in eine Falle lockte? Unentschlossen sah ich ihm hinterher. Je länger ich wartete, desto größer wurde das Risiko, ihn aus den Augen zu verlieren. Schließlich siegte meine Neugierde. Ob es eine Falle war oder nicht, spielte keine Rolle. Es war egal, ob ich jetzt oder erst am Ende des Tages sterben würde. Denn das würde ich sowieso, wenn es mir nicht gelang, zu gewinnen.
Neben dem Stand mit Heilkräutern war er in einer Gasse verschwunden. Ich steuerte darauf zu, tat so, als würde ich ein Bündel strahlend gelber Blumen mustern, ehe ich ebenfalls in der Gasse verschwand. Kurz sah ich seinen dunklen Umhang aufflattern, ehe er um die nächste Biegung verschwand.
Ich folgte ihm, während sich meine Hand instinktiv um den Griff des Dolches klammerte. Er gab mir das Gefühl, unbezwingbar zu sein.
Eine weitere Abzweigung, bei der ich nur noch seinen Umhang erblickte, ehe er verschwand. Ich warf einen Blick zurück. Niemand folgte mir. Niemand hielt sich gern auf diesen Wegen auf. Das war gut. Ich bog in die nächste Gasse ein. Auch hier war keine Menschenseele. Erst jetzt wurde mir bewusst, was das hieß. Hier war niemand. Er war nicht da. Die Gasse endete an einer Mauer.
Ich fuhr zusammen, als sich von hinten eine Hand auf meinen Mund legte und zudrückte. Dumpf klang mein Schrei darunter hervor und wie aus Reflex holte ich schon aus, um den Dolch in den Körper meines Angreifers zu schlagen.
„Still! Wir wollen nicht festgenommen werden, ist das klar?", flüsterte er, ehe er seine Hand wegnahm. Ich stoppte in meiner Bewegung und drehte mich zu ihm um. Wusste ich es doch, dass es seine Stimme gewesen war. Er wies auf das eingeschlagene Fenster des Hauses hinter uns. „Kletter durch", drängte er mich.
Nach einem kurzen Zögern kam ich seiner Aufforderung nach und kletterte so schnell es nur ging durch das Fenster hinein. In diesem Haus war schon lange kein Mensch mehr gewesen. Das Mobiliar war verwüstet (oder eher verstümmelt) worden und von einer Staubschicht überzogen. Stühle ohne Stuhlbeine lagen herum, dazwischen Scherben von zerbrochenen Vasen. Auf dem zerkratzten Boden waren die deutlichen Spuren vom Einzug der Ratten zu sehen.
Als hinter mir ein dumpfes Aufkommen ertönte, wandte ich mich um. Seine Kapuze war verrutscht und ermöglichte mir einen Blick in seine Augen. Eines davon ruhte auf mir. Das andere starrte trüb in die Leere – von einer Narbe durchzogen.
Erst jetzt wurde mir bewusst, dass ich den Dolch immer noch umklammert hielt, als wäre er mein Ein und Alles. Sofort ließ ich von ihm ab, als hätte ich mich an einem glühenden Eisenstück verbrannt.
„Was willst du?", fragte ich geradeheraus.
„Hör zu, ich möchte dir helfen."
Ach. So war das also.
„Ich denke, ich schaffe das auch alleine. Im Übrigen hätte ich dich bei deiner Folge-mir-unauffällig-Aktion gerade fast erstochen, falls du es wissen willst. Also", ich verschränkte die Arme, „wieso sollte ich mir von dir helfen lassen, wenn ich dich überhaupt nicht kenne und dir eindeutig überlegen bin?"
„Ich heiße Jair. Und meine Aussage war kein Angebot", sagte er todernst und ohne wirklich auf meine Antwort einzugehen.
„Was dann, eine Drohung?"
„Nein." Er runzelte die Stirn. „Es war eine Aussage, die ich in die Tat umsetzen werde."
Wenn das die Stimme in meinem Kopf gesagt hätte, hätte ich es für eine Drohung gehalten. Na also, er hatte die besten Voraussetzungen, mein Vertrauen zu erlangen.
„Du denkst also, dass ich es nicht alleine schaffen werde", stellte ich vorwurfsvoll fest.
Jair schüttelte den Kopf, sodass ihm die Kapuze vollends vom Kopf rutschte und den Blick auf seine Narben freigab. Wieder erstaunte es mich, wie viele es waren und welch feines Netz sie bildeten. Als ob sie ihm jemand absichtlich in dieser Anordnung in die Haut geritzt hatte. „Du weißt, dass ich das nicht so gemeint habe."
Darauf blickte ich ihn einfach nur verständnislos an. Er würde mir seine Hilfe nicht aufdrängen, wenn er nicht überzeugt davon war, dass ich zu schwach war. Und in seinen Augen war ich das offensichtlich. Ich musste zugeben, dass mich das ein Stück weit kränkte.
„Ich möchte dir dabei helfen, dich gegen sie zu wehren. Glaub mir, du hast es mit ihr sehr viel schwerer, als es die anderen Teilnehmer mit ihren Stimmen haben."
Sein Blick war aufgeklart, hatte etwas an sich, das mich ködern sollte.
Für einen Sekundenbruchteil erwog ich, mich geschlagen zu geben und ihm zuzustimmen. Vielleicht meinte er es ja nur gut? Nein, das konnte nicht sein. Er kam immer noch aus Arlan, der Stadt des Feindes. Zwar nicht von Geburt an, aber trotzdem war er jetzt diesem Ort zugehörig. Und die Leute von dort halfen nicht, ohne eine Gegenleistung zu erwarten. Alles hatte seinen Preis.
Ich betrachtete ihn, wie er stumm dasaß, die Hände im Schoß gefaltet, und auf meine Antwort wartend.
„Du denkst also, ich wäre zu schwach, um mich gegen sie zu stellen? Dann beweise es mir."
„Emorie, tu dir das nicht an. Bitte!" Ich konnte deutlich sehen, wie viel Kraft es ihn kostete, mich nicht anzuschreien.
Die Tatsache, dass er wusste, wie mein Name lautete, obwohl ich es ihm nie gesagt hatte, ignorierte ich. Das Einzige, was meine Aufmerksamkeit auf sich zog, war seine Hand, die für einen Sekundenbruchteil zu einer kleinen Tasche an seinem Gürtel gezuckt war.
„Ich werde nicht zulassen, dass du mir hilfst, ehe ich nicht überzeugt davon bin, wirklich auf dich angewiesen zu sein. So einfach ist das", meinte ich schulterzuckend, als wäre es nicht von großer Bedeutung.
„Du hast ja keine Ahnung, auf was du dich gerade eingelassen hast", sagte er mit einem Unterton, der wohl mein Grab bedeutete. Wir würden sehen, ob es so weit kommen würde.
„Wird wohl Zeit, es herauszufinden."
Wir blickten uns an – ich voller freudiger Erwartung, er einfach nur niedergeschlagen.
Ich würde ihm beweisen, dass er sich in mir geirrt hatte. Er würde schon sehen. Ja, sicher würde er das.
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