Kapitel 28
Der junge Graf erwachte recht spät am nächsten Morgen, denn die Sonne lugte bereits zwischen den dicken Vorhängen hindurch. Mit einem leisen Schmerzenslaut, gefolgt von einem verschämten Kichern, setzte er sich auf und rieb sich die Haare aus dem Gesicht. Die Freuden der vergangenen Nacht zeigten sich nun in Schmerzen, die sich über seine gesamte Körpermitte zogen, und unzähligen geröteten Flecken und kleinen Bissmalen, die der Lord auf Viktors Schultern und Hals hinterlassen hatte.
Der Adlige hatte noch nie zuvor in seinem Leben einen Liebhaber gehabt, der so hingebungsvoll und gleichzeitig stürmisch und animalisch war. Es schien dem Engländer zu gefallen, seinen Partner zu beißen. Und Viktor hatte sich nicht beklagt, denn selten hatte er etwas Lustvolleres erfahren.
Er fand sich allein in dem Gemach vor, das Sandringham gehörte. Das Kissen neben Viktor war zerwühlt und bereits erkaltet, also musste der blonde Mann ihn schon vor einer Weile allein gelassen haben. Der Graf wusste nicht, was er davon halten sollte. Immerhin hatten sie die restliche verbliebene Nacht auch gemeinsam hier verbracht. Viktor hätte es gern gehabt, neben dem anderen Mann aufzuwachen.
Mit etwas zittrigen Beinen erhob der Graf sich und schlang sich das Betttuch um den unbekleideten Körper, denn das Feuer im Kamin war längst erloschen und es war eiskalt im Zimmer. Er trat ans Fenster, zog die Vorhänge zur Seite und blickte hinaus.
Zu seiner Überraschung bemerkte er, dass das Gemach nach Westen hinaus ging, was ihm am Abend nicht bewusst gewesen war. Das hieß, der Tag war weiter fortgeschritten, als er geglaubt hatte.
»Mist verfluchter«, knurrte er und wandte sich auf der Suche nach seinen Kleidern um, die er säuberlich zusammengelegt auf einem Sessel vorfand. Hatte Sandringham noch Ordnung gemacht, bevor er ihn allein gelassen hatte? Warum hatte er so lange geschlafen? So viel hatte er doch gar nicht getrunken. Das Spiel zwischen ihm und dem Lord hatte freilich lange gedauert, doch das konnte unmöglich der Grund sein ...
Unwillig rieb Viktor sich den Hals, an dem ein besonders hübscher Bluterguss zurückgeblieben war, und schlüpfte in seine Hosen. Wie sollte er Sebastian all diese Rötungen erklären? Nicht dass sein Diener sich nicht dessen gewahr war, was in dieser Nacht geschehen sein musste - immerhin war Graf Viktor geblieben, anstatt am Abend ins Schloss Draganesti zurückzukehren.
Es würde Tage dauern, bis diese Unterblutungen verschwunden sein würden. So lange musste er besonderes Augenmerk darauf legen, dass niemand seine Haut zu Gesicht bekam. Schmunzelnd stellte Viktor fest, dass er den Duft von Rosmarin nun auch an sich selbst riechen konnte.
Ein leises Klopfen riss den Adligen aus seinen Gedanken und wie aus Reflex bat er den Besucher herein, als wäre er hier zuhause und nicht selbst nur ein Gast.
»Ich sehe, Ihr seid erwacht, Viktor.«
»Sagt mir, Sandringham, warum habt Ihr mich so lange schlafen lassen? Es ist bereits fast wieder Abend.«
Der Engländer schloss die Tür hinter sich, grinste schelmisch und umarmte den erst halb angezogenen Grafen, der leicht den Rücken versteifte, aber sich dann entspannte.
»Oh, ich sehe, der Wein hat nachgelassen und Ihr seid wieder bei klarem Verstand? Ich bedauere das sehr ...«
»Verzeiht, Lord ... ich ... würde mich gern erst frisch machen«, Viktors Magen begann zu grummeln, was den Engländer vergnügt lächeln ließ, »und ... vielleicht einen Happen essen.«
»Deswegen bin ich hier, my dear. Ich wollte Euch jetzt wecken und zum Lunch holen ... wenn es, wie Ihr bemerkt habt, auch schon wieder in den Abend übergeht. Danach könnt Ihr gern ein Bad nehmen, wenn Ihr das wünscht.«
Der Adlige zog sich das Hemd über und legte sich vor einem eleganten Spiegel die Schalkrawatte wieder an, die die Blutergüsse, Ergebnisse der leidenschaftlichen Vereinigung, verdeckte. Flink flocht er sich die Haare zu einem lockeren Zopf und warf seinen burgunderroten Mantel über.
»Das Essen nehme ich sehr gern an, Lord. Allerdings weiß ich nicht, ob es klug wäre, einen weiteren Abend hier zu verweilen. Mein Leibdiener wird bereits in Sorge sein.«
»Darüber macht Euch keine Gedanken. Ich schickte früher am Tag meinen Burschen zu Eurem Schloss, um Eure Leute wissen zu lassen, dass es Euch gut geht. Wenn es allerdings Euer Wunsch ist, zu Eurer Burg zurückzukehren, so steht Euch dies natürlich frei. Sofern Ihr mir versprecht, dass dies nicht unser letztes Treffen gewesen ist.«
Viktor schmunzelte und konnte die Wärme in seinen Wangen spüren bei der Erinnerung an Sandringhams Hände auf seiner Haut, das Gefühl seines Körpers an seinem, die Hitze, die von ihm ausgegangen war, seine Lippen und die sanft knabbernden Zähne an seinem Hals. Das Feuerwerk in seinem Kopf, das Hiram ausgelöst hatte, als sie eins wurden.
»Ich denke nicht, Lord.«
Der Engländer lächelte sanft und mit einer Weichheit in den blauen Augen, die anrührend wirkte. »Ihr seid etwas Besonderes. Ich habe lange nach jemandem wie Euch gesucht ...«
»Ihr schmeichelt mir. Das solltet Ihr sein lassen«, lachte Viktor und hatte schließlich den zweiten Stiefel übergezogen. »Von mir aus können wir jetzt den ... wie sagt Ihr? ... Lunch? ... einnehmen.«
Hiram strich dem anderen Mann noch einmal sanft über die Hand, bevor sie das Zimmer verließen.
Obwohl kaum die Möglichkeit bestand, dass die Bediensteten nicht mitbekommen hatten, was ihr Herr und sein Gast in der vergangenen Nacht getan hatten, verhielten sich die beiden Männer höflich und distanziert, als sie den Salon betraten, in dem wie am gestrigen Abend die Tafel aufgebaut war. In einer versilberten Suppenterrine dampfte ein dicker Eintopf, dazu gereicht wurden Scheiben vom Schwein - zweifellos die Reste des Ferkels vom Vortag - Gemüse und Brot.
Mit Genuss und einem Hunger, der ihn selbst überraschte, bediente sich der Graf an den dargebotenen Speisen.
»Mir scheint, ich habe Euch etwas zu viel abverlangt«, kicherte Hiram, doch Viktor zuckte nur mit den Schultern.
»Hattet Ihr das Gefühl, ich hätte Anlass zur Klage gehabt?«
»Oh nein ... und dennoch ... wie fühlt Ihr Euch? Irgendwelche Schmerzen? Ich war zuweilen doch etwas ... grob, denke ich.«
»Das Übliche. Und dieser Bluterguss am Hals juckt ...«
»Verzeiht mir deswegen.« Sandringhams Augen wurden einen Moment dunkel und nahmen einen animalischen Ausdruck an, den der Graf, der mit seinem Essen beschäftigt war, nicht bemerkte. Angestachelt durch Viktors vor Erregung kochendes Blut, war der Engländer schwach geworden. Er hatte mehr von ihm schmecken müssen als nur den warmen, süß-salzigen Geschmack seiner Lust auf der Zunge. Es war vielleicht voreilig gewesen, doch der Graf hatte ihm dies mit einem weiteren Höhepunkt belohnt, der ihn hatte schnurren lassen wie eine Katze. Ihm war nicht bewusst gewesen, was Hiram getan hatte und dieser würde sich auch hüten, es ihm zu sagen. Die Zeit dazu würde ohnehin bald gekommen sein.
Bald würde Viktor für immer Sein sein.
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»Ich hoffe auf eine baldige Wiederholung dieses Abends«, der Engländer stand in seinem Wolfsfellmantel draußen im Hof seines Schlosses und leistete dem Grafen Gesellschaft, der, dick eingepackt gegen den Schnee, versuchte, gegen die Liebesbedürftigkeit seines Hengstes Tiber anzukämpfen. Diesem hatte es offensichtlich nicht gefallen, eine Nacht und fast einen ganzen Tag in einem fremden Stall zu stehen.
»Das hoffe ich auch. Die Höflichkeit gebietet es, dass ich das nächste Mal Euer Gastgeber bin. Also erwartet meine Einladung.«
»Das werde ich mit Ungeduld tun, mein Fürst.« Hiram zog den Siegelring des Grafen einen Moment an seine Lippen, als er sich verneigte, und drückte die Hand des anderen Mannes einen Augenblick länger, als es normalerweise üblich gewesen wäre.
»Passt auf Euch auf.«
»Das werde ich. Tiber kennt den Weg. Ich wünsche Euch eine geruhsame Nacht, Lord Sandringham.«
»Wie könnte ich ruhig schlafen, wo ich es doch allein tun muss«, flüsterte der Engländer nur für Viktors Ohren und dieser errötete mit einem Schmunzeln.
»Gute Nacht.« Mit diesen Worten trieb der den Hengst aus dem Tor und hinein in das Schneetreiben.
Sebastian stand, eingepackt wie ein Schneemensch, auf den Zinnen über dem Tor von Schloss Draganesti. Die Sorge fraß an ihm wie ein hungriges Tier und es beruhigte ihn nicht im Geringsten, dass der englische Gentleman, als der er sich bezeichnete, einen Boten geschickt hatte, der von des Grafen Gesundheit berichtete. Er, Sebastian, würde erst wieder Ruhe haben, wenn sein Herr wieder dort war, wo er hingehörte.
Die Wachen, die auf den Wehrmauern patrouillierten, beachteten den hochgewachsenen Mann, der dort nicht hingehörte, kaum. Es war ein offenes Geheimnis, dass der Graf und sein Leibdiener eine sehr innige, fast brüderliche Beziehung zueinander hatten. Jeder wusste, dass die beiden praktisch zusammen aufgewachsen waren. Manche munkelten auch von etwas mehr als das, doch niemand hätte gewagt, einen solchen Gedanken laut auszusprechen. Immerhin war sich auch jeder bewusst, wie innig und liebevoll das Verhältnis des Grafen zu seiner Gemahlin, Gräfin Julieta, gewesen war.
Es kümmerte auch niemanden, denn das Gesinde im Schloss Draganesti konnte sich für seine Loyalität zu seinem Herrn rühmen. Bis auf wenige Ausnahmen, die meist schnell wieder entfernt wurden, würde jeder Dienstbote mit ehrlichem Herzen nur Gutes über Graf Viktor berichten. Auch wenn vielen die zuweilen schwere Melancholie des jungen Adligen aufgefallen war, lobten sie ihn dennoch als Fürsten und Arbeitgeber.
Sebastian verengte seine guten Augen, als er in der zunehmenden Dunkelheit das Getrappel von Hufen im Schnee hören konnte. Durch die Kälte und den bereits angebrochenen Abend war es beinahe totenstill auf dem Schlosshof und der Wind trug die Geräusche von der Straße wie ein Flüstern zu dem Diener hoch.
»Öffnet das Tor«, rief er den Wachen zu, die für das Portal eingeteilt waren, und machte kehrt, um nach unten zu gelangen.
Graf Viktor sah aus wie ein Geist, als er durch den hohen Bogen geritten kam. Sein eigentlich schwarzer Mantel war über und über mit Schnee bedeckt, der in kleinen Brocken abfiel, als er Tiber anhalten ließ.
»Hast du hier in der Kälte auf mich gewartet, Sebastian?«, schmunzelte er, als er von dem Tier glitt, während die Wachen und auch der angesprochene Leibdiener sich verneigten.
»Aber natürlich habe ich das. Ihr müsst vollkommen durchgefroren sein und ich war in Sorge, dass das Gestöber Euch verschluckt hat.«
»Ach bitte. Ich bin doch kein Knabe mehr und Tiber hat den Weg gut gefunden.« Viktor lächelte und reichte die Zügel des Hengstes an einen herbeigeeilten Stalljungen weiter.
»Eure Lippen sind blau, mein Herr. Ihr solltet ins Warme kommen und etwas von der Suppe essen, die ich für Euch habe vorbereiten lassen.«
»Ich habe schon gegessen ... ein verspäteter ... äh .. Lunch, so war das Wort wohl. Mittagessen. Doch ich nehme gern etwas davon, denn ich spüre meine Finger kaum noch.« Mit einem vergnügten Glucksen, etwas, das nur wenige auf Schloss Draganesti jemals bei ihrem Herrn gesehen oder gehört hatten, betrat er das Schloss und entspannte sich in der Wärme.
Sebastian folgte ihm, um ihm wie immer den Mantel abzunehmen. »Wollt Ihr in Eurem Gemach essen, Herr? Ihr seht müde aus.«
»Was eigentlich nicht sein sollte, denn ich habe bis in den Nachmittag hinein geschlafen. Sandringhams Wein ist zu gut gewesen, fürchte ich.«
»War es nur das, Master? Ihr macht mir einen sehr ... fröhlichen Eindruck.«
»Lass ein Bad anrichten und bring etwas Suppe, Brot und warmen Wein auf mein Gemach, bitte. Vielleicht befreie ich dich dann von deiner unsäglichen Neugier.« Graf Viktor zwinkerte seinem Diener verschwörerisch zu und stieg die Treppen zu seinem Musikzimmer hoch. Ihm war jetzt nach Klavierspielen und da er auf das Wasser eh würde warten müssen, konnte er diesem Gelüst auch nachkommen.
Sebastian blieb mit hochgezogener Augenbraue noch einen Moment stehen. So heiter hatte er seinen Herrn nicht mehr erlebt seit dem Tag, an dem sein Sohn Gabriel geboren worden war. Es war ganz offensichtlich, dass Viktor einer ihn lange quälenden Sehnsucht nachgegeben hatte. Doch der Diener fürchtete den Moment der Ernüchterung, wenn die Reue, das Schuldgefühl, die Kasteiung und der Selbsthass wieder hervorbrechen würden. Er wünschte seinem Herrn, dass dieses Glücksgefühl stärker sein möge. Denn er hatte es verdient, immer dieser fröhliche junge Mann zu sein, der er im Moment war, anstatt sich mit Zweifeln und Kummer zu belasten.
Seufzend ging Sebastian in der Küche Wasser bestellen und bereitete alles für das Abendessen seines Herrn vor, während der leise und melodische Klang des Klaviers in die Gänge drang.
»Also, mein Herr? Wollt Ihr mir erklären, woher diese Male auf Eurer Haut stammen oder muss ich mir selbst meine Gedanken machen?«
Viktor lag in dem heißen Wasser, ein Brett war über den Zuber gelegt, damit er essen konnte, und schmunzelte.
»Du weißt es doch ohnehin, was muss ich es dir sagen?«
»Ihr seid dem englischen Flegel erlegen?«
Der junge Graf kicherte leise mit dem Mund voll Suppe. »Nun, flegelhaft kann er sein, das muss ich zugeben. Doch nicht nur. Du willst ohnehin die Einzelheiten nicht wissen.«
Sebastian nahm auf einem Stuhl Platz und nickte. »Wie ein Tier hat er Euch zerbissen. Das wird Tage dauern, bis das verheilt ist ...«
»Da gebe ich dir Recht. Und niemand außer dir darf diese Wunden sehen.«
»Ich werde die Garderobe entsprechend wählen, das ist doch selbstverständlich. Werdet Ihr ihn wiedersehen?«
Viktor lehnte sich einen Moment an den mit Tüchern ausgelegten Bottich und blickte auf die Wasseroberfläche, die die Linien seines darunter befindlichen Körpers verschwimmen ließ. Womöglich wäre es klüger, das nicht zu tun, den Lord nicht erneut zu treffen, diese Nacht als eine Erinnerung im Kopf zu behalten, ähnlich wie die über seine vor langer Zeit geschehene Zusammenkunft mit Andrej, dem Stallburschen und ersten Jungen, in den Viktor verliebt gewesen war.
Andererseits wollte er so viel von dieser Leidenschaft in sich aufsaugen, wie er konnte, um davon zu zehren, denn bald würde der Engländer in seine Heimat zurückkehren und er, Viktor, allein zurückbleiben. Dann hätte er zumindest etwas, woran er hin und wieder würde denken können in langen Nächten.
»Ich weiß es noch nicht«, murmelte der Graf deshalb nur.
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