
Kapitel 14 - Luxus & Grausamkeit
>>Klack, klack, klack, klack...<<
Die Absätze ihrer Pumps hinterließen ein klickendes Geräusch auf dem hellen Marmor und begleiteten jeden ihrer Schritte. Im Inneren des Palais Garnier wurde man von opulenten und prunkvollen Räumlichkeiten empfangen. Das Foyer war großzügig gestaltet und mit Marmorsäulen, kunstvollen Deckenverzierungen und glänzenden Kronleuchtern geschmückt. Tausende von flackernden Kerzen und Öllampen sowie die funkelnden Lichter der eingesperrten Pixies hüllten das Gebäude in ein strahlendes Licht und machten die Nacht zum Tag. Ein imposantes Treppenhaus führte zu den verschiedenen Ebenen des Gebäudes.
Neben dem Auditorium verfügte das Palais Garnier über eine Vielzahl weiterer Räume, darunter Empfangssäle, Salons und Foyers, die alle mit kunstvollen Details und luxuriösen Möbeln ausgestattet waren. Aber heute waren sie nicht hier, um sich von Musik und Gesang verzaubern zu lassen. Zwischen den vielen Besuchern in ihren feinen Kleidern lösten sie diskret, um ihre Schritte auf die Stufen zu setzen, die zu den Sälen unter dem Glanz der Oper führten.
Myreille war diesen Weg schon oft gegangen und hätte ihn blind gefunden. Aber ... heute war es anders. Myreilles Blick fiel prüfend auf ihr Spiegelbild auf dem polierten Marmor. Ein dunkelblaues, bodenlanges Abendkleid mit kunstvollen Stickereien floss um ihren kurvenreichen Körper und betonte mit dem weiten Rock ihre wohlgeformte Silhouette. Bei jedem Schritt wiegte sich der Stoff um ihre Füße wie eine Blüte, die sich bei Sonnenaufgang entfaltete. Die silbernen Stickereien, Perlen und glänzenden Applikationen funkelten im Licht der Kronleuchter wie kleine Sterne, während die weiten Ärmel zu den langen schwarzen Handschuhen passten, die ihr bis zu den Ellbogen reichten.
Das silberne Haar war für diesen Abend kunstvoll hochgesteckt. Lediglich ein paar Wellen fielen um das blasse Gesicht. Sie bildeten einen weichen, femininen Rahmen, und eine funkelnde Haarnadel verlieh der Frisur zusätzlichen Glanz. Ein hübscher Fascinator – ein kleiner Hut mit schwarzem Spitzenschleier - bedeckte teilweise ihr Gesicht und ließ ihre vampirischen Züge fast verschwinden, wären da nicht die hellen Augen, die darunter hervorblitzten. Die venezianisch anmutende Augenmaske aus feinem Porzellan mit dem Muster eines Nachthimmels mit silbernen Sternen war dabei schon fast überflüssig. Wer sie kannte, erkannte sie trotz dieses Schmuckstücks. Die Identität der Stammgäste auf dem Markt konnte auch dieses lächerliche Accessoire nicht verbergen. Hätte sie wirklich anonym bleiben wollen, hätte sie sich auf andere Art kleiden und vor allem eine andere Begleitung wählen müssen.
„Niemand wird die Kunstwerke anschauen, wenn du daneben stehst", drang die aalglatte Stimme von Casimir an ihr Ohr und sie hätte beinahe die Augen verdreht.
„Spar dir das", erwiderte sie kühl und warf dem unfähigen Trottel einen warnenden Blick zu. Fast hätte man den Dummkopf nicht mehr erkannt, in seinem piekfeinen Cutaway mit Einstecktuch und zurückgekämmten Haaren. Aber unfähig blieb unfähig, ganz gleich, in welche Kleidung man den Idioten steckte. Vom ersten Augenblick an, als sie ihm begegnet war und ihn auf Geheiß ihres Herrn unter ihre Fittiche genommen hatte, hatte sie eine tiefe Abneigung gegen diesen Mann empfunden. Vielleicht lag es an seiner Vergangenheit.
„Du scheinst heute besonders schlecht gelaunt zu sein", schlug Casimirs Haltung direkt um, begleitet von einem Schnauben. Der Köter trug seine Nase viel zu hoch für einen so jungen Untoten.
„Das liegt an meiner Begleitung", erwiderte Myreille trocken, als ihr Weg an einer verzierten Tür vorbeiführte.
Für die Fae waren Menschen einfach Menschen. Sie stahlen zwar mit Vorliebe Christen, eine alte Fehde, die weiter zurückreichte, als selbst ihre Jahre zählen konnten. Aber bei Nachtwesen wie ihnen war das anders. Sie kamen nicht aus einer anderen Welt. Diese Welt, die Alte Welt, war früher auch die ihre gewesen. Und sie hatte die Veränderungen miterlebt, welche jene vor dem Untergang der Menschen unterworfen gewesen war.
In ihren Augen war Casimir Abschaum. Ein Verräter, der feige geflohen war. Und das nicht, weil seine Landsleute schreckliche Verbrechen begangen hatten, sondern aus schlichter, plumper Angst. Er hatte gesehen, wie sich das Blatt wendete, und war dem nächsten Wind gefolgt. Für Opportunisten hatte sie nichts übrig. Auch wenn er die braune Uniform mit der Armbinde abgelegt hatte, konnte sie den Gestank seiner Taten weiterhin an ihm riechen, als wäre er in Mist getreten. Casimir konnte einen neuen Namen annehmen, sich anders kleiden und nun als Untoter unter ihrem Meister wandeln... aber für sie war er immer noch derselbe dreckige Mistkerl. Seinesgleichen waren schuld an dem ganzen ... Schlamassel. An den Trümmern einer Welt, die nie perfekt gewesen war, aber auch nie ein Haufen Asche und Chaos wie jetzt.
„Der Meister sieht offensichtlich mehr in mir als Ihr, Herrin", sagte Casimir und hob das Kinn. In seinen dunklen Augen blitzte eine schlecht verborgene Boshaftigkeit auf, die er vor ihr nicht verbergen konnte. Er war frech, unverschämt und arrogant. Ein Aasgeier, der sich für etwas Besseres hielt, als er war.
Myreilles Blick fiel auf den Mann, wie eine Guillotine und ihre Finger an seinem Unterarm, dort, wo sie sich eingehakt hatte, zuckten verräterisch unter dem Drang, ihm Manieren beizubringen.
Glücklicherweise tauchte in diesem Moment endlich das Tor auf, welches ihr Ziel gewesen war. Schmalkrempige Fedoras warfen Schatten auf die grimmigen Züge von vier Hügelrollen und zwei Fae, die den Zugang zu den dahinter liegenden Hallen bewachten. Die Anzüge waren maßgeschneidert und schafften es dennoch nicht, den rauen, kantigen Körpern der Wächter etwas Nobles zu verleihen. Ihre einschüchternde Aura haftete den von Narben gezeichneten Gesichtern an, die mit den glänzenden Waffen der Menschen ein ungewöhnliches Bild abgaben. Die Läufe der Tommy Guns glänzten im Schein der Laternen, die Revolver blitzten unter den langen Trenchcoats hervor und erfüllten modisch das Klischee des typischen humanoiden Mafiosi. Wer hier Ärger verursachte, musste wirklich lebensmüde sein.
Einer der Fae hob den Kopf. Sein langes schwarzes Haar floss um bleiche, kantige Züge und Augen wie Gewitterwolken, als er die Zigarre aus dem Mundwinkel nahm und auf einem flachen Teller ausdrückte, auf dem sich bereits zahlreiche Glutnester und Asche sammelten. Hier vor dem Saal hing der Zigarrengeruch schwer in der Luft und machte sie dicker.
Die Blutjägerin kannte diese Türsteher. Sie war schon hunderte Male hier gewesen, entweder im Auftrag ihres Meisters oder in Begleitung ihrer Kundschaft. Trotzdem hob Tadgh sein narben-bedecktes Kinn und öffnete schon den Mund, um nach dem dämlichen Passwort zu fragen. Wenn die Fae und die Vaesen etwas von den Menschen übernommen hatten, dass niemand brauchte, dann war es lästige Bürokratie.
„Retrouvez-moi dans une autre vie", sprudelte es förmlich aus Casimir heraus und Tadhgs Augenbrauen wanderten höher, bevor sein Blick kurz zu ihr glitt. Man merkte es den Neuankömmlingen immer an, wenn sie zum ersten Mal hier waren. Dann quollen sie förmlich über vor Nervosität und Aufregung.
Myreille konnte das kurze Zucken in Tadghs Mundwinkeln sehen, als er den Trollen ein Zeichen gab und die muskulösen Kerle nach den Türgriffen griffen, um sie aufzuziehen.
Kaum öffneten sich die prunkvollen Pforten, strömte eine Mischung aus Gerüchen und Eindrücken auf sie ein. Im schummrigen Licht, das hier herrschte, verschwammen die sonst so sorgsam getrennten Stände zu einer bunten Masse. Exotische Tänzerinnen unterhielten die Gäste, bunt gekleidete Feen, Kobolde oder Trolle führten zur Belustigung der Vaesen kleine Kunststücke vor. Zwielichtige Gestalten schlichen zwischen den fein gekleideten Herrschaften umher und man sah wirklich... alles. Fae und Nachtwandler in allen Facetten und ja - auch Menschen. Meistens aber waren sie in Ketten - manche aus massivem, grobem Eisen, andere aus schimmerndem Silber, aber der Unterschied war letztlich marginal. Sie alle waren lediglich Besitz.
Kristallgläser auf Tabletts klirrten, fein gekleidete Diener mit einheitlichen, schlichten roten Masken brachten prickelnden Champagner und andere alkoholische Getränke zu denen, die es sich leisten konnten.
Neben ihr flog Casimirs Blick hin und her, überwältigt von all den neuen Eindrücken.
Mehrere Türen führten zu den Versteigerungshallen, in denen die Waren in verschiedenen Räumen feilgeboten wurden. Die Waren reichten von Schmuck über Waffen bis zu Lebewesen. Myreille streifte mit Casimir ein wenig zwischen den Gästen umher, grüßte hier und dort Bekannte, denen sie ihre Aufwartung machen sollte, entwand sich jedoch schnell wieder den Gesprächen. Schließlich kamen sie in einen Saal, der mit vielen Besuchern gefüllt war. Auf einer Bühne wurde gerade eine kostbare Ware feilgeboten - Menschenkinder.
Drei jämmerliche Gestalten mit gesenktem Blick standen da, verhärmt wie Waren. Sie trugen einfache Kleidung, ihr Haar war schmutzig und verfilzt. Man hatte sie wohl wie Ratten in den Katakomben eingefangen, denn nur dort trieben sich noch ein paar freie, herrenlose Menschen fern der Reservate herum. Die Kinder wurden vorgeführt wie Vieh. Das war ihre Chance, Casimir loszuwerden...
„Kauf sie mir", ertönte ihre Stimme scharf und hart, um klarzustellen, dass sie keinen Widerspruch duldete.
Der Kopf des Vampirs schoss zu ihr, und natürlich verstand er den klaren Wink nicht sofort.
„Wie bitte?"
„Ich sagte: kauf sie mir." Myreilles Augenbrauen hoben sich und sie deutete mit einer kurzen, fast beiläufigen Bewegung auf die drei Kinder, um ihren vorherigen Worten Nachdruck zu verleihen. „Ich bin hungrig."
Wortanzahl: 1.453 Wörter
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