Kapitel 5 - Wahrheiten
Severus betrat leise den Raum, in dem Harry noch immer nicht erwacht war. Noch immer schien er sich kaum bewegt zu haben. Snape schloss kurz die Augen, um nicht völlig in seinen Schuldgefühlen zu ertrinken. Neben dem Bett des Jungen saß Draco und las in einem Buch. Auf seinem Knie hatte er ein Pergament und machte sich Notizen. Der junge Malfoy hatte Augenringe und sein sonst so penibel glattes Haar stand an einigen Stellen vom Kopf ab. Severus war sich nicht sicher, ob es der passende Moment war, Draco auf sein Verhältnis zu Harry anzusprechen, aber er ahnte, dass seinem Patenkind etwas auf der Seele brannte. Der Tränkemeister nahm sich einen Stuhl und setzte sich auf die andere Seite des Bettes.
»Draco?« Sofort schnellte der Kopf des Blonden nach oben. Es schien so, als hätte er seinen Paten erst in diesem Moment bemerkt.
»Onkel Sev, erschrecke mich bitte nicht so!« Draco legte das Buch und die Pergamentseiten auf den Nachtisch. Kurz blieb sein Blick bei Harry hängen, ehe er sich wieder dem Tränkemeister zuwandte.
»Machst Du Hausaufgaben?« Snape nickte lächelnd zu den Dingen, welche sein Patenkind gerade zur Seite gelegt hatte.
»Jahh...ich dachte, wenn Harry wach ist, dann könnte er gleich...also naja er wird ja noch keine gemacht haben und so hätte er ja schon welche.« Draco wurde leicht rot. Doch Snape lachte und schüttelte den Kopf.
»Schon gut Draco. Ich verrate Euch nicht. Mach Dir keinen Kopf!«
Der Angesprochene grinste nun breit, doch schon im nächsten Moment wurde sein Blick wieder ernst und Stille legte sich über den Raum.
Severus war der Erste, der wieder das Wort ergriff.
»Sag Draco, irgendwas macht Dir zu schaffen. Möchtest Du nicht darüber reden?« Der Tränkemeister sah dem jungen Malfoy fest in die Augen. Dieser fand inzwischen seine Fingernägel äußerst interessant. Langsam und leise fing er an zu sprechen.
»Ich...ich war nicht ganz ehrlich zu Dir als Du mich vor den Ferien nach Po...nach Harry gefragt hast.« Draco sah seinem Paten nun in die Augen. Dieser wirkte nicht überrascht, sah sein Patenkind nur auffordernd an. Also sprach der junge Malfoy weiter.
»Wir sind schon länger Freunde. Also länger als nur ein paar Tage vor Ferienbeginn. Es war kurz vor Weihnachten letztes Jahr. Umbridge wollte, dass wir als Inquisitionskommando auch nachts auf den Gängen patrouillieren. Kurz vorher hatte sie ja allen Lehrern mitgeteilt, dass die nächtlichen Rundgänge durch Lehrer nicht nötig sein.« Snape schnaubte. Er konnte sich noch gut an die Anweisung, der pinken Pest erinnern. Nun war ihm auch klar, warum sie dies tat. Sie wollte die Kinder gegeneinander aufhetzen und nun wusste er auch, warum einige seiner Schlangen immer wieder im Unterricht einschliefen. Draco hatte nie in das Inquisitionskommando gewollt. Völlig aufgelöst hatte er damals Snape berichtet, dass Umbridge ihn und einige andere Slytherins erpresste. Sie wollte dafür sorgen, dass die Eltern der Kinder als Todesser nach Azkaban kämen, sollten sie sich nicht dem Inquisitionskommando anschließen. Severus hatte damals nicht viel tun können, außer Draco raten sich zu fügen und zu hoffen, dass diese Frau bald wieder verschwand. Mir der Erzählung von Draco wuchs auch die Wut des Tränkemeisters.
»Eines Nachts patrouillierte ich in der Nähe des Astronomieturms und ich hab jemanden weinen hören. Erst wollte ich es ignorieren um niemanden Punkte abziehen zu müssen aber dann...naja ich bin dann doch nachschauen gegangen und da saß Harry im Schlafanzug im Freien und er weinte. Ich hätte nie gedacht, dass ich den Goldjungen mal so sehen würde in diesem Moment tat er mir nur leid....«
Flashback
»Potter?« Langsam ging Draco auf dem am Boden kauernden Jungen zu. Kalter Wind pfiff hier oben und der Blonde zog seinen Umhang fester um sich, konnte aber nicht verhindern, dass er sofort anfing zu frieren.
»Was willst Du Malfoy? Willst Du mir Punkte abziehen? Bitte mach was Du nicht lassen kannst!« Harry funkelte sein Gegenüber finster an. In den grünen Augen glitzerten Tränen. Draco sah, wie sehr sein Erzrivale zitterte. Seine Lippen waren bereits blau genau wie seinen nackten Zehen. Seufzend kniete sich der junge Malfoy vor Harry und sah ihm in die Augen.
»Du wirst Dir hier draußen den Tod holen. Und nicht das es mich interessieren würde, aber es gibt sicher, bessere Methoden sich umzubringen!? Neben Longbottom sitzen, wenn er einen Trank braut zum Beispiel« Draco grinste sein Gegenüber an, hob den Zauberstab und sah, wie Harry zurückzuckte.
»Keine Panik Potter wollte ich dich verhexen, hätte ich es schon getan, als Du mich noch nicht bemerkt hattest. Und nun halt still - Calidum« Plötzlich umgab Harry eine angenehme Wärme, auch seine Zehen konnte er wieder spüren. Draco ließ sich neben ihm auf dem Boden nieder und starrte ihn an.
Harry zog die Beine an und schlang seine Arme um seine Knie. Eine Weile saßen sie so schweigend nebeneinander. Dann ergriff der Dunkelhaarige das Wort: »Warum tust Du das? Du könntest mich einfach an Umbridge oder Snape ausliefern. Also warum hilfst Du mir?« Harry starrte in die Ferne, während er sprach. Draco sah ihn mitleidig von der Seite an.
»Weißt Du Potter, ich mag vielleicht nicht den Anschein erwecken aber ich...ich bin nicht so kalt, wie Du denkst. Ja, ich war schwer beleidigt, als Du meine Freundschaft im ersten Jahr ausgeschlagen hast und ja ich war nicht besonders nett zu Granger und Weasley aber das hat...naja Gründe, über die ich nicht sprechen kann aber glaub mir, es macht mir etwas aus, wenn ich Dich hier oben nur im Pyjama, barfuß und weinend mitten in der Nacht finde. Offenbar brauchst Du jemanden zum Reden und hier bin ich, also rede. Der Wärmezauber hält nicht ewig und ich würde dann auch gerne mal ins Bett.« Harry sah den Blonden nun völlig überrascht an.
»Woher soll ich wissen, dass Du nicht alles brühwarm Deinem Vater und damit Vol...dem dunklen Lord erzählst.« Der Grünäugige musterte Draco ganz genau.
»Das weißt Du nicht. Ich kann Dir nicht mehr als mein Wort geben. Und mein Vater...« Draco atmete tief durch. »Ich kann Dir nicht alles erzählen, Onkel Severus hat es mir eingebläut, aber sagen wir es ist alles anders, als es scheint.«
»Onkel Severus?« Harry hatte bei Dracos Erläuterung überrascht Luft geholt.
»Ähm...ja« Draco kratzte sich verlegen am Kopf »er ist mein Patenonkel. Das sollte vielleicht besser unter uns bleiben.« Eindringlich sah der junge Malfoy den Dunkelhaarigen an. Langsam nickte dieser und sah wieder in die Ferne. Nie hätte er gedacht, dass er einmal so friedlich neben Draco Malfoy sitzen oder sich gar unterhalten würde. Auf seltsame Weise hatte er das Gefühl, dass er dem Slytherin vertrauen konnte. Sein Verstand sagte ihm, er solle vorsichtig sein aber sein Bauch wollte sich alles von der Seele reden und wenn es Draco Malfoy sein sollte, der den Zuhörer gab, dann sollte es so sein. Seufzend holte der junge Gryffindor tief Luft.
»Es wird mir alles zu viel Malf...Draco. Dumbledore redet nicht mit mir, er meidet mich sogar. Snape soll mir Okklumentik beibringen, aber ich kann es einfach nicht. Er hasst mich und er lässt es mich spüren. Ich weiß ich muss es lernen, aber es gelingt mir nicht. Ich ertrage es aber auch nicht noch einmal, IHN in meinem Kopf zu haben. Ich will nicht sehen, wie er Menschen foltert oder tötet. Verstehst Du das? Ich will kein Held sein, kein Retter oder Goldjunge. Ich wollte es nie. Nie haben sie mich als das gesehen was ich bin. Nur Harry. Dein Pate nicht, Dumbledore nicht und das Ministerium nicht. Umbridge foltert mich nur, weil ich die Wahrheit sage und ich will meine Freunde nicht belasten. Also laufe ich nachts umher, um nicht schlafen zu müssen. Ich...« Schluchzend brach Harry ab und vergrub sein Gesicht in den Händen. Geschockt starrte Draco ihn an. Dann tat er etwas, was wohl niemand dem jungen Malfoy zugetraut hätte, er rutschte enger an Harry und zog ihn sanft in seine Arme. Anfangs verkrampfte sich der Jüngere lehnte sich dann aber in die Umarmung und weinte hemmungslos. Draco strich ihm mit der Hand sanft über den Rücken. Nach einer Weile löste sich der Gryffindor von Draco und wischte sich die Tränen vom Gesicht. »Tut...tut mir leid. Das wollte ich nicht. Bitte Draco erzähl das niemandem!« Der Blonde legten den Kopf leicht schief, dass was er erfahren hatte, hatte ihn zutiefst verstört. Alles hatte sich geändert. Plötzlich sah er Potter das erste Mal nur als Harry, nur als einen verwundbaren 15-jährigen Jungen auf dem die Hoffnungen einer ganzen Gemeinschaft ruhten. Langsam schüttelte Draco den Kopf.
»Ich sage nichts. Aber Harry, mein Onkel ist nicht so schlecht wie Du vielleicht denkst. Er hat seine Fehler, aber man kann ihm vertrauen.«
»Ich weiß Draco. Auf seltsame Weise vertraue ich ihm mehr als allen anderen Erwachsenen. Er war immer ehrlich zu mir, auch wenn das heißt, dass er mich hasst.« Ein bitterer Zug umspielte den Mund des Dunkelhaarigen. Das letzte Wort war kaum noch ein Flüstern.
»Er hasst Dich nicht!« Draco berührte Harry sanft an der Schulter. »Glaub mir!« Der Angesprochene nickte traurig. Draco brannte noch etwas anderes auf der Seele.
»Sag mal, was meintest Du damit, das Umbridge Dich foltert?« Ernst musterte der Blonde sein Gegenüber. Instinktiv hielt sich Harry die rechte Hand. Ehe er reagieren konnte, hatte Draco die Hand zu sich gezogen. Scharf zog er die Luft ein, als er die tiefe Wunde sah und die deutlichen Worte »Ich soll keine Lügen erzählen«.
»Harry, das musst Du Severus zeigen oder McGonagall! Das ist Folter und verboten!« Harry zog die Hand zurück. »Nein, bitte Draco, das will sie doch nur. Es geht schon!« Ratlos schüttelte der junge Malfoy den Kopf. »Das ist ziemlich entzündet. Ich hab im Schlafsaal noch eine gute Heilsalbe von Onkel Sev. Ich gebe sie Dir morgen im Unterricht.« Dankbar sah Harry Draco an. Dieser stand nun auf, drückte den Rücken durch und reichte dem Gryffindor eine Hand. »Lass uns reingehen und noch etwas schlafen. Der Wärmezauber lässt nach und es würde uns beiden nicht guttun, wenn wir später bei Snape einschlafen.« Der Blonde schmunzelte. Harry griff nach Dracos Hand und stand noch etwas unsicher auf den Beinen. Gemeinsam liefen sie durch das menschenleere Schloss zum Gryffindorturm.
»Danke.« Harry war stehen geblieben und sah den Slytherin verlegen an.
»Kein Problem. Ich...ich wusste, dass wir uns verstehen würden. Auch, wenn ich Dir nicht alles sagen kann ich weiß, welche Last ein Name sein kann.« Draco grinste dem Dunkelhaarigen aufmunternd zu.
»Freunde?« Harry hielt dem jungen Malfoy seine Hand entgegen. Dieser griff lächelnd danach und schüttelte sie.
»Gerne. Allerdings sollten wir in der Öffentlichkeit besser Erzfeinde bleiben. Glaub mir, das ist für uns beide einfacher. Weasley und Granger kannst Du es natürlich sagen. Beide werden wahrscheinlich an Deinem Geisteszustand zweifeln. Und nun ab ins Bett Potter bevor ich Dir doch noch Punkte abziehe.« Draco zwinkerte Harry noch einmal zu, bevor er sich auf den Weg zu den Kerkern machte.
Flashback Ende
Während Draco sprach, hatte Severus ihn nicht einmal unterbrochen. Er sah, wie schwer es seinem Patenkind fiel, von dieser Nacht zu berichten. Der Tränkemeister wusste, dass der junge Malfoy sich Vorwürfe machte, da er Harry versprochen hatte nichts zu erzählen. Als Draco fertig war, sah er seinen Onkel mit Tränen in den Augen an.
»Ich hab es versprochen aber ich...ich musste es doch jemandem sagen. Jemandem der ihm helfen kann.« Snape war neben Draco getreten und zog ihn in die Arme.
»Draco Du hast nichts falsch gemacht! Es war richtig, mir das zu erzählen und auch Harry wird das verstehen.« Noch einmal wuschelte er dem Jungen durch die blonden Haare, dann wand er sich wieder seinem Sorgenkind zu. Vorsichtig nahm er nun die rechte Hand des Kindes und untersuchte sie. Die Narbe war deutlich zu erkennen. Verwirrt schüttelte er den Kopf. Wie konnte ihm das nicht auffallen? Umbridge hatte offenbar eine Blutfeder benutzt. Der schwarzmagische Gegenstand war seit Jahrhunderten verboten. Kein Wunder, dass der Junge geschwächt war. Das Gift in der Feder griff auch das Magielevel eines Zauberers empfindlich an. Draco hatte sich inzwischen wieder neben Harry gesetzt und starrte auf den leblosen Körper.
Severus nahm seinen Stuhl und setzte sich zu ihm. Nach einigen Momenten der Stille ergriff der Tränkemeister das Wort:
»Was geschah nach dieser Nacht? Warum hat keiner gemerkt, dass ihr Freunde wart? Und woher wusstest Du, dass es ihm bei seinen Verwandten schlecht geht?«
Draco lächelte traurig.
»Am nächsten Tag gab ich ihm die Heilsalbe. Hermine und Ron wussten, da schon alles, was in der Nacht geschehen war. Ron hatte sich wohl Sorgen gemacht und wartete im Gemeinschaftsraum auf Harry. Da hat er ihm alles erzählt und am nächsten Morgen dann Hermine. Sie waren skeptisch aber die Sache mit der Salbe und dass ich ihn nicht einmal an diesem Tag Potter nannte, hat sie überzeugt. An den Wochenenden, wenn alle in Hogsmeade waren, haben wir uns oft zu sechst am See getroffen. Inzwischen wussten auch Luna, Neville und Ginny Bescheid. Manchmal traf ich mich auch alleine mit Harry auf dem Astronomieturm. Er hatte meistens den Tarnumhang dabei - nur für den Fall. Am Tag als sie ins Ministerium sind, um Black zu retten, da musste ich meine Rolle vor Umbridge spielen und ich hätte nicht dort sein dürfen, es hätte alles gefährdet. Ich hätte ihm – ihnen so gerne beigestanden und dann war Harrys Pate tot....« Draco brach ab und schluckte. Sanft legte ihm Severus die Hand auf die Schulter. »Er war am Boden zerstört und ich fand ihn wieder nachts auf dem Turm zusammen mit Ron und Hermine. Ich wusste, sie würden da sein. Harry war völlig verstört. Dumbledore hatte ihm mitgeteilt, dass er die gesamten Ferien bei den Dursleys bleiben sollte. Inzwischen wusste ich, dass sie ihn nicht besonders gut behandelten, aber wie schlimm es war, das ahnten wir alle nicht. Auf der Rückfahrt im Zug war er wohl völlig neben sich. Ich war ja nicht dabei, aber Ron hat es mir später geschrieben. Ich hab beobachtet, wie sein Onkel ihn gepackt hat und hinter sich her durch den Bahnhof geschleift hat. Dad hat es auch gesehen.« Draco hatte inzwischen die Fäuste so stark geballt, das man die weißen Fingerknöchel sah. »Er hat Hedwig gleich an Hermine gegeben und meinte, es sei besser, wenn wir ihm zuerst schreiben. Das hab ich sofort getan, als ich nach Hause kam. Aber nie kam eine Antwort. Nur völlig verstörte Eulen. Ich hab viel mit Regulus geredet. Er meinte, Du seist der Richtige, um zu helfen und ich wünschte einfach, ich hätte es schon früher erzählt.« Draco verstummte und sah den Tränkemeister traurig an.
»Draco hör auf Dir die Schuld zu geben, Du hast alles richtig gemacht. Hättest Du Harry damals nicht gefunden, wärt ihr nie Freunde geworden und dann...wer weiß« Severus wagte es nicht den Gedanken auszusprechen. Während Dracos Erzählung war seine Wut auf Dumbledore immer mehr gewachsen. Der Mann musste doch gewusst haben, wie sehr Harry im Ligusterweg litt. Wie konnte er ihn nur immer wieder dort hinschicken. Severus eigene Schuld schnürte ihm den Hals zu. Er hätte es sehen müssen. Er hätte sehen müssen wie klein und dünn der Junge immer war. Er kannte Misshandlung und Vernachlässigung und im Nachhinein war Harry Potter das beste Beispiel für ein Kind, das Misshandlung erfahren hatte.
»Onkel Sev? Du darfst Dir auch nicht die Schuld geben. Bitte!« Draco hatte seinen Paten von der Seite beobachtet, er ahnte, was in ihm vorging. Lächelnd nickte er dem jungen Malfoy zu und drückte ihn noch einmal fest an sich.
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