
Kapitel 54 - Macht der Vernichtung
-Anna-
Hilflos muss ich dabei zusehen, welch schlimme Qualen dieses Monster meiner Süßen zufügt. Es treibt mich fast in den Wahnsinn und als sie dann auch noch leblos in sich zusammensackt, wird mir beinahe schwarz vor Augen.
„ISABELLAAAAA!!!"
Mein langgezogener Schrei hallt von den Wänden wider und ich will zu ihr, doch bei jeder kleinsten Bewegung, drückt Tom sein Messer bedrohlich gegen meine Kehle. Ich höre Dave irgendetwas sagen, doch ich kann es nicht verstehen, da all meine Sinne auf die, selbst in dem schrecklichen Zustand, wunderschöne Frau im Zentrum der Halle fokussiert sind. Doch dann wird meine Sicht auf sie verdeckt, denn um ihn herum entsteht eine undurchdringliche Finsternis.
„Jaaaa... entfalte dich, meine Schöne. Die Zeit ist gekommen, auf die wir beide viel zu lange warten mussten."
Mit jedem Wort, welches seinen Mund verlässt, wird Daves Stimme tiefer und lauter. Der Boden beginnt erneut zu beben, aber diesmal so stark, dass sogar die Wände erzittern und einige der noch intakten Fenster unter lautem Klirren bersten. Seine dunkle Aura wird immer einnehmender und dann verlieren seine Füße plötzlich den Bodenkontakt. Als er auf halber Höhe in der Mitte der Halle schwebt, zucke ich zusammen.
„Tog-Yaru thar-sen Sad!"
Ich presse mir instinktiv die Hände auf die Ohren, denn seine Worte klingen wie die einer Ausgeburt der Hölle und sind so laut, dass der Schalldruck tiefe Risse in den Beton direkt unter ihm treibt. Die Druckwelle peitscht mir ins Gesicht, während ich ungläubig, verängstigt und fassungslos auf das personifizierte Grauen starre, dessen Existenz ich nicht wahrhaben wollte. Wäre ich doch bloß nicht so skeptisch und stattdessen etwas sensibler gewesen, vielleicht hätte ich irgendwie verhindern können, dass Isabella davonläuft und ihm zum Opfer fällt.
Dave richtet die Hände zur Decke und im nächsten Augenblick wird ein riesiges Loch unter lautem Krachen in die Stahlkonstruktion gerissen, als wäre sie aus Papier. Einige der Trümmer fallen zu Boden und lassen mich inständig hoffen, dass sie Isabella verfehlt haben. Dann schwebt er hinaus und kaum ist er außer Sichtweite, versuche ich mich aus Toms Griff zu befreien. Doch er drückt seine Finger so fest in meine Schulter, dass mir ein spitzer Schrei entfährt.
„T-Tom... bitte... ich flehe dich an... Lass mich zu Isabella!"
Ich versuche meinen Kopf nach oben zu drehen, um ihm in die Augen sehen zu können, doch das führt nur dazu, dass die Klinge ein unangenehmes Gefühl auf meiner Haut hinterlässt, welches in einem brennenden Schmerz endet. Ich ziehe meinen Kopf reflexartig zurück, stoße dadurch gegen Toms Bauch und zu allem Überfluss kann ich aufgrund des sich langsam legenden Staubes erkennen, dass das Seil, mit dem Isabella gefesselt war, durch die Zerstörung des Daches gerissen ist und sie nun regungslos am Boden liegt. Fieberhaft überlege ich, wie ich Daves Einfluss auf Tom stören könnte, als die Halle plötzlich durch die draußen stattfindende Vernichtung erneut erschüttert wird.
Es hilft nichts... ich muss versuchen freizukommen, bevor Dave mit seiner Machtdemonstration fertig ist. Ich spüre, wie das Adrenalin meine Adern flutet, ehe ich mir ein Herz fasse, aushole und Tom meinen Ellenbogen so fest ich nur kann von unten gegen seinen Rippenbogen stoße. Ächzend krümmt er sich zusammen und lässt für einen kurzen Augenblick locker, was mir die Gelegenheit verschafft, mich unter seinem Arm hindurchzuducken. Ich stolpere einige Schritte nach vorne und falle zu Boden, schaffe es aber dabei, ein größeres Trümmerstück zu greifen. Ich drehe mich ruckartig auf den Rücken, schreie panisch auf, als ich ihn wütend auf mich zu springen sehe und hole aus. Das Stück Backstein trifft hart auf seine Schläfe und wirft ihn benommen zur Seite. Ich schnappe mir das Messer, was ihm durch meinen Schlag aus der Hand gefallen ist, und rapple mich auf. So schnell ich kann eile ich zu dem Trümmerfeld in der Mitte der Halle und werfe mich zu Isabella auf die Knie. Sie liegt auf dem Rücken, ihre Arme sind nach oben ausgestreckt und ich bekomme eine Gänsehaut bei dem Anblick des Stahlträgers, der nur einen Meter neben ihrem Kopf aufgeschlagen ist. Ich führe mein Ohr ganz nah an ihren Mund und zu meiner Erleichterung nehme ich ganz leise Atemgeräusche wahr. Schnell befreie ich sie von den Fesseln und stelle entsetzt fest, dass die Stricke tief in ihr Fleisch geschnitten haben. Hastig reiße ich mir ein Stück Stoff aus meinem T-Shirt heraus, teile es in zwei Hälften und verbinde damit notdürftig ihre Wunden. Anschließend führe ich meine Arme behutsam unter ihren Kniekehlen und ihrem oberen Rücken hindurch. Aufgrund ihrer zarten Statur ist es nicht schwer für mich, sie zu mir heranzuziehen und ihren Oberkörper auf meinen Beinen zu betten. Vorsichtig lege ich meine nun freie Hand an ihren Hinterkopf und hebe ihn an, um ihr ins Gesicht sehen zu können.
„Bella? Kannst... kannst du mich hören? Bitte... bitte, komm zu dir..."
Da sie auch nach weiteren Versuchen nicht reagiert, kommen mir Tränen der Verzweiflung. Ich bin nicht stark genug, um mit ihr zu fliehen, während sie bewusstlos ist und es kann nicht mehr lange dauern, bis Tom wieder zu sich kommt und Dave seine Aufmerksamkeit wieder auf uns richtet. Ich drücke ihren Kopf an meine Brust und lege meine Lippen an ihre verschwitzte Stirn. Behutsam streichle ich ihre Wange und schließe die Augen. Die Frau, die mir vor einigen Stunden noch die schönsten Gefühle beschert hat, die ein Mensch nur erleben kann, liegt nun verletzt und hilflos in meinen Armen und ich kann nichts tun, um sie in Sicherheit zu bringen. Mein Herz wird schwerer und schwerer, bis ich ein tiefes Schluchzen nicht mehr unterdrücken kann. Doch ich komme nicht dazu, vollends in meiner Verzweiflung zu versinken, denn schon im nächsten Augenblick, rauscht eine Welle der Zerstörung über den hinteren Teil der Halle und reißt alles mit sich, was sich in ihrem Weg befindet. Ich fange unkontrolliert an zu zittern, denn kurz darauf trifft es auch den vorderen Teil und um Haaresbreite wäre auch Tom, der noch immer am Boden liegt, von ihr erfasst worden. Ich umklammere Isabellas Oberkörper ganz fest und mache mich so klein ich kann. Der noch stehende Teil der Hall ist bedrohlich instabil geworden. Es kracht über und hinter mir, während wir von dichtem Staub eingehüllt werden.
„Oh Süße... wach auf... unsere Kinder brauchen dich... Ich brauche dich... so sehr...", schluchze ich der gepeinigten Schönheit leise ins Ohr.
Dann tritt ein Schatten aus der Staubwolke direkt vor mir und mein Herz beginnt wieder zu rasen, als ich sehe, wie sehr Dave von dieser Macht verändert wurde. Die dunkle Aura wabert wie schwarze Flammen um ihn herum und seine Augen sind so verfinstert, dass auch das letzte bisschen Menschlichkeit verschwunden ist. Ein Schadenfrohes Lächeln ziert seine Lippen als er Isabella in meinen Armen liegen sieht. Ich wische mir meine Tränen weg, funkle ihn wütend an und gebe mir größte Mühe meine Angst zu verbergen, während er auf uns zu schreitet. Als er direkt neben mir steht, legt er seine Hand an mein Kinn und hebt meinen Kopf. Widerwillig schaue ich ihm in die Augen.
„Ooooch, so voller Hass? Er sorgt nur für unschöne Falten in deinem so hübschen Gesicht. Vielleicht verschone ich ja dein Leben und nehme dich mit in mein Reich. Du würdest eine vortreffliche Zofe abgeben."
„Lieber würde ich sterben...", antworte ich zornig und bin überrascht von dem selbstischeren Klang, den ich meiner Stimme trotz all des Horrors verleihen konnte.
„Pah... noch so eine einfältige Kreatur, die ihre Worte nicht mit Bedacht wählt."
Er kommt noch näher an mein Gesicht heran und flüstert: „Es gibt schlimmere Dinge als den Tod!"
Sofort wird mir schwindelig und ich bekomme eine unangenehme Gänsehaut bei der Vorstellung, was er wohl im Stande wäre, mir anzutun.
Dave richtet sich wieder auf und entfernt sich einige Schritte.
„Aber keine Angst... dir und Lumisrae wird ein schnelles Ende zuteil, wenn ich Shae'Korran auch noch den letzten Rest dieser Mauern einreißen lasse."
Oh Gott... bitte... bitte nicht... flehe ich innerlich und betrachte Isabellas Gesicht, während meine Tränen sich mit dem Staub auf ihrer Brust vermischen. Das kann doch nicht das Ende sein... Ich will endlich aus diesem Albtraum aufwachen. Schluchzend drücke ich ihren Oberkörper wieder fest an mich und dann bricht mein Herz entzwei, als ich bemerke, dass ihre Atemgeräusche verstummt sind. Ein lauter Schmerzensschrei verlässt meine Kehle, während ich im Augenwinkel nur am Rande wahrnehme, wie Dave sich hämisch lachend wieder in die Lüfte erhebt.
„Bellaaaa! Wach auf!! Bitte... lass mich nicht allein!!!", rufe ich, völlig außer mir vor Angst.
Niemals hätte ich mir vorstellen können, wie es ist, solch schreckliche Qualen durchmachen zu müssen und nun schaue ich dem Tod schon zum zweiten Mal ins Auge. Bitterlich weinend lege ich Isabellas Körper auf meinem Schoß ab und nehme ihr Gesicht in meine Hände, um ihr ein letztes Mal zu zeigen, wie viel sie mir bedeutet. Ganz sanft küsse ich ihre bereits leicht bläulichen Lippen und streiche ihr anschließen langsam eine Strähne ihres wunderschönen Haars von der Stirn.
„Ich... ich bin mir sicher... meine bezaubernde Bella... so sicher war ich mir noch nie zuvor. Ich wünschte nur, du wärst noch hier bei mir, um es zu hören..."
Meine Stimme zittert stark und die Trauer verursacht solche Schmerzen in meiner Brust, dass mir das Atmen schwerfällt. Behutsam fahre ich mit meinen Daumen über ihre Lieder und flüstere ganz leise:
„Ich... ich liebe dich!"
Dann schließe ich die Augen, drücke ihren Kopf an meine Wange und erwarte zitternd mein Schicksal.
Vor meinem inneren Auge laufen die Bilder der letzten Wochen ab, seit ich sie das erste Mal sah. Wie sie mich mit ihrer Stimme und mit ihrer liebreizenden Art um den Verstand brachte und ich nicht wahrhaben wollte, dass ich im Begriff war, Gefühle für eine Frau zu entwickeln. Dann das zufällige Treffen in der Stadt, ihr zweiter Auftritt und das darauffolgende Chaos in meinem Kopf, welches mich in Toms Arme getrieben hat. Diese unglaubliche Überraschung, als sie auf einmal vor der Tür meiner neuen Wohnung stand und dann diese aufregenden Tage, ehe wir uns in der Taverne das erste Mal berührten und miteinander sprachen. Die Zeit nach dem Anschlag auf mein Leben, in der ich mich wie ein frisch verliebter Teenager gefühlt habe, war eine der schönsten meines Lebens, auch wenn sie nur von kurzer Dauer und teilweise traumatisch war. Und jetzt wünsche ich mir nichts sehnlicher als noch einmal in die letzte Nacht zurückreisen zu können, um zu verhindern, dass es zu Isabellas Gefühlsausbruch und der anschließenden Explosion kommt.
Meine Gedankenreise findet ein jähes Ende, als Daves fremdartige Worte an mein Ohr dringen und der Boden wieder anfängt zu beben. Ich will mich gerade mental auf das Schlimmste vorbereiten, wenn ich das überhaupt zu tun vermag, als ich plötzlich einen rötlichen Schein durch meine Lieder wahrnehme. Verwundert schlage ich sie auf und erkenne verschwommen durch den Tränenschleier, dass das Leuchten von Isabellas Hinterkopf auszugehen scheint. Ich drehe sie leicht zur Seite und sofort sticht mir die Narbe ins Auge, welche ich am See in ihrem Nacken entdeckt hatte. Sie glüht feuerrot und keine Sekunde später, gehen von ihr viele kleine Risse aus, die sich über ihre Haut ausbreiten. Sie wirken fast wie winzige Lavaströme, die langsam über ihren Rücken, ihre Brust und dann auch über ihre Arme und Beine fließen. Sie bilden filigrane Symbole oder Schriftzeichen, die ich noch nie zuvor gesehen habe. Völlig perplex, aber auch fasziniert und voller Hoffnung beobachte ich, was mit meiner außergewöhnlichen Bella passiert. Zaghaft lege ich meine Hand auf ihren Unterarm und spüre die leicht erhabenen Linien, welche eine wohlige Wärme abgeben. Erst als ihr Körper vollständig bedeckt ist, kriechen die Linien auch ihren Hals hinauf und verzieren ihr wunderschönes Gesicht. Und was dann passiert, lässt mich mit offenem Mund erstarren. Kaum haben sie ihr rubinrotes Haar erreicht, scheint es, als würde es sich entzünden. Es beginnt in grellem Licht zu strahlen und im nächsten Augenblick wird mein Gehör auf eine harte Probe gestellt.
„NEEEIIIINNNN!!!"
Daves dämonische Stimme bringt meine Trommelfelle beinahe zum Platzen und überrollt mich wie ein Lastwagen. Ich werde von der Druckwelle hart auf den Rücken geworfen und bin zunächst benommen und orientierungslos, da ich außer einem lauten Fiepen nichts hören kann. Doch ich schaffe es irgendwie, mich aufzurappeln und krabble wieder zu Isabellas Körper, der einen Meter von mir entfernt im Staub auf dem Rücken liegt. Ich beuge mich über sie, nehme ihre Hand und drücke sie fest an meine Brust. Ihr durch das unglaubliche Phänomen so veränderter Anblick verpasst mir eine Gänsehaut und Dave scheint es nicht anders zu gehen, denn er ist verstummt. Als ich zu ihm aufsehe, erkenne ich, wie er sie ebenfalls ungläubig anstarrt.
„Das... das kann nicht sein... das Sankrularium... die Prophezeiung... das sind doch alles nur Geschichten, verbreitet von diesen... diesen schwächlichen Weibsbildern."
Es ist eine große Genugtuung zu sehen, dass in meiner zarten Bella anscheinend mehr steckt, als dieser Unhold erwartet hatte, doch meine Euphorie wird schnell wieder gebremst, als der Zorn in sein Gesicht zurückkehrt. Er hebt seine Arme und sofort beginnt der Boden unter meinen Füßen extrem zu wackeln. Ein lautes metallisches Krachen bringt mich dazu, nach oben zu sehen und ich stelle schockiert fest, dass die Überreste des Daches drohen auf uns herabzustürzen. Mein Herz fängt wieder an zu rasen, während ich an Isabellas Schultern rüttle.
„Bella... wenn du tatsächlich noch irgendwo da drinnen bist, dann wäre jetzt der beste Zeitpunkt, um aufzuwachen."
Da ich noch immer keine Bewegung wahrnehme und die Geräusche noch bedrohlicher werden, stehe ich auf, greife Isabella unter die Arme und versuche sie aus der Gefahrenzone zu zerren, doch es ist zu spät. Mit lautem Getöse reißen die Stahlträger auseinander und rasen auf uns zu. Schreiend klammere mich um ihren Hals, doch dann wird es auf einmal totenstill. Vorsichtig hebe ich meinen Kopf, wage einen Blick und was ich sehe, verschlägt mir einmal mehr die Sprache...
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