✶Kapitel Drei✶
Ich trat durch die Tür des Verhörraums, der mich sofort in seinen eisigen Griff nahm.
Das grelle Licht von oben ließ alles in einem fast klinischen Weiß erscheinen, während die Wände wie das Innere eines Käfigs aus Stahl wirkten. Der Raum roch nach desinfizierendem Reinigungsmittel, nach kaltem Metall und etwas, das ich nicht benennen konnte – eine Art bedrückende Stille, die sich wie ein unsichtbares Gewicht auf meine Schultern legte.
Minho saß an dem Tisch, seine Hände in schweren Ketten abgelegt, wie ein Tier, das in einem Zwinger eingesperrt ist.
Die Ketten schienen nichts anderes zu sein, als ein weiteres Symbol seiner Gefangenschaft. Er sah nicht auf, als ich eintrat, keine Bewegung, keine Regung. Nur der Klang der Tür, die ins Schloss fiel, hallte in der leeren Stille wider, und dann war da nur noch das Ticken einer Uhr, irgendwo im Hintergrund.
Ich setzte mich ihm gegenüber, ohne ein Wort zu sagen. Meine Augen glitten kurz über seine Gestalt. Der Raum war zu klein, um nicht die ganze Präsenz eines Menschen zu spüren, besonders die eines Mannes wie diesem. Minho war unbestreitbar schön – fast zu schön, als dass ein Verbrecher in solch einem Körper stecken konnte.
Er hatte das Gesicht eines jungen Adonis, perfekt geschnittene Züge, die Wangenknochen hoch und scharf, die Lippen fast zu voll für ein solches Gesicht, das sich hinter einer stoischen Maske verbarg. Aber unter dieser Schönheit schimmerte etwas, das ich nicht sofort begreifen konnte. Etwas Dunkles.
Er saß da, den Kopf leicht zur Seite geneigt, und ich konnte fühlen, wie seine Augen, auch wenn sie mich nicht direkt ansahen, mich durchdrangen.
Ich hatte die Akte gelesen – wusste, was ihm vorgeworfen wurde – aber ich versuchte, mich zu zwingen, nicht an das Bild der Kleinfamilie zu denken, das mir immer wieder in den Kopf schoss. Ein unschuldiges Kind, das von ihm, ihrem eigenen Bruder, missbraucht worden sein sollte.
Ich kannte die Akte – das Bild des kleinen Mädchens in meinem Kopf war jetzt ein düsterer Schatten, der in meinen Gedanken schwebte, immer und immer wieder. Sie war gerade mal sieben Jahre alt, als sie ihren letzten Atemzug tat.
Ihr Körper wurde im Kinderzimmer gefunden.
Ihr weicher Körper, zerbrochen und gezeichnet von Missbrauch.
Die Spuren der Gewalt an ihrem zarten Hals – die leichten Strangulationsmale, die nicht die Todesursache waren, aber die deutlich machten, was passiert war. Doch das war nicht der schlimmste Teil.
Der schlimmste Teil war, dass sie erstickte. Sie erstickte an ihrem eigenen Erbrochenen.
Der Schock, den sie erlitten hatte, muss so gewaltig gewesen sein, dass sie ihren Mageninhalt auf den Boden der Welt erbrach, die Welt, die sie nie mehr verstehen konnte. Und dort, in diesem Raum, erstickte sie daran.
Ich musste an diesen Moment denken, als ich Minho gegenüber saß. Was hatte er ihr angetan? Was konnte einem so kleinen, unschuldigen Wesen nur angetan werden, dass es zu einem solchen Ende führen konnte?
Das Bild von ihr, hilflos und zerbrochen, blendete sich in das Bild von ihm, diesem fast göttlichen Mann. Wie konnte jemand so schön sein, so unnahbar und vollkommen, und dennoch in der Lage, ein solches Verbrechen zu begehen? Wie konnte jemand, der wie eine lebende Statue der Götter war, diese zarte Seele zerstören?
„Sie sind also mein Anwalt?“, fragte Minho schließlich mit einer Stimme, die fast zu ruhig war. Sie war tief und glatt, wie eine kalte, tief stehende Strömung, die mich auf eine Weise beunruhigte, die ich nicht benennen konnte.
Ich zögerte kurz, dann nickte ich. „Ja“, sagte ich knapp, die Antwort schien fast zu wenig für diese Situation. Und dennoch, es war die Wahrheit. Es war mein Job.
„Warum?“, fragte er und sah mich nun endlich an. Ich konnte spüren, wie der Blick seiner Augen mir unter die Haut ging, wie er sich in mir verfing, fast wie ein Faden, der sich in den Adern verhedderte. Ein Blick, der mich aufforderte, zu antworten, aber auch gleichzeitig keine Antwort zu akzeptieren.
Ich holte tief Luft. „Weil das mein Job ist. Ich verteidige Sie, ob ich will oder nicht.“
Minho hob eine Augenbraue, als ob er das erwartete. „Sie glauben mir nicht, oder?“ Es war keine Frage, sondern eine Feststellung. Und es war eine Feststellung, die mich gleichzeitig frustrieren und faszinieren ließ.
„Warum sollte ich?“, entgegnete ich scharf, ohne den Blick von ihm abzuwenden. „Die Beweise sprechen gegen Sie. Ihre Fingerabdrücke auf den Opfern. Die DNA. Sie wurden am Tatort gefunden. Sie standen mit blutigen Händen da, als die Polizei eintraf. Was soll ich davon halten?“
Minho lächelte nicht, aber seine Augen flackerten für einen Moment, als ob er das Spiel kannte, das ich spielte. „Die Beweise lügen nicht, das weiß ich“, sagte er, und in seiner Stimme lag keine Verzweiflung, sondern eine fast kalkulierte Ruhe. „Aber ich habe nichts getan. Ich schwöre es.“
Ich schnaubte innerlich. Natürlich würde er das sagen. Aber der Gedanke, dass er ernsthaft glaubte, er könne mich mit solchen Worten überzeugen, brachte mich an den Rand der Selbstbeherrschung.
„Sie haben Ihre eigene Schwester ermordet“, murmelte ich, und die Worte klangen zu scharf, als ich sie aussprach. Doch es war die Wahrheit, oder? Sie wurde missbraucht. Tot. Er… hatte sie ermordet.
„Ich habe sie nicht getötet“, sagte Minho ruhig, fast sanft, als könnte er es in eine Art Gebet verwandeln. „Ich war nicht derjenige, der ihr das antat. Glauben Sie mir. Ich bin unschuldig. Was da passiert ist, ist eine Lüge. Eine verdammte Lüge.“
Mein Magen zog sich zusammen, und ich fühlte, wie der Ärger in mir hochstieg, aber ich zwang mich, ruhig zu bleiben. Es war mein Job. Ich musste es durchziehen. „Dann erklären Sie mir, wie es sein kann, dass Ihre Fingerabdrücke auf den Opfern sind, dass Ihre DNA am Tatort gefunden wurde. Erklären Sie mir das.“
Minho zuckte nur leicht mit den Schultern, als wäre es eine Sache, die ihm keinerlei Unbehagen bereitete. „Ich kann es Ihnen nicht erklären. Aber ich verspreche Ihnen, ich habe es nicht getan.“ Seine Augen, schwarz und tief, fixierten mich nun auf eine Weise, die mich fast zu ersticken drohte. „Sie müssen mir glauben.“
„Warum sollte ich das?“ fragte ich, meine Stimme jetzt härter, unnachgiebiger, während der Gedanke an Jieun in meinem Kopf wie ein Schatten durch mein Bewusstsein zog.
Die kleine Schwester. Das Bild von ihr, die nach ihrem Erbrochenen erstickte, während sie ihrem eigenen Bruder ausgeliefert war. „Was haben Sie ihr angetan?“
Sein Blick veränderte sich. Für einen Moment sah er fast… traurig aus. Aber es war keine echte Traurigkeit, es war die Traurigkeit eines Mannes, der mit sich selbst im Reinen war, selbst in dieser Situation.
„Nichts“, sagte er leise. „Ich habe ihr nichts angetan.“
Es gab keine Entschuldigung in seiner Stimme, keine Zornesregung. Nur diese seltsame, unerschütterliche Ruhe, die mich fast aus dem Gleichgewicht brachte. Und noch immer glaubte ich ihm nicht. Was, wenn er die Wahrheit sagte? Aber das konnte nicht sein. Niemand war in einer solchen Lage „unschuldig“.
„Dann erzählen Sie mir, was passiert ist“, drängte ich, meine Stimme jetzt schärfer, durchdringender. Aber er schwieg. Seine Augen, diese tiefen schwarzen Augen, hielten mich fest, und ich fühlte mich, als könnte ich mich in ihnen verlieren. Aber ich kämpfte gegen das Gefühl an. Ich musste den Fall gewinnen. Ich musste das tun.
„Ich kann es Ihnen nicht erklären“, sagte er schließlich wieder, dieses Mal mit einem leichten Seufzen.
„Aber das, was Sie denken, ist falsch.“
Ich starrte ihn an, mein Magen drehte sich erneut. Ich wollte ihn nicht verteidigen. Aber ich musste es.
„Das werde ich herausfinden“, sagte ich kalt und schob die Akte näher zu mir. Aber im Inneren wusste ich, dass der wahre Kampf gerade erst begann.
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