16. Kapitel
"Ich hatte in meinem ganzen Leben noch nie so traumhaften Sex wie letzte Nacht."
"Ich auch nicht."
"Oh Gott, ich auch nicht."
Shaya sah sich in dem Zimmer um. Es gab eine Couch, unzählige Seidenkissen, Bücher, die aussahen, als wären sie aus Leinwand statt Papier gemacht, Nadeln und Wolle. Ein Hobbyraum, dachte sie. Na toll. Überall waren Frauen, die sich fröhlich unterhielten und lachten. Shaya hatte noch nie ein klassisches Beispiel für einen Harem gesehen.
Sie sah verstohlen zum Vorhang an der Tür. Jetzt ist der ideale Zeitpunkt. "Meine Damen ..." Sie klatschte in die Hände, um sich Gehör zu verschaffen. "Wir sollten uns langsam überlegen, wie wir von hier wegkommen. Wir sind genug, um die Wachen zu überwältigen. Jetzt können wir nach einem Weg zurück nach Hause suchen."
Eine Frau lachte. "Warum um alles in der Welt sollten wir das tun wollen?"
"Ich gehe nicht hier weg", sagte eine andere.
"Ich bleibe."
"Wenn du versucht wegzulaufen, schreie ich nach Valerian."
Shaya biss vor Enttäuschung und Ärger die Zähne zusammen. "Warum wollt ihr denn bleiben?", fragte sie die anderen - und auch sich selbst. "Ihr bedeutet den Typen nichts."
Über eine Stunde lang schwärmten die Frauen von der sexuellen Ekstase, die sie erlebt hatten. Und über eine Stunde lang versuchte Shaya, sie zur Vernunft zu bringen. Ein paar Frauen konnten ihre Argumente irgendwann nicht mehr hören und riefen die Wachen herein. Zu Shayas Verdruss wurde Valerian verständigt.
Es dauerte nicht lange und der König kam - verschwitzt und schmutzig - hereinmarschiert. Ohne ein Wort zu verlieren, ging er zu Shaya, umarmte sie und küsste sie leidenschaftlich, dass ihr die Luft wegblieb.
Der Kuss dauerte nur ein paar Sekunden - gerade lang genug, um Shaya wieder in Valerians süssen Bann zu ziehen. Als er sich von ihr löste, war er ausser Atem. Die Frauen umringten ihn, streckten sehnsüchtig die Hände nach ihm aus und ... streichelten ihn.
Shaya starrte sie böse an.
"Sei brav", sagte er, "dann gehe ich nach dem Training mit dir in die Äussere Stadt." Und weg war er wieder.
Oh Mann, dachte sie, wie unfair von ihm, mir so etwas zu versprechen.
Die Frauen seufzten enttäuscht. Shaya liess sich in einer Ecke des Zimmers auf ein Kissen fallen und versuchte, sich zu beruhigen. Ihr Herz raste, ihre Wangen glühten. Sie konnte nichts dafür - sie wollte die Äussere Stadt wirklich unheimlich gern sehen. Schon der kurze Blick, den sie von Valerians Zimmer aus erhascht hatte, hatte sie total fasziniert. Sie wollte sich unbedingt alles aus der Nähe anschauen.
Sie würde morgen fliehen.
Ich bin nicht erleichtert, dass ich noch einen Tag bleibe. Ich bin nicht froh, mehr Zeit mit Valerian zu verbringen. Um sich abzulenken, fing sie an, mit ihren neuen Materialien ein paar Anti-Grusskarten zu entwerfen. Sich Sprüche auszudenken hatte ihr schon immer geholfen, Stress abzubauen und nie hatte sie das so nötig gehabt wie jetzt. Sie hatte schon ein paar gute Sprüche im Kopf.
"Die Tage vergehen und ich bin unendlich froh, dass du nicht da bist und sie mir vermiest."
"Du willst meine Herz zurück? Ups, tut mir leid, das gehört jetzt deinem Bruder."
Sie hatte jetzt auch eine Idee für eine dritte Karte, aber die war dermassen anders als die anderen, dass sie erstaunt blinzelte. "Manche Männer sind gar nicht so übel. Vermute ich jetzt mal."
Ehe sie länger darüber nachdenken konnte, sagte jemand: "Ich bin total eifersüchtig, dass du von Valerian ausgewählt worden bist, diesem blonden Adonis." Sofort sahen alle anderen Frauen zu Shaya. "Ist er so toll, wie er aussieht?"
"Er hat sogar um dich gekämpft", seufzte eine andere Frau verträumt. "Das ist ja so romantisch. Übrigens, ich bin Jaclyn."
"Ich bin Shelly", sagte eine elegante, fast majestätisch wirkende Blonde. "Ich gehör Aeson."
"Ich bin Barrie", stellte sich eine unscheinbare Braunhaarige mit leiser Stimme vor. "
"Rissa", sagte die Frau, die sich in der Arena mit ihr angelegt hatte, als Broderick zu nahe gekommen war. Jetzt wirkte sie freundlich, fast herzlich.
Eine nach der anderen stellte sich vor. Obwohl sie alle auf der Hochzeit gewesen waren und Freundinnen ihrer Mutter - oder vielleicht ihres neuen Stiefvaters - sein mussten, hatte sie Shaya bis jetzt nie kennengelernt. "Sind wir nicht die glücklichsten Frauen auf der ganzen Welt?" fragte Jaclyn.
Mehrere der Anwesenden kreischten begeistert ihre Zustimmung heraus.
"Aber jetzt sag mal: War Valerian gut im Bett?", erkundigte sich Barrie neugierig. "Er wirkt wie der feuchte Traum aller Frauen ... Ich wette, der König treibt es wie ein wildes Tier."
Das hätte Shaya auch gewettet.
Und es gefiel ihr nicht, dass diese Frauen so begeistert von Valerian waren und sich ihn wahrscheinlich gerade nackt vorstellten. Plötzlich spürte sie so etwas wie Besitzansprüche in sich aufkommen. Es fühlte sich so an, als würde sie gleich fauchend die Krallen ausfahren. Die Intensität des Gefühls überraschte sie.
Du willst ihn nicht, schon vergessen? Du hast ihn dir mit einem Schwert vom Leib gehalten. Du hattest deine Chance bei ihm und hast sie nicht ergriffen, also stell dich nicht so an. Sie sollte froh sein, dass eine andere Frau mit ihm zusammen sein wollte. Sie wollte Barrie ermuntern, herausfinden, ob Valerian tatsächlich ein Tier im Bett war.
Tat sie aber nicht.
Sie schaffte es einfach nicht.
Irgendetwas in ihr, eine Art Eifersucht, die sie in dieser Form nicht von sich kannte, sagte: Er gehört mir. Mir allein. Sie hasste das Gefühl, aber es war nun mal da. Und weigerte sich zu verschwinden.
Barrie und die anderen hatten es bald satt, auf ihre Antwort zu warten. Schliesslich vergassen sie Shaya und fingen wieder an, sich über ihre Liebhaber auszutauschen, als wäre dieses Gespräch nie unterbrochen worden.
Shaya streckte ihre Beine aus und legte die Füsse auf ein Kissen. Sie war - aus verschiedenen Gründen - frustriert. Sexuell frustriert? Ja. Verwirrt? Eindeutig. Seufzend drückte sie das Papier und die Steine an ihre Brust. Sie wollte nicht eine dieser liebestollen Frauen werden. Wollte sich nicht für einen Mann aufgeben.
Aber genau das würde passieren, wenn sie Valerians Verführungskünsten nachgab. Dummerweise schien das immer unwichtiger zu werden.
Wenig später tauchten der Reihe nach Krieger auf, um ihre Frauen abzuholen. Sie waren verschwitzt und mit Sand, ja sogar mit Blut verkrustet. Jedes Mal, wenn der Vorhang beiseite geschoben wurde, merkte Shaya, wie sie nervös wurde.
Würde es Valerian sein?
Er war es nie.
Bald waren nur noch ein paar Frauen übrig. Eine war die junge Frau mit den schwarzen Locken und den traurigen braunen Augen, die sich am Strand die Händen und Füssen gewehrt hatte und sich genauso wenig wie Shaya von einem Krieger auswählen lassen wollte. Shaya beobachtete sie eine Zeit lang, sammelte ihre Materialien ein, stand auf und ging zu ihr.
Normalerweise sprach Shaya fremde Menschen nicht einfach an. Das entsprach nicht ihrem Bedürfnis, immer auf Distanz zu bleiben. Aber die junge Frau hatte irgendetwas Verletzliches an sich. Etwas fast ... Gequältes. Shaya fühlte sich zu ihr hingezogen und empfand Mitleid mit ihr.
"Hi, ich bin, äh, Shaya." Oh Gott, sie fühlte sich unbeholfen. Ohne auf eine Aufforderung zu warten, setzte sie sich.
Die Frau warf ihr einen nervösen Blick zu. "Brenna." Ihre Stimme war tief und rau. Eine Raucherin?
"Mir ist aufgefallen, dass du ausser mir der einzige Mensch hier ist, der nicht völlig ausflippt vor Begeisterung, in Atlantis zu sein. Hat man dich ... hat der, der dich ausgesucht hat, dich ..."
Brenna schüttelte den Kopf.
"Gott sei Dank." Shaya atmete erleichtert auf. Direkt vor ihr stand ein reich bedeckter Tisch. Sie beugte sich vor, nahm sich eine Handvoll Gebäck und teilte es mit Brenna. Eine Weile assen sie schweigend. "Ich, äh, habe auch mit bekommen, dass du eine Heilerin bist und dich um Joachim kümmern musstest."
Brenna nickte zaghaft.
"Wie geht es ihm. Wird er überleben?"
Wieder nickte sie, diesmal entschlossener. Und jetzt war da, wie Shaya bemerkte, ein ganz merkwürdiges Schimmern in Brennas Augen. Oh, oh. Hatte Brenna sich etwa in ihren Patienten verguckt? "Du magst ihn?", erkundigte sie sich.
Brenna schüttelte energisch den Kopf. Eine Spur zu energisch, wie Shaya fand. Damit war sie bestens vertraut.
"Hab Angst", sagte Brenna.
Angst. Oh ja, auch das konnte Shaya gut nachvollziehen. Anfangs war es die Angst vor dem Unbekannten gewesen und davor, dass Valerian ihr wehtun könnte.Inzwischen hatte sie allerdings aus einem gänzlich anderen Grund Angst. Wenn sie Valerian schon jetzt so sehr begehrte, was würde erst passieren, wenn sie mit ihm schlief?
Versuch bloss nicht, es herauszufinden. Wehr dich gegen deine Gefühle. "Ich frage mich, warum die Hormone der anderen Frauen total verrückt spielen und unsere nicht", überlegte sie laut.
"Schlauer", sagte Brenna seufzte deprimiert. Ihr war das Lachen ebenfalls vergangen.
Shaya wollte schon fragen, warum, doch dann bemerkte sie die zwei Männer, die gerade hereinkamen. Shivawn und Valerian. Valerian blieb reglos stehen und betrachtete sie. Sein Blick liess sie erschauern.
Sie stand unaufgefordert auf und umklammerte ihren Stoss Papier fester, ohne den Blick auch nur kurz von ihm abzuwenden. Er war das Schönste, was sie jemals gesehen hatte und sie konnte an nichts anderes denken als an seinen Mund auf ihrem.
"Komm", sagte er, genau wie heute Morgen.
Sie folgte ihm. Widerspruchslos. Brenna und alles andere war vergessen. Er gehört mir, flüsterte ihre innere Stimme und ihre besitzergreifenden Instinkte wurden erneut geweckt. Als Valerian ihre Hand nahm und sie den Gang entlangführte, spürte sie ihr Herz nervös flattern. Er wirkte entschlossen. Zu allem entschlossen.
"Wohin gehen wir?", wollte sie wissen.
"In die Äusserste Stadt. Ich habe es dir doch versprochen."
Valerian führte Shaya aus dem Palast hinaus und in die Nachmittagshitze. Die Kristallkuppel über ihnen strahlte hell und aus den Bäumen erklang fröhliches Vogelgezwitscher. Sie waren noch gar nicht richtig aufgebrochen, aber Valerian hatte es schon wieder eilig zurückzukehren. Er wollte endlich allein mit ihr sein. Als sie zu den Stallungen kamen, rief er einem der Zentauren zu, sich für die Reise bereit zu machen. Der dunkle Pferdemensch kam eilig zu ihnen getrabt.
"Es ist mir eine Ehre, dich in die Stadt zu bringen, mein König."
Shaya blickte Valerian verwirrt an. "Äh, dieses Pferd ist zur Hälfte ein Mann", sagte sie, "und du erwartest, dass ich auf ihm reite?"
"Ja."
Sie schluckte. Valerian stieg auf, streckte ihr die Hand entgegen und zog sie zu sich hinauf. Er genoss es, sie so dicht an sich zu spüren. Allerdings wurde sein Bedürfnis, mit ihr allein zu sein, dadurch noch dringender. Du willst doch, dass sie sich in dich verliebt, schon vergessen?
"War das Training anstrengend?", erkundigte sie sich, nachdem sich der Zentaur in Bewegung gesetzt hatte. Sie klang nervös.
Valerian gab keine Antwort. Er hatte sich und seine Männer so hart rangenommen, dass der Schweiss in Strömen geflossen war. Bis zur völligen Erschöpfung. Er hatte ein Ventil für seinen Frust gebraucht und gehofft, Dampf ablassen zu können, aber es hatte nicht funktioniert.
Es gab nur eins, was funktionieren würde.
Shaya, in seinem Bett. Shaya, mit ihm vereinigt.
Er war nie entschlossener gewesen, ihr Herz zu gewinnen.
"Es tut mir leid, aber wir können nicht lange bleiben."
"Das macht nichts. Ich bin schon glücklich, wenn ich mir die Stadt kurz aus der Nähe anschauen kann."
Glücklich. Genau, wie er sie sehen wollte.
Sie erreichten die Äusserste Stadt innerhalb weniger Minuten. Wie üblich waren nirgends Frauen zu sehen. Die Strassenhändler, die an Buden und Ständen Essen, Gewänder und Schmuck feilboten - Zentauren, Minotauren und Formorier - , waren ausschliesslich männlich.
Während sie in der Stadt waren, las Valerian Shaya jeden Wunsch von den Augen ab. Er bummelte mit ihr über den Markt, zeigte ihr alles, was sie sehen wollte und kaufte ihr zu essen und zu trinken, worauf auch immer sie gerade Lust hatte. Irgendwann vergass er, dass er es eigentlich eilig hatte, in den Palast zurückzukehren und genoss einfach den Moment mit Shaya.
Anfangs verhielt sie sich zurückhaltend und distanziert. Als aber ein Grüppchen männlicher Sirenen an ihnen vorbeimarschierte und ein Liedchen über Liebe und Leidenschaft vor sich hin trällerten, begann sie aufzutauen, als könne sie einfach nicht anders. Sie sah sich alles mit Begeisterung an. Ein paar Greife sausten vorbei und versuchten sich gegenseitig an den Schwänzen zu packen und sie hüpfte ihnen ausgelassen hinterher. Valerian hatte sie noch nie so entspannt gesehen, er hatte sie noch nie so glücklich gesehen.
Als er sie so strahlen sah, wurde ihm ganz warm ums Herz. Das war die echte Shaya. Er wusste es, spürte es und er würde sie, wenn es sein musste, jeden Tag hierherbringen. Nächstes Mal würde er ihr sogar die Wasserfälle zeigen und zuschauen, wie sie im See herumplantschte.
"Meinst du, es gibt hier irgendwo Orangen zu kaufen?", fragte sie sehnsüchtig und verlangsamte ihre Schritte wieder.
"Mal sehen." Allerdings waren die wenigen Buden, an denen Obst verkauft wurde, bereits leer. Shaya konnte ihre Enttäuschung nicht verbergen und Valerian schwor sich, notfalls ganz Atlantis nach den Früchten abzusuchen, bevor der Tag sich neigte. "Bereit für die Rückkehr?"
Sie sah sich wehmütig um. "Ja. Ich kann gar nicht fassen, wie wunderbar es hier ist", sagte sie, als sie wieder auf den Zentauren stiegen. "Es ist wie ein Paradies."
Sie war das Paradies.
"Danke, dass du mich hergebracht hast."
"War mir ein Vergnügen, Liebes, war mir ein Vergnügen."
Er spürte, wie ihr Körper dich an seinem bebte und musste lächeln. Glücklicherweise konnte sie es nicht sehen. Sie hatte ihren Panzer abgelegt - genau wie er gehofft hatte - , und es war offensichtlich, dass sie sich zu ihm hingezogen fühlte. Als sie wenige Minuten später beim Palast ankamen, konnte Valerian es kaum noch erwarten. gleich würde es so weit sein ...
Im Stall stieg er ab und half dann Shaya, vom Zentauren herunterzuklettern. Jetzt zögerte sie nicht mehr, ihn zu berühren, wie er erfreut feststellte. Nachdem er sich bei dem Zentauren für den Ausritt bedankt hatte, führte er Shaya zu seinem Zimmer. Auf dem Weg dorthin schickte er ein paar Männer los, sich auf die Suche nach Orangen zu machen.
"Ich habe eine Überraschung für dich", sagte er zu Shaya.
"Eine angenehme oder eine unangenehme?"
Bevor er sie zu dem Ausflug geholt hatte, hatte er ein paar Köstlichkeiten für ein romantisches Dinner in seine Suite bringen lassen und höchstpersönlich Duftöle ins Wasser des Badebeckens gegossen. Ausserdem hatte er einige der Wandleuchter entfernt, um für gedämpftes Licht zu sorgen. Zu guter Letzt hatte er ein paar Seidenkissen rund um einen niedrigen Tisch gruppiert, der üppig beladen war mit frischem Obst und allerlei Süssigkeiten.
Shaya war sprachlos, als sie es sah. "Du bist ... das ist ..."
"Setz dich", sagte er.
Eine ganze Minute lang zögerte sie. Sah erst den Tisch an, dann Valerian und dann wieder den Tisch. Schluckte. Valerian machte sich schon auf eine ihrer bissigen Bemerkungen gefasst, doch zu seiner Überraschung ging sie schliesslich zum Tisch hinüber und nahm Platz.
Ihm gefiel wahnsinnig gut, wie hübsch sie in seinem Hemd und Hose aussah, aber eigentlich konnte er an nichts anderes denken, als unter dieses Kleidungsstück zu kommen.
Er zog seine goldene Rüstung aus, wusch sich das Gesicht über dem Waschbecken und spritzte sich kaltes Wasser auf die Haut. Er hätte baden sollen, bevor er sie abgeholt und in die Stadt gebracht hatte, aber er hatte es nicht mehr erwarten können, sie zu sehen. Und insgeheim hoffte er, mit ihr zu baden.
"Du und ich, wir werden uns jetzt mal unterhalten." Er nahm ihr gegenüber am Tisch Platz und füllte zwei silberne Becher mit Wein.
"Na schön." Sie klang zögerlich und leicht verunsichert. Wenigstens hatte sie nicht gleich abgelehnt.
"Eigentlich wollte ich ja, dass ein paar meiner früheren geliebten dir von meinen Vorzügen als Liebhaber erzählen, aber dann schien mir diese Idee doch nicht mehr so gut."
"Nein." Sie hätte sich fast an ihrem Wein verschluckt.
"Stattdessen werde ich dir ein paar Dinge über mich erzählen und dann erzählst du mir von dir. Wir werden uns also, wie gesagt, ein wenig unterhalten. Abgemacht?"
"Ich hasse es, über mich selbst zu reden." Sie liess einen Finger über den Fuss ihres Becher kreisen.
"Du wirst es aber trotzdem tun." Kurze Pause. "Bitte."
Sie biss sich auf die Lippen, nickte dann aber.
Er trank einen Schluck Wein und betrachtete sie dabei über den Rand des Bechers hinweg. "Ich fange an." Er schwieg eine Weile, um seine Gedanken zu ordnen. Wie stellte man es an, wenn man einander besser kennenlernen wollte? Welche, Einzelheiten sollte er ihr aus seiner Vergangenheit erzählen?
"Ich ... ich hatte einen Bruder", begann er. Es war etwas, über das er selten redete- und nie mit einer Frau. Das Thema war zu schmerzlich.
"Du hattest?", fragte sie leise.
Er nickte, nahm sich mit den Fingern ein Stück Fisch von einem Teller und steckte es sich in den Mund. Er kaute. Schluckte. "Er war mein Zwillingsbruder und wurde meinen Eltern geraubt, als wir Kinder waren."
Sie sah ihn bestürzt an. "Wer hat ihn geraubt?"
Valerian spürte den vertrauten Zorn in sich aufsteigen, aber er unterdrückte ihn. "Die Gorgonen."
"Die Gor ... was?" Sie schlug die Beine übereinander, beugte sich vor und stützte die Ellbogen auf den Tisch.
"Gorgonen sind weibliche Kreaturen, die einen Mann mit einem einzigen Blick versteinern können. Aus ihren Köpfen wachsen Schlangen. Sie sind bösartig. Unglaublich bösartig."
Aha, so ähnlich wie Medusa. "Warum haben sie ihn geraubt?" Valerian schob einen Teller mit Weintrauben zu ihr hinüber und forderte sie auf zu kosten. Sie tat es. "Sie hatten gehofft, sie könnten ihn gegen die Unterstützung meines Vaters eintauschen. Allerdings", fügte er düster hinzu, "haben sie diese Unterstützung nicht bekommen und Verryn deshalb getötet. Mein Bruder und ich waren im Geiste immer miteinander verbunden und als diese Verbindung plötzlich abgebrochen ist, wusste ich, dass er tot war." Valerians letzter Satz war kaum mehr als ein Flüstern. Er sah Shaya an und versuchte, die verhasste Erinnerung wieder zu verdrängen. "Jetzt bist du dran. Erzähl mir etwas von dir."
Shaya überlegte. Er hatte ihr gerade etwas sehr Persönliches und Schmerzliches anvertraut, also konnte sie jetzt schlecht irgendetwas Banales erzählen. Trotzdem versuchte sie, nicht allzu offenherzig zu sein. Nicht allzu viel von sich preiszugeben. Er hatte sie heute so sehr in seinen Bann geschlagen, dass sie fürchtete, sie würde sich nie mehr davon erholen.
"Ich hatte mal eine Stiefschwester, die mir die Haare komplett abgeschnitten hat", sagte sie. "Ich habe geschlafen und es erst gemerkt, als ich am nächsten Morgen aufgewacht bin." Ihre Stiefschwester hatte Shaya dafür bestrafen wollen, dass jemand dasselbe mit ihrer Lieblingspuppe gemacht hatte. Sie hielt Shaya für die schuldige, aber in Wahrheit war das Verbrechen von ihrem Stiefbruder begangen worden.
Als die damals zehnjährige Shaya weinend zu ihrer Mutter gelaufen war, hatte diese ihr erklärt, sie müsse mit der Situation eben "Klarkommen wie ein grosses Mädchen".
Valerians Miene verfinsterte sich. "Deine Haare sind unglaublich schön, wie Mondschein und Sterne. Jeder, der sie dir abschneidet, verdient den Tod."
Shayas herz machte einen Freudensprung. Sie war es nicht gewohnt, dass man ihr Komplimente machte. "Danke schön."
"Mit diesem kleinen Monster zusammenzuleben muss ganz schön schwierig gewesen sein."
"Ja. Zum Glück war meine Mutter nur ein Jahr mit ihrem Vater verheiratet."
"Deine Mutter hatte mehr als einen Gefährten?"
Shaya nickte. "Sie hatte sechs Ehemänner."
"Sechs!"
Sie nickte nochmal.
"Hier gibt es für einen Mann nur eine einzige Gefährtin und er bleibt für immer mit ihr zusammen."
Sie runzelte die Stirn und überlegte. "Was, wenn die beiden unglücklich miteinander sind?"
"In diesem Fall müssen sie einen Blutritus vollziehen und ein Opfer bringen."
"Igitt." Sie biss sich auf die Unterlippe und verkniff sich die Frage, um was für ein Opfer es sich genau handelte.
Wie Valerian jetzt fasziniert ihren Mund betrachtete, machte sie ganz aufgeregt. Ihre Haut begann zu kribbeln und ihr wurde heiss. Dann schüttelte er rasch den Kopf, als müsse er sich aus einem Bann befreien. "Was möchtest du sonst noch von mir wissen?", fragte er.
"Wie wär's, wenn du mir von deinem ersten Mal erzählst?", hörte sie sich selbst plötzlich fragen. Sie begehrte ihn, sehr sogar und je länger sie sich unterhielten, desto schwächer wurde ihr innerer Widerstand. Von Valerians sexuellen Abenteuern mit anderen Frauen zu hören würde diesen Widerstand wieder stärken.
Er zog eine Augenbraue hoch. "Willst du das wirklich wissen?" Als sie nickte, sagte er: "Es war mit der Lieblingsdienerin meiner Mutter. Sie hat mir frische Wäsche in meine Zimmer gebracht, mich im Badebecken gesehen und mir im Wasser Gesellschaft geleistet."
Als er Shaya enttäuschten Blick sah, lachte er. "Was hast du denn erwartet? Irgendetwas mit Sexspielzeugen? Oder Orgien?"
"Tja, ehrlich gesagt, schon."
Sein Lächeln wurde noch breiter. "Und was ist mir dir? Wie war dein erstes Mal?" Kaum hatte er die Frage ausgesprochen, wurde er merklich nervös und in seinen Augen blitzte etwas auf, das nach Wut aussah.
Okay ... Worüber war er denn jetzt wütend? "Ich .. äh ..." Sie geriet ins Stottern und merkte, dass sie sogar ein wenig errötete. "Es hat bei mir noch kein erstes Mal gegeben."
Vor Staunen blieb ihm der Mund offen stehen. "Das ist jetzt aber ein Witz, oder?"
"Ganz und gar nicht. Es ist einfach so, dass ich mir nie die Probleme aufhalsen wollte, die sich bei einer sexuellen Beziehung ergeben."
"Welche Probleme?" Valerians Schock liess nicht nach - er wurde eher stärker. Shaya war Jungfrau. Sie war noch unberührt.
Sie gehörte ihm.
In diesem Augenblick begehrte er sie mehr denn je. Er wollte ihr Erster und Einziger sein.
"Die Probleme beginnen, sobald man sich emotional auf jemanden einlässt", antwortete sie. "Und wenn ich für niemanden tiefe Gefühle entwickle, brauch ich mir keine Sorgen zu machen, dass ich verletzt werde."
"Ich werde dir nie wehtun, Shaya. Und ich werde dich nie belügen." Eigentlich hatte er vorgehabt, in diesem Gespräch mehr über sie zu erfahren und auch ihr die Gelegenheit zu geben, ihn besser kennenzulernen. Doch jetzt hörte er sich sagen: "Ich glaube, ich kann dich wohl davon überzeugen, indem ich es dir zeige. Ab jetzt wird nicht mehr geredet. Ich lasse Taten sprechen."
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