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Mein Herz klopft immer noch unnatürlich schnell, als ich mich Zuhause auf mein Bett schmeiße und mein Kopf im Kissen vergrabe. Meine Wangen glühen wie Feuer und ich bin froh, dass Mama noch bei der Arbeit ist und mich nicht so sehen konnte. Sie hätte sicherlich nachgefragt, was los wäre. Warum ich so verheult aussehe und gleichzeitig, so...so. Verdammt! Was zur Hölle war da gerade passiert? Die Stelle an dem sein Daumen über meine Wange gestrichen hat, kribbelt immer noch, als hätte er ihn nie weggenommen. Er wirkte so anders in dem Moment, als zu vor. Nicht wie mein Lehrer, sondern wirklich als hätte er irgendwie Interesse an mir. Gott, allein es zu denken, fühlt sich so bescheuert an und ich fühle mich wie ein Idiot, allein mir so welche Sachen vorzustellen. Es wäre vollkommen absurd und ich einfach nur mal wieder in meinem komischen Film gefangen, in dem ich mir irgendwas einbilde. Ich öffne meine Jeans und strampele sie im liegen umständlich von meinen Beinen, bevor ich mich unter der Decke verkrieche um nichts mehr sehen zu müssen.
Die Dunkelheit macht es irgendwie einfach über Dinge nachzudenken. Der Tag heute war, nett gesagt, ein Desaster und die Sache mit Mike ist genauso ausgegangen, wie es ich es wahrscheinlich verdient hab. Vielleicht können wir irgendwann wieder miteinander befreundet sein. Wenn sein Herz wieder geheilt ist und er wen neues gefunden hat oder so was. Vielleicht hab ich irgendwann die Möglichkeit, es ihm nochmal in aller Ruhe zu erklären. Meine Emotionen haben schon immer verrückt gespielt. Ich hatte viele Beziehungen, die alle samt nach kurzer Zeit in die Brüche gingen. Ich verliebe mich unfassbar schnell und aus dem nichts heraus. Nur mit Mike war es anders, dadurch dass wir uns schon so ewig kennen, war dieses Grundvertrauen schon lange da. Und es war nie dieses Gefühl des verliebt sein. Es war eher, als hätte sich aus unserer Freundschaft plötzlich Liebe entwickelt, ohne das wir es erst bemerkten, bis er mich geküsst hat und ich endlich verstand, dass ich ihn liebte. Verliebt war ich oft. Aber ich habe niemanden so sehr geliebt wie ihn, der es dann auch noch erwidert hat. Und nun war alles weg, weil meine Gefühle, so langsam wie sie für ihn kamen, wieder verschwanden. Ich konnte es nicht ändern. Ich wünsche mir so sehr, ich hätte es irgendwie aufhalten können. Vielleicht hätte ich es auch, aber ich weiß nicht wie. Ein Seufzer entrinnt meinen Lippen. Es ist jetzt, wie es ist und es ist die beste Entscheidung. Alles andere wäre Mike einfach nicht fair gewesen. Es war aber naiv von mir zu glauben, dass wir einfach so tun könnten, als hätte es diese anderthalb Jahre nicht gegeben und einfach wieder beste Freunde sein können. Es war dumm von mir so zu denken. Aber das ist leider nur einer weitere Sache an mir, die mir schon viel zu lange im Weg steht. Diese furchtbare Naivität, die ich so oft an Tag lege. Die Welt ist nicht so einfach, auch wenn ich es mir gern einrede. Und neben Mike gibt es da noch diese andere Sache. Mein neuer Lehrer. Mr. Rutherford. Ich hab in meinem Leben schon oft mit anderen geflirtet und wäre es nicht so abwegig, könnte ich fast denken, er hätte heute mit mir geflirtet. Welcher Lehrer würde bitte sagen, dass er mehr Autorität bei einem zeigen wird? Oder mir über die Wange streichen? Aber wahrscheinlich war er einfach selbst überfordert, mit der Situation und hat so versucht mich aufzumuntern. Oder so ähnlich. Auch wenn das ebenso abstrus klingt, wie der Gedanken, er hätte mit mir geflirtet. Oh Gott ich bin einfach so verwirrt. Ich will mich gerade noch mehr in die Decke einwickeln, in der Hoffnung, dass ich vielleicht einfach einschlafe, damit dieses ganze Chaos aufhört in meinem Kopf Karussell zu fahren, als es an der Tür klopf. Missmutig schlage ich die Decke zurück und richte mich auf.
"Ja?" Ich unterdrücke ein Gähnen und fahre mir durch die völlig verstrubbelten Haare, während meine Mama die Türklinke herunter drückt und rein kommt.
"Hey Spatz, ich bin wieder Zuhause." Sie mustert kurz mein Aussehen. "Oh hab ich dich geweckt?"
Ich schüttele den Kopf. "Nein, alles gut. Ich war müde aber konnte nicht einschlafen. Wie war die Arbeit?" Ich bemühe mich zu lächeln, was allerdings in ein weiteres Gähnen umschlägt. Gott ich bin so müde.
"Alles wie immer. Nichts besonderes. Wollen wir uns heute Burger bestellen?" Scheinbar spürt Mama, dass ich nicht so gut drauf bin.
"Oh das wäre super." Nun schaffe ich es wirklich ehrlich zu grinsen. Ich liebe Burger. "Können wir auch Süßkartoffelpommes dazu bestellen?"
"Natürlich. Ich ruf dich, wenn alles fertig ist."
"Danke Mama." Sie scheint heute wirklich gut drauf zu sein. Das ist gut. In den Jahren nach dem mein Vater und sie sich getrennt haben, hatte sie alles auch oft mal überfordert. Ich kann es ihr kaum verübeln. Alleinerziehende Mütter haben es meistens schwer. Und mein Vater hat auch nicht wirklich viel als Unterstützung gedient. Sie haben sich geschieden, als ich vielleicht vier war oder so. Ich war damals zu klein. Ich erinnere mich nicht an ihn und seitdem hab ich ihn auch nicht mehr gesehen Und das ist auch gut so. All die Jahre ist er weder hier aufgetaucht, noch hat er mir an meinem Geburtstag geschrieben, geschweige denn Mama mit Geld unterstützt. Mama hat dennoch alles so gut auf die Reihe bekommen. So alleine mit mir. Vielleicht braucht man einfach keine Beziehungen. Vielleicht ist das alles einfach furchtbar überbewertet. Ich weiß, ich lüge mich selbst an, wenn ich sowas sage. Ich mag Beziehungen und ich will Familie haben. So sehr ich Mama auch bewundere, ich wüsste nicht, ob ich es an ihrer Stelle geschafft hätte. Außerdem macht es mich traurig, dass meine Mama seit Vater, niemals wen nach Hause gebracht hat oder sich verliebt hat oder sonst was. Sie verdient es doch jemanden zu haben, der sie liebt. Als meine Eltern geheiratet hatten, waren sie noch sehr jung, 19 und 22. es war ganz spontan, ohne irgendwelche Gäste. Sie waren in ihrem ersten gemeinsamen Urlaub und haben einfach beschlossen, dort zu heiraten. Sie waren schon zusammen seit meine Mama 15 war. Und ein wenig später kam ich und damit wäre es in einer perfekten Welt, eine wunderschöne Liebesgeschichte gewesen und quasi die Definition von wahrer Liebe, doch mein Vater, machte dem ein Strich durch die Rechnung, als es ihm scheinbar plötzlich alles zu viel wurde. Vielleicht sollte man sich sowas mal vorher überlegen, oder mit den Konsequenzen leben. Früher hatte ich immer ein schlechtes Gewissen, weil ich mir die Schuld gegeben hab, dass meine Eltern sich getrennt haben, doch Mama hat sich immer bemüht, mir zu versichern, dass ich nicht der Grund war. Mein Vater war einfach ein Arsch, der Mama sowieso nicht verdient hätte, also ist es einfach besser so, wie es jetzt ist. Ich vermisse ihn nicht.
Aber vielleicht lag mein Problem mit Beziehungen wirklich daran. Vielleicht hab ich mehr von meinem Vater, als mir lieb ist. Oder dieses verschwinden von meinen Gefühlen war sowas wie ein Schutzmechanismus, damit mir nicht sowas passiert wie Mama. Das mir niemals jemand so weh tun kann.
"Liebling, das Essen ist da!", ertönte in dem Moment die Stimme meiner Mama von unten und ich schlüpfte aus meinem warmen Bett, ging zum Schrank und zog eine schwarze Jogginghose heraus, die ich mir schnell überziehe. Mamas Timing hätte nicht besser sein können, ich hab schon wieder angefangen, über all das nachzudenken, über das ich nicht nachdenken will. Dieses bescheuerte überdenken von Sachen, macht mich teilweise echt fertig. Vielleicht sollte ich Mama fragen, ob wir heute nicht mal wieder zusammen ein Film gucken wollen. Das würde mich auf jeden Fall ablenken. Ich gucke noch einmal kurz in den Spiegel und bürste mir schnell durch die verknoten Haare, bevor ich meine Tür öffne und die Treppe hinunter gehe. Doch auf halbem Weg halte ich an. Ich höre Stimmen aus der Küche kommen, das Lachen meiner Mutter. Hat sie etwa Besuch? Ich lehne mich etwas über das Geländer und entdecke tatsächlich einen Mann neben meiner Mama stehen. Die beiden scheinen gut gelaunt zu sein und meine Mundwinkel zucken unwillkürlich nach oben und ein kleiner quickender Schrei kommt mir über die Lippen, den ich schnell mit meinem Pulliärmel ersticke. Mama hat Besuch. Von einem Mann. Uh-lala. Ich kichere leise, bevor ich meinen Weg nach unten endlich beende und in die Küche trete.
"Hey", gebe ich freundlich in die Runde und die beiden richten ihre Aufmerksamkeit auf mich.
"Liebling, ich hab einen Freund eingeladen. Das ist doch kein Problem oder?"
Ich zwinkere meiner Mama zu und schenke ihr ein beruhigendes lächeln: "Natürlich nicht, ich bin Madeleine." Ich halte dem fremden Mann die Hand hin, der mich aus warmen braunen Augen anguckt.
"Hallo, es freut mich sehr dich endlich kennen zu lernen." Er ergreift meine Hand und schüttelt sie kurz. "Ich bin Marcus."
"Die Freude liegt ganz meinerseits. Kennt ihr euch schon länger? Du hast noch gar nichts erzählt, Mama." Ich warf ihr einen gespielt beleidigten Blick zu, doch sie schaute unüblich Ernst. Das bin ich nicht gewohnt von meiner Mama. Egal, wie anstrengend es früher auch war, meine Mama hat nie ihr lächeln verloren. Sie ist ein unfassbar optimistischer Mensch. Ich wünsche, ich hätte mehr von meiner Mama,was das angeht, aber ich bin leider eher genau das Gegenteil. Mein Glas ist nie Halbvoll. Wahrscheinlich ist sie bloß nervös, weil sie mir zuvor noch nie einen Mann vorgestellt hat. Dabei weiß sie doch am besten, dass ich mich über alles für sie freue, vor allem wenn sie sich endlich wem neues widmet.
"Wir können ja erstmal was Essen und deine Mutter und ich erzählen dir, was alles so passiert ist." Er lächelt noch immer. Marcus wirkt sympatisch, aber seine Formulierung klingt irgendwie, etwas merkwürdig. Aber was weiß ich schon.
"Klingt gut. Ich bin am verhungern." Ich gehe zum Küchentisch, lasse mich auf meinem Platz nieder und schnell mir ein Glas Wasser ein. Ich hab heute außer der Cola von heute morgen kaum etwas getrunken, geschweige denn wirklich gegessen, also ist es nicht mal gelogen, wenn ich sage, ich würde verhungern. Außerdem hat Mama meinen Lieblingsburger bestellt und dazu noch Süßkartoffelpommes. Gott beim Gedanken sabbere ich schon beinahe.
Als Mama und Marcus sitzen greife ich in die Tüte und hole die Leckereien raus. Ich nehme meinen Burger und meine Pommes.
"Was hattest du?", frage ich an Marcus gerichtet, bevor ich ihm das Gesagte überreiche und meiner Mama ihren gebe.
"Dann guten Appetit", ergreift nun Mama das Wort, auch wenn sie immer noch irgendwie angespannt ist.
Ich nehme mir eine Pommes, tauche sie in Ketchup und Majo und schiebe sie genüsslich in meine Mund. Einfach himmlisch.
"So jetzt erzählt mal. Wie habt ihr euch kennen gelernt?" ,frage ich schnell bevor ich den ersten Biss in meinen Burger nehme und die beiden abwartend anblicke.
"Also Liebling, es ist ein wenig kompliziert", beginnt meine Mama, die abwesend mit einer einzelnen Pommes in ihrer Sauce herumrührt.
"Wir sind uns bei der Arbeit begegnet", eilt Marcus ihr zu Hilfe.
"Klingt noch nicht so kompliziert. Arbeitest du neu in der Firmer?"
"Ja ich bin gerade erst wieder hier hergezogen." Nun wurde auch der Gesichtsausdruck von Marcus ernster und mit einem mal verschwand mein Hungergefühl und wurde durch ein plötzliches Übelkeitsgefühl abgelöst. Ich lege den Burger zurück auf den Teller.
"Du hast schon mal hier gewohnt." Es ist eher eine Feststellung, als eine Frage, doch trotzdem nickt Marcus zustimmend.
"Ja aber das ist schon eine ganze Weile her."
Mein Blick schweift zu meiner Mama, die nervös mit ihren Fingern an ihrem Glas trommelt.
"Und was ist jetzt der komplizierte Teil?" Das schlechte Gefühl, was ich auf einmal hab, verstärkt sich noch weiter. Das kann nicht sein oder? Das muss ein Missverständnis sein oder? Wie gesagt, mein Kopf spielt mir oft streiche, wenn ich einen Emotionalen Tag hatte. Ich irre mich oder?!
Mein Augen richten sich schlagartig wieder auf die von Marcus. Diese Augen. Sie sehen aus wie...meine.
"Marcus ist dein Vater Spatz" ,antwortet mir meine Mama nun endlich auf meine Frage und ich lasse das Glas fallen, aus dem ich gerade zu Beruhigung trinken wollte. Es zerbricht in tausend Scherben und das Wasser spritzt in jede Richtung und durchnässt den Stoff meiner Hose.
Ich springe auf, wobei ich den Stuhl auf dem ich eben noch saß, umreiße, der mit einem lauten Knall zu Boden fällt.
"Das ist ein Scherz oder?" Meine Stimme überschlägt sich beinahe. "Ihr verarscht mich?!"
"Liebling, lass es uns dir bitte erklären."
"Erklären? Was zur Hölle willst du da noch erklären? Du schleppst den Mann wieder an, der dich, der uns, damals im Stich gelassen hat, der sich nicht einmal nach dir oder mir erkundet hat und verlangst auch noch, dass ich mich wieder hinsetze und zuhöre, was ihr mir sagen wollt? Nicht mit mir. Ich bin raus!" Ich stürme aus der Küche und knalle die Tür hinter mir zu, doch es verhinderte nicht, dass ich die Worte noch höre, die die beiden mit einandner sprechen.
"Spatz!" Das war meine Mutter. Ich höre, wie ein weiter Stuhl über den Boden geschoben wird.
"Lass sie. Sie braucht jetzt erstmal Zeit für sich. Sowas ist sicherlich nicht leicht im ersten Moment." Mein "Vater". Gott allein es sozusagen kotzt mich schon an. "Ich dache, sie hätte es vielleicht schon bemerkt. Sie war so offen und freundlich."
"Ich hatte ihr nie wirklich von dir erzählt. Außer einmal, als sie wissen wollte, wie das damals mit uns war, hatte sie nichts wissen wollen. Nicht mal deinen Namen. Ich hätte damit rechen müssen, dass sie so reagiert."
"Es ist nicht deine Schuld. Wir schaffen das schon."
Das genügt. Ich will nicht mehr hören. Scheinbar war meine Mama all die Jahre nie über ihren verdammten Ex-Mann hinweg gekommen und jetzt denkt er, er könnte sich einfach wieder in "seine Familie" drängen? Nicht mit mir: Ich liebe meine Mama, aber das war einfach nur Dumm. Er würde wieder gehen, wie das letzte Mal und ihr damit erneut das Herz rausreißen. Aber nicht mit mir. Ich wollte sein Gesicht nie sehen. Ich wollte mir den Mann nie angucken, der uns im Stich gelassen hat und nun präsentiert meine Mama ihn mir, wie auf dem Silbertablett? Obwohl sie auch noch genau wusste, wie es aufnehmen würde! Überraschung. Nicht gut, verdammt! Könnte ein Tag noch beschissenere werden, als eine gescheiterte Beziehung und einen absurden vielleicht-vielleicht nicht-Flirt mit seinem neuen Klassenlehrer? Die Antwort lautet ja. Dein Erzeuger kann ja auch nochmal an so einem Tag, in der Tür stehen und nach all den Jahren, mal wieder Hallo sagen.
Ich schlüpfe in meine Schuhe, immer noch voller Wut, greife nach meiner Jacke und meiner Tasche, die ich mir schnell überwerfe und verlasse mit einem letzten Knall der Haustür, mein bis jetzt so geliebtes Zuhause. Jetzt fühlt es sich irgendwie Fremd an, wegen des Eindringlings, der hier nichts zusuchen hat. Alkohol. Das einzige was jetzt noch hilft, ist Alkohol.
Ich will nicht mehr über all das nachdenken. Ich will einfach nur vergessen und mich lieber Taub fühlen, als diesen Schmerz in meinem Herzen zu ertragen, als mir bewusst wird, dass wenn Mama, meinen Vater tatsächlich zurück in ihr Leben lässt, es meine Mama und mich auseinander treiben wird. Er wird alles kaputt machen. Ich spüre, wie die ersten Tränen sich aus meine Augen kämpfen und mir heiß über die Wangen laufen. Ich brauche dringend Alkohol. Ich stolpere in die nächste Tankstelle, die gleich in der Nähe liegt und kaufe mir eine Flasche Berenzten, von der ich, als ich wieder draußen bin, sofort einen großen Schluck nehme. Sofort durchflutet Hitze meine Venen und mir wird kurz etwas schwindelig, doch ich ignoriere es und gehe, immer noch mit den Tränen kämpfend, wo hin mich meine Beine auch führen wollen. Bloß weg, von dem Haus, in der dieser Mann ist, der alles zerstören wird.
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