Gefangen
Als ich erwachte, stieß ich einen spitzen Schrei aus. Mit klopfendem Herzen sah ich mich um.
Wo war ich? Was war geschehen? Mein kopf pochte.
Als der Schleier sich legte, kam die Erinnerung wieder. Liam hatte mich verschleppt. Ich lag in einem steinernen Raum. Nur ein kleines Loch in der Mauer, ließ das Tageslicht eindringen. Meine Muskeln und Knochen schmerzten arg.
Hier gab es noch nicht einmal ein Bett.
Tränen stiegen empor und bahnten sich ihren Weg über meine Wangen hinab. Die Ungewissheit schmerzte. Ging es meiner Familie gut? Waren sie noch am Leben?
Was hatte Liam mit mir vor?
Ich musste hier weg, doch wie? Panik übermannte mich. Die Mauern schienen immer näher zu kommen. Mein Herz überschlug sich mehrere Male. Angestrengt sog ich die Luft in meine Lungen und versuchte mich zu beruhigen. Zitternd stand ich auf und ging zu dem kleinen Loch in der Mauer.
Zum ersten Mal sahen meine geschwollenen Augen eine Stadt. War ich in Athen? Gab es noch andere Menschen hier außer mir?
Haus an Haus und eines prunkvoller als das andere. Meine Behausung, wenn ich das so nennen konnte, lag sehr hoch. Ich vernahm Schritte, welche mich zurück ins hier und jetzt rissen. Ängstlich presste ich mich an die Mauer, als die Tür geöffnet wurde. Eine ältere Frau sah mir freundlich entgegen.
„Hab keine Angst, ich werde dir nichts tun. Liam verlangt dich zu sehen. Wenn du tust, was er von dir verlangt, wird dir nichts geschehen.", sprach sie beruhigend zu mir.
„Ich möchte ihn aber nicht sehen! Er hat mich gegen meinen Willen hier hergebracht! Er hält mich gefangen!", schrie ich hysterisch.
„Kindchen, niemand ist freiwillig hier. Entweder wir beugen uns ihrem Willen oder wir werden sterben. Das solltest du doch wissen. Menschen haben in der heutigen Welt keinen freien Willen mehr. Und jetzt komm, er wartet nicht gern.", antwortete sie mir ruhig.
Wo war ich nur hineingeraten? Dies war alles neu für mich. In meiner Welt hatte jeder seinen freien Willen. Ich schritt aus meinem Gefängnis heraus und fand mich in einem riesigen Korridor wieder. Erstaunt sah ich mich um. Die Dame lächelte mich aufmunternd an und nahm meine Hand.
„Sind sie schon lange hier?", fragte ich an sie gewandt, währen wir den Korridor entlang Schritten.
„Nenn mich Eva. Ja Kindchen, seit meinem 12 Lebensjahr diene ich und meine Familie dem Fürsten.", lächelte sie mich mit traurigen Augen an.
„Ich bin Raja. Und das ist in Ordnung für sie?", antwortete ich erstaunt.
Für Eva schien das alles ganz normal zu sein.
„Raja, was ein schöner Name. Du scheinst mit den Gepflogenheiten nicht vertraut zu sein. Nun ja, wir hatten keine große Wahl. Die Vampire hatten unser Land überrannt. Es gab nur zwei Möglichkeiten. Entweder kämpfen und sterben, oder unterwerfen und dienen.", flüsterte sie und öffnete eine Tür.
Eva blieb stehen und nickte mir aufmunternd zu. Ich nahm tief Luft und schritt alleine durch die Tür in einen riesigen Raum hinein. An den Wänden prangten Gemälde aller Art. Eine Tafel so groß, dass meine gesamte Gemeinschaft Platz daran hätte, füllte den Raum aus. An ihrem Ende saß Liam und sah mich an.
„Raja, ausgeschlafen?! Willkommen in meinem Reich. Wie lange du hier bleibst, hängt ganz von deinem Verhalten ab.", sprach er zu mir über die Tafel hinweg.
„Bedeutet das, ich darf wider nachhause wenn ich tue was du von mir verlangst?", fragte ich hoffnungsvoll.
Doch sein hämisches Gelächter nahm mir unverzüglich sämtliche Hoffnungen.
„Niemand weiß von eurer Insel und deiner Herkunft. Wenn das so bleiben soll, bist du besser fügsam. Aber nein, du wirst nicht dorthin zurückkehren. Setz dich.", sprach er und wies auf den Stuhl in seiner Nähe.
Wütend stapfte ich zu ihm und nahm Platz. Unmittelbar als ich saß, kam ein dürrer junger Mann hinein und stellte einen gefüllten Teller vor mir ab. Es roch köstlich, dennoch verweigerte ich das Essen. Dann werde ich eben hungern. Ich wollte einfach nur nachhause.
„Wie viele gibt es von deiner Art?", funkelte ich ihn böse an.
„Genügend und nicht alle sind so nett wie ich. Würdest du nun essen, damit du bei Kräften bleibst.", sagte er und blickte angewidert auf das Essen hinab.
„Danke, aber ich habe keinen Hunger. Übrigens, als nett empfinde ich etwas anderes. Ich bin hier, jetzt sag mir was du von mir willst.", gab ich genervt zurück.
Ohne mich aus den Augen zulassen, klatschte er in die Hände und der dürre junge Mann kam herbei geeilt. Er nahm den Teller wieder mit und ließ uns erneut allein.
Liam beugte sich zu mir.
„Wir werden sehen. Vielleicht werde ich mich an deinem Blut ergötzen. Kommt ganz allein auf dich an Raja.", zwinkerte er mir zu und klatschte erneut in die Hände.
Mein Herz raste, vor Wut und Angst. Eva trat ein und ich wusste, dass er meine Gesellschaft nicht länger benötigte. Zornig stand ich auf, was Liam belächelte. Sein Grübchen erschien auf seiner Wange. Im Korridor angelangt wandte sich Eva mir zu.
„Hier, damit du keinen Hunger leidest. Komm ich bringe dich in dein Gemach.", sprach sie und reichte mir zwei Äpfel.
Dieser Raum war ganz anders als der vorherige. Ein großes Bett stand unter dem Fenster, von wo ich über die ganze Stadt blicken konnte. Daneben stand ein Schrank, gefüllt mit wunderschönen Kleidern.
Doch der Spiegel zog mich unmittelbar in seinen Bann. Noch nie habe ich mich so gesehen. Bisher sah ich mein Spiegelbild nur im Wasser, reflektiert von der Sonne. Ich trat näher heran und betrachtete mich. Ich sah garnicht so schlecht aus, wenn ich auch nicht ganz so eine Augenweide war wie Beth. So war ich doch recht hübsch anzusehen. Etwas schmutzig vielleicht, aber dies ließe sich ändern. Denn ich hatte mein eigenes Bad. Mit einer richtigen Toilette und einer richtigen Wanne. Das Wasser kam direkt aus der Leitung. Ohne dass man sich körperlich betätigen musste.
„Ich habe es für dich hergerichtet, auf Anweisung von dem Fürsten. Fühle dich geehrt Raja.", flüsterte Eva. Bevor sie mich alleine hier zurück ließ.
Ich solle mich geehrt fühlen? Das war alles so skurril. Erst verschleppte er mich und drohte mir. Dann jedoch ließ er mir solch ein Gemach herrichten? Ich wurde aus ihm nicht schlau.
Kopfschüttelnd ging ich ins Badezimmer.
Ein Bad war nun genau das richtige.
Ich ließ mich ins dampfende, duftende Wasser nieder. Für einen Moment fühlte ich mich wohl in meiner Haut. Doch dieses Gefühl verschwand umgehend, als die Gedanken um meine Familie kreisten. Ich musste hier weg. Zurück nach Alimia, zu den Menschen die ich liebte. Eilig durchwühlte ich den Schrank und fand ein schlichtes Leinenkleid. Entschlossen ging ich Richtung Tür und betätigte die Türklinke.
Abgeschlossen.
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