Kapitel 3
„Niall James Horan!", wurde ich schon empfangen, ehe ich überhaupt die Hand auf den Knauf legen konnte. „Was sollte das eben?" Mum zerrte mich förmlich ins Haus, warf je einen Blick auf jede Seite der Straße und schlug dann die Tür zu. „Du kannst doch nicht einfach abhauen!"
„Ich war nur Spazieren", gab ich im gleichen Ton zurück und drückte mich im engen Flur an ihr vorbei, um zur Treppe zu gelangen.
„Am Wald?" Sie schüttelte ungläubig den Kopf. „Wie oft hab ich dir schon gesagt, du sollst dich davon fernhalten?"
„Das sind doch nur ein paar Bäume."
„Deshalb bist du den gesamten Rückweg auch gerannt, als wäre der Teufel hinter dir her."
Okay, das war's. „Ich geh ins Bett. Gute Nacht." Ohne ein weiteres Wort packte ich mein Zeug und stürmte so gut es ging die Treppe hoch in mein Zimmer.
Wie kindisch war ich eigentlich? Ich hatte ernsthaft Schiss vor ein paar Büschen, die sich im Wind bewegten.
Irgendwas musste bei mir wohl gewaltig schiefgelaufen sein.
Der nächste Morgen war so schlecht, dass ich bei dem Versuch aufzustehen mehr oder weniger aus dem Bett fiel und mir gleich den Kopf an der Kommode anstieß. Gott, war ich wirklich so doof? Wie eine ins Wasser gefallene Katze schüttelte ich mir die Müdigkeit aus den Gliedern und schlurfte zur Tür.
An der ersten Treppenstufe hielt ich inne, da mir der Streit von gestern wieder in den Sinn kam. Ich zweifelte nicht daran, dass dieser Tag genauso schlimm werden würde wie der gestrige. Der einzige Lichtblick war meine kleine Arbeit, die um acht Uhr abends beginnen würde. Endlich mal weg von zu Hause, endlich neue Leute kennenlernen, endlich tun, was ich wollte. Wenn auch nur für ein paar Stunden, aber das war mir herzlich egal.
Ich gab mir einen Ruck und tapste widerwillig die Treppe hinunter. An der Küchentür angelangt wollte ich einfach reingehen und ganz normal ein „Guten Morgen" murmeln, wie man es als Jugendlicher eben so tat, als bei dem Gespräch, das darin stattfand, plötzlich mein Name fiel.
„ ... Sorgen um Niall, Bob." Ich erstarrte in der Bewegung und ließ meine Hand wieder sinken, die ich schon zur Türklinke erhoben hatte. „Er ist jetzt genau in dem Alter, in dem sie sie sich am liebsten schnappen."
Entsetzt trat ich einen Schritt zurück. Worüber zum Henker sprachen die da?!
„Das gestern am Wald ... es hat mich so an die Nacht erinnert, in der alles seinen Anfang genommen hat." Mums Stimme war belegt. „Nicht auszudenken, was passiert wäre, wenn er wirklich hineingegangen wäre. Und dann noch der Job, den er sich ohne unseres Wissens organisiert hat. Das ist genau der Club, in dem sich die drei damals aufgehalten haben. Es ist, als würde sich alles wiederholen!"
„Maura, beruhige dich", erklang da die sanfte Stimme meines Vaters. „Niall ist kein kleiner Junge mehr. Du kannst ihn nicht ewig von der Außenwelt fernhalten. Es hätte uns klar sein müssen, dass wir ihn nicht auf immer bei uns behalten können. Wir müssen eben Leute anheuern, die ..."
Beim nächsten Schritt nach hinten trat ich unglücklicherweise genau auf einen der Hausschuhe, die überall im Haus verstreut herumlagen, verlor das Gleichgewicht und stolperte direkt in den offenen Garderobenschrank. Eine Welle aus Mützen und Kleiderbügeln ergoss sich über mich, als ich die ganzen Mäntel und Jacken unweigerlich mit mir nach unten riss.
Fuck. Dieser Lärm war gar nicht zu überhören gewesen. Während ich mich leise fluchend aus dem Berg aus Kleidungsstücken herauswühlte und dabei dem zweiten Hausschuh auswich, flog die Küchentür auf und legte den Blick auf meine Eltern frei, die im Türrahmen standen und mich entgeistert anstarrten. „Was machst du da?"
„Bin gestolpert", brummte ich und versuchte Angesichts dessen, was ich gerade belauscht hatte, keine Miene zu verziehen.
Mum schluckte sichtlich. „Bist du gerade erst heruntergekommen?"
„Ja." Die kleine Lüge entschlüpfte meinen Lippen so schnell, dass ich beinahe zusammenzuckte. Erschreckend, wie leicht mir es fallen konnte, anderen ins Gesicht zu schwindeln.
Im Eiltempo beseitigte ich das angerichtete Chaos und drückte mich an ihren blanken Gesichtern vorbei in die Küche, um mir ein Glas Orangensaft einzuschenken, wobei meine Hände so zitterten, dass beinahe die Hälfte danebengegangen wäre. Ich war ja normalerweise nicht so der Typ, der an Türen lauschte, aber wie konnte man schon widerstehen, wenn man musste, dass es um einen selbst ging? Ich hatte ja keine Ahnung, worüber meine Eltern da eben gesprochen hatten, aber offenbar glaubten sie, dass mir irgendeine Gefahr drohte.
ZAYN
„SOHN!", brüllte mein Vater irgendwo von unten, gefolgt von lautem Krach. Ich verdrehte die Augen, legte mein Handy weg und schrie in derselben Lautstärke ein „WAS IST?" zurück. Dann waren trampelnde Schritte zu hören und im nächsten Augenblick wurde die Tür geöffnet und mein Vater streckte den Kopf herein. „Es sind Menschen vor dem Haus."
Gelangweilt schnippte ich einen imaginären Fussel von meinem T-Shirt. „Und?"
Die Augen meines Vaters verdunkelten sich bei meiner mehr als geringen Motivation. „Ich brauche wieder eine neue Gefährtin. Die alte macht's nicht mehr lange. Und für dich wird es auch langsam Zeit, dir eine zu suchen. Oder einen." Er grinste und ließ seine Zunge um die beiden rasiermesserscharfen Eckzähne spielen.
„Du weißt ganz genau, dass ich meinen Durst lieber stille, ohne eine Bindung mit demjenigen einzugehen." Ich warf ihm einen finsteren Blick zu. Mein Vater hatte wie so ziemlich alle anderen Vampire die Angewohnheit, sich einen Menschen auszusuchen, den er dann bei der passenden Gelegenheit überfiel, biss und ihn zu seinem Gefährten machte, indem er sich beim Trinken mit all seinen Sinnen darauf konzentrierte, eine Bindung zwischen sich und seinem Opfer zu schaffen. Dieses wurde dadurch auf irgendeine Weise abhängig von dem angenehmen Gefühl, das man durch den Biss eines Vampirs bekam. Ich selbst hatte dies natürlich noch nie am eigenen Leibe erfahren, aber wenn ich mir die Menschen so anschaute, die sich freiwillig beißen ließen ... es musste es wert sein.
Neben dieser unfreiwilligen Bindung gab es noch die, die aus Liebe geschah. Wenn ein Vampir einen Menschen biss, für den er so empfand, entstand automatisch eine feste Verbindung zwischen den beiden, der man nichts entgegenwirken konnte. Soweit ich wusste, war dieser Fall allerdings noch nie eingetreten – kein Wunder. Eine Liebe zwischen Vampir und Menschen war undenkbar. Die beiden Wesen stießen sich ab wie zwei gleiche Pole eines Magneten, sie töteten und benutzten einander. Ein Vampir kam einem Menschen nur dann näher, wenn er Durst und keinen Bock auf Tierblut hatte, während ein Mensch sich dagegen nur bewusst auf einen Vampir einließ, wenn er auf den perfekten Zeitpunkt wartete, ihn zu töten.
Ganz unproblematisch war diese Geschichte mit den Gefährten natürlich nicht, zumindest nicht für die menschliche Seite. Wenn der Vampir einen anderen Menschen biss, schien sein eigentlicher Gefährte Schmerzen zu verspüren. Ich hatte dies erst ein einziges Mal gesehen und war nicht unbedingt epicht darauf, es nochmal zu tun. Ich hatte keine Ahnung, was ihnen genau wehtat, aber es musste furchtbar sein. Ganze viermal konnte ein Vampir quasi „fremdgehen" - das fünfte Mal überlebte der Mensch nicht. Das war auch der Grund, warum ich keine Bindung mit meinen Blutspendern eingehen wollte. Nicht, dass ich Skrupel gegenüber den Menschen empfand, nein, es machte sogar Spaß, sie zu jagen, zu Tode zu erschrecken und anschließend vielleicht ihr Gedächtnis zu löschen, aber ich hatte einfach keine Lust darauf, zuzusehen, wie sich jemand in Schmerzen wand oder starb, ohne dass man ihn berührte. Natürlich könnte man sein ganzes Leben lang bei einem Gefährten bleiben, aber mal ehrlich: Das würde auf die Zeit ganz schön langweilig werden. Wieso sollte ich mir also überhaupt einen zulegen? Richtig, wegen überhaupt nichts. Damit war ich zwar so ziemlich der Einzige in meiner Art, ein paar andere Ausnahmen ausgenommen, aber das war mir egal.
„Sieh mal aus dem Fenster." Mein Vater klebte schon an der Scheibe und gaffte mit hungrigen Augen in den Hof unserer abgelegenen Villa hinunter. „Die Blonde da sieht doch köstlich aus."
„Schon klar", antwortete ich ohne hinzusehen, schob mich aber dennoch lustlos aus dem Bett und schlurfte zu ihm hinüber. Natürlich suchte ich mir auch meine Lieblingsopfer aus, es war immer wieder ein Genuss, die Furcht in ihren Gesichtern zu sehen, wenn sich meine Augen mit einem Schlag blutrot färbten und die spitzigen Zähne hervorwuchsen, aber nicht in dem Ausmaß, wie es die anderen betrieben ... das war mir zu dumm. Die beobachteten tagelang die vorübergehenden Menschen vor Cafés, tauschten sich darüber aus, welcher wohl am appetitlichsten aussah und so weiter und so fort. Ich musste aber schon sagen, es machte schon Spaß, jemanden über eine oder zwei Wochen hinweg zu verfolgen, bevor man schließlich zuschlug. Es war wie ein Spielchen, in dem die Menschen die perfekten, berechenbaren Spielfiguren abgaben.
Mein Vater beobachtete seine Auserwählte noch ein Weilchen, dann wandte er sich abrupt mir zu. „Wo wir gerade schon dabei sind ... ich hätte einen Auftrag für dich."
Ich wurde hellhörig. „Ach ja?" Das war ja mal was ganz was Neues!
Er nickte bedeutungsvoll. „Ich habe dir doch vor einiger Zeit von der Demütigung erzählt, die wir durch diese nervigen Horan-Jäger auf uns nehmen mussten."
Ich bestätigte dies mit einem simplen Nicken. Er hatte mir oft genug eingebläut, dass wir uns das nicht gefallen lassen durften und uns unbedingt rächen mussten. Nicht dass ich was dagegen hätte, es klang nämlich ziemlich witzig, um ehrlich zu sein.
„Einer meiner Spione hat ihn gestern am Waldrand gesichtet." Grinsend rieb er sich die Hände, während seine noch immer roten Augen in Vorfreude funkelten. „Da wir uns noch nie wirklich mit unserem Plan befasst hatten, wusste unser Kollege natürlich nicht, was er tun sollte, sodass der kleine Horan abgehauen ist, bevor er einen Finger rühren konnte, aber das ist vielleicht auch gut so, denn jetzt wissen wir wenigstens, dass er wieder zurück ist vom College." Er deutete mit dem Zeigefinger auf mich. „Und jetzt kommst du ins Spiel. Ich werde dich auf ihn ansetzen."
Meine Augen wurden schmal. „Inwiefern?"
Das Grinsen meines Vaters wurde noch breiter, sodass seine erstaunlich weißen Zähne blitzten. „Mach ihn zu deinem Gefährten."
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Mal wieder ein Lebenszeichen von mir! ;) Ich bemühe mich, dass die nächsten Updates mal ein wenig mehr in time kommen ... Was denkt ihr von der Geschichte?
Ich freue mich totaaaal über Vötchens und Kommiiiiiis! <3 Dankeschön, dass diese Geschichte nach nur drei veröffentlichten Teilen schon über fünfhundert Reads hat! *-* Ich wär fast aus den Socken gefallen, als ich das gesehen habe!
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