Kapitel 5 - "R" wie "Rückwärtsgang"
Mit hängendem Kopf schleicht Jimin den Gehweg entlang. Schon wieder hat er eine schlechte Note zurückbekommen, die dritte in diesem Monat. Er kann sich noch so viel Mühe geben, noch so viel mit den Älteren in der Familiengruppe lernen. Er versteht auch alles. Aber es hat ja doch keinen Zweck. Sobald er in der Klasse vor den gestellten Aufgaben sitzt, ist sein Hirn unfähig, einen klaren Gedanken zu fassen. Neben der Angst haben keine koreanischen Schriftzeichen, keine Matheformeln und keine Geschichtsdaten mehr Platz. Er ist eben zu blöd, um das zu schaffen, es ist einfach zu viel.
Vor Mama Jeri hat er keine Angst. Sie versteht ihn, sie weiß, dass er es eigentlich kann. Nur helfen kann sie ihm auch nicht. Sie darf ja nicht mit zu den Klassenarbeiten kommen. Könnte sie auch gar nicht, denn dann müsste sie das auch bei allen anderen tun, aber so viele Stunden hat kein Vormittag. Und so wichtig ist Jimin auch nicht, dass es ausgerechnet für ihn eine Ausnahme gäbe. Also hat er wieder das weiße Blatt angestarrt, sich auf seine Hände gesetzt, damit die anderen das Zittern nicht sehen, und gewartet, bis es vorbei ist oder wenigstens ein brauchbarer Gedanke den Weg von seinem Kopf zu seiner Hand und aufs Papier findet. Aber viel war da nicht gekommen. Heute nun hat er die 5 ausgehändigt bekommen, hat geweint und ist mal wieder zum Gespött seiner Klasse geworden.
Mama Jeri steht heute nicht am Fenster. Das macht es Jimin noch schwerer, nach Hause zu gehen. Eigentlich ist das gar nicht so selten, denn Mama Jeri hat genug zu tun. Sie schmeißt den Haushalt für sich und zur Zeit acht Kinder. Sie sitzt viel im Büro. Sie kauft ein, kocht, betreut die Hausaufgaben. Manchmal muss sie mit einem von den Kindern zum Arzt, oft muss sie Tränen trocknen, Streit schlichten, selbst gebastelte Werke bewundern oder Albträume verscheuchen. Jede Woche sitzt sie zusammen mit den fünf anderen Müttern und Vätern des Kinderdorfes oder irgendwelchen Leuten vom Jugendamt, und sie besprechen ganz viel. Jimin hat zwar keine Ahnung, worüber die reden. Mama Jeri sagt, es sei wichtig. Und so lange hier alles gut klappt und niemand ihn schon wieder irgendwo anders hinschicken will, ist es Jimin egal.
Aber irgendwie ist es heute nicht egal. Jimin wird nervös. Jetzt beeilt er sich doch. Er muss Mama Jeri sehen und wissen, dass für ihn alles in Ordnung ist. Er rennt die Treppe hoch, pfeffert seinen Ranzen so schwungvoll in den Hausaufgabenraum, dass alle erschrecken, die da schon sitzen, lässt Jacke und Schuhe an der Garderobe achtlos fallen. Nach einem schnellen Blick in die Küche macht er sich auf zum Büro dieser Gruppe. Er ignoriert die geschlossene Bürotür und das Schild daran, auf dem "Besprechung" steht. Er reißt die Tür auf, geht zum Schreibtisch und redet einfach los.
"Ich hab dich überall gesucht, Mama Jeri. Du hast nicht am Fenster gestanden. Ich muss dich doch begrüßen."
Mama Jeri reagiert nicht so, wie er sich das gewünscht hätte.
"Das stimmt, Jimin. Und ich freue mich auch, dass du zu Hause bist. Aber ich freue mich nicht, dass du die geschlossene Tür UND das Schild ignoriert hast. Du weißt, dass du dann draußen warten sollst. Husch, ich komme gleich zu euch. Aber jetzt raus mit dir!"
Enttäuscht und ein bisschen trotzig dreht Jimin sich um und will hinausgehen, als die fremde Frau, die hier bei Mama Jeri sitzt, ihn mit großen Augen anstarrt und zu reden beginnt.
"Bist ... bist DU Park Jimin? ... Wie schön, dass ich dich endlich kennen lernen darf."
Aus dem Augenwinkel sieht Jimin, dass Mama Jeri die Frau mit einer Handbewegung zum Schweigen bringen will, und das macht ihn sofort misstrauisch. Aber die Fremde redet einfach weiter.
"Ich habe nämlich nach dir gesucht. Ich bin deine Tante, die Schwester deiner Mutter. Und ich freue mich, ..."
Das Händewedeln von Mama Jeri wird doller, Jimin macht einen Schritt rückwärts. Irgendwas stimmt hier nicht, und es hat mit ihm zu tun. Er weiß intuitiv, dass diese beiden Frauen sich nicht mögen.
"... dass ich dich in unserer Familie willkommen heißen darf."
Die Frau streckt eine Hand aus, und bei Jimin brennt die Birne durch. Bevor irgendjemand ein Wort sagen kann, ist er schreiend zur Tür raus, in Jacke und Schuhen, die Treppe runter, im Garten. Erst im Baumhaus macht er Halt, schielt zwischen den Brettern durch, ob Mama Jeri ihn gesehen hat. Sie steht am Fenster, sie weiß, wo er ist. Aber die Fremde steht da nicht, das ist gut. SIE weiß nicht, wo Jimin ist, und das ist sehr gut. Hier kommt er erst wieder raus, wenn die weg ist.
Vollkommen erschöpft, außer Atem und tränenüberströmt vergräbt sich Jimin zwischen der Decke und den Kissen und weint sich in den Schlaf. Im Traum zerren diese "Tante" und Mama Jeri an seinen Armen, bis er in zwei Teile zerreißt. Es tut weh - und er kann nichts dagegen tun.
Jimin wacht davon auf, dass er seinen Namen hört. Sofort fängt er wieder an zu weinen, bis er die Stimme von Mama Jeri erkennt.
"Jimin? Bist du wach? Ich bins, Mama Jeri. Die Frau ist weg, du kannst jetzt runter kommen."
Mama Jeri kommt selten zum Baumhaus, weil er das meistens nicht will. Aber heute ist er sehr froh, dass sie da ist. Schnell klettert er runter und lässt sich fest in die Arme nehmen. Es dauert lange, bis er sich beruhigen, Mama Jeri alles von seinem Tag erzählen und ihr die verkorkste Arbeit zeigen kann. Über die fremde Frau, die ihn so erschreckt hat, reden sie nicht.
Ohne Theater unterschreibt Mama Jeri die schlechte Note und lächelt Jimin dann an.
"Ich weiß, dass du das hier zu Hause gekonnt hast. Möchtest du die Berichtigung erst allein versuchen, oder soll dir jemand helfen? Wer hat denn mit dir für die Arbeit geübt?"
Das weiß Jimin noch ganz genau, denn Jidang mag er ganz besonders gerne von den Großen. Aber erstmal will er es selbst versuchen. Hinterher kann Jidang das alles kontrollieren, bevor Jimin die Rechnung
en ins Reine schreibt.
Etwas zuversichtlicher als vorhin macht sich Jimin an seine Aufgaben. Die Berichtigung versucht er erstmal auf einem Extrazettel. Jidang zeigt ihm, wo noch Fehler sind, und dann schreibt Jimin die Verbesserung ganz ordentlich ab. Da ist der Nachmittag eigentlich schon rum.
Erst, als Mama Jeri die Kinder ins Bett bringt und auch kurz bei Jimin sitzt, traut er sich, nach der Fremden zu fragen.
"Mama Jeri, wer war die Frau heute Nachmittag? Und warum magst du sie nicht? Sie soll mich nicht anfassen! Das hat mir Angst gemacht."
Und dann schaut er ganz genau in ihr Gesicht. Manchmal kann er daran nämlich die Antwort ablesen. Heute auch. Mama Jeri sieht nicht glücklich aus.
"Du weißt ja, dass du eine Mama hattest, die dich in ihrem Bauch getragen und dann zur Welt gebracht hat. Leider ist sie danach gestorben, weil sie sehr krank war. Aber sie wollte, dass ihre Schwester sich um dich kümmert und dich so lieb hat, wie deine Mama dich lieb gehabt hat. Sie hat ihrer Schwester auch eine Nachricht hinterlassen, aber diese Schwester hat die Nachricht erst vor ein paar Tagen, nach über elf Jahren bekommen. Und jetzt möchte sie dich furchtbar gerne kennen lernen."
"Aber ich kann doch hier bleiben, oder? Ich will nie wieder hier weg!"
Verzweifelt sucht Jimin in Mama Jeris Gesicht nach dem erhofften "Ja". Aber es kommt nicht. Er sieht, dass Mama Jeri mit sich kämpft. Aber er versteht nicht warum. Sie hat ihm doch immer alles gesagt. Sie hat ihm doch immer die Wahrheit gesagt?
"Jimin, ... es fällt mir schwer, deine Frage so zu beantworten, dass du wieder ganz beruhigt bist."
Jimin spannt sich am ganzen Körper an, bereit, sofort wieder rauszurennen.
"Bitte bleib hier und hör mir bis zum Ende zu. Ich habe dich noch nie belogen, und ich werde es auch heute nicht tun. Die Frau, die sich da vorhin so komisch benommen hat, ist tatsächlich die Schwester deiner Mutter, also deine Tante. Sie und deine Mama haben sich wohl sehr lieb gehabt. Deine Tante hat ein schlechtes Gewissen, dass sie die Nachricht von deiner Mama nicht schon viel eher gefunden hat. Für deine Mama ist es nun zu spät, aber für dich nicht."
"Aber ... aber hier geht es mir doch gut. Ich will nicht schon wieder woanders hin. Ich hab so Angst davor. Bittebitte!"
"Jimin, du weißt, dass das Jugendamt immer wieder versuchen wird, Geld zu sparen, indem sie euch alle in Familien vermittelt. Und du weißt, dass ich das nicht verhindern kann. Ich kann nur beraten, ob ich eine Familie oder eine Person für geeignet halte. Die Frau heißt Mina Turner. Sie war vorhin sehr aufgeregt, weil sie so lange gar nichts von dir wusste. Und ich war aufgeregt, weil sie so einfach in der Tür stand. Also haben wir uns ein bisschen gestritten, das war es wahrscheinlich, was du gespürt hast, als du reingekommen bist. Stimmts, oder hab ich recht?"
Jimin nickt, die ersten Tränen laufen.
"Ich werde sie mir aber noch ganz genau anschauen. Vielleicht kann ich mich mit ihr vertragen. Dann kann ich ihr beibringen, worauf sie bei dir achten muss, ich kann ihr und dir helfen, dass ihr euch ganz langsam kennen lernt. Ich kann dir helfen, dass du keine Angst vor ihr zu haben brauchst."
"Aber wenn sie mich dann einfach mitnimmt? Wie die anderen alle? Dann bist du nicht mehr dabei! Ich geh nicht alleine hier weg!"
Jimin fängt an zu schluchzen. Er will wieder ausreißen, aber seine geliebte Ziehmama kennt ihn schon gut. Sie hält ihn fest, ganz fest.
"Lauf nicht wieder weg, Jimin. Was ich dir sagen möchte, ist dies: was ist schlimmer? In eine nicht geprüfte, schlecht ausgesuchte Familie gesteckt zu werden, weil das Jugendamt schon wieder Geld sparen will? Oder nach einer guten Kennenlernzeit, die ich mit gestalten kann, zu Menschen zu kommen, die sich auf dich freuen, die dich lieb haben und gut zu dir sein wollen? Wenn ich die Frau davon überzeugen kann, wirst du noch viele Wochen hier bleiben, sie wird immer wieder zu Besuch kommen, vielleicht kommt dann auch mal ihr Mann mit. Ich bin dabei, ihr könnt zusammen im Park spielen oder einen Ausflug machen, und dann bringen sie dich wieder zu mir. Und erst dann wird entschieden, wohin du gehst."
In Jimins Kopf rattert es so laut, dass er glaubt, Mama Jeri müsse das hören. Eine fremde Familie ist auf jeden Fall schlimmer. Aber die eigene Familie kennt er doch genauso wenig! Er weiß überhaupt nicht, wie das geht - eine Tante zu haben. Er kennt nur Mama Jeri, die Mamas der anderen Gruppen und da draußen lauter Menschen, die ihm alle Böses wollen. Nein, er will nicht weg.
"Versprichst du mir, dass ich hier bleiben darf, wenn ich die nicht mag und nicht mitgehen will?"
Mama Jeri schließt kurz die Augen, dann schaut sie ihn wieder grade an.
"Das kann ich dir nicht versprechen, denn das wird wie immer das Jugendamt entscheiden. Ich kann dir nur versprechen, dass ich wie immer darum kämpfen werde, dass alle darauf achten, was für DICH am besten ist."
Lange hält sie das weinende Kind in den Armen, wickelt es schließlich in seine Bettdecke und legt ihn vorsichtig hin. Sie löscht das Licht - und setzt sich im Dunklen neben ihn, damit er beruhigt einschlafen kann.
Zwei Tage lang schleicht Jimin um die Ecken und ist noch scheuer als sonst. Er ist zutiefst erschüttert. Bei den beiden anderen Familien hat Mama Jeri ja auch nichts versprochen. Und sie konnte auch nichts verhindern. Aber diesmal hat er sie direkt gefragt, und sie hat ihm nicht so richtig geantwortet. Das macht ihm mehr Angst als alles andere zuvor. Mama Jeri merkt aber auch das, und darum sitzen sie jeden Abend zusammen und reden. Jimin darf tausend Fragen stellen. Viele kann sie nicht beantworten, aber sie antwortet immer ehrlich. Und an diesem dritten Abend schlägt sie Jimin vor, dass sie die Frau nochmal einladen sollten, um sie richtig kennen zu lernen. Jimin fängt sofort an zu zittern und klammert sich an sie.
"Hab keine Angst, mein Schatz. Ich weiß, was ich machen werde. Sie wird sich bestimmt wieder melden, und dann werde ich sie einladen, her zu kommen, wenn du ganz bestimmt in der Schule bist. Dann erzähle ich ganz viel von dir und lerne sie besser kennen. Ich zeige ihr dein Zimmer, trinke mit ihr einen Kaffee, und hinterher kann ich dir viel mehr über deine Tante erzählen, ohne dass du sie schon sehen musst. Und dann sehen wir weiter."
Jimin ist die Vorstellung nicht geheuer, aber Mama Jeri strahlt nun viel mehr Ruhe aus als noch vor drei Tagen. Also stellt er sich ganz fest vor, dass diese Frau tatsächlich nett zu ihm sein will, und nickt stumm.
"Und sie ist wieder weg, wenn ich nach Hause komme? Und du stehst am Fenster? Und sie nimmt mich nicht gleich mit?"
Mama Jeri lächelt erleichtert und zieht ihn in ihre Arme.
"Ja, Jimin. DAS kann ich dir versprechen. Wenn sie sooo verrückt ist, dass sie dich gleich mitnehmen will, dann ist sie zuuuu verrückt, um dich mitnehmen zu dürfen. Aber jetzt schläfst du erstmal, und dann warten wir ab, wann sie sich meldet."
Jimin spürt, dass Mama Jeri nun wieder ruhig und sicher ist. Das beruhigt auch ihn. Am nächsten Morgen beim Frühstück schaut er immer wieder fragend zu ihr rüber. Aber beim Abschied schüttelt Mama Jeri den Kopf und umarmt ihn nochmal.
"Nein, sie hat noch nicht angerufen. Aber es ist ja auch noch früh. Ich verspreche dir, wenn sie sich meldet, dann sage ich dir das sofort noch am selben Tag, damit du dich nicht sorgen musst. Okay?"
Zuverlässig steht Mama Jeri nachmittags am Treppenfenster und wartet auf ihn. Jimin flitzt die Treppe rauf und schaut sie fragend an. Mama Jeri nickt.
"Komm rein. Pack bitte erst deine ganzen Sachen an ihren Platz, dann erzähle ich dir mehr."
Jimin hat schon lange nicht mehr so schnell seine Jacke und seine Schuhe zur Garderobe gebracht, den Ranzen weggestellt und sich die Hände gewaschen. Mit seeeeehr großen Augen schaut er zu Mama Jeri hoch. Angst, Neugierde, Vorsicht und tausend Fragen streiten sich in seinem Gesicht, und so wird er schnell erlöst.
"Komm, ich erzähle dir ein bisschen was vor dem Tee. Und ganz viel danach."
Gemeinsam gehen sie in Jimins Zimmer.
"Also. Wir haben uns heute gar nicht gestritten. Sie hat heute Vormittag angerufen, ich habe sie gebeten, gleich zu kommen, und dann haben wir ganz lange geredet. Wir haben uns beide entschuldigt, dass das so blöd gelaufen ist. Dann hat sie mir von sich erzählt. Was sie arbeitet, was sie besonders mag. Und sie hat von sich aus gesagt, dass sie dich ganz bestimmt nicht einfach hier rauszerren will. Sie weiß, dass das alles für dich genauso neu ist wie für sie. Und sie möchte dich erst richtig gut kennen lernen. Du musst also keine Angst haben, dass sie dich einfach mitnimmt. Sie und du und ich - wir können das alles miteinander entscheiden. Ist das gut?"
Erleichtert krabbelt Jimin auf ihren Schoß und drückt sich ganz fest an sie. Er spürt und er hört auch, dass Mama Jeri ganz ehrlich ist. Diesmal hat sie etwas versprochen, und damit kann er erst mal leben. Angst hat er immer noch. Aber alle wollen darauf achten, dass es nicht zu schnell geht für ihn.
"Und jetzt lass uns in die Küche gehen. Die anderen warten schon und wundern sich bestimmt, wo wir bleiben."
Beim Insbettgehen braucht Jimin wieder ganz viel Mama-Jeri-Zeit, und die schenkt sie ihm auch. Sie erzählt und erzählt und erzählt von der Tante, von der Mutter, dass der Onkel nächste Woche auch herkommen wird, damit Jimin genau weiß, wer seine Verwandten sind.
"So, mein Lieber. Und jetzt habe ich noch eine Besprechung mit den anderen Mamas. Du wirkst auf mich ein wenig beruhigt, und das freut mich sehr. Schlaf ganz schnell!"
Ein Gutenachtkuss, und schon ist Mama Jeri weg. Jimin liegt im Dunklen und denkt nach. Er kann das Gesicht dieser Frau gar nicht abrufen. Zu schnell ist er rein und wieder rausgeschossen. Sie ist jedenfalls nicht so alt wie Mama Jeri, sie ist Koreanerin wie er, und sie spricht seine Sprache. Obwohl sie wohl woanders wohnt. Er hat vergessen, wo, es war weit weg. Aber sie ist Lehrerin für Kinder, wie er eines ist. Für Kinder, die es nicht leicht haben im Leben. Mit Lehrern hat Jimin ja nicht nur gute Erfahrungen gemacht. Aber vielleicht ist sie ja nicht wie sein Mathelehrer. Hoffentlich.
In den nächsten Tagen geht es Jimin ganz gut, er wird wieder ruhiger, weint nicht mehr so viel. Mama Jeri hat ihm verraten, dass sie seiner Tante Mina jeden Abend eine Nachricht schickt, wie sein Tag gewesen ist und wie es ihm geht. Die Tante lässt ihn schön grüßen.
Da Ostern in Korea kein Feiertag ist, suchen die Kinder am Sonntag ein bisschen gekochte Eier im Garten, und für jede und jeden einen Schokoladenhasen. Ferien gibt es hier keine. Am Abend verrät Mama Jeri ihm dann, dass am nächsten Nachmittag seine Tante zu Besuch kommen wird. Sofort bekommt Jimin wieder Angst, aber Mama Jeri versichert ihm, dass sie erst kommen wird, wenn er schon zu Hause ist, damit er sich sicher fühlt. Und dass sie ihn nicht mit der Tante allein lassen wird.
Jimin ist furchtbar nervös. Er hat ganz blöde Sachen von dieser Tante geträumt. Der Schultag wird für ihn zu einer einzigen Katastrophe, weil die anderen seine Nervosität wittern und ihm die Pausen zur Hölle machen. Am Schultor schaffen sie es mal wieder, ihm ein Bein zu stellen, weshalb er schließlich weinend mit aufgeschlagenem Knie und zerrissener Hose nach Hause kommt. Seine Nerven sind zum Zerreißen gespannt, sein Mut ist im Keller, seine Tränen wollen nicht aufhören zu fließen. Jimin hat nur noch Angst. Also verspricht Mama Jeri ihm, dass er sich wünschen darf, wann die Tante wieder gehen soll. Er soll es aber bitte mindestens eine halbe Stunde lang aushalten. Jimin zieht sich um und bekommt ein großes Pflaster auf sein Knie. Er bleibt auch beim Tee ganz dicht bei ihr sitzen. Er muss spüren, dass sie da ist.
Kurz nach dem Tee klingelt es an der Haustür. Das tut es hier um die Zeit sonst nie, denn alle Kinderdorfmütter und -Kinder gehen immer einfach so rein und klopfen dann an der entsprechenden Wohnungstür. Darum weiß Jimin sofort, dass es seine Tante ist, springt hoch, schmeißt dabei den Stuhl um und starrt Mama Jeri mit schreckensweiten Augen an.
"M... M... Muss i... Muss ich da sein?"
"Eine halbe Stunde mindestens, wie wir es verabredet haben. Komm, wir gehen in dein Zimmer. Beomun, machst du bitte die Tür auf?"
Mama Jeris feste Hand kann Jimin heute auch nicht beruhigen. Er klammert sich daran und zerrt sie praktisch zu seinem Zimmer. Seine Angst ist so groß! Er knallt seine Zimmertür zu und bleibt dann stocksteif mitten im Zimmer stehen. Er kneift die Augen zu und hält die Luft an. Er will das nicht. Er KANN das nicht!
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8.9.2021 - 15.8.2022
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