Kapitel 7 - "U" wie "Unrecht"
Mama Jeri hat jetzt jeden Abend Mama Schaf gespielt. Und Mama Schaf hat gesagt, dass sie als kleines Lämmchen auch Angst vor dem Hund vom Schäfer gehabt hat. Aber später hat sie gelernt, dass der Hund die Schafe beschützt und gar nie nicht ein Schaf gebissen hat. Jetzt weiß Jimin nicht mehr, was er denken oder fühlen soll. Er mag Tante Mina inzwischen gerne. Die Schafspiele sind immer so lustig. Und Mama Schaf ist so tollpatschig, dass sein kleines Schaf der Mama alles mögliche erstmal beibringen muss. Das fühlt sich für Jimin richtig gut an. Endlich mal eine Erwachsene, die ganz viel nicht kann und das zugibt und gerne von einem Kind lernt.
In Wahrheit weiß Jimin ja, dass Mama Schaf eigentlich von Tante Mina gespielt und von Mama Jeri gesprochen wird. Aber er schafft es jeden Tag wieder, das ganz schnell zu vergessen. Die beiden Schafe haben aber auch verrückte Ideen! Es hat drei Tage gedauert, bis Mama Schaf ohne Plumps an Jimins Arm runterrutschen konnte. Und Mama Schaf ist jedes Mal anders runter gefallen! Dann haben die Schafe geturnt. Jimin hat zwei Stapel mit Büchern aufgestellt und einen Stock drübergelegt. Da ist Mama Schaf doch einfach nicht an die Stange rangekommen! Wo gibt es denn sowas? Ein Schaf, dass nicht hüpfen kann. Einmal durfte das kleine Schaf sogar auf Mama Schaf reiten. Dass er dabei direkt neben Tante Mina durch das ganze Zimmer gekrabbelt ist, hat Jimin erst hinterher kapiert. Aber es war okay so.
Onkel John hält sich ganz dolle zurück. Er ist soooo riesig! Wenn der ihn haut, dann fliegt Jimin bestimmt durchs ganze Zimmer. Er hat ja gesagt, dass er nie jemand haut. Und dass er tatsächlich noch nienie eines seiner Kinder gehauen hat. Aber man kann einem Kind auch anders weh tun als mit der Hand, das weiß Jimin genau. Überhaupt - die Kinder. Das Mädchen heißt Nuri und ist 8, der Junge heißt Youngjun und ist 15 - und der bunte Hund heißt Hunter und ist viel zu groß. Tante Mina hat Jimin ein paar Fotos von der Familie gezeigt. Die sehen so fröhlich aus! Der große Junge tobt mit Hunter auf dem Rasen. Das kleine Mädchen kuschelt mit Hunter an seinem Schlafplatz. Da sind Bilder, wie alle vier Familienmitglieder zusammen in der Küche Kekse backen und hinterher auch zusammen aufräumen. Auf einem Bild liest der große Bruder der kleinen Schwester was vor. Und auf dem nächsten liest Nuri Youngjun was vor. Aber das heißt noch nicht, dass die beiden Kinder auch mit Jimin spielen und kuscheln und lesen wollen. Sie sind doch bis jetzt gut ohne ihn ausgekommen. Vielleicht gibt es gar kein Zimmer für Jimin. Jedenfalls kein Schönes. Und der Hund ist immerzu im Haus. Da kann Jimin ja gar nicht von einem Zimmer ins andere laufen, ohne Angst zu haben. Jimin versucht, nicht so viel daran zu denken, aber es gelingt ihm einfach nicht. Wie Diebe schleichen sich die Ängste und Gedanken immer wieder in seinen Kopf, wecken ihn auf, lachen ihn aus, jagen und quälen ihn. Nein, Familien sind nichts für Jimin. Da ist zu viel, vor dem er Angst hat.
Heute hat er aber noch vor was anderem Angst. Heute ist Sonntag, und morgen soll er in der Schule eine Mathearbeit schreiben. Bei dem Lehrer, der ihn nicht mag. Und ihm immer sagt, dass er sowieso zu blöd zu Mathe ist. Eigentlich muss er dafür lernen. Aber er starrt nur in sein Buch und kapiert gar nichts. Funktionsgleichungen. Seit wann gibt es bei Mathe so viele Buchstaben? Damit kann man doch gar nicht rechnen!
Jimin gibt erstmal auf und will seine Mathesachen verstecken. Tante Mina und Onkel John kommen heute schon am Vormittag. Und Jimin will nicht, dass die mitkriegen, dass er dafür zu dumm ist. Sonst lachen sie ihn aus. Doch er ist nicht schnell genug. Denn jetzt klopft es, und sein Besuch kommt rein. Jimin kann nur noch sein Buch und sein Heft umdrehen, bevor er in sein Bett hüpft.
"Kommt Mama Jeri heute nicht dazu?"
"Mama Jeri hat uns gesagt, dass wir ruhig schon zu dir gehen sollen. Sie muss noch einen ganz wichtigen Brief schreiben, dann kommt sie."
Tante Mina und Onkel John setzen sich wie immer auf die Stühle an seinem Schreibtisch. Tante Mina schnappt sich Mama Schaf und redet diesmal einfach selbst, Jimin greift sich sein kleines Schaf. Und Onkel John ist still wie immer. Heute will Mama Schaf wissen, wie das mit dem Lego funktioniert. Das kleine Schaf schüttelt den Kopf.
"Hast du noch nie Lego gesehen? Ich zeigs dir!"
Die Schafe setzen sich ordentlich an die Legokiste, und Jimin und Tante Mina fangen an zu bauen. Sie wollen ein großes Haus bauen mit schönen Zimmern, für jeden eines. Erst kommt die Außenwand mit der Haustür. Tante Mina baut noch eine Terrassentür ein, weil das Haus einen Garten haben soll. Gemeinsam überlegen sie, wie viele Zimmer sie brauchen. Ein Schlafzimmer, ein Wohnzimmer, zwei Arbeitszimmer, ein Gästezimmer. Drei Kinderzimmer, eine Küche, ein Bad.
"Für wen ist das dritte Kinderzimmer?"
"Na, für dich. Selbst wenn du hier in Korea bleibst, weil es dir hier besser gehen wird, dann kannst du uns doch mal besuchen kommen. Und dann sollst du ein eigenes Zimmer haben. Und das soll genauso groß sein wie die Zimmer von Nuri und Youngjun."
"Ein eigenes Zimmer, ganz für mich? Gibts da auch Lego?"
"Natürlich gibts da Lego. Weißt du, Nuri interessiert sich nicht so dafür, und Youngjun spielt auch nicht mehr damit. Aber wir haben auf dem Dachboden bestimmt fünf Kisten voll mit Lego. So viel kann ein Jimin alleine gar nicht verbauen. Da brauchen wir glatt noch zwei Jimins dazu."
Tante Mina ist komisch!
"Quaaaaatsch. Mich gibts doch nur einmal. Dann musst du mir eben helfen beim Bauen. Oder ..... Oder Youngjun."
Erst jetzt merkt Jimin, was er da gesagt hat. Der große Junge spielt doch nicht mehr mit Lego. Und überhaupt - der große Junge in seinem Zimmer? Davor hat er viel zu viel Angst.
Plötzlich redet Onkel John vom Schreibtisch her, und Jimin erschrickt richtig.
"Jimin? Das sind deine Mathesachen. Hast du deine Hausaufgaben schon gemacht, oder brauchst du noch Hilfe? Dein Heft ist noch leer. Und wenn du die Aufgaben zu spät machst, bist du zu müde. Wir können das gerne jetzt gleich machen, dann hast du es hinter dir."
Jimin ist bei diesen Worten immer kleiner geworden. Er weiß gar nicht, was er sagen soll. Es ist ja schön, wenn Onkel John das erklären kann. Aber Jimin kann es nicht verstehen, und dann lacht er bestimmt erst recht. Und außerdem müsste Jimin dafür ganz nah an ihn rangehen. Das kriegt er einfach noch nicht hin.
"Ich ... ich ... lerne heu... heute Nachmittag. Das schaff ich schon."
"Ich finde das ganz schön schwer, was du hier rechnen musst. In Amerika lernen die Kinder das erst zwei oder drei Jahre später. Eure Lehrer sind ein bisschen verrückt, oder?"
Jimins Kopf fliegt hoch, erstaunt starrt er Onkel John an. Darf der sowas über Lehrer sagen? Einfach so?
"Mein ... mein Mathelehrer ist nicht verrückt. Der ... er ist ... gemein. Er sagt immer doofe Sachen zu mir, und dann lachen die anderen mich aus."
Onkel John und Tante Mina wechseln einen Blick, den Jimin nicht versteht. In diesem Augenblick kommt Mama Jeri rein.
"Ui, ihr spielt Lego. Das ist ja toll. Jimin, hast du eigentlich genug für die Mathearbeit morgen geübt, oder müssen wir unsere Gäste schon früher wieder wegschicken?"
Jimin erstarrt. Jetzt hat Mama Jeri das mit der Arbeit verraten. Und gleich werden sie lachen.
"Nein, ich ... hab ... das noch nicht so gut verstanden."
Jimin ist kaum zu hören, so leise redet er. Und so sehr schämt er sich.
Mama Jeri sieht auch nicht glücklich über diese Antwort aus.
"Wer kann dir denn da heute noch helfen? Ich verstehe ja leider auch nichts davon."
"Ich kann Jimin helfen, denn ich bin Mathematiklehrer."
Mit einem Satz ist Jimin hinter Mama Jeri verschwunden. Das ist noch was, was Jimin nicht mag - Mathelehrer. Und der Onkel ist einer. Auch das noch!
"Kim Jeri, hat es irgendwann mal in dieser Einrichtung ein Aquarium gegeben? Je größer desto besser."
"J... Ja, das gabs mal bei den Größeren. Das ... müsste eigentlich noch auf dem Dachboden stehen. Ich weiß aber nicht, ob das noch dicht ist."
Onkel John steht auf, und Jimin möchte am liebsten weglaufen.
"Wenn mir einer der Jugendlichen den Weg zeigen und das mit mir runtertragen könnte, dann kann ich Jimin die Aufgabe besser erklären. Und ... ich bräuchte noch einige lange grade Stöcke, viel Knete, Tesafilm und verschieden farbige Wolle."
Mama Jeri kuckt ungefähr so, wie Jimin sich grade fühlt. Irgendwie auf einem anderen Stern.
"Ja. Ja ... natürlich. Kommen Sie einfach mit."
Mama Jeri geht mit Onkel John raus, und Jimin bleibt nichts anderes übrig, als bei Tante Mina zu bleiben. Die schaut ihn freundlich an, schnappt sich Mama Schaf und streichelt ihn damit ein bisschen. Dann stellt das Schaf ein paar Fragen.
"Jimin, hast du Angst vor Mathe? Und vor der Arbeit?"
Jimin nickt.
Und wie!
"Und vor dem Lehrer, und davor, dass die ganze Klasse mich auslacht."
"Wie? Die lachen? Das ist ja fies. Also wir Schafe lachen nicht. Und ich glaube, die Großen lachen auch nicht. Warum auch? Mama Jeri hat doch selbst gesagt, dass sie das auch nicht versteht."
Da hat das große Schaf auch wieder recht. Manche Erwachsene können das auch nicht. Und wenn die nicht lachen ... dann kann Jimin das ja mal versuchen mit Onkel John.
Mama Jeri holt Jimin und Tante Mina in den Hausaufgabenraum, wo es genug Tische, genug Abstand für Jimin und eine Tafel gibt.
Jimin hat das Mathebuch mit der Aufgabe mitgebracht.
"So, was musst du denn rechnen?"
"Das da. Das mit der Katze und der Schildkröte und den Tagen und dem Weg und dem Wasser und überhaupt. ... Du, Onkel John? ... Warum gibt es beim Rechnen ... auf einmal so viele Buchstaben? Die kann man doch gar nicht rechnen."
"Genau das habe ich mich auch gefragt, als ich das in der Schule lernen sollte. Was sollen da die ganzen Buchstaben? Lies mir die Aufgabe doch mal vor."
Jimin greift nach dem Buch und liest die Aufgabe.
"Eine Katze und eine Schildkröte machen ein Wettrennen. Die Schildkröte läuft Montag Mittag los. Sie schafft jeden Tag 500 Meter. Wie weit kommt die Schildkröte bis heute Mittag? Und wie weit kommt sie, wenn sie noch drei Tage weiter läuft?
Die Katze gibt der Schildkröte einen Vorsprung und läuft erst am Freitag los. Aber sie schafft zwei Kilometer am Tag. Wie weit kommt sie bis heute Mittag? Und wo ist sie dann am Mittwoch? Und wer von den beiden Tieren ist schneller?
Und dann steht da noch was von Wasser zum Trinken."
"Das lassen wir erstmal weg. Das wird eine extra Rechnung. Meine Mathelehrerin hat mir das damals so erklärt. Wir wissen, wie schnell die Tiere sind, aber wir wissen nicht, wie weit die Tiere kommen. Also schreiben wir in die Rechnung alle Zahlen rein, die wir haben. Und für die Zahlen, die wir ausrechnen müssen, schreiben wir Buchstaben hin. Das sind die Stellvertreter. Wir rechnen also nicht mit den Buchstaben. Wir rechnen mit den Zahlen so lange, bis wir wissen, was die Stellvertreter für eine Zahl darstellen. Soweit klar?"
Jimin nickt. Das klingt schon mal besser. Er muss nicht mit den Buchstaben rechnen.
"Gut. Dann leg das Buch weg. Jetzt brauchen wir erstmal das Aquarium."
"Aber da ist doch gar kein Wasser drin. Und die Katze kann nicht schwimmen."
Onkel John greift nach der Knete und den Stöcken.
"Die Schildkröte auch nicht. Das ist eine Landschildkröte. Deshalb muss sie ja laufen. Und jetzt pass auf!"
Onkel John klebt einen Stock mit der Knete längs in das Aquarium, von Seite zu Seite.
"Das ist der Weg, den die Schildkröte und die Katze laufen. Wie viele Tage sind es von Montag bis heute?"
Jimin zählt an den Fingern ab.
"Sechs."
"Gut. Die Schildkröte läuft sechs Tage lang jeweils 500 Meter. Das malen wir jetzt an den Stock dran. Er schnappt sich einen bunten Filzstift von einem der Tische und malt alle paar Zentimeter einen Strich an den Stock, bis zum anderen Ende. Dann kratzt er sich am Kopf.
"Wie zeige ich denn jetzt, wo heute ist? Ah, ich weiß!"
Onkel John schnappt sich den nächsten Stock und klebt ihn mit Knete senkrecht neben den Strich, bei dem heute ist. Die beiden Stöcke verbindet er mit Tesafilm, damit nichts kippt.
"So. Jetzt können wir kucken, wie weit die Schildkröte bis heute gelaufen ist. Ein Strich ist ein Tag ist 500 Meter."
Jimin ist schon längst nicht mehr weit weg bei Mama Jeri. Er ist herangekommen und drückt fast seine Nase platt am Aquarium, damit er nichts verpasst. Schnell rechnet er aus, wie weit es ist mit sechs Tagen und 500 Metern.
"Die Schildkröte läuft drei Kilometer bis heute."
Onkel John bindet einen Wollfaden an den Anfangspunkt und führt ihn bis heute. Dann malt er Striche an den senkrechten Stock.
"Drei, genau. Wieviele Tage waren das nochmal? Sechs hast du gesagt."
Er malt an den senkrechten Stock sechs Striche an und bindet da oben die Wolle der Schildkröte fest.
"Und jetzt die Katze."
Jimin spult nochmal die Daten der Katze runter. Dann sucht er, wie weit die Katze ab Freitag gelaufen sein kann, nämlich vier Kilometer. Das ist ziemlich nah am Startpunkt der Schildkröte. Aber an dem senkrechten Stock sind es ja nur zwei Tage. Also ist der Wollfaden der Katze viel niedriger als der von der Schildkröte.
"Wer ist schneller?"
"Die Katze natürlich. Das weiß doch jedes Kind!"
"Stimmt, das weißt du. Du sollst es mir aber hier an den Stöcken zeigen."
Jimin muss ein bisschen überlegen. Dann zeigt er auf die 2-Tage-Marke der Katze.
"Die Katze schafft in zwei Tagen vier Kilometer. Aber die Schildkröte schafft in der Zeit nur einen. Wenn die gleichzeitig losgelaufen wären, ... dann wäre die Schildkröte hier gestartet. Oder sie wären am selben Punkt losgelaufen, dann wäre die Schildkröte nur bis hier gekommen."
Onkel John strahlt Jimin an. Und er hat auch noch gar nicht gelacht! Dann war bisher wohl alles richtig. Jimin schaut ganz genau hin.
"Aber die laufen doch noch weiter. Bis Mittwoch. Wie machen wir das denn?"
"Na, da überleg mal. Ich glaube, das findest du schon selbst raus."
Jimin runzelt die Stirn und beißt sich auf die Zunge vor lauter Konzentration. Wenn der senkrechte Stock heute ist, dann müssen die auf der anderen Seite weiter laufen. Wie viel? Drei Tage, also kommt die Schildkröte ... bis hier. Und die Katze ... bis da.
"Die Schildkröte läuft noch 1,5 Kilometer bis hier. Und die Katze läuft noch 6 Kilometer und kommt am Mittwoch hier an."
Unschlüssig schaut Jimin den Wollfaden an.
"Wir ... brauchen noch mehr Stöcke, oder?'"
"Ganz genau. Wo endet die Schildkröte? Da stelle ich den einen hin. Und wo die Katze? Da kommt der zweite hin. Die beiden Stöcke kriegen noch die Tagesstriche wie der senkrechte Stock von heute, und dann können wir mit der Wolle weiter machen."
Gemeinsam malen sie an die neuen Stäbe die Tagesstriche, kleben die Stangen auf den Boden und zählen ab, wo die Fäden der beiden Tiere landen müssen. Jetzt ist an den Fäden deutlich zu sehen, dass die Katze in kürzerer Zeit viel weiter gekommen ist. Da ist ja das Aquarium schon fast zu Ende!
"Und was war das mit dem Wasser?"
Jimin liest vor, dass die Schildkröte am Tag nur einen halben Becher Wasser braucht, die Katze aber zwei Becher. Jetzt wird es im Aquarium eng, denn für den Wasserverbrauch müssen sie noch einen Stock waagerecht hinkleben, diesmal nicht der Länge nach sondern am Heute-Stab quer durch den Glaskasten. Und weil die beiden Tiere unterschiedlich viel trinken, brauchen sie da auch wieder verschiedene senkrechte Stöcke, und zwar an den Punkten, wo die Tiere jeweils gelandet sind. Zum Glück hat Mama Jeri genug Stöcke gefunden! Und jetzt sieht man, dass die Katze zwar viel weiter kommt, aber auch viel mehr trinken muss.
"So, Jimin. Wer hat jetzt gewonnen?"
Jimin legt den Kopf schief und denkt. Dann zieht die Sonne über sein Gesicht.
"Das kommt drauf an, wo die langlaufen."
Onkel John stutzt und schaut Jimin fragend an.
"Das musst du mir erklären."
"Das ist doch ganz einfach. Wenn die beiden an einem Fluss lang laufen, dann gewinnt die Katze, weil sie einfach schneller ist. Aber wenn sie durch die Wüste laufen, dann gewinnt die Schildkröte, weil die Katze vorher verdurstet und gar nicht ankommt."
Ein bisschen hat Jimin das Gefühl, dass das jetzt Unsinn war. Unsicher schielt er hoch in Onkel Johns Gesicht. Aber der lacht gar nicht. Der ... staunt.
"Und jetzt sag nie wieder, dass du kein Mathe kannst. Du kannst das, weil du nämlich logisch denken kannst. Ganz toll! Ich bin ja richtig stolz auf dich!"
Jetzt staunt Jimin. Onkel John hat ihn gelobt? Er hat das gut gemacht? Ui!
"Aber was mache ich morgen in der Arbeit? Da habe ich doch das Aquarium gar nicht dabei."
"Stimmt. Und deshalb gehen wir jetzt zur Tafel und rechnen uns die Zahlen, die wir da an den Stöcken gefunden haben, mit Hilfe der ganzen Buchstaben aus. Okay?"
Jimin nickt und geht sofort mit Onkel John zur Tafel. Das ist ja richtig spannend! Jimin hat längst alles andere vergessen. Den Raum, Mama Jeri und Tante Mina - und die Angst vor Onkel John. Stück für Stück arbeiten sie sich durch die Formeln der Funktionsgleichungen, Jimin darf jederzeit Fragen stellen, er wird dafür nie ausgelacht. Und am Ende hat er es verstanden.
Mama Jeri kommt dazu, zeigt auf die vielen Rechnungen und Zeichnungen an der Tafel.
"Puh, sieht das kompliziert aus. Kein Wunder, dass ich das nie verstanden habe. Das ist mir zu hoch."
"Jimin? Magst du es deiner Mama Jeri erklären? Sonst versteht die das doch nie!"
Jimin nickt eifrig. Ja, Mama Jeri soll das auch können!
"Aaaaaaalso, pass auf ..."
Nur ein einziges Mal muss Jimin einen fragenden Blick zu Onkel John werfen, weil er nicht mehr weiter weiß. Alles andere kann er so erklären. Aber er merkt das erst, als die drei Erwachsenen anfangen zu klatschen. Für ihn. Für den kleinen, dummen Jimin, der heute ganz viel verstanden hat und gar nicht so dumm ist! Ihm wird ganz warm vor Freude, und ein kleines bisschen stolz ist er auch.
Onkel John hockt sich so hin, dass er Jimin grade in die Augen schauen kann.
"Denkst du jetzt immer noch, dass du dumm bist? Und das nie lernst? Ich wette, du schreibst morgen die beste Arbeit von allen! Du glaubst nicht, wie stolz wir auf dich sind! Ach, und wenn du unsicher wirst während der Arbeit. Dann machst du deine Augen zu und stellst dir diesen Glaskasten mit den ganzen Stöcken vor. Dann kommst du bestimmt wieder weiter. Und wenn die blöde Angst dich packen will, dann denkst du ganz feste den Satz:'Ich kann das, denn gestern hab ich das auch gekonnt.' Okay? Nicht vergessen!"
Ganz nah steht Jimin vor Onkel John. Er nickt und strahlt und spürt, dass Onkel John es ganz ehrlich mit ihm meint. Leise wiederholt er den Satz, damit er ihn auch ja nicht vergisst.
"Und jetzt, lieber Jimin, müssen wir leider fahren, weil ich heute nach Hause fliegen muss. Sonst verpasse ich mein Flugzeug, und dann sind morgen meine Studenten sauer, weil ich zu spät komme. Aber wir haben uns jetzt kennen gelernt und zusammen gerechnet. Das macht mich richtig glücklich. Soll ich denn nochmal wieder kommen?"
Jimin nickt eifrig. Schade, dass Onkel John schon wieder wegfliegt. Jetzt hat Jimin doch endlich keine Angst mehr.
"Gut, das mach ich. Tante Mina sagt dir vorher rechtzeitig Bescheid, und dann können wir vielleicht was unternehmen. Magst du noch mit runterkommen?"
Jimin merkt gar nicht, dass er strahlt und nach Onkel Johns Hand greift und fröhlich neben ihm her hopst. Auf den Flur, die Treppe runter, bis zur Straße. Dort steht er dann und winkt, bis er das Auto nicht mehr sehen kann. Onkel John und Tante Mina haben nicht gelacht. Er kann das!
Am nächsten Morgen ist Jimin dann doch aufgeregt. Aber Mama Jeri hat eine Nachricht von Onkel John bekommen, die sie ihm zeigt. Da steht:"Ich kann das, denn gestern hab ich das auch gekonnt! Ich denke an dich, Dein Onkel John"
Etwas ruhiger und zuversichtlicher macht Jimin sich auf den Weg. Die ganze Zeit denkt er diesen Satz, immer, immer wieder spricht er sich damit selbst Mut zu. Auf dem Schulhof denkt er weiter und geht einfach an den anderen vorbei. In der Klasse schaut der Lehrer ihn abschätzig an und meint:"Na, willst du mal wieder ein leeres Heft abgeben?"
Die Klasse lacht, aber Jimin denkt immer weiter den einen Satz, den Onkel John ihm geschenkt hat. Onkel John, der ihm Mathe beigebracht hat.
Die Arbeit ist ganz ähnlich wie die Aufgabe von gestern. Da sind nur eine Giraffe und ein Frosch. Ansonsten muss Jimin aufpassen, dass er die etwas anderen Zahlen nicht vertauscht. Sofort rechnet er los. Er kontrolliert jede Aufgabe ganz genau, damit sich kein Fehler einschleicht. An einer Stelle muss er überlegen, aber da macht er seine Augen zu, denkt an Onkel John und das Aquarium, und dann geht es wieder. Erst, als er sich ganz sicher ist, gibt er seine Arbeit ab. Die anderen stöhnen alle, dass das so schwer war. Jimin sagt lieber gar nichts.
Als er am Nachmittag nach Hause kommt und Mama Jeri anstrahlt, weiß sie Bescheid.
"Na, alles gut gelaufen?"
"Ja. Und ich hab alles nochmal kontrolliert. Da ist bestimmt ... kein ... nur ein ganz klitzekleiner Fehler drin."
"Spinner!"
Mama Jeri wuschelt ihm über den Kopf. Kurz danach ruft Onkel John an und fragt auch, wie es gelaufen ist. Jimin sagt ihm schnell die Zahlen und seine Ergebnisse, und Onkel John meint, dass dann wohl alles richtig ist.
"Dann bis zum nächsten Mal, Jimin. Grüß Mama Jeri und Tante Mina von mir."
Jimin hat noch nie in seinem Leben so fieberhaft und ungeduldig auf eine Mathestunde gewartet. Er freut sich so auf eine gute Note. Dann können die anderen ihn nicht mehr auslachen. Fröhlich zieht er am Mittwoch los zur Schule, geht wieder einfach an den anderen vorbei und konzentriert sich auf den Unterricht. In der vierten Stunde ist dann Mathe. Der Lehrer gibt die Arbeiten zurück. Seine als letztes.
"Unser liebes kleines Dummchen hat leider wieder eine Sechs. Denn seine Arbeit ist so fehlerfrei, dass es nicht sein kann, dass er nicht gemogelt hat."
Jimin ist entsetzt. Er reißt die Augen auf und starrt den Lehrer an. Die Arbeit ist fehlerfrei, und er hat darum eine Sechs? Seine Augen füllen sich mit Tränen. Er hat nicht gemogelt! Er kann das, ganz wirklich! Jimin mogelt nie! Er ist immer ehrlich. Das kann Mama Jeri dem Lehrer bestätigen. Aber der will gar nichts hören.
"Berichtigung bis Freitag, ihr könnt in die Pause gehen."
Oh, wie gemein ist in dieser Pause der Spott. Jimin weiß gar nicht, wo er sich verstecken soll, damit sie ihn endlich in Ruhe lassen. Damit er weinen kann. Was wird nur Onkel John dazu sagen? Er wird bestimmt schimpfen! Eine Sechs. Er wollte das doch gut machen für den Onkel. So unglücklich und verletzt war Jimin schon lange nicht mehr. Er übersteht den Schultag, schleicht nach Hause und wirft sich weinend in Mama Jeris Arme. Tante Mina kann heute nicht, aber das ist auch gut so. Der will er jetzt gar nicht unter die Augen treten. Er hat so versagt.
Mama Jeri ist sauer, das merkt Jimin gleich. Aber zum Glück nicht auf ihn. Sie ist sauer auf den Lehrer. Sie weiß, dass Jimin nicht gemogelt hat. Auch Tante Mina kommt am nächsten Tag wieder zu Besuch und ist stinkwütend. Auch nicht auf Jimin sondern auf den Lehrer.
"Was fällt dem denn ein? Er hat überhaupt keine Beweise und schreibt da einfach so eine Sechs drunter? Na, dem steig ich aufs Dach!"
"Ich weiß gar nicht, wie ich die Hausaufgabe für morgen machen soll. Wie kann ich eine Berichtigung machen, wenn doch alles richtig ist?"
Mama Jeri entscheidet, dass er seine Arbeit einfach einmal in Schönschrift abschreibt. Und das macht Jimin dann auch. Auch, wenns blöd ist.
Am Freitag Morgen schleicht Jimin gradezu zur Schule. Er hat Angst vor der Mathestunde. Er hat Angst vor dem Lehrer. Er hat Angst vor den anderen. Als er auf die Schule zukommt, sieht er eine große Gestalt am Schultor, und beim Näherkommen kapiert er, dass das Onkel John ist. Der Schreck fährt ihm in die Glieder. Warum ist der Onkel hergekommen? Will er jetzt schimpfen? Weil er sich umsonst so Mühe gegeben hat, Jimin das beizubringen?
Zitternd vor Angst geht er auf den Onkel zu und schaut unsicher zu ihm auf. Doch Onkel John hockt sich sofort zu ihm runter und lächelt ihn an.
"Hab keine Angst, Jimin. Deine Mama Jeri hat mich angerufen und mir von der falschen Note erzählt. Vergiss nicht - ich habe dir das beigebracht. Ich WEIß, dass du das kannst. Das habe ich eben auch dem Direktor erzählt, und ich werde es gleich ..."
Jimin fängt an zu weinen vor Schreck. Der Direktor? Das wird ja immer schlimmer!
"Hei, Großer. Warum weinst du? Der Direktor ist genauso sauer auf den Lehrer wie wir. Er wird gleich in die Klasse kommen und ganz persönlich eine große fette Eins unter deine Arbeit schreiben."
Jimin traut seinen Ohren nicht. Der Direktor will ihm helfen? Ihm, dem kleinen dummen Jimin? Er versteht die Welt nicht mehr.
"Komm, wir gehen zur Klasse, sonst kommen wir zu spät. Und das gönnen wir dem doofen Lehrer nicht."
Völlig überfordert greift Jimin nach Onkel Johns Hand und zeigt ihm den Weg zum Klassenraum. Mit dem Onkel daneben fühlt er sich viel sicherer. Vor dem Raum stehen schon der Lehrer und der Direktor, und die beiden streiten offensichtlich miteinander. Die sehen ganz zornig aus. Als Jimin und Onkel John dazu kommen, will ihn der Lehrer grob in die Klasse scheuchen. Aber da hat er nicht mit Onkel John gerechnet!
"So, Sie sind also der Klassenlehrer und Mathematiklehrer von Jimin, sehe ich das richtig? Nein, Jimin bleibt hier, er soll das ruhig mitkriegen. Und sie werden mir jetzt auch nicht die Tür vor der Nase zumachen sondern mir zuhören. Sie haben nur die Wahl, ob wir uns drinnen vor der ganzen Klasse streiten oder hier draußen."
Wenn Jimin nicht wüsste, dass Onkel John ihn lieb hat, würde er sich jetzt wieder fürchten vor der tiefen Stimme, die ganz schön fies klingt, weil er so wütend ist. Jimin lässt die große Hand nicht los. Der Lehrer entscheidet sich für draußen.
Jetzt erklären Sie mir doch mal bitte, was an dieser Arbeit falsch war. Wo sind die Fehler? Was rechtfertigt hier die Sechs?"
Der Lehrer plustert sich auf.
"Wer sind Sie, was haben Sie hier zu suchen, und warum maßen Sie sich an, das beurteilen zu können? Ich habe meine Gründe!"
"Ah ja. Gründe. Ich bin Dr. Jonathan Turner, ordentlicher Professor für "Mathematik im Lehramt" an der Universität von Tucson in Arizona. Ich bin Jimins Onkel. Und ich habe ihm am Sonntag die Funktionsgleichungen so gut beigebracht, dass er uns direkt danach eine weitere Aufgabe fehlerfrei vorrechnen und erklären konnte."
"Jimin hat keinen Onkel, und den Professor kaufe ich Ihnen auch nicht ab."
Jetzt wird Jimin mutig. Er hat noch nie, wirklich noch nie außer bei Mama Jeri erlebt, dass jemand so sehr für ihn kämpft. Und wie er einen Onkel hat. Den tollsten Onkel der Welt! Er hält sich ganz fest an Onkel Johns Hand.
"Ich habe wohl einen Onkel. Und eine Tante. Und eine Kusine. Und einen Kusin. Und die leben alle in Amerika und wussten deshalb nicht, dass meine Mama damals einen Jungen bekommen hat. Aber jetzt wissen sie es. Und jetzt sind sie da. Und Onkel John hat mir am Sonntag die Funktionsgleichungen beigebracht. Mit einem Aquarium."
Staunend schauen der Lehrer und der Direktor auf Jimin runter. Aber Jimin schaut einfach böse zurück. Er hat nicht gemogelt!
"Dann ... muss Jimin mir beweisen, dass er das kann. Jetzt, hier vor der ganzen Klasse."
Der Direktor räuspert sich ungehalten, Onkel John hält Jimins Hand ganz fest und drückt sie einmal.
"Jimin und ich kommen gleich nach."
Er hockt sich wieder zu Jimin runter, während der Direktor den protestierenden Lehrer in die Klasse schiebt und von innen die Tür schließt.
"So, Jimin. Jetzt pass auf. Du bekommst auf jeden Fall die Eins, weil der Direktor uns glaubt. Du musst also jetzt nicht vor der ganzen Klasse rechnen. Aber ich glaube, dass du wütend genug bist, um das zu schaffen. Du entscheidest. Meinst du, du kriegst das hin, dich da drinnen vor die Klasse zu stellen und eine Aufgabe an der Tafel zu rechnen? Ich darf dir nicht helfen, damit der Typ nichts zu meckern hat. Aber ich kann für dich dein Aquarium sein, wenn du das zum Erklären brauchst."
Jimin weiß nicht so recht. Das ist doch ziemlich gefährlich. Aber der letzte Satz macht ihn neugierig.
"Wie willst du denn ein Aquarium sein???"
"Ich habe da drinnen einen großen Karton gesehen, und ein paar Regenschirme. Und meine Arme habe ich ja auch noch. Überlass das mir. Du redest einfach, alles andere mache ich. Okay?"
Jimin beschließt, jetzt keine Zeit zum Angstkriegen zu lassen. Er kann das, weil er das am Sonntag auch gekonnt hat. Er nickt, dreht sich zur Tür und macht sie auf. Ehrfürchtig schauen die sitzenden Mitschüler zu dem riesigen Mann an Jimins Seite auf. Das findet er schon mal klasse. Dann sagt der Direktor vor der ganzen Klasse, dass Jimin leider eine ganz falsche Note in der Arbeit bekommen hat, und dass er jetzt allen eine neue Aufgabe erklären wird.
Der Direktor setzt sich hinten hin, und der Lehrer schreibt eine neue Aufgabe an die Tafel. Onkel John hakt ein.
"Da haben Sie eine andere Rechenart eingebaut, das ist nicht fair. Gestalten Sie die Aufgabe doch bitte genau so, wie sie in der Klassenarbeit war."
Zähneknirschend korrigiert der Lehrer die Aufgabenstellung und setzt sich dann mit finsterem Gesicht und verschränkten Armen auf Jimins Stuhl. Die Verachtung tropft aus seinen Worten.
"Na dann - viel Spaß, Jimin. Ich bin gespannt, wie weit du kommst."
Onkel John sucht sich seine Hilfsmittel zusammen, schiebt die Tafel hoch und das Lehrerpult für Jimin davor und blickt ihn grade an.
"So, Großer. Dann zeigs uns. Hier ist die Kreide, rauf mit dir und angefangen."
Er zwinkert Jimin zu und hebt ihn aufs Pult.
Jimin schaut sich die Aufgabe an, denkt einen Moment nach - fängt dann einfach an, laut zu reden und zu denken, so dass alle ihn verstehen können. Onkel John baut dabei aus Karton, Regenschirmen und Armen das Modell, während Jimin an der Tafel rechnet. Seine Mitschüler starren stumm auf die Tafel und den Karton. Irgendwann stellt jemand eine Frage. Jimin schluckt, dreht sich um und beantwortet sie, so gut er kann. Dann rechnet er weiter und redet dabei immer, was er grade macht. Am Schluss ist der Karton voller Regenschirme, die Tafel voller Rechnungen und Jimin ganz sicher, dass er das gut gemacht hat. Das fühlt sich richtig gut an.
Der Direktor steht auf, geht nach vorne, würdigt den Lehrer dabei keines Blickes und stellt sich vor die Klasse.
"Kannst du mir mal deine Arbeit geben, Jimin?"
Jimin springt vom Pult, holt die Arbeit aus dem Ranzen und hält sie ihm hin. Der Direktor nimmt die Arbeit, streicht die olle Sechs durch und schreibt eine große, rote Eins daneben. Dann holt er einen Stempel und ein Stempelkissen aus seiner Tasche und haut einen tollen Stempelabdruck neben die Eins. Schließlich unterschreibt er noch mit "Direktor Choi", dann gibt er Jimin die Arbeit wieder.
"Ich bin wirklich beeindruckt, wie gut du das verstanden hast. Herzlichen Glückwunsch! ... Ach, Mr. Turner? Die Stunde ist noch nicht ganz rum, könnten Sie vielleicht bei den Kindern bleiben? Danke sehr!"
Schwupp dreht er sich um, winkt den Lehrer raus vor die Tür und macht die von außen zu. Onkel John drinnen schickt Jimin auf seinen Platz, rückt das Pult wieder zurecht und bietet den Schülern an, dass sie noch Fragen stellen dürfen. Die beantwortet er dann, und als es klingelt, schickt er alle in die Pause.
Er schickt auch Jimin raus, obwohl dem das gar nicht recht ist. Da sind die anderen ...
"Nu geh schon. Ich komme sofort nach. Du willst doch deinen Triumph genießen, oder?"
"Ich ... weiß nich. Vielleicht lästern die trotzdem."
"Du wirst es nicht rausfinden, wenn du nicht rausgehst. Ich bin gleich bei dir."
Zögernd geht Jimin raus auf den Hof und schaut sich ängstlich um. Plötzlich steht einer der Jungen aus seiner Klasse neben ihm. Jimin springt erschrocken zur Seite.
"Hei, Jimin. Ich ... das war toll grade. Du hast das besser erklärt als der. Und dein Onkel ist echt cool. Wir hatten heute Unterricht bei einem echten Professor! Ich ..."
Der Junge starrt auf seine Schuhspitzen.
"Ich ... wollte mich entschuldigen, dass ich dich immer mit geärgert habe. Das war doof. Ich hab einfach mitgemacht, weil es so lustig war. Aber für dich ist das gar nicht lustig. Tut mir leid, dass ich das erst jetzt kapiert hab."
Jimin traut seinen Ohren nicht. Hat der sich grade bei ihm entschuldigt? Was ist denn heute los?!? Onkel John kommt dazu, setzt sich in seiner Nähe auf eine Bank, sagt aber nichts dazu. In dem Moment fangen die drei Blödmänner aus seiner Klasse mal wieder an zu lästern.
"Zwergen-Jimin braucht einen Onkelbeschützer, damit er rechnen kann. Wie niedlich."
Das laute Lachen der drei Jungs hallt schmerzhaft in Jimins Ohren wider. Er wird nie seine Ruhe haben vor denen! Er möchte schon wieder weglaufen. Aber da schaut ihn der Junge an, der sich eben entschuldigt hat.
"Warte hier, Jimin. Das wolln wir doch mal sehn."
Entschlossen geht er auf die drei Lästermäuler zu und blafft den Rädelsführer an.
"Weißt du was? Du bist ein Arsch. Halt einfach deine Schnauze und lass Jimin in Ruhe. Er hat heute uns allen geholfen. Du hast dem Onkel auch Fragen gestellt. Also lass den Blödsinn und bedank dich lieber. Oder verzieh dich."
Dann dreht er sich einfach wieder rum und kommt zurück zu Jimin, der ihn mit riesengroßen kullerrunden Augen anstarrt. Sprachlos vor Staunen lässt er sich neben Onkel John auf die Bank plumpsen. Aber es geht noch weiter. Es sind nämlich noch weitere Klassenkameraden in der Nähe, die sich das alles genau angeschaut haben. Manche schauen unschlüssig zwischen Jimin und den Fieslingen hin und her. Aber dann setzen sich einige in Bewegung. Zu Jimin. Sie haben die Chance, sich nochmal neu entscheiden zu können, verstanden und genutzt. Mehrere murmeln eine Entschuldigung und versprechen, dass sie ab jetzt auf Jimin aufpassen wollen.
Dann erklingt das erste Läuten zum Ende der Pause. Onkel John steht auf.
"Jimin, ich muss sofort wieder nach Hause fliegen, ich hab nämlich heute die Uni geschwänzt. Bringst du mich noch bis zum Tor?"
Hand in Hand gehen die beiden zum Hoftor. Dort geht Onkel John auf die Knie, runter zu Jimin und lächelt ihn an.
"Gehts dir jetzt besser?"
Jimin nickt. Und druckst rum.
"Danke, so sehr! ... Onkel John? ... Kannst ... Kannst du ... mich in die Arme nehmen? Das war so aufregend."
Staunend sieht Jimin, dass sein Onkel fast anfängt zu weinen, als er ihn hochhebt und ihn ganz fest umarmt.
"Du ahnst nicht, wie glücklich du mich mit dieser Bitte machst. Danke für dein Vertrauen. Du bist ein toller Kerl und echt stark und mutig. Ich hab das gern für dich gemacht. So ein Unrecht kann ich einfach nicht aushalten. Hoffentlich wird es jetzt besser für dich."
Jimin schlingt seine Arme um Onkel Johns Hals und drückt ihn einmal. Und es fühlt sich gut an.
"Wann geht dein Flugzeug? Nicht, dass die Studenten morgen auf dich sauer sind!"
Onkel John lacht, setzt ihn ab und geht vom Hof runter. Er ruft sich ein Taxi, winkt nochmal und ist verschwunden. Jimin fühlt sich seltsam. Ganz leicht. Und sicher. Das ist so neu für ihn. Schnell flitzt er zurück in die Klasse, wo eine neue Klassenlehrerin steht und als erstes die drei Doofis auffordert, ihre Sachen zu packen und in drei verschiedene Parallelklassen umzuziehen. Einfach so. Die sind weg, und der Lehrer auch.
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15.9.2021 - 16.8.2022
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