Duo
Sechsundzwanzig rote Schleppen aus Samt wurden über den heiligen Boden des Vatikans gezogen, als die Kardinäle beim Anbruch des nächsten Tages sich versammelten. Es galt den letzten Brauch durchzuführen, der das Ableben des heiligen Vaters wirklich besiegelte. Noch immer war die Atmosphäre zwischen den Würdenträgern nicht vor Trauer geprägt.
Im Gegenteil, man konnte die Habgier und die Schadenfreude, die von ihnen ausging, mit Händen greifen. Jeder wollte ein Stück vom wunderbaren und göttlichen Kuchen abbekommen, sodass keine weiteren Gedanken an das Seelenheil des Verstorbenen verschwendet wurden. Einzig Ascanio Sforza, der Vizekanzler Alexanders VI. war nicht zur Raffgier und Übermut zumute, denn nicht nur seine Stellung und damit die Annehmlichkeiten, die mit dieser Position einhergingen, schwanden nun dahin, sondern auch seine Zeit in der Kurie.
Er war ein angesehener Mann, genoss Einfluss und doch lag Alexanders Schatten über ihm. Ascanio wusste, wie seine Mitstreiter über ihn dachten, er hatte die Gerüchte selbst gehört, die einige gestreut hatten. Manche waren wahr, andere waren es nicht. Nur er selbst kannte die Antworten auf die Fragen, die man sich im Badehaus oder in den Tavernen Roms zuflüsterte und das war das Einzige, was ihn an dieser ganzen Misere dennoch erheiterte.
Der Camerlengo, Eugenes, begann mit der Zeremonie, während ein Kirchenjunge die Psalme sang, die zur Dramatik beitrugen, aber nicht in den Köpfen der Anwesenden hängen blieb. Nur Ascanio trieben die reinen und klaren Klänge, die aus der noch unschuldigen Kehle des Jungen drangen, die Tränen in die Augen.
Ruhet in Frieden, Eure Heiligkeit, dachte er und bekreuzigte sich während ihn die anderen misstrauisch beäugten. Die Stimmung kippte, als immer mehr auf ihn aufmerksam wurden und so geriet die Zeremonie in den Hintergrund, was Giuliano della Rovere nur zu gerne bemerkte. Ein Lächeln huschte für den Bruchteil einer Sekunde über sein bereits faltiges und verbrauchtes Gesicht, doch in seinen Augen glühte ein Feuer, das von seiner Besessenheit zeugte.
Diese war dunkel und ruhte tief in seinem Herzen und genau dort stellte es grausame Dinge mit ihm an. Niemand anderes hätte das plötzliche Ableben des dicken Papstes lieber erfahren als Giuliano. Denn das Feuer, welches seine Seele verzehrte, loderte stets in ihm und breitete sich immer weiter aus, bis es schließlich sich auch das noch reinste Fleckchen einverleibte, das er besaß. Seine Seele.
Der Camerlengo räusperte sich, nachdem der Junge geendet hatte und forderte die Aufmerksamkeit der Kardinäle wieder auf die Zeremonie. Denn es brauchte diesen letzten Schritt, um den alten Papst durch einen neuen zu ersetzen. Auch wenn dies erst durch das Konklave, welches in wenigen Wochen stattfand, bekräftigt wurde.
Während Eugenes den prächtigen Ring mit dem Wappen der Borgias auf dessen Kopf mit einem Beil aus Eisen zuerst in dessen Mitte teilte und anschließend in so viele Teile, wie Kardinäle anwesend waren, scharten sich immer mehr Männer um Giuliano, der leise zu sprechen begann. Doch die Worte wurden nicht bis zu Ascanio getragen, der seiner Stimme nur zu gerne gelauscht hätte.
Sicher waren es nur Versprechungen, Verheißungen, die er den anderen Kollegen aussprach, wenn sie ihm im Konklave ihre Stimme sicherten. Dass, das meiste nur Lügengespinste waren, um sich die Gunst der anderen zu sichern, war offensichtlich. Della Rovere befand sich bis vor wenigen Tagen noch im Exil, geflohen war er, nur um seine Haut zu retten. Was wohl jeder andere Mann genauso getan hätte, dennoch hielt er es Giuliano vor und es stellte seine Integrität nicht besser dar.
Als sich die Blicke der beiden Geistlichen trafen, lächelte Giuliano kaum merklich, doch Ascanio war ein guter Beobachter und erkannte, dass darin keine Freundlichkeit lag. Es war ein Zeichen von Genugtuung, welches seinen Sieg über die zwei Drittelmehrheit ausdrückte, der er sich sicher war.
Asacnio wandte den Blick ab und konzentrierte sich darauf der Zeremonie zu folgen, doch diese wurde gerade beendet und die Traube aus rot gekleideten Männern Gottes löste sich so schnell auf, dass man nicht annehmen konnte, dass vor nicht einmal einem Tag ihr Hirtenführer verstorben war. Der ehemalige Vizekanzler schloss sich den letzten Kardinälen an und verließ das Amtszimmer des Papstes und als er durch die große Flügeltür schritt, entdeckte er den Sohn des Papstes.
Auf Cesares Gesicht zeichneten sich Fragen ab, die er mit Sicherheit nicht beantworten konnte. Dennoch hatte er ihn bereits entdeckt, also konnte Ascanio auch nicht mehr unbehelligt an ihm vorbeigehen. Seine Schritte verstummten, als er vor dem dunklen Fürsten stehen blieb, während seine Kollegen sich in alle vier Himmelsrichtungen verstreuten.
„Was verschafft mir die Ehre, Herzog?", fragte er den Borgiaspross und sah in seine dunklen Augen, die vor Wut funkelten.
„Nun, als Vizekanzler meines Vaters, unseres Vaters, wisst Ihr am besten, wie es um die Lage Roms und damit ganz Italiens steht", begann Cesare und gab ihm mit einer einladenden Geste zu verstehen, ihm zu folgen. Ascanio trat mit ihm in einen etwas ruhigeren Bereich des Vatikans, der nach dem Tod des Heiligen Vaters einem emsigen Bienenstock glich. Jeder wollte etwas tun, sich nützlich machen, oder einfach in den vatikanischen Mauern sein, falls etwas Nennenswertes passierte.
Doch die beiden Männer waren aus anderen Gründen hier. Zum einen, um dem Papst die Ehre zu erweisen, die ihm gebührte und zum anderen, um herauszufinden, woran Alexander starb. Denn auch wenn der Papst schon ein fortgeschrittenes Alter erreicht hatte, war seine Konstitution trotz des hohen Gewichtes besser als jener, die im selbigen Alter waren und weniger auf die Waage brachten.
„Die Stadt ist abgeriegelt", sagte Cesare und legte die Hand auf den Knauf seines Schwertes. Es war dreifach geschmiedet worden und das auch nur aus dem besten Silber, das in der ganzen Welt aufgetrieben wurde. Auf seiner Klinge stand ein Zitat, das bereits Julius Cäsar von sich geben hatte und dass sich Cesare als Leitbild genommen hatte, um den italienischen Fürsten und Herzogen das Fürchten zu lernen.
„Denkt Ihr, dass sich sein Mörder noch in der Stadt aufhält?", erkundigte sich Sforza und schien Cesares Nerven noch weiter zu beanspruchen. Was nicht seine Absicht, aber angesichts der Umstände nachzuvollziehen war.
„Ich bin mir sicher, dass die Schlange sich hier befindet."
„Im Vatikan?" Ascanios Stimme glich einem Zischen, das wahrlich von einer Schlange hätte stammen können. Cesare sah ihn ermahnend an, wenn er so weitermachte, könnte er noch schlafende Hunde wecken und das konnte und wollte Cesare nicht riskieren.
„Senkt Eure Stimme, Eminenz. Wir sind hier nicht unter uns. Die Wände haben nicht nur Augen, sondern auch Ohren." Seine Worte wirkten auf Sforza so, als ob er die Neigung zum Wahnsinn hatte. Doch er verstand den Wink mit dem Zaunpfahl und nickte hastig.
„Entschuldigt bitte, Herzog. Ich verstehe nur nicht, wieso Ihr davon ausgeht, dass der Mörder – falls es denn wahrlich Gift war – noch hier sein sollte und nicht schon über alle Berge ist." Cesare schnaubte und schüttelte den Kopf, so fest, dass seine dunklen und widerspenstigen Locken hin und her wehten.
„Euch sei verziehen", meinte Cesare nun versöhnlicher, auch wenn ihm das einfallslose Geplapper des Geistlichen zuwider war.
"Hat schon jemand meine Mutter unterrichtet?" Der Kardinal sah ihn an und schüttelte den Kopf. Er war über den raschen Themenwechsel nicht überrascht, kannte er doch die Launen der Borgias nur zu gut.
"Bedauerlicherweise nein", erwiderte er und spürte, wie Cesares Zorn erneut aufflackerte.
"Ihr versäumt es meiner Mutter vom Tod ihres geliebten Mannes und Vater ihrer vielgeliebten Kinder zu benachrichtigen?", stieß Cesare voller Wut aus.
"Auf wessen Seite steht Ihr? Ist es die Seite Roms?" Die schneidende Stimme hallte durch die Flure und nun war es der Sohn des Papstes, der sich zügeln musste. Der Kardinal sah Cesare entgeistert an, wusste, dass mit dieser Antwort alles steht und fällt. Ascanio schluckte, spürte wie sich kalter Schweiß auf seiner Stirn bildete und antwortete: "Selbstverständlich ist es die Seite Roms. Oder haltet Ihr mich für einen Verräter?"
Er hielt dem stechenden Blick des jungen Herzig von Valencia stand, doch sein Herz pochte wild in seiner Brust. Obschon er sich keine Schuld bewusst war, in dieser Sache war er unschuldig wie ein Säugling.
"Wieso sollte ich mich über einen weiteren Verräter wundern?" Cesare atmete durch die Nase aus, schnaubend, um seinen Zweifel zu äußern. Er blickte in das Gesicht des Kardinals, das die Wahrheit sprach und solange er ihm keine Illoyalität beweisen konnte, musste er ihm glauben.
„Nun gut, Ihr habt sichere andere Aufgaben, die Euch einspannen. Seit auf der Hut, denn jeder, der von der Annahme eines unnatürlichen Todes ausgeht, könnte der Nächste sein." Damit entlässt Cesare den Vizekanzler seines Vaters, der sich nickend auf den Weg machte. Cesare blieb zurück, atmete tief durch und versuchte sich zu beruhigen.
Die ganze Sache machte ihm zu schaffen und zerrte an seinen Nerven. Er hatte selbst dringenderes zu tun, als sich zu fragen, ob sich ein Sforza loyal einem Borgia unter geben kann und wird. Doch die Frage war berechtigt und kreiste schon die ganze Zeit in seinem Kopf herum, welcher er hastig umdrehte, als er Schritte hinter sich hörte.
Er erkannte das zwar junge, aber schon markante Gesicht seines katalanischen Cousins, der offensichtlich zu ihm wollte. Und auch dafür hatte Cesare keine Zeit, doch Martinez sah nicht so aus, als würde er ihn einfach so davon kommen lassen.
„Cousin, wie schön Euch zu sehen", sagte Cesare deshalb laut und deutlich, obwohl er kein Wort davon ernst meinte. Doch Martinez Hidalgo, dessen rotes Kardinalsgewand er über den glatten Boden aus feinstem Marmor nachzog, erwiderte das Lächeln nicht, welches Cesare auf seine Lippen zwang.
„Geradezu Euch wollte ich", meinte er knapp und blieb vor ihm stehen. Seine Statur war die von Cesare ähnlich, breite Schultern, ausgeprägte Muskulatur und athletische Beine. Auch in Charaktereigenschaften glichen sie sich viel zu stark.
Beide wiesen Ehrgeiz in hohen Mengen auf, waren zu manchen Teilen skrupellos und doch trennte sie ein ganz wichtiges Detail. Cesare war kein Kardinal mehr und konnte frei über sein Leben und der Ausführung entscheiden, wohingegen Martinez mehr an seine Reputation als Geistlicher denken musste. Und das ließ Cesare ihn bei jeder Begegnung spüren, was nur einem von beiden gefiel.
„Was gibt es so dringendes?", fragte Cesare und bedachte ihn mit einem gelangweilten Blick. Martinez braune Augen verdunkelten sich, genauso wie sich sein Gesichtsausdruck verfinsterte.
„Ihr wisst genau, was ich von Euch will, Cousin", meinte dieser wirsch. Seine Wut war zum Greifen nah und ließ die Luft zwischen den Männern dicker und dicker werden, sodass Cesares Schwert sie mit Leichtigkeit entzwei teilen konnte.
„Ich weiß nicht, wovon Ihr spricht. Und ich habe auch keine Zeit, mir Eure Belange anzuhören. Wenn Ihr mich entschuldigt, Kardinal." Der Spott, der in Cesares Stimme lag, brachte das Fass zum Überlaufen und Martinez packte seinen Arm, drehte ihn um und schleuderte seinen Verwandten gegen die Wand. Cesare keuchte, war sichtlich überrascht und doch amüsierte es ihn zu sehen, wie Martinez' Nerven schwanden und schließlich mit ihm durchgingen.
„Es war nicht abgemacht ...", weiter kam er nicht, denn Cesare schnitt ihm das Wort ab.
„Ich verstehe", säuselte er und fixierte seinen Gegenüber mit einem einzigen Blick.
„Ihr erhofft Euch doch nicht einen Platz unter den Präferiti ", spottete er weiter und lachte Martinez nun aus voller Kehle aus. Dem jungen Kardinal entglitten für einige Sekunden die Gesichtszüge, doch er fing sich schnell wieder.
Auch, wenn er sich für einen kurzen Moment ertappt fühlte, konnte sich Cesare Borgia ihm gegenüber nicht so benehmen. Auch dann nicht, wenn er dem Streben eines ambitionierten Kardinals verspottete.
„Ich habe mir einen Namen gemacht, dadurch habe auch ich eine Erfolgsaussicht."
„Aber nicht auf den Stuhle Petris", unterbrach ihn Cesare ein zweites Mal.
„Acht Monate sind seitdem mein Vater Euch nach Rom gerufen und zum Kardinal ernannt hat, vergangen und Ihr rechnet Euch tatsächlich eine Wahrscheinlichkeit aus, um als Oberhaupt der Christenheit zu regieren?"
Das Lachen seines entfernten Cousins schmerzte Martinez in den Ohren, doch er wollte sich nicht noch einmal die Blöße geben. Also verzog er keine Miene und versuchte sich nichts anmerken zu lassen, was ihn mehr Kraft kostete, als er gedacht hatte. Doch er war jung, stark und gewieft. Er wusste, wie man die Alten austricksen konnte und würde nicht aufgeben.
„Das mag alles stimmen, aber Ihr habt etwas Entscheidendes vergessen, werter Herzog."
Er setzte ein arrogantes und überhebliches Lächeln auf, was Cesares Wut nur noch mehr anstachelte. Doch das genoss Martinez in vollen Zügen und so schnell würde er ihn auch nicht vom Haken lassen. Lieber sah er ihm zu, wie er sich weiterhin wand und fieberhaft nach einem Mittel suchte, um ihn zu vernichten.
Vielleicht sollte er es mit Gift probieren, so wie der Mörder seines Vaters, oder er sollte sein Schwert zücken, wie er es bei seinem Bruder Juan di Gandia getan hatte? Doch diese Gedanken sprach er nicht laut aus, nicht aus Angst, sondern, weil er diese irgendwann vielleicht noch einmal gebrauchen könnte. Denn auch Gerüchte konnten einen mächtigen Mann schwächen, auch einen wie seinen Cousin.
„Und das wäre?", riss ihn Cesare aus seinen Gedanken. Wieder lächelte er und klopfte ihm auf die Schulter, was den Herzog von Valencia sichtlich irritierte.
„Verstand ist nur dann von Vorteil, wenn er auch genutzt wird." Damit drehte sich Martinez um und verließ den Vatikan. Er wollte Cesare zur Rede stellen, ihn unter Druck setzen sein Wort doch noch zu halten. Aber er hat sich dagegen und sich für die Warterei entschieden. Denn manchmal ist es klüger sich frühzeitig zurück zu ziehen, als mit Gebrüll in die Schlacht zu schreiten, die sowieso zum Scheitern verurteilt ist.
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