6 | Haus
C H A R L I E
Mit verschränkten Armen vor der Brust, schaue ich mir die Szene an, die sich vor meinen Augen abspielt. Wenn ich könnte, würde ich jetzt eine Augenbraue in die Höhe ziehen, aber da ich das leider nicht im Griff habe, muss ich mit einem tippenden Fuß zufriedengeben. Das funktioniert sogar besser, da ich Cole mit diesem Geräusch in den Wahnsinn treibe.
»Verflucht! Wo ist dieser beschissene Schlüssel?«
Seit einer halben Stunde stehen wir vor dem kleinen Haus. Die ersten zehn Minuten habe ich damit verbracht, mich hier umzusehen. Am Anfang war es mir zu blöd hier einfach dazustehen und ihn dabei zu beobachten, wie er sich aufregt. Auch wenn Cole, mit diesen roten Flecken im Gesicht, wie ein Schimpanse aussieht.
Nachdenklich reibe ich mir über das Kinn. Ich sollte vielleicht mit meinen Affen Vergleichen aufhören und doch gibt es nichts Besseres, was ihn am besten beschreibt.
»Hat dir dein Kumpel nicht verraten, wo sich der Schlüssel befindet?«
»Doch! Aber ich wusste nicht, dass es so verdammt viele Blumenvasen gibt.«
Mein Mundwinkel zuckt dabei, als ich die verschiedenen Blumentöpfe anschaue. Die ganze Veranda ist voll damit. Es könnte Stunden dauern, bis wir endlich hineingehen können. Sein Freund muss ein Pflanzenliebhaber sein, da ich bei meiner Erkundungstour einen Garten hinter dem Häuschen entdeckt habe, der mit den buntesten Farben versehen ist. Jegliche Blumen wurden gepflanzt, die mich an einen funkelnden Regenbogen erinnern.
»Hat er dir vielleicht einen Tipp gegeben oder eine Pflanze erwähnt?«
Mein Blick gleitet zu der großen Fensterfront, die mit cremefarbigen Vorhängen versehen ist. Ich kann es kaum erwarten, das Innere zu sehen, da mich der Garten bereits umgehauen hat. Der Lackaffe hatte recht. Hier könnte ich mich wirklich von der Welt verstecken. Oder besser gesagt, vor meinen Eltern. Der einzig negative Punkt ist, dass er dabei ist.
»Ja, verdammt! Ich hab ihn.«
Triumphierend hält Cole den Schlüssel in die Luft, während er mich wie ein kleiner Schuljunge angrinst, der gerade ein Dinosaurierplüschtier bekommen hat. Was eigentlich niedlich aussehen sollte, da seine Grübchen zum Vorschein kommen. Aber wir reden hier immer noch über Cole. Er und niedlich? Das passt nicht zusammen.
»Endlich!«, rufe ich aus und nehme den Rucksack in die Hand, den ich zuvor abgestellt habe. »Lass uns hineingehen. Ich brauche dringend eine Dusche.«
Mit einem klickenden Geräusch schließt Cole die Tür auf. Mit seiner Hand gibt er mir zum Verstehen, dass er mir den Vortritt lässt. »Was für ein Gentleman«, gebe ich augenverdrehend von mir.
Auch wenn es den Anschein hat, dass er mir die Hand reichen will, traue ich ihm keines bisschen. Viel mehr lösen seine Gesten eine Skepsis in mir aus, da zu viel zwischen uns geschehen ist.
»Ich bin keines deiner Flittchen, Cole. Du kannst deine charmante Ader wieder verschwinden lassen.«
Schulterzuckend schließt er die Tür hinter uns. »Alte Gewohnheiten lassen sich eben schlecht abstellen.«
Tief atme ich ein und versuche die Worte herunterzuschlucken, die mir auf der Zunge liegen. Zeitgleich reibe ich mir die Schläfen, da mein Kopf beinahe explodieren will. Außerdem will ich mich nicht mit ihm streiten. Eher brauche ich eine Dusche und danach ein Bett, um mich auszuruhen. Immerhin bin ich bereits seit über dreißig Stunden wach.
Ohne ihm weitere Beachtung zu schenken, schreite ich weiter ins Innere. Mit großen Augen mustere ich das kleine Haus, während sich mein Mund einen Spalt öffnet.
Ein weißes rundes Sofa steht in der Mitte und nimmt fast den gesamten Raum ein. Zierkissen in einem sanften hellblau, das schon fast türkis erscheint, liegen vereinzelt darauf. Ein kleiner runder Mahagonitisch hat seinen Platz auf der vorderen Seite bekommen, sodass man direkt den Ausblick auf den Strand genießen kann.
Ein kleines Bücherregal erstreckt sich auf der linken Seite. Leider kann ich keinen englischen Titel erkennen. Wie schön wäre es gewesen, wenn ich mit einem solchen Ausblick ein Buch hätte lesen können. Vielleicht gibt es hier in dieser kleinen Stadt einen Laden mit internationalen Büchern.
Aber das, was mir hier am besten gefällt, ist, dass keine elektronischen Geräte vorhanden sind. Kein Fernseher, kein Radio und nicht mal einen Laptop kann ich sehen. Für mich wirkt es so, als wäre das eine Zufluchtsstätte, die perfekt dafür geeignet ist, um von der Realität zu flüchten.
»Wirklich schön hier«, kommentiert Cole und legt seine Reisetasche auf dem Sofa ab.
Ich kann ihm nur zunicken, als die große Fensterfront öffne, um den Garten zu bestaunen. Ich habe ihn von der anderen Seite bereits gesehen, jedoch ist das nicht dasselbe.
»Ich hüpfe mal unter die Dusche, Charlie. So hast du genügend Zeit, dich hier umzusehen.«
Abermals nicke ich ihm zu und zeige mit dem Finger auf den Garten. »Mach das. Wenn du mich suchst, ich bin hier draußen.«
Mit langsamen Schritten steige ich die Treppen herunter. Meine Augen huschen überall hin und saugen diese Schönheit in sich auf. Ein berauschender Duft dringt in meine Nase, der sich mit dem Salz in der Luft vermischt, sodass ich genüsslich die Augen schließe. Ich fühle mich, wie in einem offenen Gewächshaus. Es gibt hier nicht viele Arten, die mir bekannt sind. Nur der Christusdorn und die Engelstrompete kann ich erkennen. Coles Freund hat aber wirklich ein Händchen dafür. Ich frage mich, wer sich darum kümmert, wenn er nicht hier ist?
Meine Beine bewegen sich wie von selbst, als ich mich durch all die Blumen hindurchdränge und dem schmalen Holzweg weiterhin folge.
Erst jetzt bemerke ich den Sand, der sich überall auf dem Boden befindet. Auch auf den Holzplatten liegt er verstreut herum. Nein, oder? Meine Bewegungen werden hektischer, während mein Herz schneller schlägt. Eine Aufregung breitet sich in meinem Inneren aus, die mir eine kindliche Vorfreude beschert. Plötzlich halte ich inne, als ich den Garten verlasse und das glitzernde Wasser erblicke.
Das Rauschen hallt in meinen Ohren wider, als die Wellen aufeinander treffen, um kurz darauf wieder zu verschwinden. Wie kann es sein, dass ich das Wasser nicht gehört habe? War ich so sehr von diesem Anblick fasziniert? Ich habe bereits viele Orte besucht und doch habe ich mich noch nie so gefühlt. So befreit, als habe ich endlich die Kette lösen können, die sich um meinen Hals befunden hat.
Unverzüglich drehe ich mich um und renne auf das Haus zu. Dieses Mal bleibt mein Blick nicht auf das Meer der Blumen hängen. Er ist direkt auf die Glasfront gerichtet. Ich weiß nicht, was mit mir los ist, jedoch will ich Cole dieses Bild zeigen, dass eine perfekte Postkarte abgeben würde.
»Cole!«, schreie ich auf, als ich das Innere betrete und mich suchend im Raum umsehe. »Cole«, wiederhole ich mich und laufe auf die einzige Tür, die ich in diesem Raum sehe, zu.
Schwungvoll öffne ich sie, bevor ich laut aufschreie und mir die Augen mit den Händen zuhalte. »Verflixt, Cole! Kannst du dir nichts anziehen?«
»Bin schon dabei. Kann nichts dafür, wenn du nicht anklopfst.«
Als würde mein Körper einen anderen Plan aushecken, bewegen sich meine Finger so, dass ich zwischen sie durchsehen kann. In meinem Bauch beginnt es zu kribbeln, während mir ganz warm wird. Ich kann fühlen, wie sich eine Röte auf meinen Wangen bildet und auch wenn ich am liebsten im Boden versinken möchte, höre ich nicht auf ihn anzustarren.
Was ist nur los mit mir?
Als hätte ich mich in einen pubertierenden Teenager verwandelt.
Cole hat mir den Rücken zugedreht und hat keine Ahnung, dass ich noch immer dastehe. Ich weiß, dass es falsch ist und trotzdem kann ich meine Augen nicht von ihm abwenden. Vergeblich versuche ich den Kloß in meinem Hals herunterzuschlucken, der sich bei diesem Anblick gebildet hat. Ganz genau verfolgen meine Iriden die Wassertropfen, die sich einen Weg nach unten bahnen. Seine Muskulatur bewegt sich geschmeidig und am liebsten würde ich meine Hand nach ihm ausstrecken.
Verdammt! Das ist doch bescheuert! Mit meiner letzten Willenskraft drehe ich mich um und verlasse zügig den Raum. In meinen Ohren kann ich Coles Lachen vernehmen, weshalb ich verlegen aufschnaube. Meine Wangen machen einer Tomate bestimmt Konkurrenz, so heiß fühlen sie sich an.
»Ich wusste nicht, dass du eine Spannerin bist, Goldflocke.« Seine Stimme hört sich amüsiert an, während ich mich am liebsten verkriechen möchte. Ich kann es mir nicht erklären, was in mich gefahren ist. So bin ich normalerweise nicht. Nur holt dieser Lackaffe meine schlimmsten Seiten zum Vorschein.
»Und keine Sorge, ich nehme dir das nicht übel. Eher sehe ich das als Kompliment. Schon das zweite an diesem Tag.«
»Wie bitte?«
»Hast du bereits vergessen, dass du mich einen Charmeur genannt hast? Oh, und es muss dir nicht unangenehm sein, Goldflocke.«
Cole tritt hinter mich und sieht mich breit grinsend an. Ich kann den Schalk in seinen Augen erkennen und das heißt nichts Gutes.
Oh Gott! Wo ist das Loch, wenn man es gebrauchen kann? Peinlicher gehts wohl nicht.
Trotzdem muss ich zugeben, dass Cole Bennett einen wirklich tollen Knackarsch besitzt.
Bạn đang đọc truyện trên: Truyen247.Pro