Orangerot
Hunter
Er wusste um die Wahrheit, die hinter dem Nicht-Erscheinen seines Vaters steckte.
Schon immer hatte der König ganz offen zu ihm gestanden, hatte ihm gezeigt, dass er ihn liebte, als wäre er Theon vollkommen ebenbürtig.
Niemals hätte er seinen Tod so einfach hingenommen. Nicht ohne es zumindest versucht zu haben, ihn zu verhindern.
Seine Frau, sie musste die Botschaft zuerst in die Finger bekommen haben und ihm diese nun vorenthalten.
Oh, schon immer war sich Hunter darüber im Klaren gewesen, dass sie ihn hasste. Stets hatte sie versucht ihn loszuwerden und nun hatte sich ihr eine Chance aufgetan, nach der sie selbstverständlich griff. Sie wäre dumm gewesen es nicht zu tun, dachte er bei sich, denn einfacher hätte man es ihr nie wieder machen können.
Er stand auf der Mohnblumenwiese, beobachtete die roten Blütenköpfe, wie sie sich sachte dem Wind beugten.
Stricke schnürten seine Handgelenke zusammen, hatten die Haut an diesen Stellen wundgescheuert und ließen sie wie Feuer brennen.
Größer jedoch war die Pein, die sich in seinem Geiste ausbreitete, denn er wusste, in nicht einmal mehr einer Stunde würde er tot zwischen all diesen Blumen liegen. Eingebettet, in die Schönheit der Natur des Taliswaldes. Dabei hatte er immer geglaubt, es wäre das Meer, was seine Augen zuletzt erblicken und Mutbringers sanftes Schnauben, das er in der letzten Sekunde seines Lebens hören würde.
Doch es kam wohl immer anders, als man es erwartete oder sich erhoffte.
Sein Blick glitt auf die andere Seite der Wiese, zum angrenzenden Rand des Forstes, an dem Theon und er vor sieben Tagen gestanden hatten. Nun aber war dort niemand zu sehen. Keiner würde kommen um ihn zu retten, das wurde ihm schmerzlich bewusst.
Die Königin hatte ihr jahrelanges Spiel doch noch gewonnen und er war es, der als Verlierer daraus hervorgehen würde.
Die Augen des Wolfsmannes, wie Hunter ihn in Gedanken getauft hatte, wanderten gen Himmel, um den Stand der Sonne zu prüfen. Der riesige Feuerball erhob sich langsam aber sicher immer höher und ließ den Wald in einem morgendlichen Orangerot erstrahlen. Im Grunde ein schöner Anblick, wäre er nicht Hand in Hand mit dem Tod einhergegangen.
Ein Farbton, der sonst an Wärme und Liebe erinnerte wurde zu einem, der einen an das tosende Höllenfeuer denken ließ.
Hunter schloss seine Augen, sobald sein Begleiter das Schwert zog. Stets hatte er sich eingeredet er würde das Eintreffen des Sensenmanns nicht fürchten, doch nun merkte er, dass er sich offenbar selbst belogen hatte. Denn er spürte die Angst, die in ihm aufstieg und ihm dabei die Kehle zuschnürte, wie eine Schlinge, die sich um den Hals eines bald schon Gehängten legte.
„Wie es aussiehst, scheinst du deinem Vater doch nichts wert zu sein." Sollten das wirklich die letzten Worte sein, die seine Ohren jemals vernehmen würden?
Theon hatte versucht das Unvermeidliche hinauszuzögern, hatte den Rebellen versichert Hunter würde dem König ebenso viel bedeuten wie er.
Doch er hatte seine Mutter nicht bedacht.
Hunter hörte die Schritte, die sich ihm mit einem bedrohlichen Klang näherten und das obwohl das Gras unter ihnen so weich war wie ein Federkissen.
Die Luft um ihn herum ließ sich immer schwerer atmen. Man hätte meinen können die giftigen Gase von Morcheln hätten sich darunter gemischt und würden ihn dahinraffen, noch ehe die Klinge des Wolfmannes seine Halsschlagader durchtrennen konnte. Er keuchte, schnaufte.
Hunter reckte sein Haupt empor, hielt die Augen weiterhin geschlossen, um seinem Ende nicht entgegensehen zu müssen. Es reichte ihm, dass er darum wusste.
Doch mit einem Mal wurde es furchtbar still. Sein Begleiter war stehengeblieben, vermutlich direkt vor ihm. Nicht einmal mehr das Rauschen des Windes war zu hören, geschweige denn das Zwitschern der Vögel. Wollte ihm diese Welt noch einen letzten ruhigen Moment schenken? Eine letzte Minute des Friedens? Wenn dem so war, dann wollte er nicht undankbar sein und dieses Geschenk wohlwollend annehmen. Ein sanftes Lächeln machte sich auf seinen Lippen breit, seine Mundwinkel hoben sich leicht.
Dann, plötzlich, wurde die Geräuschlosigkeit von dem Klang von über den Waldboden trommelnden Pferdehufen abgelöst.
Nun schlug er doch seine Lider auf, blinzelte dem Wolfsmann entgegen, der den Blick auf das gerichtet hatte, was hinter ihm lag.
Zögerlich wandte auch er sich um. Die Weißhaarige, die ein jeder in der Siedlung Fiolet nannte, schwang sich gerade elegant vom Rücken ihrer schneefarbenen Stute, drückte deren Zügel einer alten Frau mit äußerst sanften Gesichtszügen in die Hände und steuerte anschließend auf Hunters Begleiter zu, um ihm das Schwert aus den Fingern zu reißen.
„Ich verstehe nicht ...", begann dieser zu stammeln, musste allerdings nicht lange auf eine Erklärung warten.
„Die Dinge haben sich geändert. Der blonde Lockenkopf hat mich auf eine andere Idee gebracht", meinte die junge Anführerin der Rebellen, bevor sie sich Hunter zuwandte.
„Scheint dein Glückstag zu sein. Ich schenke dir noch ein paar weitere Sonnenaufgänge und Nächte."
Er wusste nicht, ob er sich wirklich darüber freuen sollte, dass Theon ihm offenbar mehr Zeit herausgeschlagen hatte, denn das bedeutete im Grunde nur noch mehr Momente in einer dunklen Kammer.
Umgeben von den eigenen Exkrementen, mit hartem Brot und abgestandenem Wasser, so als wäre er ein Schwein und kein Mensch.
Auch wenn er den Tod gefürchtet hatte, wäre er in gewisser Weise doch auch eine Erlösung gewesen.
Hunter erwiderte nichts auf Fiolets Worte, wandte den Blick von ihr ab und richtete ihn wieder auf die flammende Farbenpracht, die sich mit dem aufgehenden Feuerball auf dem Horizont ausbreitete.
Das Orangerot bekam in seinen Gedanken eine neue Bedeutung zugesprochen - die, der stillen Hoffnung.
Der Wolfsmann zog an den Stricken, die seine Hände zusammenhielten. „Komm schon!", herrschte er ihn an, setzte sich anschließend in Bewegung und führte ihn den Weg zurück zur Siedlung. Dieses Mal ohne ihm einen Sack über den Kopf zu streifen, oder ihm auf andere Art die Sicht zu rauben.
Vermutlich ging er nicht davon aus, dass Hunter jemals die Chance bekommen würde davonzulaufen und so war es ihm gleich, ob er die Stecke mit offenen Augen mitverfolgte.
Wenn Hunter ehrlich zu sich war, dann teilte er diese Meinung.
Nachdem die Prinzessin von Terosa erfolgreich in den Forst entflohen war, waren Theon und er in eine gemeinsame Kammer gesperrt worden. Wohl aus dem Grund, dass man dachte, ein Raum allein ließe sich besser bewachen als zwei zur selben Zeit.
Vor der Tür waren stets Männern positioniert, deren Arme und Oberschenkel förmlich den Durchmesser dicker Eichenstämme besaßen.
Hunter betete, dass Clair es geschafft hatte unbeschadet aus den Wäldern zu entkommen und dass sie eine Straße gefunden hatte, die sie in Richtung des Palastes führte.
In den Wäldern wimmelte es nur so vor gefährlichen Tieren wie Bären und Wölfen und an den Rändern der Wege lungerten oft Banditen, die nur auf ein solch wehrloses Opfer warteten.
Oh bitte, Herr, lass sie nicht tot und entkleidet in einem Graben liegen.
Noch immer verfluchte er seinen stoischen Halbbruder dafür, dass er sie alleine hatte ziehen lassen und lieber umgekehrt war, um ihn zu retten und Elody zur Vernunft zu bringen.
Schon nachdem er die Anführerin dieser Rebellion zum ersten Mal zu Gesicht bekommen hatte, war ihm der Wahnsinn aufgefallen, der in ihren blauen Iriden funkelte.
Theon hatte es noch nicht begriffen, wollte es vielleicht auch nicht, aber Hunter war sofort bewusst gewesen, dass Elody nicht mehr zu retten war.
Ihr Verstand war über die Jahre hinweg so vergiftet worden, dass sie eine gänzlich andere Person war.
Die Tochter des Königspaares, Theons Schwester, sie war im Taliswald gestorben und das vermutlich schon vor langer Zeit.
Wäre er an Theons Stelle gewesen, dann hätte er dafür gesorgt, dass Clair in Sicherheit kam und hätte Fiolet für immer den Rücken gekehrt.
Aber so war Theon schon immer gewesen - hörte lieber auf sein Bauchgefühl, als auf seinen Verstand. Er war sich sicher, dass Clair es geschafft hatte. Sie war klug und einfallsreich, das hatte er versucht Hunter glaubhaft zu machen.
Es war nicht so, als hätte Hunter anders von ihr gedacht. Auch er hielt sie durchaus für intelligent, aber am Ende war sie eben doch nur eine Frau in einer viel zu grausamen Welt. Noch dazu eine des Adels, die am Hofe aufgewachsen war und die königliche Etikette erlernt hatte, anstatt auf dem Dorfe groß zu werden und versteckt in Holzschuppen mit Stöckern Schwertkampf zu spielen.
Sollte sie in die falschen Hände geraten sein, dann war sie erledigt.
Nach einer guten Stunde Marsch erreichten sie die Siedlung wieder. Es war das erste Mal, dass Hunter sie zu Gesicht bekam und er nutzte diese Gelegenheit, um so viele Details wie möglich in sich aufzusaugen.
Sollte es zu dem unmöglich erscheinenden Szenario kommen und sie würden es doch schaffen einen Weg zu finden, um zu fliehen, dann konnte jede Gasse zwischen den Hütten, von deren Existenz er wusste, bedeutend sein.
Auch zählte er die Menschen, denen er begegnete. Da war eine Frau, mit zwei rothaarigen Mädchen, ein Hüne mit Glatze und stahlblauen Augen, ein junger Bursche mit strohblonder Frise, die noch struppiger aussah, als der Pelz eines Hundes und ein älterer Herr, den er nur zu gut kannte.
Elrik. Der Name schoss ihm sofort durch den Kopf. Niemals hätte er es für möglich gehalten, dass der Bibliotheksmeister seine Familie einmal hintergehen könnte. Stets hatte er dem König die höchste Loyalität vorgegaukelt, hatte ihm den Hintern mit liebreizenden Worten gepudert.
Doch am Ende waren es wohl immer die, von denen man es am wenigsten erwartete.
Auch Flora und Jaron hatte er niemals auf Seiten der Verräter gesehen.
Zwar hatte die ehemalige Zofe der Königin versucht, Theon und Clair zu helfen und damit ihr eigenes Leben riskiert, aber dennoch war und blieb sie in seinen Augen nicht mehr als eine Abtrünnige, der man nicht mehr vertrauen konnte.
Es war ihr Glück gewesen, dass man ihrem Schauspiel Glauben geschenkt hatte, was nicht zuletzt der blutigen Nase und Oberlippe zu verdanken gewesen war, die Clair ihr Theons Erzählung nach verpasst hatte. Somit hatte sie es genau genommen größtenteils der Prinzessin zu verdanken, dass sie ihrem Dasein weiterhin frönen konnte und dem Sensenmann nicht in sein dunkles Reich gefolgt war.
Etwas, das sie Hunters Meinung nach nicht verdient hatte.
Er folgte dem Prinzip, dass jeder Mensch eine zweite Chance verdient hatte, aber nicht bei einem Vergehen dieser Größenordnung. Hätte sie ihren Kopf an diesem Tag verloren wäre er nicht böse darum gewesen, auch hätte er mitnichten um sie geweint und das obwohl sie sich am Hofe gut verstanden hatten.
Der Wolfsmann zog ihn immer weiter zwischen den Hütten hindurch, als wäre er nichts weiter als ein Hund, den man an der Leine führte.
Hunter folgte brav, immerhin blieb ihm keine andere Wahl, wollte er nicht mit weiteren Hieben und Tritten bestraft werden.
Seit Tagen hatte er sein Gesicht nicht mehr gesehen, doch die gespannte Haut im Bereich seiner Lippen und unterhalb seiner Augen verriet ihm auch so, was für einen Anblick er bieten musste.
Vermutlich wäre eine jede Maid schreiend vor ihm davongerannt und er hätte mit Garantie auch versucht, sich selbst zu entkommen.
„Bring ihn zu seinem Bruder und dann komm zu mir."
Kurz wandte Hunter seinen Kopf über die Schulter, als er Elodys Stimme vernahm. Er hatte gar nicht mitbekommen, dass sie ihnen so weit gefolgt war. Auch die ältere Frau war noch immer dicht hinter ihm.
Erst jetzt trennten sich ihre Wege. Während seine Halbschwester in Richtung einer zentral gelegenen, von Veilchen umgebenen Hütte verschwand, brachte der Wolfsmann ihn zu einer abgelegenen.
Unsanft stieß er Hunter nach drinnen, machte sich gar nicht erst die Mühe ihn von den Stricken zu befreien.
Theon, der offenbar sehnlichst seine Rückkehr erwartet hatte, sprang sofort auf die Füße und hielt ihn an den Schultern fest, noch ehe er stürzen und sich somit weitere Blessuren hinzuziehen konnte.
„Du bist zurück!", jauchzte der Blonde, nahm Hunter dann in die Arme als hätte er ihn seit Jahren nicht mehr gesehen.
Die Tür fiel mit einem lauten Knall in ihre Angeln, das Geräusch eines Schlüssels, der sich im Schloss drehte, ertönte.
„Wie?", wollte Hunter wissen, als Stille sie umgab.
Theon begann seine Handgelenke zu befreien, antwortete nicht sofort auf seine Frage.
Ein ungutes Gefühl begann sich in der Magengrube des Jüngeren auszubreiten.
Als die Stricke zu Boden fielen, rieb er sich die schmerzenden, geröteten Hautstellen und blinzelte seinen Halbbruder wartend an.
Dieser wandte sich von ihm ab, lief zu der Wand, an der er gesessen hatte, ehe Hunter zurückgekommen war. Erneut ließ sich dort nieder. „Ich konnte ihr eine öffentliche Hinrichtung unserer beider Personen schmackhafter machen."
Sein Tod würde sich also wie bereits erwartet lediglich weiter nach hinten verschieben.
Dem Sensenmann konnte man wohl einfach nicht entkommen, sobald dieser erst einmal mit dem Zeigefinger auf einen gedeutet hatte.
Doch auch wenn ihr Ende weiter auf sie zuraste, war da noch immer ein kleiner orangeroter Funke der Hoffnung, der in Hunters Seelenfenstern glomm.
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