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Ich bin Nervös. Ich bin furchtbar nervös. So nervös, dass ich das Gefühl habe, mich jeden Moment übergeben zu müssen. Mein Herz kracht gegen meinen Brustkorb. Ich hab extra lange mit meinen Freunden draußen auf dem Schulhof gestanden und versucht mich abzulenken und zu beruhigen. Doch jetzt ist die Pause zu ende und wir schlendern -mehr oder weniger fröhlich- zurück zum Klassenraum. Ich versuche mitzulachen, aber ich kann die Aufregung einfach nicht abschütteln. Als hätte sie sich an mir fest geklebt.
Nachdem Mr. Rutherford mich Zuhause abgesetzt hatte, war mein Vater zum Glück weg. Meine Mama hatte sich natürlich fürchterliche Sorgen gemacht und sich bestimmt hunderte male entschuldigt. Ich liebe meine Mama. Natürlich war ich niemals ihr böse. Vielleicht ein wenig, aber hauptsächlich hatte sich meine Wut auf meinen Erzeuger kristallisiert. Ich hatte meiner Mama nochmal versucht ins Gewissen zu reden, aber sie wollte ja doch nicht auf mich hören. Zumindest konnte ich ihr das Versprechen abringen, ihn nicht nach Hause zu bringen wenn ich grade dort bin. Unter keinen Umständen wollte ich ihn nochmal sehen.
Der Grund für meine Nervosität ist aber natürlich ein vollkommen anderer. Und dieser geht gerade an uns vorbei und öffnet die Tür zu meinem Klassenraum und lässt uns rein. Die ganze Zeit, hab ich mir den Kopf zerbrochen, wie er wohl reagieren wird, nach diesem erlebnisreichen Freitag. Wird er wütend auf mich sein, oder mich an lächeln? Wird er irgendwas zu mir sagen? Oder vielleicht sogar fragen, wie es zuhause gelaufen ist, nachdem er mich dort hingebracht hat? Doch scheinbar war meine ganze Aufregung vollkommen umsonst, denn er würdigt mich keines Blickes. Wir setzen uns auf unsere Plätze während er bereits etwas an die Tafel schreibt. Daraufhin dreht er sich um und lächelt in die Gruppe, doch seine Augen schweifen nicht einmal in meine Richtung. Selbst als ich mich ein paar mal melde, was in diesem Fach wirklich selten vorkommt, nimmt er immer andere ran. Was ist denn hier plötzlich los? Ist er also doch noch sauer auf mich? Oder denkt er, ich würde ihm sowieso immer nur Schwierigkeiten bereiten? Ich stütze meine Ellenbogen auf dem Tisch ab und lege meinen Kopf hinein, um dann aus dem Fenster zu schauen. Wenn er mich ignoriert muss ich auch nicht dem Unterricht folgen. Auch wenn, es ziemlich unfair ist, weil dadurch meine Note leidet. Aber draußen ist es sowieso interessanter als dieser langweilige Matheunterricht. Wenn er es so bereut mich mit nachhause genommen zu haben , hätte er vielleicht mal vorher darüber nachdenken sollen und nicht im nachhinein mich darunter leiden lassen. Und meine Note, versteht sich. Oder nicht sowas abziehen, sondern mir einfach in einer ruhigen Minute sagen, dass es ein Fehler war -was er mir ja sowieso schon gesagt hat- und das wir es einfach vergessen sollten. Ich versteh eigentlich sowieso nicht warum er so ein bescheuerten Aufstand macht. Es ist ja nicht so als hätten wir irgendwas miteinander gehabt. Ich hab nur bei ihm geschlafen, weil ich sonst nirgends hin konnte. Also war er einfach nur ein verdammter Pädagoge in diesem Moment, den die Schulleitung deswegen niemals kündigen würde.
Ich steigere mich immer weiter ein, während mein Blick immer noch die nicht sonderlich schöne Aussicht genieße und mich davon abhalte, ihn anzugucken. Als er aufgeschlossen hat, hab ich gesehen, dass er wieder ein Hemd trägt, nur diesmal ein weißes. Und ich verstehe eigentlich auch nicht, warum ich darauf überhaupt geachtet hab, geschweige den warum ich darüber nachdenke, wie gut er damit wieder aussah.
Und ehe ich es versehe, ist die Stunde, vor der ich mir solche Gedanken gemacht habe, vorbei während ich fast nur aus dem Fenster geschaut hab. Ich liebe es.
Ich stehe etwas zu energisch auf, aber irgendwie kotzt mich die ganzen Situation so dermaßen an. Ich greife nach meiner Jacke und will mit meinen Freunden den Klassenraum verlassen, als ich es mir anders überlege.
"Geht schon mal vor, ja? Ich muss Mr. Rutherford noch was wegen einer Aufgabe fragen."
"Okay, Maddy. Dann bis gleich. Wir warten unten" antwortet Nadia und die anderen nicken zustimmen, während sie hinausgehen und die Tür hinter sich schließen.
Er hält es nicht für nötig, irgendeine Reaktion zu zeigen und mich eines Blickes zu würdigen? Gut, also nicht, dass er das müsste, aber dann kann ich ihn genauso gut dafür zu rede stellen.
ICh drehe mich um, schlüpfe wieder aus meiner Jacke, lege diese auf einen freien Stuhl und setz mich auf den dazu gehörigen Tisch direkt vor dem Lehrerpult, an dem mein Lehrer immer noch sitzt und sein Blick weiterhin auf seine Unterlagen gerichtet hat, obwohl er genau gehört haben muss, was ich den anderen gesagt habe. Ich warte. Doch noch immer tut er so, als wäre der Raum leer und schreibt kleine Notizen in das Heft, dass er bereits an seinem ersten Tag dabei hatte. Wow. Das war einfach erst vier Tage her. Wahrscheinlich übertreibe ich etwas. Aber wie gesagt, meine Noten leiden drunter, wenn er sich verdammt nochmal nicht einkriegt!
"Sie ignorieren mich", stelle ich fest und statt darauf verlegen zu reagieren, weil ich ihn ertappt hab oder irgendeine halbherzige Ausrede zu erfinden oder zumindest einfach mal seinen blöden Blick zu heben, macht er da weiter, wie die ganze Zeit davor, als wäre seine Arbeit gerade so wichtig, dass er nicht mal für einen klitzekleinen Moment zu mir aufschauen könnte. Ich springe vom Tisch auf, gehe auf den Pult zu und stemme meine Arme auf der Platte ab.
"Es ist nicht mein Problem, wenn Sie bereuen mich mit nachhause genommen zu haben, aber es sind meine Noten die darunter leiden, dass Sie so ein albernes Theater machen!" Langsam macht mich die ganze Situation echt Sauer. Was soll denn dieser Kindergarten?
"Deine Noten leiden wohl eher, weil du nur aus dem Fenster geguckt hast." Endlich hebt er den Kopf und seine blauen Augen gucken mich genervt an, als wäre ich ein dummes Kind. Ich beiße die Zähne aufeinander und versuche mich zu beruhigen, aber mein Gott, er macht mich so wütend.
"Wenn Sie eh nicht vorhaben mich zum Teil ihren Unterrichts zu machen, muss ich ihm auch nicht folgen oder?" ,frage ich zuckersüß, was ihn nur mit den Schultern zucken lässt.
"Okay, was ist eigentlich Ihr Problem? Haben Sie solche Angst ihren Job zu verlieren? Das wird nämlich nicht passieren, weil Sie das einzig richtige gemacht haben. Ist ja nicht so, als hätten Sie mit mir geschlafen." Ich weiß nicht, woher ich den Mut nehmen, so mit einem Mann zu reden, der mein Lehrer ist und den ich kaum kenne, aber diese abwesende Art ist so vollkommen anders zu den letzten Begegnungen mit ihm und nach der Sache mit Mike, meinem Erzeuger und meiner Mama und all dem anderen scheiß, was sich alles angestaut hat, kann ich nicht mehr an mich halten. Ich sehe, wie nun auch Mr. Rutherford seinen Kiefer zusammen presst und zwar noch auf sein Blatt starrt aber kein Wort mehr schreibt. "Aber wenn es Sie so sehr mitnimmt, ich habe natürlich niemanden was davon erzählt. Machen Sie das ganze nicht größer als es ist und beruhigen Sie sich wieder!" Ich hab alles gesagt, was ich sagen wollte und richte mich mit einem ebenfalls zuckersüßen lächeln wieder auf um meine Freunde nicht länger warten zu lassen. Doch als Mr. Rutherfords Handfläche auf die Tischplatte knallt, zucke ich zusammen und verharre in meiner Bewegung.
Seine blauen Augen verfangen sich erneut in meinen, doch diesmal funkeln sie wütend, so wie am Samstag in der Küche, als ich Ihn geärgert hatte, oder als ich die Augen verdreht hatte, nachdem er mich erwischte beim Rauchen. Scheinbar ist er ziemlich schnell wütend zu bekommen.
"Du weißt nicht, was du sagst, Maddy." Seine Stimme ist gepresst, als hätte er schmerzen, aber ich weiß nicht ob ich davon überraschter sein soll, oder das er mich grad bei meinem Spitznamen genannt hat, was mit eine Gänsehaut verpasst hat. Oh Gott, ich hasse mich dafür.
"Warum nicht? Klang für mich ziemlich plausibel", gebe ich etwas zu gereitzt zurück um zu verbergen, was seine Stimme mit mir anstellt.
Meinen Körper hasse ich übrigens auch gerade, so auf jemanden zu reagieren, der scheinbar extrem genervt von mir ist, was man ihm wirklich eigentlich nicht verübeln kann, sowie ich ihm in der kurzen Zeit schon zugesetzt hatte. Trotzdem.
"Ja, verdammt. Natürlich ist es plausibel was du erzählst aus deiner Sicht!" Er ist plötzlich aufgesprungen und packt hektisch seine Sachen ein.
"Warum nicht aus ihrer Sicht?" Nun bin ich ernsthaft verwirrt. Keine Ahnung, was mit diesem Typ los ist. Kann er vielleicht mal aufhören in Rätseln zu reden?
Mr. Rutherford lässt die Hand sinken, die gerade dabei seine Unterlagen zusammen zu räumen und ich meine seine Mundwinkel zucken zu sehen.
"Du bist ganz schön hartnäckig." Erneut läuft mir ein Schauer über den Körper, als seine Stimme wider so rau klinkt, dass es einem -natürlich auf keinen Fall mir- den Atmen stockt.
"Ich will es nur wissen", hauche ich, zu mehr nicht in der Lage. Meine Stimmbänder hasse ich als auch, verdammt. Tut den Dienst, den ihr zu tun habt.
"Verdammt." Er fährt sich durch die Haare und wirkt jetzt eher wieder durcheinander. Wie schnell kann man eigentlich seine Gefühlslage ändern?
"Okay, meinetwegen. Ich werde dich ja sonst nicht los scheinbar." Da wären wir wieder bei genervt sein.
"Wenn du das irgendwem erzählst..." Ich nicke schnell, damit er nicht gleich wieder aufhört zu reden.
"Okay." Nun wirkt er wieder verzweifelt. "Ich bin nicht stolz auf mich, aber es fällt mir einfach schwer mich zu konzentrieren, wenn ich dich anschaue und dich dabei wieder halbnackt auf meinem Bett liegen sehe, okay? Ich bin dein Lehrer, verdammte scheiße." Er fährt sich erneut durch die Haare während ich spüre wie mir das Blut ins Gesicht schießt. Wie konnte es mir nicht auffallen? Ich konnte mich ja kaum noch halten, bin aber trotzdem nicht in meinen Klamotten aufgewacht. Heißt das... er... hat mich ausgezogen und in sein T-shirt gesteckt? Ich hatte mir an dem Morgen, nur das schlimmste Szenario ausgemalt, dass wir Sex hatten und als er das verneinte, hab ich mit überhaupt keine Gedanken mehr gemacht, gerade wegen seine Reaktion. Die Hitze breitete sich über meinen Hals aus bis zum Dekolleté. Oder war seine Reaktion genau deswegen so gereizt? Weil er ein schlechtes Gewissen hatte? Mein Atme stockte. "Das ich dich nicht dir selbst überlassen hatte, war sicherlich pädagogisch absolut zurechtfertigen, aber das? Oh Gott, du bist meine Schülerin und ich erst seit zwei Tagen im Dienst." Er redet weiter irgendwas vor sich hin, doch meine Gedanken schweifen ab. Er kann nur daran denken? Hat es ihm gefallen? Er hat recht. Er ist mein Lehrer. Scheiße. Wahrscheinlich sollte ich beleidigt sein. Wahrscheinlich sollte ich richtig, richtig Sauer werden. Ich meine, was fällt ihm ein? Aber irgendwie stört es mich nicht. Irgendwie finde ich es heiß.
Okay Maddy. Stop. Ganz großes Stoppschild.
Ich atme einmal tief durch, als ich bemerke, dass Mr. Rutherford aufgehört hat zu sprechen sondern mich anstarrt. Genaugenommen auf meinen Daumen, auf dem ich unterbewusst leicht gebissen hatte, was ich öfter tue, wenn ich nachdenke.
Okay ganz ehrlich, ist das hier irgendeine Sendung? Sind hier versteckte Kameras? Ich habe unzählige Erotikromane gelesen, in denen es genau solche Szenen gab. Sei es nun Anastasia, die sich auf die Lippen beißt (Auch wenn ich dort nur die Filme gesehen hatte, da die Bücher wirklich schrecklich geschrieben sind) oder andere Charaktere, die mit ihren Haaren spielen oder ihrem zukünftigen Kaffee übers verdammte Hemd kippen, und dann darauf von der Person geküsst werden.
Doch natürlich - was auch gut so ist und ich versuche nicht nur mir das einzureden- passiert nichts davon.
"Tut mir leid, Maddy, ich..." Doch er beendet den Satz nicht mehr, sondern schüttelt nur den Kopf, greift seine Tasche und verlässt den Raum. Und mal wieder bleibe ich zurück und fühl mich wie der letzte Idiot, weil mein Kopf sich immer irgendwelche Szenen ausmalt und mir damit Streiche spielt, weil ich eigentlich genau weiß, dass das alles eben genau das bleibt. Ausgedachte Szenen, ausgedachte Romane, ausgedachte Charaktere und all das niemals in Wirklichkeit so auf die Art und Weise passieren würde. Und ich hasse mich dafür, dass ich bedauere, dass es so ist.
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