Kapitel 6
Ungeduldig hob der Graf die Arme, als der eifrige Schneider letzte Handgriffe an dessen Garderobe vornahm. Die nur minimal der aktuellen Mode angepassten Kniebundhosen steckten in auf Hochglanz polierten Stiefeln, die keinen Absatz hatten, auch wenn das ebenfalls gerade der letzte Schrei war. Graf Viktor hasste es, sich wie ein bunter Pfau zu kleiden und so hatte er seinem Hofausstatter deutliche Anweisungen gegeben, was Farben und Stoffe anging.
Das Resultat war ein schwarzes Hemd aus matter Seide, eine mahagonifarbene Weste mit unauffälligen Stickereien und ein bordeauxfarbener Gehrock aus Brokat, mit floralen Applikationen aus goldenem Garn. An seinem ebenfalls ebenholzfarbenem Jabot um den Hals war ein Edelstein befestigt und seine Hände steckten in glänzenden Seidenhandschuhen, wie es sich gehörte. Es schickte sich nicht, jemandem die nackte Hand zur Begrüßung zu reichen.
Sebastian kniete zu Graf Viktors Füßen und schob diesem gerade den Siegelring der Familie wieder über den Ringfinger der rechten Hand.
»Ist dieses Scharade spielen denn bald vorbei?«, nörgelte Viktor und straffte die Schultern.
»Aber Herr, Ihr wolltet so gut wie eben möglich aussehen, um auf dem Fest zu erscheinen. Ich erlaube mir nochmals, anzumerken, dass es möglicherweise besser gewesen wäre, eine Garderobe nach der neusten Mode anzufertigen...« Der Schneider, ein fetter kleiner Kerl mit einem schmierigen, spitzen Schnurrbart, schürzte die Lippen, was ihn missbilligend aussehen ließ. Es sagte ihm ganz offenbar nicht zu, dass er seinem Herrn Kleider anfertigen musste, die so gänzlich unangesagt waren.
»Selbst auf die Gefahr hin, als unmodern zu gelten, ich ginge lieber gänzlich nackt, als bekleidet wie ein aufgedonnerter Vogel, bunt und so gar nicht meinem Alter entsprechend. Dessen kannst du dir gewiss sein! Es sollte verboten werden, sich in hohen Jahren noch zu kleiden wie ein heiratsfähiger Jungspund. Welchen Respekt kann ich einem Alten entgegenbringen, wenn die Federn, die seinen Hut schmücken, eher einer Dame zu Ansehen gereichen würden? Nein. Ich halte es wie immer, Andrejewitsch. Und dein Übel war es bislang ja nicht, oder irre ich mich?«
Der Angesprochene schüttelte den Kopf und verneigte sich. Nein, das war es nicht. Der Graf bezahlte ihn großzügig für seine Arbeiten.
Sebastian, der dem Disput stumm beigewohnt hatte, erhob sich und begann, die Haare seines Herrn zu bürsten. Der Blick, den er und der Schneider tauschten, war nicht eben herzlich. Der Butler duldete es nur ungern, wenn jemand dem Grafen Vorhaltungen machen wollte. Außerdem konnte er das schmierige kleine Nadelkissen ohnehin nicht ausstehen.
»Nun, wie Ihr wünscht, Herr. Ihr seht in diesen Farben ganz außerordentlich aus. Die habt Ihr, wie immer, gut gewählt.«
»Ah, wenn du nichts weiter als halbherzige Schmeicheleien für mich hast, kannst du dich nun zurückziehen, Andrejewitsch. Deine Arbeit ist getan und es ist dir gedankt.«
Des Schneiders Bärtchen zuckte einen Moment, als wolle er protestieren, doch dann verneigte er sich erneut und verließ das Ankleidezimmer.
»Sag mir, warum habe ich ihn in meinen Diensten, Sebastian?« Viktor seufzte.
»Ihr schätzt seine flinke und hochwertige Arbeit. Wer außer ihm und seinen Näherinnen hätten es geschafft, in weniger als 14 Tagen ein komplettes Gewand anzufertigen?«
»Richtig, richtig. Ich glaube jedoch manchmal, er hält mich für etwas hinterher. Als müsse man mich wie einen Knaben dafür loben, dass ich mir Farben aussuchen kann. Er glaubt wohl auch, meine einzige Arbeit besteht darin, meine Garderobe zu erweitern...«
Sebastian lachte leise im Rücken seines Herrn und dieser konnte die kühlen Finger des Dieners an seinem Nacken spüren, als er das Haar zu einem Zopf zusammennahm und mit einem Seidenband umwickelte.
»So, mein Herr. Gekleidet und frisiert.« Der Butler blickte aus dem Fenster. »Die Dunkelheit ist nahe. Es wird bald Zeit sein, aufzubrechen. Wenn Ihr erlaubt, werde ich schnell ebenfalls meine Garderobe wechseln und Euch dann in den Mantel helfen, damit Ihr nicht zu spät kommt.«
Graf Viktor nickte und ließ sich von seinem Diener aus dem Ankleidezimmer geleiten. Während Sebastian in seine eigene Kammer eilte, nahm der junge Mann auf einem Stuhl Platz und durchblätterte einige Dokumente.
Durch die Typhus-Epidemie waren so viele Menschen verschieden, dass es zu erheblichen Ernteeinbußen gekommen war und es lag nun an ihm, die verbliebenen Vorräte so zu verteilen, dass es in den Dörfern, die unter seinem Schutz standen, nicht zu Hungersnöten kam. Dem Herrn sei Dank hatte es in den Jahren zuvor so reiche Ernten gegeben, dass die Vorratslager gut gefüllt waren. Viktor las sich durch Lagerlisten, die von tüchtigen Verwaltern sorgfältig geführt wurden, als das Geräusch seiner Zimmertür ihn aufsehen ließ.
Sebastian verneigte sich. Er trug seinen guten Anzug, den sein Herr ihm hatte anfertigen lassen, damit er ihn auf Anlässen begleiten konnte. Der Graf hasste es, ohne eine vertraute Person irgendwo hinzugehen. Schon auf Reisen mit seiner iubita war der Butler immer an ihrer Seite gewesen, als Diener freilich, aber auch als Vertrauensperson und Beschützer.
Und dass dies oftmals zwingend erforderlich war, bewies eine unschöne Narbe auf der Brust des jungen Mannes.
»Mein Herr, es wird Zeit. Ihr solltet allmählich aufbrechen. Eure Kutsche steht bereit.«
Viktor erhob sich und löschte die Kerze auf dem Tisch. »Machen wir uns den Spaß, als Letzte dort aufzutauchen?« Der junge Mann hatte ein schelmisches Lächeln auf den Lippen, als er an seinem Butler vorbei das Gemach verließ.
Sebastian folgte ihm lächelnd. »Ihr hinterlasst sicher den größten Eindruck.«
»Was bist du doch für ein Streber, Sebastian«, lachte der Graf und ließ sich in der Halle von ihm in den eleganten Mantel aus dicker Schafwolle helfen. Das schwarz eingefärbte, seidenweiche Kaninchenfell am Kragen streichelte über das Gesicht Viktors und dieser rieb mit den Händen darüber, bedauernd, dass die Seidenhandschuhe das Gefühl des Pelzes nicht zuließen. Mit einem Blick in den Spiegel, der über dem Kamin hing, setzte er sich die passende, ebenfalls eingefärbte, Mütze auf, während Sebastian sich selbst wetterfest ankleidete.
Die Hausdienerschaft hatte sich inzwischen versammelt und verneigte sich gleichzeitig, als ihr Herr sich anschickte, das Schloss zu verlassen.
»Wir wünschen Euch einen fröhlichen Abend, Graf Viktor«, sagten sie wie aus einem Mund, ein einstudiertes Zeremoniell noch aus Zeiten seines eigenen Vaters, etwas, dass Viktor schon immer als unheimlich empfunden hatte, aber es seinen Dienern auch nicht abgewöhnen konnte. Viele von ihnen arbeiteten schon für seine Eltern und er kannte sie bereits, als er selbst noch ein Knabe war.
So neigte er nur mit einem Lächeln das Haupt, bedankte sich bei ihnen und gab ihnen den Rest des Abends frei. Immerhin begannen morgen die Weihnachtsfeiertage, da sank die Aktivität im Schloss ohnehin auf ein Minimum. Bis auf die, die dann für die Küche und die Ställe eingeteilt waren, arbeitete dann niemand. Es war Brauch in der Familie Draganesti, dass am Weihnachtstag ein gutes Essen bereitet wurde, an dem sich dann Herr- und Dienerschaft gemeinsam gütlich taten. Und die, die an diesen Tagen zum Dienst eingeteilt worden waren, bekamen nach Ablauf des Weihnachtsfestes ein paar Tage außer der Reihe frei.
Erleichtert atmete der junge Graf durch, als das schwere Portal hinter Sebastian zu fiel. Es war so kalt, dass sein Atem kondensierte, denn es war reichlich Schnee gefallen in der Nacht zuvor. Fackeln erhellten den Schlosshof und einige Dienerkinder bauten lachend und lärmend einen Schneemann. Auch sie blieben stehen und verneigten sich vor ihrem Herrn, bevor sie unverzagt ihr Spiel fortsetzten.
Viktor lächelte leicht und erinnerte sich, dass Gabriel auch gern im Schnee gespielt hatte. Er ignorierte den Stich in seinem Herzen und schob das Gefühl der Trauer beiseite, als Sebastian ihm die Tür der Kutsche aufhielt. Der Kutscher nahm seine Mütze ab und neigte ebenfalls das Haupt, bevor der Graf einstieg.
Der Butler nannte dem Mann noch einmal das Ziel und setzte sich dann zu seinem Herrn in das Gefährt. Mit einem leichten Ruck setzte sich dieses in Bewegung und Sebastian verschloss die Tür.
»Ich hoffe, dass sich noch Freude auf den heutigen Abend einstellt. Denn im Moment würde ich lieber in meinem Bett liegen«, murmelte Viktor mit Blick auf die verschneite Gebirgsstraße.
»Aber Herr ... es ist ein Weihnachtsball. Es wird Musik geben und gutes Essen, Wein, Tanz. Ihr werdet sicher auf andere Gedanken kommen, wenn Ihr Eure ganzen alten Bekannten wiederseht. Nachdem Ihr Euch so lange rar gemacht habt und nicht einmal Besuche empfangen wolltet.«
»Oder sie werden mich alle hassen und niemand will mehr etwas mit mir zu tun haben...«
»Aber das ist doch Unsinn, mein Herr, mit Verlaub. Ihr wart in Trauer. Andere haben sich in einer solchen Situation viel länger zurückgezogen.«
Viktor ließ sich im Sitz etwas zusammensacken und nickte dann mit einem Lächeln.
»Ich weiß. Du hast ja Recht. Aber meine Stimmung ist irgendwie genauso grau und düster wie der Himmel draußen.«
Sebastian lächelte. Sein Herr war schon immer ein Melancholiker. Eigentlich konnte er aus allem Düsteren immer noch etwas Schönes gewinnen. Er sah die Schönheit in allem, was vergänglich war, er erfreute sich an flüchtigen Genüssen mehr als an solchen, die immerwährend waren, weswegen er eine Blume stets einem Gemälde vorziehen würde. Doch diese Melancholie machte ihn auch anfällig für Trauer und düstere Gedanken, die ihn oftmals tagelang in seinem Gemach festhielten oder sogar verhinderten, dass er überhaupt das Bett verließ.
Die Welt war vielleicht nicht gemacht für einen sensiblen Schöngeist, wie sein Herr einer war.
»Ich weiß, was du denkst, Sebastian. Ich bin eine Heulsuse«, Graf Viktor grinste einen Moment, als der Butler ertappt den Kopf hob.
»Aber ... nein.«
»Doch. Ich weiß es ja. Wäre ich als ein anderer geboren als der, der ich bin, wäre ich vermutlich bereits verhungert oder ausgeraubt und ermordet worden, weil ich so antriebslos und schwach bin.«
»Ihr seid nicht schwach. Bei Euren Fechtlektionen früher habt Ihr immer gewonnen.«
»Weil du mich hast gewinnen lassen!«
Sebastian schüttelte energisch den Kopf. »Ihr wisst genau, dass Euer Vater das nie gestattet hätte. Es hätte nichts gebracht, Euch etwas vorzumachen, denn im Kampf, im echten Gefecht, würde das niemand tun und würde Euren sicheren Tod bedeuten. Die Kämpfe waren ehrlich erstritten. Denn, mit Verlaub, Master Ari, Ihr wart zuweilen ein wirklich nerviges Kind und diese Lektionen waren die einzigen Gelegenheiten, in denen ich das Sagen über Euch hatte. Und hin und wieder hat das gut getan.« Der Butler wandte beschämt das Gesicht ab, während Viktor zu lachen begann.
»Oje, ich wusste es. Ich habe alle wahnsinnig gemacht.«
Sebastian nickte mit schiefem Lächeln. »Vor allem, als Ihr Euch in den Kopf gesetzt hattet, Geige spielen zu lernen. Alle dachten zu Anfang, Ihr foltertet eine Katze oder dergleichen.«
Der Graf lachte erneut laut los und der Butler schmunzelte. So gefiel ihm sein Herr gleich viel besser. Zum Glück war er niemand, der beleidigt reagierte, wenn man ihm seine Schwächen aufzählte, sondern konnte selbstironisch über sich lachen. Sofern das, was man sagte, auch zutraf.
»Na zum Glück klingt es jetzt wie Musik.«
Sebastian stimmte zu.
Wenige Minuten später verlangsamte die Kutsche ihre Fahrt und der Butler streckte den Kopf aus dem Fenster, um zu sehen, ob sie das Ziel bereits erreicht hatten. Und in der Tat erhob sich das kleine Jagdschloss hell erleuchtet gegen den mattblauen, dunklen Himmel.
»Haben wir das Ziel erreicht?«
»Ja, mein Herr. Ihr solltet besser die Mütze wieder aufsetzen, es schneit ziemlich.«
»Oje, wenn wir mal nicht einschneien und heute nicht mehr wegkommen.«
»Habt Ihr das denn vor? Im besten Fall wird es ein vergnügliches Fest bis in die frühen Morgenstunden.«
»Nun, erst einmal wollen wir sehen, was dieser Lord Sandringham für jemand ist, nicht wahr? Ist er wenig sympathisch oder amüsant, wird es schwer, ihn eine ganze Nacht zu ertragen.«
Sebastian lächelte seinen Herrn verschwörerisch an. »Aber vielleicht ist er auch genau nach Eurem Geschmack? Ihr solltet nicht alles so schwarzsehen.«
Graf Viktor nickte und setzte die Kaninchenpelzmütze wieder auf die schwarzen Haare, als die Kutsche auf den gepflasterten Schlosshof einfuhr. Es war unebener als auf Burg Draganesti und deswegen holperte es etwas.
Das Gefährt stoppte und der Fahrer ließ durch ein Klopfen auf dem Dach vernehmen, dass sie zum Aussteigen bereit stünde.
»Also dann, Master. Ich gehe voran und halte Euch die Tür auf.« Sebastian stieß selbige auf und sprang geschickt hinaus, bevor er die kleine Treppe ausklappte.
Viktor straffte die Schultern und blickte durch die Öffnung auf den Schlosshof. Viele Kutschen erkannte er trotz des matten Feuerscheins der Fackeln als die seiner Bekannten und Freunde wieder. Es fühlte sich an, als hätte er diese Jahre nicht mehr gesehen und als müsste nicht dieser unbekannte Lord sich in die Gesellschaft einführen, sondern er selbst.
»Mein Herr?«
Der junge Graf nickte und stieg die Stufen hinab.
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