
Kapitel 20 - Hämische Freude
-Anna-
Seufzend stehe ich vor dem Spiegel in meinem Badezimmer und betrachte das Kunstwerk, zu dem ich mein Gesicht in den letzten fünfzehn Minuten gemacht habe. Ich hasse es mich aufzutakeln, aber ich weiß, dass es Tom gefällt. Während ich nach dem Flakon mit meinem Lieblingsparfum greife und mir etwas davon auf den Hals sprühe, überlege ich für einen kurzen Moment, ob ich ihm nicht doch noch absagen soll. Seit dem erleuchtenden Gespräch mit Diana, ist mir überhaupt nicht mehr danach, den Abend mit Tom in seiner Wohnung zu verbringen, doch ich schulde es ihm, allein schon wegen seiner großzügigen Hilfe.
Als ich gerade dabei bin mir meine Haare zurechtzumachen, sehe ich im Spiegel, wie Carolin ihren Kopf zur Tür hereinsteckt. Mit grimmigem Blick mustert sie mich von oben bis unten und ich weiß genau, was in ihrem Kopf vorgeht.
„Triffst du dich wieder mit diesem Lackaffen?"
Ich verdrehe die Augen und versuche sie zu ignorieren, doch dass ich das bei meinem kleinen Dickkopf von Tochter nicht lange durchalten werde, ist mir klar.
Sie stellt sich mit vor der Brust verschränkten Armen in den Türrahmen und legt die Stirn in Falten. „Ich dachte, du magst Makeup nicht."
„Tue ich auch nicht." Unmittelbar nachdem ich das ausgesprochen habe, frage ich mich selbst, was ich eigentlich hier mache. Die Grundlage, auf der das Verhältnis zwischen Tom und mir basiert, ist so oberflächlich und entspricht überhaupt nicht dem, was ich mir eigentlich wünsche. Allein die Vorstellung, mich immer so unnatürlich zurechtmachen zu müssen, um neben ihm nicht wie ein Mauerblümchen auszusehen, macht mir klar, dass ich das Ganze von vornherein hätte bleiben lassen sollen. Klar genieße ich seine bewundernden Blicke, seine zuvorkommende charmante Art und auch die Tatsache, dass er mich begehrt, aber ich würde mich an seiner Seite vermutlich nie frei fühlen so zu sein, wie ich bin.
„Und warum klatscht du dir dann so viel davon ins Gesicht?"
Von Carolins Frage aus meinen Gedanken geholt, drehe ich mich zu ihr um und schaue in ihr kritisches Gesicht. „Weißt du Caro, ich glaube du hattest recht... Tom ist vermutlich nicht der Mann, mit dem ich glücklich werden kann."
„Aber?" Caro hebt erwartungsvoll eine Augenbraue.
„Nichts „Aber"! Ich verbringe nur noch diesen einen Abend mit ihm, als Dankeschön dafür, dass er uns den Umzug bezahlt hat und dann beende ich das."
Caro gibt einen verächtlichen Ton von sich. „Wenn du doch eh Schluss machen willst, dann tu es doch jetzt gleich. Du hast ihn ja schließlich nicht um Hilfe gebeten."
„So einfach ist das aber nicht, ich..."
„Doch, ist es wohl!", fällt sie mir ins Wort. „Du siehst ihn hinterher doch eh nie wieder."
„Ach Caro... über höflichen und respektvollen Umgang miteinander musst du noch so einiges lernen. Man sollte andere Menschen immer so behandeln, wie man selbst behandelt werden möchte", sage ich freundlich, aber bestimmt.
„Na, wenn mein Freund erst noch einen netten Abend mit mir verbringen würde und mir danach direkt sagt, er wolle Schluss machen, würde ich mich ziemlich verarscht fühlen. Aber mach, wie du meinst Mama, ich gehe jetzt hoch zu Benni." Carolin dreht sich mit einem triumphierenden Grinsen um und verlässt das Badezimmer, während ich ihr nur sprachlos nachsehe.
Wurde ich gerade von einer Vierzehnjährigen belehrt? Offensichtlich... und sie hat recht. Tom erst noch mit meinem Auftreten zu signalisieren, ich wäre an mehr interessiert nur um ihm dann den Laufpass zu geben, ist schon ziemlich daneben. Ein Blick auf meine filigrane rosegoldene Armbanduhr zeigt mir, dass ich noch eine Stunde Zeit habe, bis er mich abholen kommt, also habe ich noch die Chance, ihn anzurufen, um abzusagen. Nachdem ich mich entschlossen habe es zu tun, gehe ich in mein Schlafzimmer, um mein Handy zu holen. Auf dem Weg dahin, muss ich daran denken, dass Carolin sich gerade in Isabellas Wohnung begibt. Hoffentlich setzt sie ihr Spielchen vom letzten Sonntag nicht fort, aber andererseits schien Isabella, Caros Schilderungen nach, ja ganz gut damit klargekommen zu sein. Ich muss Schmunzeln bei dem Gedanken daran, dass Caro sich an ihr die Zähne ausbeißt. Hach, wie gern würde ich jetzt auch bei Isabella anklopfen, nur um wieder ihren süßen schüchternen Blick sehen zu können.
Ich bin gerade dabei Toms Nummer auf meinem Handy aufzurufen, als die Klingel ertönt. Nanu? Wer könnte das denn sein? Verwundert und mit leichtem Herzklopfen gehe ich zur Tür und drücke den Summer. Als ich sie öffne und ein paar Augenblicke später erkenne, wer die Treppe zu mir emporsteigt, läuft mir ein kalter Schauer den Rücken runter.
„Tom! Ich... ich hatte dich noch gar nicht erwartet..."
Er hält mir eine rote Rose entgegen und mustert mich mit einem charmanten Lächeln. „Hallo schöne Frau. Ich habe es nicht mehr ausgehalten und dachte mir, ich komme etwas früher."
Ich nehme die Rose entgegen und erwidere sein Lächeln verlegen. Oje, was mache ich denn nur? Es würde ihm das Herz brechen, wenn ich ihm hier und jetzt... nein, das kann ich nicht machen. Dann muss ich da wohl doch durch...
„Da... das ist ja lieb von dir... ich... ich bin auch schon fast fertig. Komm doch so lange rein, ich muss mir nur noch die Schuhe anziehen." Während ich zum Schuhschrank gehe und meine High Heels herausnehme, betritt Tom meine Wohnung und schließt die Tür hinter sich.
„Darf ich das Übernehmen?", fragt er mit seiner charismatischen Stimme.
Noch bevor ich etwas erwidern kann, hat er mir die Schuhe auch schon aus den Händen genommen, und kniet sich vor mich hin. Sanft legt er seine Hand an meine nackte Wade und hebt mein Bein etwas an. Seine Berührung jagt mir eine Gänsehaut über den Körper und ich spüre, wie mir warm wird. Sachte streift er mir den Schuh über meinen Fuß und schließt den feinen Riemen um mein Gelenk. Als er mit dem rechten fertig ist, wiederholt er dies bei meinem linken, doch am Ende lässt er seine Hand langsam bis in meine Kniekehle gleiten und drückt mir einen zarten Kuss auf meinen Oberschenkel, direkt unterhalb des Saums meines Kleides. Mein Puls schnellt in die Höhe und ich stoße einen ungewollten Seufzer aus, der einem Stöhnen sehr nahekommt.
Herrje... wenn ich bei so einer Kleinigkeit schon schwach werde, wie soll ich dann den weiteren Versuchungen wiederstehen die mich hundertprozentig an diesem Abend noch erwarten?
Als er wieder vor mir steht und mir in die Augen sieht, ist sein Blick voller Verlangen, wie auch schon bei unseren letzten beiden Treffen.
„Hast du alles, was du brauchst?" fragt er mich bei dem Blick auf meine Handtasche, die auf der Kommode neben mir steht.
Ich nicke nur, greife danach und lasse mich von Tom an der Hand aus meiner Wohnung führen.
-Isabella-
Fröhlich vor mich hinsingend sitze ich im Wohnzimmer auf meinem Sessel und streichle mit geschlossenen Augen die Saiten meiner Larrivée, als es klingelt.
„Ist für mich", höre ich Benni keine zwei Sekunden später rufen, also lasse ich mich nicht in meinem Fluss stören und gebe mich wieder den wunderschönen Tagträumen hin, die seit gestern jede ruhige Minute beherrschen. Immer wieder stelle ich mir vor, wie es wohl sein mag, mit Anna zusammen zu sein. Wie schaffe ich es bloß ihr näher zu kommen, sie kennenzulernen? Ob ich einfach noch mal runtergehen und bei ihr klingeln soll? Puh... das würde mich auf jeden fall sehr viel Überwindung kosten. Aber ich will es doch so sehr, also warum mache ich mir noch Gedanken darüber, ob ich es tun soll anstatt zu überlegen wann?
„Das klingt wunderschön."
Ich zucke zusammen, öffne die Augen und erkenne Carolin, die neben Benni im Türrahmen steht.
„Oh...ähm... hallo Carolin... vie... vielen Dank für das Kompliment." Mensch Bella! Wenn du schon bei ihrer Tochter nicht schaffst das blöde Gestammel abzustellen, wie soll es dann werden, wenn du vor Anna persönlich stehst? Jetzt reiß dich endlich zusammen!
Carolin geht an mir vorbei und lässt sich aufs Sofa fallen, während Benni ihr hinterhertrottet und sich neben sie gesellt. Ich kann in seinem Gesicht erkennen, dass ihm das nicht wirklich recht ist, aber Carolin scheint gewohnt zu sein, ihren Willen durchzusetzen.
„Singst du mir etwas vor?" Da ist es wieder, dieses verschmitzte Grinsen, mit dem sie mich schon mal versucht hat aus der Reserve zu locken, aber nicht mit mir, junges Fräulein! Mit geübten Griffen stimme ich den gleichen Song an, mit dem ich auch schon ihre Mutter verzaubert habe und schaue ihr in die Augen, während ich beginne zu singen. Wie gebannt sieht sie mir zu und schon bald verschwindet das Grinsen aus ihrem Gesicht, um einem erstaunten Blick Platz zu machen. Ich habe keine Ahnung, was sie erwartet hatte, aber definitiv nicht das, was sie in diesem Moment von mir geboten bekommt. Als ich Bennis stolzen Blick sehe, als er bemerkt, wie beeindruckt Carolin von meiner Darbietung ist, lächle ich in mich hinein. Dieses Gefühl bewundert zu werden, ist so unglaublich berauschend, dass ich nicht genug davon bekommen kann. Ich muss Roxy unbedingt bitten, wieder auftreten zu dürfen, aber noch viel mehr wünsche ich mir, diese Reaktion noch einmal bei Anna zu sehen.
Kaum habe ich den Song beendet, erlangt Carolin ihre Fassung wieder. „Wow, das war meeega. Du hast mir noch gar nicht erzählt, dass deine Mum so krass gut singen kann", sagt sie an Benni gewandt.
Ich gebe mir alle Mühe meine Verlegenheit zu verbergen, denn vor Carolin habe ich ein noch stärkeres Bedürfnis keine Schwäche zu zeigen als vor irgendwem sonst. „Dankeschön. Freut mich, dass es dir gefallen hat."
„Möchtet ihr etwas trinken?", fragt Benni. Carolin nickt und ich schüttle nur mit dem Kopf, bevor er den Raum verlässt.
„Du musst das unbedingt mal meiner Mum vorsingen, sie liebt den Film." Unweigerlich fährt mir ein Grinsen auf die Lippen, welches ich notdürftig mit meiner Hand zu verdecken versuche. Wenn du wüsstest, Carolin... Apropos, das ist die perfekte Gelegenheit herauszufinden, ob Anna zuhause ist und ob sie den Abend schon verplant hat. Vielleicht kann ich sie fragen, ob sie mit mir in die Taverne gehen möchte.
„Du, Carolin?"
„Du sollst mich doch Caro nennen!"
„Oh... ja... ähm... Caro?"
„Ja?" Ihr aufreizendes Lächeln und Augenklimpern trifft mich unvorbereitet. Dieses Mädchen macht mich noch wahnsinnig...
„Ist... ist deine... Mum... zuhause?" Verärgert darüber, dass meine Verlegenheit schon wieder stärker war als mein Wille, sehe ich Caro erwartungsvoll in ihre himmelblauen Augen, die denen ihrer Mama so unglaublich ähneln.
Irritiert muss ich feststellen, dass ihr Lächeln verrutscht und sich ihre Augenbrauen zusammenziehen. „Keine Ahnung, ob sie noch da ist."
Hmmm... was meint sie wohl damit? Ob ich sie fragen kann? Ach was solls... „Hat... hat sie vor, auszugehen?"
„Ach... sie ist mit so nem blöden Anwalt verabredet. Voll der Lackaffe..." Caros verächtlicher Kommentar zu den Samstagabendplänen ihrer Mutter, versetzt mir einen Stich in mein Herz und meine Glücksgefühle ziehen schlagartig von dannen. Sie... sie hat ein Date? Sollte ich mich etwa schon wieder so in den Zeichen getäuscht haben, die in meinen Augen dafürsprachen, dass Anna Interesse an mir hat?
Als Caro bemerkt, dass mir meine Gesichtszüge ebenfalls entgleiten, weiche ich ihrem neugierigen Blick aus. „Ist irgendetwas? Du guckst so, als fändest du das genauso blöd wie ich."
Verdammt! Was sage ich ihr denn jetzt? Während ich nach einer Ausrede suche, steht Caro seufzend auf. „Naja, ich geh dann mal zu Benni. Wenn du dich dazu entscheiden solltest zuzugeben, dass du dich für meine Mum interessierst, weißt du ja, wo du mich findest."
Mit weit aufgerissenen Augen starre ich sie an, während sie mit einem schelmischen Grinsen auf den Lippen an mir vorbeigeht. „Wie...wie kommst du denn darauf?", frage ich sie mit zittriger Stimme, bevor sie den Raum verlassen kann, in der Hoffnung, dass es nur eine Finte von ihr war.
Sie dreht sich zu mir um und fährt mit ihrer Hand durch ihre kurzen dunklen Haare. „Weißt du Isabella, es ist total easy für mich von deinem Gesicht abzulesen, was gerade in deinem Kopf abgeht. Allein dein verliebtes Grinsen, nachdem du letzten Sonntag bei meiner Mum unten warst... Ich dachte zunächst, das Gras, ja ich habe es gerochen, wäre der Grund gewesen, aber es war dasselbe Grinsen, wie gerade, als ich meinte, du solltest ihr den Song mal vorsingen. Und dann deine Frage, ob sie heute zuhause sei und dein enttäuschter Gesichtsausdruck, als ich erwähnte, dass sie eine Verabredung hat... Das ist alles total offensichtlich."
Das Gefühl, ertappt worden zu sein, war noch nie so stark in meinem Leben wie in diesem Moment und dass ein junges Mädchen auch noch schuld daran ist, beschämt mich zutiefst. Meine Wangen werden heiß und ich sehe zu Boden, während Caro sich wieder auf dem Sofa niederlässt. Am liebsten würde ich mich in Luft auflösen, um dieser mehr als unangenehmen Situation zu entfliehen... Als dann auch noch Benni zur Tür hereinkommt und meinen hochroten Kopf bemerkt, springe ich auf, stelle meine Gitarre hastig in die Ecke und schiebe mich an ihm vorbei, um in mein Schlafzimmer zu eilen. Dort angekommen schließe ich mich ein und werfe mich aufs Bett, um mein Gesicht in meinem Kissen zu vergraben.
Kinder können so unglaublich grausam sein...
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Uiuiui, da haben Anna und besonders Isabella die geballte Ladung Carolin abbekommen :-D
Ihr Lieben,
ich freue mich sehr, dass ihr meine Geschichte weiterhin mit soviel Interesse verfolgt und vielen Dank für eure Votes, Kommentare und Nachrichten. Jede einzelne Reaktion von euch versüßt mir meinen Tag!
Viel Spaß weiterhin und auf die nächsten 20 Kapitel ;-)
LG
Raziel
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