Unerwünscht
Gerädert wachte ich auf. Ich hatte bereits beim ersten Augenaufschlag, stechende, pochende Kopfschmerzen direkt hinter meinen Augen. Was keine guten Aussichten waren, bei der Hitze auf den Feldern zu arbeiten. Vorsichtig stand ich auf und wankte ins Badezimmer. Wo ich erst einmal einen großen Schluck Quellwasser trank. Traumfetzen von letzter Nacht, schwebten in meinen Gedanken.
Nie zuvor hatte ich von Athen geträumt. Wie denn auch? Ich war noch nie dort, oder etwa doch? Nein, dann würde ich mich daran erinnern. Ich zog das neue Leinenkleid an, welches Granny in der Nacht wohl noch fertig gestellt hatte. Es saß perfekt. Dann ging ich in die Küche, wo Dad bereits dabei war Kaffee zu kochen.
„Guten morgen Raja, hast du gut geschlafen?", fragte er mit einem Lächeln im Gesicht.
Was war denn jetzt los? Mein Dad, der sonst nur lächelte, sprach einen ganzen Satz und dass auch noch so früh am Morgen.
„Ich habe schon besser geschlafen.", gab ich verdattert von mir und zuckte mit den Schultern.
Er reichte mir eine Tasse und ich nahm mir ein stück Brot. Die Kopfschmerzen waren nach wie vor präsent. Ich trat hinaus auf die Veranda und sah mich verwirrt um. Wie konnten nach einem Tag mehrere Hütten wieder fertig gestellt sein? Die Trichter Wolke hatte sie doch gestern erst dem Erdboden gleich gemacht, oder etwa nicht? War ich krank oder wurde ich allmählich verrückt? Erneut pochte es stark hinter meinen Augen.
Dad schritt zu mir hinaus und beobachtete mich. Schnell trank ich meine Tasse aus und machte mich wortlos auf den Weg.
Ich war nicht die erste auf den Feldern.
Oscar und Ben waren bereits bei der Ernte der Tomaten. Ich schlenderte zu ihnen.
Als Ben mich sah, warf er mir einen argwöhnischen Blick zu, den ich nicht verstand.
„Morgen, ich melde mich zum Dienst.", sprach ich und machte eine salutierende Geste.
Welche sonst Ben immer zum Lachen brachte. Jedoch nicht an diesem Morgen.
Wortlos reichte er mir einen Korb und wandte sich von mir ab.
Seine Reaktion verstand ich nicht. Habe ich ihm etwas getan? Hatten wir Streit? Das pochen wurde stärker, sodass ich meinen Kopf für einen Moment festhielt. Ich widmete mich den Tomaten, spürte jedoch hin und wieder Ben's Blicke auf mir ruhen. Doch immer wenn ich in seine Richtung blickte, wandte er sich ab.
Die Sonne stand mittlerweile hoch am Himmel und die Hitze war kaum erträglich. Ich entschloss mich erst mal eine Pause einzulegen. Also suchte ich mir ein schattiges Plätzchen unter den Olivenbäumen, welche den Rand des Feldes säumten. Auch Ben saß dort. Entschlossen ging ich zu ihm.
„Ben, habe ich dir irgendetwas getan?", fragte ich vorsichtig und rieb mein Handgelenk, welches sich seltsam anfühlte.
„Nein Raja, ich bin eben nur nicht gut gelaunt.", spuckte er mir angewidert entgegen, ohne mir in die Augen zu sehen.
Alles hier kam mir so unwirklich vor.
Gespielt.
Und dies zog sich nun über mehrere Wochen hinweg.
Tägliche Kopfschmerzen, Traumfetzen, jeden Tag arbeiten auf den Feldern und alle gingen mir aus dem Weg. Ich fühlte mich mehr den je unerwünscht. Sobald Ben mich sah, wandte er sich von mir ab. Was war hier nur geschehen?
An diesem Tag war es besonders schlimm gewesen. Denn als ich zur Ernte der Oliven erschien sagte man mir, dass meine Hilfe nicht benötigt wurde. Ich war so wütend und am Boden zerstört, weshalb ich mich entschloss zur Südseite der Insel zu gehen. Viel zu lange hatte ich diesen Ort gemieden. Als ich die Düne hinauf ging, stach es hinter meinen Augen. Doch an den Schmerz hatte ich mich längst gewöhnt. Ich blickte hinab auf mein kleines persönliches Reich. Unverändert lag es vor mir. Dies erfüllte mich zum ersten Mal seit langer Zeit mit Freude.
Ich lief hinab zum Strand, das Meer kühlte meine erhitzten Knöchel. Plumpsend ließ ich mich auf dem Boden nieder und spürte ein stechen in meinem hintern. Ich hatte mich wohl auf etwas drauf gesetzt. Schnell rutschte ich etwas zur Seite und sah nach, was es war. Ich musste buddeln, denn es war bereits mit Sand bedeckt. Ein Glas.
Ein Glas, welches völlig intakt war und definitiv nicht aus unserer Gemeinschaft stammte. Dafür war es zu perfekt gearbeitet. Erstaunt sah ich es mir genauer an. Wie gelangte es hier er? Wurde es vom Meer angespült? Gedankenverloren drehte ich es in meinen Händen und ließ mich zurück fallen. Ich war sonst immer so glücklich hier. Doch nun kam ich mir wie eine fremde vor. Niemand außer meine Familie, redete auch nur ein Wort mit mir. Alle sahen mich an, als wäre ich von einem anderen Stern. Seit dem Tag, als die Trichter Wolke uns heimsuchte. Angestrengt durchforstete ich meine Gedanken. Auf der Suche nach dem Grund. Doch egal wie sehr ich mich auch anstrengte, ich fand nicht's. Nach einer Weile stand ich auf und machte mich auf den weg zurück. Das Glas nahm ich mit, es gefiel mir. Als ich die Düne hinab schritt, huschten Bilder an meinem inneren Auge vorbei. Ich sah Blaue funkelnde Augen, wie Sterne am Firmament. Kopfschüttelnd vertrieb ich diesen Gedankenfetzen und sah mich um. Das stetige pochen meines Kopfes war wieder etwas stärker geworden.
Was war das? Diese Augen die ich sah, sie waren mir so vertraut. Doch ich kannte niemanden, der solch wunderschöne Augen hatte. Zumindest niemand an den ich mich erinnerte. Dieses Bild verfolgte mich den rest des Tages. Am Abend zog ein Gewitter auf. Es begann zu regnen, grade als ich im Wald war um Pilze zu sammeln. Der laue Sommerregen tat gut. Ich liebte den Duft von Wald und Regen. Diesen Duft fand ich unglaublich anziehend. Es war der selbe Duft, den ich vor Wochen in der Scheune vernommen hatte. Am Tag des Sturmes. Irgendetwas verband ich mit ihm, doch was es war, wollte sich mir einfach nicht offenbaren. Mit geschlossenen Augen sog ich ihn in mir auf und machte mich mit einem Korb bis zum Rand gefüllt mit Pilzen, auf den Rückweg. Mum und Granny waren dabei, die Pilze zu säubern. Während ich Granny's Büchern durch stöberte. Doch das Buch wonach ich suchte, war verschwunden. Granny bemerkte dies und blickte zu mir.
„Suchst du etwas bestimmtes liebes?", fragte sie beiläufig und begann die Pilze zu schneiden. Wechselte zuvor jedoch einen Blick mit Mum, was mir nicht entgangen war.
„Das Buch über Athen, hast du es jemandem ausgeliehen?", entgegnete ich ihr und wartete auf ihre Antwort.
Mum erstarrte bei meinen Worten. Es war als würden sie ihr schmerzen bereiten.
„Ja ich habe es ausgeliehen. Nimm dir doch ein anderes Buch. Hmm?", trällerte sich und schnippelte weiter.
Ein Schauer lief über meinen Rücken als ich ihr „Hmm" vernahm. Es hallte in meinem Kopf nach. Nur dass es nicht die Stimme meiner Granny war. Es war eine dunkle Stimme. Eine raue Stimme. Welche mich völlig aus der Bahn warf.
Dann blitzen die Blauen Augen wieder auf.
Das Buch in meinen Händen glitt zu Boden.
Bạn đang đọc truyện trên: Truyen247.Pro