Kapitel 4
~Raven~
Ich schmiegte mich an den Mann, der sich mir als Kaelo vorgestellt hatte. Obwohl er mir fremd war, war er warm und schenkte mir ein Gefühl, das ich so nicht kannte. Ich fühlte mich wohl, mir war angenehm warm und die Lust mich einfach fallenzulassen, war sehr groß. Allerdings wusste ich, dass ich das nicht konnte. Ich durfte nie meine Achtsamkeit fallenlassen. Das wusste ich. Wenn ich es doch zuließ, würde das nur üble Folgen haben.
Gleichzeitig war die Verlockung groß. »Nach wem suchst du?«, fragte ich leise, denn Kaelo schien ein Ziel zu haben. Warum sonst sollte er weiterhin durch das Weizenfeld stapfen, obwohl der Weg doch sehr nah war.
»Ich suche nach meiner ... Freundin«, erwiderte Kaelo, was mich verwirrte.
Was meinte er damit?
Ich kramte in meinen Erinnerungen, doch das Wort war mir fremd. »Was meinst du mit Freundin?«, fragte ich und bereute es gleich wieder. Immerhin hatte ich gelernt, keine dummen Fragen zu stellen, weshalb ich damit rechnete, dass er mich fallen ließ oder schlug. Ich verstand sowieso nicht, warum er mich auf seinen Armen trug.
»Du weißt nicht, was eine Freundin ist?«, fragte er überrascht, was mich erneut zucken ließ. Wo blieb der Ärger?
Unruhig wartete ich auf weitere Reaktionen, doch als ich zu ihm aufblickte, erkannte ich nur, dass er nachdenklich in die Ferne blickte. »Nun. Eine Freundin oder ein Freund ist eine Person, der man vertrauen kann. Die für einen da ist«, erklärte er, wobei mir auffiel, dass er sich nicht ganz wohl bei der Erklärung fühlte. Trotzdem war ich ihm dankbar, dass er es versuchte und mich nicht anschrie. Das kannte ich bisher gar nicht und wusste auch nicht recht, was ich damit anfangen sollte. Wie lange würde ich wohl brauchen, bis er aufhörte, die Fragen zu beantworten und so wurde wie all die anderen, mit denen ich bisher zu tun hatte. Oder lag das daran, dass er ein Werwolf war?
Mir war klar, dass ich ein großes Risiko einging, doch die Vorstellung, dass mich diese Männer wieder hinab in den Untergrund und in mein Zimmer zogen, ließ mich schaudern. Ich wollte die Welt sehen und nicht mein Leben lang eingesperrt sein.
Außerdem klang das Prinzip einer Freundin sehr schön. Jemand, dem ich vertrauen konnte?
Zögerlich schielte ich zu Kaelo nach oben. Sein braunes, halblanges Haar ließ ihn verwegen wirken und der dichte, braune Bart hatte etwas sehr Beruhigendes. Als wäre er ein Beispiel für seine Geduld. Ich wusste jedoch nicht, warum ausgerechnet diese Gefühle in mir entstanden, während ich ihn musterte.
»Die Person, zu der du mich bringen willst«, setzte ich an, denn ich wusste nicht, um wen es sich handelte. Ich kannte außerhalb meiner Welt niemanden. Nur meinen Vater und die Vampire, die auf mich aufpassten.
»Sie heißt Angelique und kennt sich mit Vampirkindern aus«, erklärte Kaelo, der plötzlich stehenblieb und in die Hocke ging.
Erst ging ich davon aus, dass er mich absetzten wollte, doch dann entdeckte ich am Boden eine seltsame Scherbe.
Sie erinnerte mich an die Fensterscherben, die ich erzeugt hatte, als ich geflohen war. Allerdings schimmerte diese wie ich es nicht kannte.
Ich streckte langsam meine Hand danach aus, denn sie zog mich an, doch da griff Kaelo schon danach und ließ sie in seiner Hosentasche verschwinden. »Es ist besser, wenn du sie nicht anfässt«, erklärte er, was mich zucken ließ.
Ich zog meinen Kopf ein und nickte. Lieber wollte ich nicht wissen, was er mit mir machte, wenn ich es doch tat.
Vater und meine Wachen konnte ich mittlerweile einschätzen, doch Kaelo nicht.
Dieser sah sich nachdenklich um. »Ich denke, wir sollten uns erst einmal eine Unterkunft suchen«, bemerkte er, was ich nicht so ganz verstand. Suchte er nicht nach jemanden?
Etwas Kaltes, Nasses traf meine Nase und ich blickte hinauf in den Himmel. Noch immer faszinierte mich dieser Anblick.
Erneut kam etwas Kaltes vom Himmel und traf mein Auge. Es fühlte sich seltsam unangenehm an, weshalb ich dieses zukniff und meine Hand ausstreckte. Was war das?
Als ein Tropfen meine Hand berührte, erkannte ich, dass es Wasser war. Aber warum fiel Wasser vom Himmel? Das sah ich heute das erste Mal und konnte gar nicht genug davon bekommen.
Während mich Kaelo weiter trug, wurden die Tropfen mehr und mehr. Dass ich dabei nass wurde, störte mich nicht. Ich hörte das leise Plätschern und spürte die Kälte auf meiner Haut. Es fühlte sich überraschend gut an. Ein Gefühl von Freiheit durchzog mich, auch wenn ich die Kälte langsam in meinen Knochen spürte.
»Siehst du Regen das erste Mal?«, fragte Kaelo irgendwann, was mich kurz aus meinen Gefühlen riss.
»Regen? So nennt man das?«, fragte ich, während ich das Wasser noch immer versuchte in meiner Hand aufzufangen.
»Regen ist wichtig für die Natur, aber wenn die Menschen ihm zu lang ausgesetzt sind, können sie krank werden. Weißt du, ob du auch krank werden kannst?«, fragte er, was ich nicht ganz verstand.
»Was bedeutet krank?«, wollte ich wissen, da ich ihm nicht folgen konnte.
Kaelo gab einen nachdenklichen Laut von sich, während er auf ein Gebäude zulief, das sich zwischen den Weizenfeldern aufbaute. Es war aus Holz und wirkte recht klein, auch wenn ich es nicht wirklich gut einschätzen konnte. Vielleicht war das auch normal groß.
»Das ist schwer zu erklären. Dann geht es einem nicht gut, weil man zu lange im Kalten war«, versuchte er zu erklären, doch ich hörte, dass er sich dabei nicht ganz wohl fühlte.
Wenn man zu lange der Kälte ausgesetzt war, konnte man krank werden? War Vater deshalb das eine Mal so böse auf mich gewesen? Aber warum hatte er es mir nie erklärt?
Kaelo hielt weiter auf das Gebäude zu und sah sich dabei um.
Ich entdeckte ein sehr großes Tor, aber sich ein paar kleinere Türen am Gebäude verteilt.
»Hallo«, rief Kaelo plötzlich, bevor er in der Luft schnupperte. »Ich kann niemanden riechen«, murmelte er mehr zu sich, als zu mir.
Schließlich trat er auf das Tor zu, das mit einer eisernen Kette und einem Schloss verwirrt war.
Er musterte es einen Moment, bevor er leise seufzte.
Mir war nicht klar, was er vor hatte, weshalb ich überrascht auf seine Hand starrte, die er um dir Kette legte. Seine Fingernägel wuchsen und dann zerrissen er diese einfach, als wäre sie lediglich ein kleines Hindernis.
Er war wirklich überraschend stark!
»Wir werden den Regen hier abwarten«, erklärte er, schob die Tür auf und trat ein. Das alles, ohne mich abzusetzen.
Mein Blick wanderte durch den schmutzigen Schuppen. Überall lag Heu, Staub und verrosteter Schrott.
Mehrere, größere Fahrzeuge standen herum, wirken auf mich aber schon lang n8cht mehr benutzt. Warum sonst sollten sie in Staub gehüllt sein?
»Sieht aus, als würde hier niemand mehr wohnen«, überlegte Kaelo murmelnd und trug mich weiter durch den Raum.
Schließlich blieb er vor dem Heu stehen und musterte es.
»Ist es in Ordnung, wenn ich doch einen Moment allein lasse, um das Haus zu durchsuchen oder willst du mit?«, fragte er, wobei er mich mit einem fragenden Blick bedachte.
Unschlüssig, was ich sagen sollte, brachte ich nicht gleich eine Antwort hervor. Ich wollte nicht, dass er mich allein hierließ. Was, wenn die Vampire zurückkehrten? Gleichzeitig verstand ich jedoch den Wink. Er wollte mich nicht mitnehmen. War ich ihm ein Klotz am Bein? Vermutlich. »Ich ... kann hier bleiben«, sagte ich schließlich, auch wenn es mir nicht gefiel. Das war immerhin das, was er wahrscheinlich erwartete.
Kaelo nickte, bevor er in die Hocke ging und mich sanft auf da Heu setzte. »Ich bin nicht lange weg«, versprach er. »Bleib bitte hier und ruh dein Bein aus, ja?«
Seine Worte versetzten mir einen Stich. Wollte er mich hier zurücklassen?
Ohne mir ansehen zu lassen, wie sehr mich das traf, nickte ich. Sobald er weg war, würde ich mich umsehen und einige Zeit warten, bevor ich entschied, wie es weiter gehen sollte. Mir hätte von Anfang an klar sein sollen, dass diese Begegnung nur ein flüchtiger Moment war. Immerhin war ich eine Fremde. Auch wenn er mir einem Namen gegeben hatte.
Einen, den ich in Ehren halten würde.
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