Kapitel 2
Ich musste wohl eingedöst sein, denn als ich nach einiger Zeit wieder komplett zu mir kam, befand sich der Wagen in unserer Einfahrt vor dem geschlossenen Garagentor, während meine Eltern daneben standen und offenbar hitzig diskutierten, ihren wild gestikulierenden Armen nach zu urteilen. Sofort überkam mich ein rabenschwarzes Gewissen. Bestimmt stritten sie über unsere unschöne Diskussion von vorhin. Schnell stopfte ich Handy und Headset in meine Hosentaschen und öffnete die Autotür.
„ ... nicht machen lassen! Wir ...!", sagte Mum gerade, bevor Dad sie mit einem kleinen Stoß zum Schweigen brachte, als er mich entdeckte. Mum schaute mich mit einer undefinierbaren Gefühlsregung im Blick an, dann machte sie auf dem Absatz kehrt und lief ins Haus, während Dad den Kofferraum aufschloss und die Koffer auszuräumen begann. Wortlos nahm ich sie entgegen und wollte ebenfalls verschwinden, doch er hielt mich an der Schulter zurück. „Willst du das wirklich tun, Niall?"
Ich seufzte, da ich genau wusste, wovon er sprach. „Ja. Außerdem bin ich schon angemeldet, ich kann jetzt nicht einfach plötzlich absagen."
Er nickte langsam. „Wo kommt dieser Liam Payne her?"
Erstaunt über den plötzlichen Themawechsel zuckte ich die Schultern. „Auch von hier aus der Stadt, nur eben am anderen Ende."
Wieder ein Nicken. „Wäre schön, wenn du ihn uns in naher Zukunft vorstellen könntest." Ohne ein weiteres Wort oder einer Erklärung griff er sich eine Tasche und entfernte sich in Richtung Haustür. Perplex starrte ich ihm hinterher. Was lief hier schief? All die Jahre hatte ich mit ihrer Überfürsorglichkeit leben können, es hatte mir einfach nichts ausgemacht, aber jetzt, wo ich volljährig war, studierte und mich auf Jobsuche begeben hatte, wollte ich endlich unabhängig werden. Und das ging nun mal nicht mit Eltern, die einen nicht loslassen konnten. Versteht mich nicht falsch, ich liebe sie wirklich, aber manchmal ... hätte ich einfach gern etwas mehr Freiheit.
Anstatt den Rest auszuladen, wartete ich neben dem Auto darauf, dass Dad zurückkam, damit ich ihn fragen konnte, wieso zur Hölle er Liam so genau kennenlernen wollte, aber ich wartete vergebens, denn er kam nicht mehr heraus. Offenbar war er zu sehr beschäftigt, sich mit Mum über meine miserablen Pläne zu unterhalten.
Plötzlich hatte ich gar keinen Bock mehr auf Ferien. Missmutig stellte ich das Gepäck im Flur ab, sperrte den Wagen zu und lief dann die Einfahrt zur Straße hinunter. Noch keine halbe Stunde da (beziehungsweise, noch nicht ein einziges Mal überhaupt im Haus gewesen), und schon musste ich erst mal mein Gemüt abkühlen. Die nächsten Semesterferien sollte ich wohl lieber im Studentenheim bleiben und eben dort in dieser Stadt einen kleinen Job ausüben.
Die Hände in den Hosentaschen versenkt wanderte ich den kleinen Feldweg hinter unserem Haus entlang, der zum angrenzenden Wald hinüberführte. Klingt komisch, aber ich hatte es schon immer genossen, hinter der Hecke unseres Gartens zu sitzen und die riesige Silhoutette der Baumfront zu beobachten, die am Horizont in den Himmel emporragte. Es hatte einfach etwas Mysteriöses, und wenn ich etwas liebte, dann war es das Geheimnisvolle, Unklärbare der Welt. Wie gesagt, ich war erst ein einziges Mal wirklich daringewesen, konnte mich aber nicht mehr daran erinnern, was mich dort so verschreckt hatte, dass ich nie wieder einen Fuß hineingesetzt hatte. Angeblich verschwanden dort manchmal Menschen, wie es die Zeitung und die Nachrichten berichteten, aber was an diesen Gerüchten dran war, wusste niemand so recht.
Nachdenklich kickte ich einen kleinen Stein vor mir her, während ich den letzten Rand der Sonne betrachtete, die hinter den Bäumen unterging und die Landschaft in orangefarbenes Licht tauchte. Man sollte einfach weglaufen können. Weglaufen und nie wieder kommen. Damit wären eine Menge Probleme gelöst. Der Wald würde sich richtig gut dafür eignen.
Plötzlich erschien es mir ziemlich verlockend, mal einen kleinen Ausflug dorthin zu machen. Kurz entschlossen legte ich einen Zahn zu, bis ich fast rannte, um noch vor der völligen Dämmerung an meinem Ziel angelangt zu sein. Nachdenklich begutachtete ich dabei meine weißen Nikes, entschied aber dann, dass es mir scheißegal war, ob sie nachher vielleicht braun waren oder nicht. Normalerweise bekam ich nicht mal die Chance, unbemerkt vom Grundstück zu gelangen, ohne meinen Eltern gesagt zu haben, wohin ich ging. Wenn ich so darüber nachdachte, war es eigentlich ziemlich erschreckend, dass mich das nie genervt hatte. Jetzt, nach einiger Zeit Selbstständigkeit am College, wusste ich, wie toll es war, ungebunden zu sein und seine eigenen Entscheidungen treffen zu können, was ich natürlich auch in den Ferien beibehalten wollte. Tja, meine Eltern würden über diesen Wunsch nicht ganz so erfreut sein. Himmel, ich war neunzehn und musste mir Sorgen darüber machen, wie ich am Besten unbemerkt aus dem Haus kam! Irgendetwas lief da auf jeden Fall falsch.
Bei diesem absurden Gedankengang musste ich grinsen. Wenn ein Schüler hören würde, dass ich bereits wieder das Ende der Ferien herbeisehnte, würde er mich ohne Umwege in eine Irrenanstalt einweisen.
Je näher ich dem Waldrand kam, desto aufgeregter wurde ich. Es war, als würde ich etwas komplett Neues erforschen, Erfahrungen sammeln und Dingen auf den Grund gehen – als ob ich noch nie vorher einen Baum gesehen hätte, aber ihr wisst hoffentlich, was ich meine.
Etwas außer Atmen erreichte ich das Ende des Feldweges, der zu Beginn der ersten Baumreihe in einen aus Schotter überging und tiefer in den Wald hineinführte. Mir kam hier alles so verdammt bekannt vor, im negativen Sinne. Als hätte ich schon mal genau hier gestanden und genau so alles eingescannt, aber mir wollte nicht einfallen, wann das gewesen sein sollte, immerhin war ich erst ein einziges Mal hier gewesen.
Ein leises Knacken ließ mich herumwirbeln, doch ich sah nur die Zweige der Büsche, die sich im Wind langsam bewegten. Instinktiv trat ich einen Schritt zurück, vor allem, als das gleiche Geräusch ein weiteres Mal ertönte und ich somit ausschließen konnte, dass der Wind der Verursacher war. „Hallo?"
Nichts.
Kopfschüttelnd tastete ich mich wieder näher heran. Seit wann war ich so paranoid? Wahrscheinlich hatten meine Eltern mit ihrer Art über all die Jahre auf mich abgefärbt. Ich wollte gerade all die Alarmglocken in meinem Kopf in die Tonne treten, als mich das Klingeln meines Handys aus meinen heldenhaften Machenschaften riss. Seufzend zog ich es aus der Tasche, doch nach einem Blick auf das Display hätte ich mich am liebsten an Ort und Stelle verbuddelt.
Meine Mutter. Das hätte ich mir ja denken können. Wieso hatte ich dieses Scheißteil überhaupt mitgenommen? Ich kämpfte mit mir. Wenn ich sie einfach wegdrückte, würde ich noch Ewigkeiten danach ein schlechtes Gewissen haben. Also nahm ich den Anruf fluchend an. „Ja?"
„NIALL! Wo zur Hölle bist du?!"
Fast hätte ich mich vor Schreck in die nächste Wasserpfütze gestürzt. „Bin ein wenig frische Luft schnappen", antwortete ich lahm.
Da herrschte für einen Moment Schweigen. „Wo bist du?"
„Ich bin ... äh ..." Sie würde mir sauber den Kopf abreißen, wenn sie wüsste, wo ich mich herumtrieb.
„Du bist aber nicht zufällig der, den ich gerade vom Schlafzimmerfenster aus am Waldrand stehen sehe, oder?" In ihrer Stimme schwang ein drohender Unterton mit, der mir verriet, dass sie tausendprozentig wusste, mit wem sie es bei dieser Person zu tun hatte.
Fuck. „Äh ... und was, wenn ich es doch bin?"
Ich hörte, wie sie scharf die Luft durch die Nase einsog, um dann gepresst zu befehlen: „Geh da weg. Jetzt sofort."
Das mittlerweile vertraute Knacken aus den undurchschaubaren Sträuchern ließ mich zusammenzucken und hielt mich von einer Antwort ab. Fast hätte ich das Handy fallengelassen, als ich die Zweige sah, die sich schnell auf und ab bewegten, als wäre vor wenigen Sekunden jemand hindurchgelaufen. Vorsichtig wich ich ein paar Meter zurück. Ein seltsames Gefühl beschlich mich, als würde ich beobachtet werden. Zwischen den Büschen konnte im Prinzip jeder sitzen und mich beobachten, während ich selbst keine Chance hatte, denjenigen zu entdecken.
„Niall?", tönte die besorgte Stimme meiner Mum aus dem Lautsprecher an meinem Ohr. „Was ist da los bei dir?"
Ein plötzlicher Windstoß fegte über das Feld, riss an meiner Kleidung und trieb dunkle Regenwolken herbei, die die letzten Sonnenstrahlen der untergehenden Sonne erstickten und alles mit einem matten Grau übertünchten. Fröstelnd bewegte ich mich weiter zurück, wagte es jedoch nicht, den Bäumen den Rücken zuzuwenden. Diese wirkten in den neuen Lichtverhältnissen nun eher bedrohlich als geheimnisvoll; ihre Zweige sahen aus wie knorrige Krallen, die sich nach denen ausstreckten, die am Weg vorübergingen.
„Mum, ich komme heim."
„Beeil dich." Ihre Stimme zitterte, als würde sie meine sich langsam anbahnende Furcht am eigenen Leibe spüren.
Und bei diesen Worten schien sich in mir ein Schalter umzulegen, denn mit einem Schlag traf mich die unsichtbare Front einer unmittelbar drohenden Gefahr, sodass ich mich umdrehte und zu laufen begann, so schnell ich konnte, bis ich die rettende Hecke erreicht hatte.
Hätte ich noch einen einzigen Blick über die Schulter geworfen, hätte ich das Paar roter Augen gesehen, die zwischen den Zweigen hervorspähten und jeden meiner Schritte verfolgten, bevor sich ihr bedrohliches Glühen im Dunkel verlor.
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Keine Ahnung, was ich davon halten soll, bin momentan etwas neben der Spur ... Jedenfalls vielen Dank an all meine ersten Leser, die sich jetzt schon gefunden haben und immer ein Vote und ein Kommi da lassen <3 Hätte ich euer aller Adressen, würd ich euch allen Kuchen schicken :D
Lasst mich doch wissen, was ihr bis jetzt von der Geschichte haltet ;) *IchBinEinFeedbacksüchtigerMensch*
Bis zum nächsten Kapitel,
Andi <3
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