Kapitel 9
Als er sich zu ihr umgedreht hatte, schaute Hermine ihn an. Seine Augen waren deutlich gerötet, die Blässe in seinem Gesicht sah noch schlimmer aus als sonst und seine Verzweiflung stand ihm definitiv ins Gesicht geschrieben.
„Ich will Ihnen helfen.", sagte sie ruhig und legte eine Hand auf seinen Arm – sie konnte einfach nicht anders.
Er war ein Mensch und Hermine verspürte plötzlich starkes Mitgefühl.
„Ich glaube nicht, dass Sie das können.", sagte er kalt.
Immer noch die Hand auf seinen Arm gelegt, schaute sie ihm tief in die Augen.
„Lassen Sie es mich wenigstens versuchen."
Gerade, als er antworten wollte, hörte er von der Treppe aus ein paar Schüler lachen und reagierte sofort.
Er packte Hermine – etwas unsanft – und zog sie in seine Wohnung. Die Tür knallte er hinter ihr zu und schob sie in sein Wohnzimmer.
Mit dem Rücken zu ihr blieb er stehen und ballte die Fäuste.
Jetzt musste er über seinen Schatten springen. Er musste ihre Hilfe annehmen.
Diese Nacht hatte er wieder von Lily geträumt und die Schmerzen wurden jedes Mal unerträglicher – Einsamkeit, Sehnsucht, Verlangen – er musste mit irgendjeamdem darüber reden. Zudem war ihm seit heute Morgen schlecht gewesen und er hatte Krämpfe – was er auf den Stress schon.
„Sie waren gestern Abend bei mir, oder?", fragte sie zögerlich. „Ich meine, in meiner Wohnung. Im Badezimmer – die Spinne."
Er nickte nur.
„Was ist denn mit ihnen los, Severus? Sie sehen...gar nicht gut aus.", meinte sie und nannte ihn beim Vornamen. Hermine fand das wesentlich angemessener – bei solch einer privaten Unterhaltung. Außerdem hatte er sie eben auch das erste Mal mit Vornamen angesprochen, was sie sehr verwunderte.
Jetzt bewegte sich Snape, er drehte sich um und blickte sie kurz an.
Dann ging er hinüber zum Sofa und ließ sich dort nieder. Immer noch in Shirt und Hose – wie ihm kurz darauf bewusst wurde.
Aber was machte das schon aus – wenn sie ihn so sah, ohne seine Uniform.
Hermine bewegte sich zögerlich auf ihn zu und setzte sich neben ihn – auf Abstand, natürlich. Sie wollte keinen Wutausbruch auslösen und wusste nicht genau, wie sie sich ihm gegenüber nun verhalten sollte.
„Ich glaube...", flüsterte er und unterbrach sich. Schweißperlen zierten seine Stirn und liefen langsam über seine Schläfe, hinunter auf seine Wange. Oder waren es Tränen?
Schockiert beobachtete sie ihn. Das war einfach ein komplett anderer Mensch, den sie da vor sich hatte.
„Severus – was ist mit ihnen los?", fragte sie nochmals und legte besorgt eine Hand auf sein Knie.
Er schaute auf ihre Hand und schluckte.
„Ich muss – ins Bad.", keuchte er und stürzte davon.
Hermine fuhr erschrocken zurück und starrte ihm hinterher, als er durch eine Tür stürzte und diese hinter sich zuknallte. Mit einem Klick war sie abgeschlossen.
Sie blieb ratlos dort sitzen und runzelte die Stirn.
Plötzlich hörte sie komische Geräusche – so als ob sich jemand erbrach. Es konnte aber auch alles andere sein – er konnte zusammenbrechen oder sich etwas antun oder was auch immer.
„Severus?!", rief sie verwirrt und ging zur Tür." Severus – was ist da los?"
Nichts – nur ein gurgelndes Geräusch.
„Severus! Machen sie die Tür auf!", rief sie – jetzt etwas lauter und bestimmender. Normal war sein Verhalten schon lange nicht mehr!
Brauchte er medizinische Hilfe?
Das Geräusch ging weiter und Hermine wurde unruhig.
Da sie keine Antwort bekam, holte sie ihren Zauberstab heraus, richtete ihn aufs Schloss und flüsterte „Alohomora".
Die Tür ging mit einem Klicken auf und sie rauschte in das Badezimmer.
Was sie dort nun sah – schockte sie zunächst. Dann aber griff sie sofort ein.
Snape kniete vor der Toilette und erbrach sich - tatsächlich – immer wieder von heftigen Krämpfen geschüttelt und zitternd am ganzen Leib. Sein Shirt war durchgeschwitzt und seine schwarzen Haare klebten in seinem Nacken und hingen über der Toilette. Snapes Hände umklammerten die Toilette und seine Handknöchel traten weiß hervor.
Dies war wirklich ein schockierender und beunruhigender Anblick.
Hermine kniete sich sofort neben ihn, legte ihre Hand auf seinen Rücken und strich mit der anderen Hand seine verklebten Strähnen aus seinem Gesicht.
Er blickte sie kurz dankbar an – bis er wieder von einem Krampf ergriffen wurde und sich erbrach.
„Ruhig – alles ist gut.", flüsterte sie – wie selbstverständlich - und strich ihm sanft über den Rücken. In dem Moment vergaß sie, dass sie da Severus Snape vor sich hatte – sie sah nur einen verzweifelten, traurigen und anscheinend kranken Mann vor sich – der dringend Hilfe benötigte – auch wenn sie ihm im ersten Moment nur so helfen konnte.
Das Ganze ging noch ein paar Minuten so weiter, bis er wohl alles ausgespuckt hatte, was er zu sich genommen hatte.
Währenddessen hatte Hermine sich ein Handtuch genommen und es in kühles Wasser getränkt – dass sie nun auf seine Stirn tupfte und dann in seinen Nacken legte.
Irgendwann kniete er nur noch vor der Toilette – immer noch umklammerte er sie, doch die Krämpfe hatten aufgehört.
Nun zitterte er am ganzen Körper wie Espenlaub.
„Geht es wieder? Ist dir kalt?", fragte sie ihn und strich ihm über den Rücken.
„Nein.", hörte sie ihn flüstern. Endlich löste er sich von der Toilette und sank auf den Fußboden. Er war nun so blass im Gesicht, dass er fast durchsichtig wirkte, seine Augen waren weiterhin gerötet und schauten sie schöpft und leer an.
„Es tut mir leid...Ich wollte das nicht.", flüsterte er weiterhin und blickte auf den Boden.
Hermine blickte ihn an, wie er dort saß. Zusammengesunken, verletzlich, verzweifelt, erschöpft, sein Alter war ihm deutlich anzusehen – und sie konnte gar nicht anders.
Sie kniete sich vor ihn, schaute ihn an und umarmte ihn dann.
Er erstarrte kurz – fasste sich dann aber wieder, da er zu erschöpft war um gegen seine Gefühle anzukommen und gegen irgendwelche moralischen Gedanken.
Er umfasste sie zuerst mit seinen Armen und presste sie dann an sich.
Das Gefühl war unbeschreiblich und ihre Haare rochen nach Zitrone, sie waren weich, wie das Gras auf der Wiese. Das Gras, indem er mit Lily immer gelegen hatte, als sie noch Kinder waren. Ein Gefühl von Vertrautheit und Wehmut breitete sich in ihm aus.
Auch sie umarmte ihn fester, immer noch vor ihm kniend und streichelte ihm über den Rücken.
Lange Zeit blieben sie so sitzen und Hermines Gedanken zogen große Kreise.
Immer noch blendete sie aus, dass sie dort in Snapes Armen lag, derjenige, der ihr gestern noch gesagt hatte, seine Angelegenheiten gingen sie rein gar nichts an.
Sie hatte dort einen Mann im Arm, der definitiv Probleme hatte, verzweifelt war und sich nicht mehr zu helfen weiß.
Hermine würde nicht bei jedem so reagieren – sie spürte auch deutliche Sympathie für diesen Mann.
Irgendwann lösten sie sich voneinander und Snape wirkte schon deutlich gefestigter.
„Hermine...", begann er zögerlich – wurde aber von ihr unterbrochen.
„Du brauchst nichts sagen, Severus.", sagte sie zu ihm und schaute ihm durchdringend in die Augen. Darin war zwar immer noch Verzweiflung zu sehen – gleichzeitig aber auch Sanftmut und Warmherzigkeit – und eine gewisse Leere. Ausdrücke, die sie von ihm nie gekannt hatte – aber was hatte sie auch von ihm gekannt?
Nie im Traum hätte sie gestern noch daran gedacht, dass sie Severus Snape trösten würde, neben ihm kniend, während es ihm schlecht ging.
„Ich werde darüber kein Wort verlieren. Das bleibt unter uns.", meinte sie nach einer kurzen Weile, während seine Augen sie beobachteten.
Snape nickte und versuchte aufzustehen. Er torkelte ein wenig, ihm war ziemlich schwindelig.
„Warte, ich helfe dir.", sagte Hermine schnell und stützte ihn. „Du brauchst Wasser – du hast viel davon verloren. Und du musst dich ausruhen, Severus.", sagte sie etwas bestimmt.
Er schnaubte – ließ sie aber gewähren.
Gemeinsam gingen sie aus dem Badezimmer und Hermine half ihm dabei – er legte eine Hand auf ihre Schulter und sie hielt seinen Arm fest, sodass er sich bei ihr abstützen konnte.
Er merkte deutlich, wie wackelig er auf den Beinen war und seine Knie zitterten merklich.
„Wo ist dein Schlafzimmer?", fragte sie ihn, als sie vor zwei Türen stand.
„Die Linke.", flüsterte er nur und sie führte ihn durch die Tür.
Im Zimmer angekommen bemerkte sie zuerst die kahlen Wände, das kalt wirkende Bett – welches sehr groß war, fast zu groß für eine einzelne Person – und den großen Kleiderschrank in der Ecke. Ihr zweiter Blick fiel prüfend auf den großen, breiten, roten Streifen über dem Bett – der sich über die ganze Wand erstreckte. Es sah sehr merkwürdig aus.
Hermine führte Snape zum Bett und er setzte sich hin.
Er war sichtlich erschöpft und hatte fast keinerlei Kraft mehr – der Gang vom Bad zum Bett war für ihn sehr anstrengend gewesen.
Hermine zauberte ein Glas Wasser herbei und gab es ihm.
„Austrinken.", befahl sie freundlich und er befolgte ihren Rat.
Nachdem er das Wasser ausgetrunken hatte, verschwand zumindest der ekelhafte Geschmack in seinem Mund.
„Jetzt steh auf.", sagte sie zu ihm und er schaute sie an. Eigentlich wollte er sich nur ins Bett legen und schlafen – nein, am liebsten würde er sie in den Arm nehmen und dann einschlafen, blitzte es in ihm auf.
„Du musst die Hose ausziehen, Severus. Danach kannst du schlafen. Und ein neues Shirt – du bist total durchgeschwitzt.", fügte sie streng hinzu.
Verwundert schaute er sie an. Er sollte vor ihr die Hose ausziehen?
Und sein T-Shirt?
„Jetzt mach schon – meinst du ich habe noch nie einen Mann ohne Hose und Shirt gesehen?", fixierte sie ihn und seufzte.
Hermine bewegte sich zum Kleiderschrank und öffnete ihn.
Verdutzt schaute sie auf seine Klamotten – eigentlich hatte sie lediglich schwarze, weiße, graue und dunkle - unauffällige Kleidung erwartet – aber sein Kleiderschrank sah ganz anders aus.
Säuberlich geordnet, lag alles in diversen Abteilen. Links oben waren seine Socken, grau und schwarz. Auch ein Paar weiße Socken.
Dann kamen seine Unterhosen – grau bis schwarz und sogar diverse, karierte Boxershorts.
Darunter seine schwarzen T-Shirts, Hosen und Pullover. Alle dunkel bis grau.
Seine Uniform hing auf einer Stange rechts und darunter waren andere Klamotten. Farbige, relativ moderne Shirts, Jeanshosen und Pullover in weiß, rot, dunkelgrün und sogar blau!
Ein paar Jacken hingen ebenfalls auf der Stange – Lederjacken und Winterjacken.
Sein Kleiderschrank war nicht nur mit dunklen Klamotten bestückt – nein, auch mit relativ moderner und legerer Muggel-Kleidung.
Schnell zückte sie einfach ein schwarzes T-Shirt vom Stapel und schloss den Kleiderschrank.
Snape saß immer noch auf dem Bett und hatte sich nicht gerührt – das Glas hatte er auf seinen Nachtschrank gestellt.
Hermine ging wieder zu seinem Bett.
„Severus – steh bitte auf.", meinte sie nun und half ihm hoch. Seine Knie zitterten und sie hielt ihn fest. Sie öffnete seine Hose und streifte sie nach unten.
Kniend half sie ihm aus der Hose und stand wieder auf. Hermine warf diese aufs Bett und schaute ihn an.
Man sah deutlich, wie unwohl er sich fühlte.
„Und, war das nun so schlimm? Zieh dein T-Shirt aus.", lächelte sie ihn an.
Snape zog sein T-Shirt aus – welches deutlich an ihm klebte und voller Schweiß war.
Sie staunte nicht schlecht – Severus war ein ansehnlicher Mann, was er unter seiner dunklen und verdeckten Kleidung immer krampfhaft zu verbergen wusste.
Hermine war aber schon öfter aufgefallen, dass er auf den zweiten Blick sehr attraktiv war und da war sie nicht die Einzige.
Viele Mädchen aus ihrer Jahrgangsstufe hatten darüber getuschelt – wie Professor Snape wohl ohne Kleidung aussehen würde und das er ein überaus attraktiver Mann war, wenn man mal von seiner Boshaftigkeit absah und ihn als Mensch betrachtete. Eine war damals sogar in ihn verknallt gewesen, was Hermine deutlich abgeschreckt hatte. Diese Mädchen hatte sie nie verstehen können – jetzt jedoch wohl.
Sie schüttelte den Gedanken schnell wieder ab – ihn immer noch anstarrend, während er mit nacktem Oberkörper vor ihr stand.
Snape beobachtete ihre Reaktion genau und fasste schon wieder klarere Gedanken. Hermine sah etwas zerzaust und geschafft aus – ihre Haare hingen etwas wirr in ihrem Gesicht herum und ihre Wangen waren leicht errötet.
Sie griff nach dem frischen T-Shirt und hielt es Snape hin.
Dieser blickte sanft in ihre Augen. Langsam und behutsam strich er ihr eine Strähne aus dem Gesicht.
Hermine erstarrte kurz – seine plötzliche Vertrautheit war für sie trotz allem noch etwas unbehaglich und vor allem neu.
„Du musst dein T-Shirt anziehen.", flüsterte sie ihm zu und wendete sich ab, um das andere Shirt und die Hose auf den Boden und in die Ecke zu legen.
Als sie sich wieder umdrehte, hatte er sich schon hingelegt und war völlig erschöpft zusammen gesunken.
Da lag er nun und sie konnte ihren Blick einfach nicht von ihm abwenden.
Deutliche Sympathie und Fürsorglichkeit – aber auch Besorgnis breitete sich wie eine Welle von Emotionen in ihr aus.
Langsam ging sie wieder zu seinem Bett – bis jetzt hatte er kein Wort mehr gesprochen.
Sie kniete sich neben ihn und deckte ihn langsam zu, vermied es aber in seine Augen zu schauen.
„Ich werde jetzt gehen, Severus.", sagte sie kurz darauf. „Und wenn es dir besser geht, kannst du mir Bescheid geben. Dann werde ich wieder kommen und wir können uns unterhalten – bist du sicher, dass du keinen Mediziner brauchst?", fragte sie ihn – etwas beängstigt.
„Nein.", murmelte er. „Danke."
Hermine nickte und wollte grade aufstehen, als er ihre Hand packte.
Irritiert verharrte sie in der Position.
„Bitte...", hauchte er. „Bitte, geh noch nicht."
Etwas entsetzt schaute sie ihn an.
Doch in seinen Augen sah sie wieder diese Angst, diese Verzweiflung – und sie kannte den Grund immer noch nicht.
War er sterbenskrank? Sie schauderte plötzlich. Irgendwie machte ihr der Gedanke Angst.
Entgegen ihrem Unbehagen also, erhob sie sich und ging um das Bett herum – Snape beobachtete sie.
Hermine zog ihre Schuhe aus, streifte sich den warmen Pullover ab, der ebenfalls vollgeschwitzt war – darunter kam ein weißes Top zum Vorschein - und kletterte auf das Bett.
Es war riesig – fast könnten vier Personen nebeneinander dort schlafen.
Mit etwas Abstand, setzte sie sich aufrecht und anlehnend an die Wand, neben ihn.
Zögerlich schaute Snape sie an - das körperbetonte Top schmiegte sich eng um ihren Busen und ihre Hüfte und wäre er nicht so erschöpft gewesen, hätte es ihn deutlich erregt. Er nahm ihre Hand – die sie ruhig auf ihrem Schoß abgelegt hatte.
Durcheinander und überwältigt von ihren widersprüchlichen Gefühlen, ließ sie es zu und hielt diese fest.
Er seufzte kurz und rückte ein bisschen näher an sie heran.
Dann schloss er die Augen und war kurz darauf eingeschlafen.
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