kapitel 4
venus blieb in einer position für 30 minuten. selbst auf nachfrage hin nie länger. vielleicht hatte sie angst, man würde nach einem zu langen zeitraum zu viel von ihr sehen. vielleicht war dies die kunst des modellstehens – die künstler nur sehen lassen, was man sie sehen lassen wollte.
es war mir gleich. ich verlor keinen einzigen gedanken an diese dramaturgie. an einem abend schon besaß ich bis zu sechs zeichnungen von verschiedenen winkeln.
es erschöpfte meine hand stark. einmal an jenem abend brach ich meine kohlemiene bei versehen. meine augen schmerzten. ich bekam tropfen dagegen gereicht, wann immer ich brauchte. ich strich mir mit meinem handgelenk über meine lider. am ende hatte ich nichtsdestotrotz kohle in meine dichten wimpern gerieben.
es wurde spät und ich musste schätzen. es war gegen drei uhr nachts, gutmöglich. nachdem ich alle anfertigungen in meinen block gelegt hatte, strich ich meine hände an meiner dunklen jeans ab. mein blut sprudelte mit blanquette de limoux.
„paris ist einsam bei nacht. rauchen sie mit mir?"
ich sah aus meiner müden trance auf. es fasste mich nicht mit der wucht, mit der ich dachte, dass es das tun würde. stattdessen war es ganz leise in mir. mein herz hämmerte im langsamen takt der abschweifenden musik. meine lippen öffneten sich einen kleinen verblüfften spalt. ich befand mich im nebel verschiedener wolken.
„gerne.", sagte ich.
ich sah zu boden, nahm meinen block und malkasten unter den arm, strich mir langsam die strähnen aus dem gesicht, ehe ich stand und venus ansah.
sie trug einen schwarzen, leichten mantel, den sie eng zugeschnürt hatte. darunter, wahrscheinlich nichts.
ein paar minuten später, draußen auf dem kleinen balkon fragte ich sie: „gauloises blau oder rot?"
in der eile bei l'autre côté rauchte ich zigaretten aus der packung, statt das malen zu verbannen und mir jedes mal eine einzelne zu drehen.
venus stand gegenüber von mir, mit dem rücken gegen das schwarze verschnörkelte geländer angelehnt, den blick auf die ferne von paris gerichtet, sodass ich nur aufmerksam ihr profil studieren konnte. dunkelgöttin. goldener haarkranz.
„du hast rot?" sie wendete mir ihr gesicht zu. graue augen im pariser dunkel.
ich schüttelte sachte meinen kopf. „nein."
„gut.", erwiderte sie, „ich rauche nicht rot."
ich auch nicht. ich griff in meine große manteltasche. ich liebte die taschen von mänteln. zwischen meinen fingern tanzte eine zigarette, als ich sie wieder herausholte. venus stand mir nah, als ich sie anzündete. ich fragte mich, ob sie meinen aus dem takt gefallenen atem auf ihren wangen spürte. fühlte er sich hitzig auf ihrer haut gegen die kalte nachtluft an?
wohlige feuerzeugwärme brannte an meinen fingerspitzen. ich zog an. ich hielt, während ich die frau vor mir betrachtete. ich vergaß nicht das rotgoldene licht, das durch die flamme des feuerzeugs schatten auf ihrem gesicht getanzt hatte. ich hielt. ich reichte ihr die zigarette. ich hielt. venus nahm einen zug. ich hielt. der rauch entfloh venus' mund. ich ließ, ebenso, los. erleichterung.
„du musst das malen lieben, nicht?"
ihre stimme ist kein bisschen rau.
ich nickte langsam. „natürlich."
„das bewundere ich.", sagte sie.
„und du?", fragte ich, während die zigarette an meinen lippen aufglimmte, „liebst du das modellstehen?"
„es reicht mir, wenn die künstler lieben, was ich tue. ich muss es nicht auch noch tun."
sie zwinkerte mir zu.
ich schmunzelte leise. wahrscheinlich, weil ich nicht wusste, was ich darauf sagen sollte. sie nahm mir die zigarette aus der hand. es musste schrecklich sein, dachte ich, aber ich hatte nur augen für ihr zwinkern. es musste schrecklich sein – sie musste sich schrecklich fühlen. aber ihr zwinkern, oh gott, ihr zwinkern.
„ich möchte die zeichnungen von mir sehen.", sagte venus und sah auf den block, der bei meinen beinen liegte, hinab. dann sah sie hoch, tief und fest in meine augen.
ich hielt ihren blick für ein paar sekunden. sie hatte plötzlich etwas eisernes an sich. ich schämte mich nicht für meine zeichnungen, aber venus ließ meine haut und mein blut prickeln. ich schlug den block auf der ersten seite, die ihr gewidmet war, auf. dann gab ich ihn ihr. aus großen dunklen augen sah ich ihr zu. einen arm hielt ich um meinen bauch geschlungen, die finger meiner anderen hand lagen konzentriert über meinen warmen lippen.
sie betrachtete jede anfertigung für ein paar sekunden. dann schloss sie den block und hielt ihn mir ohne großen gesichtsausdruck hin.
„ich möchte, dass du mich privat zeichnest. ich werde dich bezahlen."
ich zog langsam an der zigarette. der rauch qualmte über ihrer ausgestreckten hand.
„wenn sie dir gefallen.", sagte ich. die zeichnungen.
„gefalle ich dir denn?"
ich dachte daran, was sie mir zuvor erzählt hatte, aschte die zigarette an dem balkongeländer ab und wiederholte ihre worte:
„wenn es dir ausreicht, dass ein künstler dich liebt – ja. dann gefällst du mir."
dann gefiel sie mir sogar sehr.
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