level 30
»Sojungs Sicht«
"Du solltest öfters vorbeikommen, Sojung-ah! Beim nächsten Mal kannst du doch Namjoon mitbringen. Ich habe ihn schon so lange nicht mehr gesehen", meine Mutter stellte die Schüssel mit Reis vor mir ab, bevor sie sich zu mir an Tisch setzte.
Damit ich darauf nicht antworten musste, stopfte ich mir sofort Essen in den Mund und nickte bloß.
"Du hast abgenommen, Schatz. Isst du auch genug?" Besorgnis lag auf dem Gesicht meiner Mutter, die mir zusah.
Meine Mutter war schon immer ein großer Fan von Namjoon gewesen und hat bereits früher gehofft, dass aus uns ein Paar wurde. Damals fand ich das absurd und total unangenehm. Sie wusste nicht, dass sich meine Sicht bezüglich dieses Themas drastisch gewendet hatte. Und da ich keine gute Nachrichten zu verkünden hatte, behielt ich es für mich. Es würde sie sicher traurig machen, dass Namjoon nicht ihr Schwiegersohn werden wollte.
"Eomma.... kommst du alleine zurecht?", fragte ich sie, da sie schließlich nach meinem Auszug ebenfalls ganz alleine lebte. "Wenn du einsam bist, kann ich zurück nach Hause kommen."
Die Frau vor mir hob überrascht ihre Augenbrauen in die Höhe, bevor sich ein dankbares Lächeln auf ihren Lippen erstreckte.
"Mir geht es hervorragend, Sojung. Mach dir keine sorgen um mich und lebe dein Leben." Sie streckte ihre Hand nach mir aus und ich ergriff sie nach kurzem zögern.
Manchmal fragte ich mich, wie sie es schaffte so stark zu sein.
"Was bedrückt dich?"
Ich wusste es. Ich wusste, das sie mich sofort durchschauen würde.
"Ich vermisse dich bloß, das ist alles", sagte ich und es war bloß zur Hälfte gelogen.
Sie schien zu ahnen, dass es nicht alles war, doch meine Mutter löcherte mich nicht weiter, sondern akzeptierte meine Entscheidung nicht darüber reden zu wollen.
"Oh, ich glaube dein Telefon klingelt, Schatz", meinte sie dann plötzlich und erst als sie mich darauf aufmerksam machte, konnte ich es auch hören.
"Egal", erwiderte ich schulterzuckend.
"Geh lieber nachschauen. Vielleicht ist es jemand von der Arbeit."
"Es ist Samstag, Eomma", seuftzte ich, aber stand trotzdem auf und ging hastig in den Flur, wo meine Tasche lag.
Es hörte auf zu klingeln, als ich es endlich aus meiner weißen Umhängetasche gekramt hatte. Auf dem Display las ich einen Namen mit dem ich wirklich überhaupt nicht gerechnet hatte und legte fragend den Kopf zur Seite.
Mir blieb nicht viel Zeit, um mich zu wundern. Denn im nächsten Augenblick rief dieselbe Person mich nochmal an.
"Hallo?", grüßte ich Namjoons jüngere Schwester und konnte meine Verwunderung nicht verstecken.
Wir hatten uns zwar schon oft getroffen und auch gut verstanden, aber das Letzte mal war mittlerweile so lange her, dass ich mich kaum noch an unser letztes Gespräch erinnern konnte.
"Gott sei dank gehst du ran!", sie atmete deutlich erleichtert aus, was mich noch mehr verwirrte.
"Ähm.. Hey, Haesoo... Wir haben uns lange nicht mehr gesehen. Du bist mittlerweile doch schon in der Oberstufe, nicht wahr?"
"Genau. Hör zu, ich muss etwas wissen" Sie kam direkt zur Sache.
"Stimmt es, dass du Gefühle für Namjoon hast?"
Das Herz rutschte mir in die Hose.
"Ja", krächtzte ich ehrlich und kniff meine Augen zusammen, weil Angst davor bekam, was sie mir zu sagen hatte.
"Okay, Sojung. Du musst mir jetzt ganz genau zuhören. Mein Bruder hat dir meinetwegen einen Korb gegeben. Er empfindet schon seit Jahren etwas für dich."
"Wie bitte?" Mir fielen fast die Augen aus dem Schädel, so sehr schockierten ihre Worte mich. Das ergab doch überhaupt keinen Sinn.
"Ich bin von meinen Eltern verstoßen worden, weil ich lesbisch bin und seitdem wohne ich bei Namjoon-oppa. Er ... kümmert sich um mich, weil ich Bulimie habe und wollte dich deswegen damit nicht belasten. Wir haben Minah vorhin getroffen und da habe ich ihr Gespräch zufällig mitgehört. Du musst mit ihm reden, Eonni! Ich habe es versucht, aber er hört einfach nicht auf mich. Ich will nicht, dass er wegen mir auf sein Glück verzichten muss." Ihre Stimme zitterte und mein Hirn kam mit der Menge an Informationen nicht zurecht. Mein Herz raste und eine rätselhafte Hitzewelle erschlug mich fast.
Ich liebte ihn gleich noch viel mehr, als ich dies von seiner Schwester hörte.
"Ich werde auch in Therapie gehen, versprochen! Wenn ich gewusst hätte das ich so eine große Last für Oppa bin, dann-"
"Haesoo, beruhige dich", bat ich sie sanft, weil sie angefangen hatte zu weinen. "Du bist keine Last, hör auf sowas auch nur zu denken. Weißt du wo dein Bruder ist?" Ich klemmte mein Handy zwischen mein Ohr und meine Schulter, als meine braune Lederjacke von dem Kleiderhaken nahm.
Im Blickwinkel erkannte ich bereits die Silhouette meiner Mutter, die mir gefolgt war.
"W-wir haben uns gestritten, deshalb ist er raus gegangen, um sich z-zu beruhigen. Wo genau er ist, weiß ich n-nicht", erklärte sie mir schluchzend.
"Okay. Haesoo? Ich danke dir."
"Wehe er kommt ohne dich nach Hause!", drohte sie mir halb lachend, halb weinend.
"Verstanden", ich legte auf, verstaute das Handy in meiner Tasche und schlüpfte schnell in meine weißen Nike's.
"Was ist los?", wollte meine Mutter aufgeregt wissen, während ich meine Jacke anzog.
"Ich muss zu deinem Schwiegersohn."
"WAS?" Sie hatte die Augen aufgerissen, weshalb ich anfing zu lachen und sie auf die Wange küsste.
"Erkläre ich dir später."
[...]
Ich kannte mich in Namjoons Nachbarschaft gut aus, weshalb ich sofort wusste wo ich suchen musste. An unserer üblichen Stelle am Han River war er nicht, weshalb ich noch ein wenig im Hangang Park herumirrte. Als ich ihn dort nicht finden konnte fuhr ich mit dem Bus zwei Haltestellen weiter, wo sein Wohnblock war und hielt auf der Straße ausschau nach ihm. Von Haesoo wusste ich, dass er noch nicht wieder zurück war.
Kurz bevor ich verzweifelte fiel mir ein, dass sich eine Straße weiter ein Spielplatz befand, wo wir schon einige Male Abends rumgealbert hatten. Meistens nicht nüchtern musste ich dabei erwähnen.
Meine Lunge brannte vom laufen und ich konnte meine Beine kaum noch spüren, doch als ich aus einiger Entfernung einen riesigen Blondschopf auf einer Schaukel entdeckte, füllte sich mein Herz mit Wärme.
Da ich von Hinten kam, konnte er mich nicht sehen. Umso perplexer war seine Reaktion, als ich ohne Vorwarnung an einer Seite der Schaukel die Kette zurückzog und er deshalb ein Stück nach links baumelte.
"Hab ich dich", keuchte ich und ließ mich danach auf die Schaukel neben ihm fallen, wo ich erst einmal genug Sauerstoff aufnehmen konnte.
"Sojung?" Er hatte keine einzige Sekunde seine braunen Augen von mir abgewendet, seit ich ihn überrascht hatte.
"Du bist wirklich ein Arsch, weißt du das eigentlich? Du hättest es mir doch nur erklären müssen." Ich hielt mich mit beiden Händen an der Kette der Schaukel fest, während mein Blick auf meinen Füßen lag, die über dem Boden schwebten.
Es herrschte eine Weile Stille, doch es war nicht die unbehagliche Stille, die die letzten Wochen zwischen uns gestanden hatte. Diese Stille fühlte sich wie die an, die wir gewohnt waren. Die, in der wir einfach nur zu zweit dasaßen und den Augenblick genossen.
"Hat Minah es dir erzählt?", wollte er irgendwann jedoch von mir wissen.
"Nein", ich konnte seine Augen deutlich auf mir spüren.
"Haesoo hat mich angerufen."
"Also weißt du es.", erriet er.
"Was genau? Das du dich selbstlos um deine Schwester kümmerst oder das du auch etwas für mich empfindest?" Endlich brachte ich den Mut auf meinen Kopf zu heben und ihn direkt anzusehen.
"Ich hatte vor es dir letztes Jahr zu sagen... und dann ist das mit Haesoo passiert... Du kannst doch sicher nachvollziehen, dass sie an erster Stelle steht."
Ein verächtliches Schnauben entkam mir unbeabsichtigt.
"Natürlich", erwiderte ich schroff. "Für wen hältst du mich? Falls es dich interessiert, ich gebe mich auch mit dem zweiten Platz zufrieden. Und außerdem hast du eine ganz offensichtliche Sache außer Acht gelassen." Ich schürzte die Lippen, weil sein sprachloser Gesichtsausdruck mich ganz verlegen machte.
"Du kannst dich auf mich verlassen, schon vergessen?" Ich spürte das Glühen auf meinen Wangen, als ich ihn anlächelte.
'Du kannst dich auf mich verlassen, Sojung'
Damals war genau dieser Satz alles gewesen, was ich gebraucht habe und er war für mich da gewesen. Jetzt würde ich für ihn da sein, weil es genau das war, was ich wollte.
Ich sah den blonden Koreaner mit Glubschaugen an, als er auf einmal von der Schaukel aufstand.
"Yah, wohin gehst du?", rief ich ihm hinterher, als er sich davon machen wollte.
"Was soll ich machen? Ich habe so Angst, Sojung", entkam es ihm heiser, nachdem ich ihn eingeholt hatte.
Tränen liefen über seine makellose Haut und für einen Moment war ich wie versteinert.
Es war das erste Mal, dass ich Namjoon so verletzlich sah. Normalerweise war er es, der mich trösten musste. Ich wusste nicht wieso, aber die Tatsache, dass nur ich diese Seite an ihm kannte, ließ mein Herz entflammen.
"Komm her." Ich streckte die Arme nach ihm aus, damit er sich zu mir herunterbeugte und ich ihn in eine innige Umarmung schließen konnte.
Meine Finger fuhren durch sein blond gefärbtes Haar, als er das Gesicht an meinem Hals vergrub und mich hielt, als wäre ich sein Fels in der Brandung.
Es gab immer das Risiko verletzt zu werden. Und natürlich ist ein Schiff geschützter, wenn es im Hafen bleibt. Aber dafür werden Schiffe nicht gebaut.
"Ich liebe dich, Sojung."
Auch in meinen Augen sammelten sich Tränen und ich drückte den Größeren fester an mich, weil ich das Gefühl hatte ihm noch näher sein zu wollen.
-
Hallöchen, dear chingus.
Habe einen richtigen Lauf, falls es euch noch nicht aufgefallen ist 😂
Jedenfalls wollte ich mit diesem Sidecouple auf das Problem von Diskriminierung aufmerksam machen mit denen bestimmt viele Menschen zu kämpfen haben.
Ich finde, dass es ein sehr wichtiges Thema ist und wollte es deshalb auch in einer meiner Stories einbauen. Das es heutzutage immer noch Eltern gibt, die ihre Kinder aufgrund ihrer Sexualität nicht akzeptieren, finde ich so unendlich traurig.
Es wird immer Menschen geben, die das nicht gut finden, aber das man sein eigenes Kind deshalb verstößt oder verleugnet ist eine Schande. Man sollte keine Kinder kriegen, wenn man nicht bereit ist es so zu nehmen wie es ist.
Wie seht ihr das? Lasst es mich wissen.
Eure Nai 🌹
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