
016 - Newt
Einige Tage später hatte Nick Kaya und Minho als Laufpartner eingeteilt. Nick war mit Ben ins Labyrinth aufgebrochen, Jackson hatte das Südtor zugeteilt bekommen, Henry und Finn brachen gemeinsam in den westlichen Teil des Labyrinths auf. Newt hatte heute seinen freien Tag, wofür Kaya ihn ein wenig beneidete, denn ihre Nacht hatte nicht gerade viel erholsamen schlaf geboten. Das Schnarchen ihres Hängematten-Nachbars hatte sie immer wieder geweckt und dieses mal hatte nicht mal mehr das Kissen, das sie über ihre Ohren drückte, Abhilfe schaffen wollen.
Kaya und Minho hatten Sektion 3 bis hinter die Flügel durchquert, Minho hatte immer wieder verrückte Vorschläge in den Raum geworfen, wie das Labyrinth verlassen werden könnte, aber sie hatte bloß belustigt den Kopf geschüttelt. Die Flügel hinaufklettern und einfach so auf die äußeren Mauern zu springen klang weder sinnvoll, noch lebensbejahend, aber Minho führte seine Pläne in einem so siegessicheren Ton aus, das nichts und niemand seine Ausführungen frühzeitig beenden hätte können.
Bei ihrer Rückkehr auf die Lichtung stand die Sonne schon schräg, sodass die Schatten der im Wind wiegenden Bäume schon an der westlichen Labyrinthmauer tanzten.
Finn und Henry standen bereits im Kartenraum, als Minho und Kaya es betraten. Die beiden kritzelten leise grübelnd ihre Erinnerungen auf, verabschiedeten sich jedoch kurze Zeit später, um im Badehaus zu verschwinden und sich zu duschen.
Auch Minho brach, nachdem Kaya und er ihre Aufzeichnungen fertiggestellt hatten, Richtung Duschen auf. „Also dann, Griewerschreck. Guter Lauf heute!", rief er noch, als er winkend Abschied nahm und auf die Holzhütte zulief.
Kaya schlenderte vom Kartenraum in Richtung Küche, um sich dort nach etwas Essbarem umzusehen. Auf dem Weg dorthin wurde sie von Alby abgefangen: „Hey, Kaya!", rief er, als er im Laufschritt auf sie zugeeilt kam. „Hast du Newt vielleicht gesehen? Der Strunk versteckt sich schon seit Stunden vor mir! Ich habe sogar schon auf dem Schädelfeld nach ihm gesucht..."
Kayas Herz machte einen plötzlichen Satz.
„Wie meinst du das? Wo sollte er denn sein?", Ihr Herz hämmerte gegen ihre Brust. „Ich weiß es nicht, deshalb frage ich ja, du Strunk!"
Alby klang inzwischen sehr besorgt. Newt war verschwunden, und das offensichtlich schon eine ganze Weile.
Dann plötzlich lief Kaya ein eiskalter Schauer den Rücken hinab, als sie an das dachte, was Newt ihr nur Tage zuvor gebeichtet hatte:
„Er ist im Labyrinth.", entfuhr es ihr, ihr Hirn schmerzte, als der Gedanke sie wie eine Wespe stach und es wurde geflutet mit scheußlichen Vorstellungen. Ihr Herz sank schmerzerfüllt tief in ihrer Brust.
„Bitte was?", forschte Alby, doch Kaya ließ sich von seinen Worten nicht abhalten.
Westtor, sagte eine Stimme in ihr, sie klang nach der Frau, die sie schon so oft in ihren Träumen gehört hatte.
Kaya rannte so schnell sie ihre Beine trugen auf den westlichen Eingang des Labyrinths zu. „Minho!", hörte sie Alby noch über die Lichtung brüllen, dann verschluckten die Steinwände sie.
Kaya atmete schwer, vielleicht aus Erschöpfung, vielleicht aus Angst. Sie musste Newt finden und es rechtzeitig auf die Lichtung zurückschaffen. Doch es blieb nicht mehr viel Zeit.
„Newt!", schrie sie, ihre Kehle brannte. Sie machte noch eine Abzweigung und erkannte im Augenwinkel, dass Finn und Henry an dieser Stelle weiter geradeaus gelaufen waren. Links peitschte der Gedanke durch ihr Hirn, dann bog sie links ab. Bitte, bitte lass mich ihn finden und sicher auf die Lichtung zurückbringen, flehte sie in ihren Gedanken.
An dieser Stelle öffnete sich eine Abzweigung nach rechts, die in einen Gang führte, dessen Wände von beiden Seiten mit Efeu bewachsen waren. Da dachte Kaya, und im selben Moment schossen Tränen in ihre Augen.
Zusammengekauert, die Knie an die Brust angezogen, lag Newt da. Er atmete langsam, ein leises Wimmern und Schluchzten war zu hören.
Sein Arm stützte seinen Kopf, Tränen kullerten die Wange hinunter.
„Alby! Alby!!", schrie Kaya aus vollem Halse, so laut, dass ihre Lungen brannten. „Newt, was ist passiert? Hörst du mich? Newt!", sie sank vor ihm auf die Knie, nahm seinen Kopf sanft in den Schoß und fühlte nach seinem Puls. Er atmete langsam, doch auf ihre Fragen bekam Kaya keine Antwort.
Minho preschte Sekunden später um die Ecke, Alby musste ihn direkt von der Dusche wieder ins Labyrinth geschickt haben. Er musste so schnell gelaufen sein, dass sein Puls das Herz beinah aus der Brust springen ließ. Die schwarzen Haare klebten Minho nass auf der Stirn, sein Shirt war leicht feucht und klebte an seiner Brust.
„Was machst du denn hier, du verdammter Neppdepp!", keifte Minho völlig außer Atem. Ob seine Wut nun Newt oder Kaya gewidmet war, vermochte sie nicht zu beurteilen.
In diesem Moment bog Alby um die Ecke. Als er Newt erblickte, gefror sein Blick in einer undeutlichen Miene.
„Komm, wir heben ihn auf meinen Rücken und tragen ihn hier raus, sonst enden wir gleich als Griewer-Snack", murmelte Alby, sein Blick war auf Newt gesenkt.
Kaya half Minho, Newt, der immernoch nicht ansprechbar war, auf Albys Rücken zu hieven.
Der regungslose Körper hing schlaff über den Schultern des Anführers, als die drei die Lichtung erreichten.
Nick und einige andere Lichter warteten gespannt am Tor auf sie. Albys Schreie mussten sie in Aufruhr versetzt haben. Jeff und Clint waren sofort zur Stelle, als sie Newts Zustand erblickten.
Als die Tore sich schlossen, saß Kaya bereits auf einem der Stühle im Sani-Haus. Nick stand hinter ihr, seine Faust klammerte sich an die Lehne des Stuhls. Minho und Alby standen auf der anderen Seite des Bettes, der Läufer hatte die Arm vor der Brust verschränkt und blickte sorgenvoll auf das Bett vor ihm. Newt lag vor ihnen, seine Brust hob und senkte sich sachte mit jedem Atemzug.
„Meinst du, er wird es schaffen?", fragte Minho schließlich und sah zu Jeff. Bisher hatte sich niemand getraut, ein Wort zu sprechen.
„Ich weiß es nicht. Sein Bein ist gebrochen, einige Rippen sind geprellt und vermutlich ist auch der Kopf nicht gerade sanft gelandet. Was auch immer in diesem verdammten Labyrinth mit ihm passiert ist, es war nichts gutes.", entgegnete der Sani und ersetzte den alten, mit Eiswürfeln gefüllten Beutel, gegen einen neuen, um ihn auf Newts stark geschwollenen Unterschenkel zu legen.
„Ich glaube nicht, dass er nochmal mit euch durch das Labyrinth laufen können wird. Wir können ihn hier nicht operieren. Und so wie das hier aussieht, wächst das nie wieder heile zusammen.", Jeff deutete auf die lila-blaue Schwellung, die Newts Bein zierte. Der Knochen schien wie verschoben zu sein, und auch, wenn die Sanitäter ihm eine schienenartige Konsruktion aus einigen Hölzern und Metallteilen zusammengebastelt hatten, fürchtete Kaya, dass Jeff mit seiner Aussage recht behalten würde.
„Wieso ist er überhaupt ins Labyrinth? Er hatte heute überhaupt keinen Dienst...", murmelte Nick. Kaya hob den Blick zu ihrem Hüter, sagte aber nichts. In ihren Gedanken spielten sich immer wieder die Bilder der Wut und der Trauer, die Newt ihr gegenüber noch wenige Tage zuvor für diesen Ort offenbart hatte, ab. Seine traurigen Augen, seine unbändige Wut und dieses hilflose Gefühl, nichts tun zu können quälten Kaya. Dass diese Situation ein solches Ausmaß nehmen könnte, damit hatte sie nicht gerechnet.
Das Labyrinth war die reinste Hölle, und egal, was die Schöpfer mit diesem Ort bezwecken wollten, vor ihnen lag das Resultat von jahrelanger Angst, Ungewissheit und Furcht. Und es brach Kaya das Herz, Newt so zu sehen. Dann überkam sie eine Welle der Gefühle, die Tränen flossen wie Bäche ihre Wangen hinab, Kaya schluchzte, jammerte und weinte, bis sie fast keine Luft mehr bekam. Dieser verfluchte Ort tötet uns, einen nach dem anderen.
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