// Thirteen //
Ich ignoriere diese Warnung.
„Ich will nicht, dass du ausziehst. Wir können das irgendwie schaffen."
Meinen Kopf lege ich auf seiner Schulter ab, schließe meine Augen. In den Bäumen, höre ich die Vögel zwitschern. Atme seinen frischen Duft ein, lasse mich von den Sonnenstrahlen der Mittagssonne wärmen und doch ist diese Bild trügerisch.
Über uns Beide, wie wir hier sitzen, ziehen Wolken auf. Vielleicht begehe ich einen großen Fehler, in dem ich zu diesem Mann stehe, aber vielleicht wendet sich auch alles zum Guten. Ich kann die Hoffnung nicht aufgeben, dass wir eine Zukunft haben. Ich möchte nicht glauben, dass es keine Weg gibt, der Harry aus dieser Lage raus führt.
Der Brünette bewegt sich neben mir, hebt langsam seinen Kopf, wie auch ich es tue.
„Warum?", nur dieses eine Wort verlässt seine Lippen.
Warum? Ich kann es nicht sagen, vielleicht ist er der eine Mensch, der zu mir gehört. Vielleicht ist er aber auch der eine Mensch, der mein Leben zerstören wird. Vielleicht ist er einer der wenigen, der mich glücklich machen kann. Vielleicht ist er der, der mich mit in den Abgrund zieht.
Und doch, obwohl ich die Antworten nicht kenne, unser gemeinsames Schicksal in den Sternen steht, weiß ich, dass ich nicht anders kann, dass ich bei ihm bleiben werden.
„Weil ich nicht anders kann", antworte ich.
Der junge Mann, dessen grüne Augen traurig ins Nichts starren, nickt einfach nur.
Ob er eine andere Antwort erwartet hat? Hat er geglaubt, ich würde ihm etwas von der großen Liebe erzählen?
Ich weiß nicht ob ich ihn liebe, dafür ist es noch zu früh. Zweifelsohne bedeutet er mir viel. So viel, dass ich mich für ihn in Gefahr begebe.
Ist das Liebe? Oder ist es Wahnsinn?
Ich erinnere mich an unseren Tanz zurück, als er mir die letzten Zeilen ins Ohr geflüstert hat ‚Our love is madness' hatte er zusammen mit dem Sänger, gesungen.
War es nicht genau so. Wenn das Liebe ist, was uns verbindet und ich mich auf ihn einlasse, ist es dann nicht Wahnsinn?
„Es ist Wahnsinn", flüstert er.
Ich erschrecke, es wirkt als könne er meine Gedanken lesen. Doch viel wahrscheinlicher ist es, dass er sich ebenfalls einfach nur zurück erinnert hat.
„Fuck Abigail, es ist Wahnsinn, wenn du dich auf mich einlässt." Wütend ballt er die Fäuste. Seine Knöchel treten weiß hervor.
„Wenn ich nicht aufpasse, ziehe ich dich in eine Welt mit rein von der du keine Ahnung hast. Du bist doch viel zu gut."
Innerlich lache ich spöttisch. Harry hat keine Ahnung, was ich durch gemacht habe. Es wäre die Gelegenheit es ihm zu sagen, aber er hat selbst schon genug Probleme, da muss ich ihn nicht zusätzlich mit meiner Vergangenheit belasten. Es ist vorbei und tut im Moment eh nichts zur Sache.
„Ich mache mir mehr Sorgen um dich, als um mich. Was soll mir schon passieren?", frage ich ihn.
Die Stirn des jungen Mannes liegt in Falten.
„Ich will gar nicht darüber nachdenken, was dir alles passieren könnte", spricht er ernst und fügt in einem leichtfertigen Ton hinzu, „Um mich brauchst du dir keinen Kopf machen. So lange, wie niemand die Wahrheit kennt, bin ich sicher."
Ich sehe ihn von der Seite an. Er spielt mit den Ringen an seinen Finger, dreht sie immer wieder hin und her.
„Was ist, wenn die Lüge auffliegt?" Meine Angst, welcher in meiner Stimme mitklingt, kann ich nicht verbergen.
Ich sorge mich um den brünetten Mann neben mir.
„Denk nicht daran, es ist alles geregelt. Ich sehe keinen Grund, warum jemand die Wahrheit heraus finden sollte", antwortet er schlicht.
Doch an seinem Verhalten erkenne ich, dass er mir diese Ruhe nur vorspielt.
Er hat Angst, aber wird es nicht zugeben und ich werde ihn dazu auch nicht drängen. Es würde keinen Sinn machen.
Vermutlich spielt er schon seit langer Zeit den Leuten in seiner Umgebung vor, dass er nichts an sich ranlässt.
Es ist alles nur Fassade, dass weiß ich. Harry ist jemand der seine Gefühle und Ängste, vor den meisten Menschen versteckt, weil es ihn angreifbar machen würde.
Hat Ron nicht schon gesagt, dass sein Auftreten mehr Show ist und es in ihm anders aussieht. Der Rothaarige ist sein bester Freund, er muss es doch wissen.
Eine weitere Frage dräng sich mir immer mehr auf.
Der Grünäugige hat gesagt, er würde schon lange für James arbeiten. Wie ist er in dieses Sache, von der ich immer noch keine genaue Ahnung habe was er tut, rein geraten?
„Was ist passiert, dass du für diesen James arbeitest?"
Harry schaut mich erstaunt an. Mit dieser Frage scheint er nicht gerechnet zu haben, wieder kaut er auf seiner Unterlippe.
Seine Reaktion verunsichert mich.
„Du musst es mir nicht erzählen", ziehe ich meine Frage zurück. Ich möchte nicht, dass er den Eindruck hat, ich würde ihn ausfragen.
Er schüttelt leicht den Kopf.
„Doch ich möchte es dir erzählen. Ich habe gesagt, ich werde ehrlich zu dir sein und dir so viel sagen, wie ich kann."
Er sieht wieder auf seine Füße. Die Augenbraue erneut zusammen gezogen.
„Es hat mich ehrlich noch nie jemand gefragt, wie ich in diese Sache geraten bin", beginnt er zu erzählen.
„Ich denke es liegt daran, dass sich einfach niemand dafür interessiert. Der Einzigste, der mir wirklich nahe steht, ist Ron und der kennt meine ganze Geschichte."
„Erzähl mir nur das was du willst."
Meinen Kopf lege ich wieder an seiner Schulter ab und höre wie er leise ein- und ausatmet.
Mit seiner rauen, melodische Stimme fängt er an mir zu erzählen, was dazu geführt hat, dass er in einer Sackgasse steckt.
„Es ist eigentlich der typische Werdegang eines Kleinkriminellen denke ich. Bis zu meinem 16. Lebensjahr bin ich wohl behütet aufgewachsen. Klassische Familie. Vater, Mutter, große Schwester, Haus, Garten. Tja alles war perfekt, hätte sich mein Vater nicht dazu entschieden, seine jüngere Praktikantin zu vögeln und sich mit dieser Schlampe aus dem Staub zu machen", seine Stimme klingt ungewöhnlich zornig.
„Das tut mir leid-"
„Muss es nicht", unterbricht Harry mich, „er ist ein Arschloch und ich trauere ihm nicht hinterher. Das Problem ist, mein Vater hat gut verdient, nur dieses Miststück hat ihn ausgenommen wie eine Weihnachtsgans. Er hat sein Vermögen verloren, lebt jetzt von der Sozialhilfe soweit ich weiß. Ist mir eigentlich auch egal, von mir aus kann er jämmerlich verrecken. Das Püppchen hat ihn natürlich verlassen", lacht er bitter auf.
Ich unterbreche ihn nicht mehr, lasse ihn einfach reden, höre ihm zu, streiche beruhigend über seinen Unterarm.
„Naja nachdem er weg war und die Unterhaltszahlungen nicht mehr kamen, haben wir unser Haus verloren. Meine Mutter zog mit mir und meiner Schwester in eine kleine Wohnung. Sie hat im Wohnzimmer geschlafen, damit ich mir mit meiner Schwester nicht ein Zimmer teilen muss."
Seine Hand greift nach meiner, hält sie fest. Immer noch lösen diese Berührungen ein Kribbeln aus, welches mir kleine Schauer über den Rücken jagen.
„Wir hatten Geldsorgen. Auch die Doppelschichten, die meine Mum im Krankenhaus geschoben hat, haben nichts geholfen. Sie war meist 12 Stunden arbeiten und trotzdem blieb nichts auf dem Konto übrig. Naja was soll ich sagen, ich konnte nicht mit ansehen, wie meine Mutter sich jeden Tag zur Arbeit schleppt und trotzdem nicht weiß, wie sie all die Rechnungen bezahlen soll."
Ich sehe ihn an, kann mir vorstellen, wie die Geschichte weiter geht und doch habe ich Mitleid mit ihm, er hat es für seine Familie getan.
„Ich hab mich mit Älteren abgegeben. Habe später auf einer Party James kennengelernt. Er ist nicht viel älter, als wir, aber schon damals trug er teure Kleidung, fuhr schnelle Autos. Er hat nicht versteckt, dass er Kohle hat. Ich war beeindruckt, mit meinen 16 Jahren, ist doch klar. Nach einiger Zeit kam er auf mich zu, sagte er würde mich für einen Job brauchen. Ich hab gar nicht darüber nach gedacht, hab sofort zu gesagt und man als ich kapiert habe, um was es ging, war es auch schon zu spät."
Ich höre ihm weiterhin zu. Mich überrascht es nicht, dass er sich in seiner damaligen Situation davon beeindrucken hat lassen. Ich selbst bin doch auch auf jemanden reingefallen. Nur, dass ich wieder rausgekommen bin, aber ich habe mich auch niemanden verpflichtet, wie Harry es getan hat.
„Doch wenn ich ehrlich bin, war es mir damals auch egal, es waren nur kleinere Deals, die ich durchgezogen habe und man das Geld hat gestimmt. Ich konnte meiner Mutter was geben. Hab ihr erzählt, dass ich nebenbei jobben gehe. Sie hat nicht weiter nachgefragt."
Ein falsches Lachen verlässt seine Lippen. Er schließt die Augen und lässt den Kopf wieder nach vorne fallen.
„Vielleicht hätte sie besser mal nachfragen sollen, dann wäre es nie so weit gekommen. Irgendwann kam es ihr dann auch merkwürdig vor und sie hat nachgehackt. Ich hab sie angeschrien, hab ihr gesagt sie soll einfach froh sein, dass wir nicht mehr von ihrem mickrigen Gehalt abhängig sind. Ich war ein richtiges Arschloch. Meine Schwester hat sich für die ganze Sache gar nicht interessiert. Sie war viel zu sehr mit ihren eigenen Sorgen beschäftigt."
Sein Griff löst sich aus meiner Hand. Er steht erneut auf und geht wieder auf und ab. Immer noch bleibe ich sitzen. Warte, ob er weiter erzählen möchte.
„Was soll ich noch sagen? Aus den kleinen Deals wurden Größere. Mehr Geld, mehr Ansehen. Ich war so jung und so naiv, habe mich blenden lassen. Man ich fand es geil, wie die Leute die Straßenseite gewechselt haben, wenn sie mich gesehen haben. Lächerlich ich weiß, aber so war es nun mal."
„Wie ist Ron da reingeraten?", frage ich. Der Rotschopf macht auf mich noch weniger den Eindruck, als würde er in diese Welt gehören.
Harry bleibt stehen, sieht zu mir runter, überlegt.
„Nachdem ich schon eine Weile dabei war, brauchte ich Leute an meiner Seite den ich vertrauen kann und Ron wollte auch schnell Geld verdienen. Er ist seit der Schule mein bester Freund. Wem, wenn nicht ihm, könnte ich mehr vertrauen? Heute bereue ich es, ihn da mit reingezogen zu haben. James weiß, was er mir bedeutet und er wird nicht zögern, es auszunutzen."
Der Brünette legt seine Hand auf meine Schulter. Ich blicke zu ihm auf.
Langsam spricht er weiter: „Wenn James mitbekommt, was du mir bedeutest und was du wissen könntest, dann stehst du auch auf seiner Liste. Ich kann dir nichts genaues erzählen."
Ich nicke nur. Ich muss doch eigentlich nichts genaues wissen. Ich habe mich dazu entschieden, dass ich bei ihm bleibe. Noch immer habe ich die Hoffnung, dass wir gemeinsam einen Ausweg finden. Zusammen mit Ron. Ohne seinen besten Freund, wird Harry nicht aussteigen, dass ist mir klar.
Ich stehe auf, drehe mich zu ihm um.
Eine Frage bleibt.
„Was ist mit deiner Schwester und deiner Mum? Sind die beiden nicht auch in Gefahr?"
„Nein, sind sie nicht. Ich habe seit langer Zeit keinen Kontakt mehr zu ihnen. Sie wissen nicht wo ich bin und James sieht keine Gefahr in ihnen, weil er weiß, dass sie mich niemals an die Bullen verpfeifen werden. Ich habe den Kontakt abgebrochen und mich nie wieder bei ihnen gemeldet, als der ganze Job immer gefährlicher wurde."
Traurig sehen mich seine grünen Augen an. Der Schmerz in seinem Blick, welcher durch den Gedanken an seine Familie ausgelöst wird, ist nur zu deutlich zu erkennen.
Ich schlinge meine Arme um seinen Hals. Er erwidert diese Umarmung ohne Zögern. Seine Arme liegen um meine Taille. Eng drückt er mich an sich. Sein Gesicht wieder in meinen Haaren.
Trotzdem ich nun einen wichtigen Teil seiner Geschichte kenne, fühle ich mich noch immer geborgen in seiner Umarmung. Ich bin mir sicher, er wird alles dafür tun, um mich zu schützen.
„Es ist egoistisch von mir, dich nicht von mir zu stoßen", spricht er und verstärkt seinen Griff um meine Körpermitte.
Wir stehen einfach nur da. Liegen uns in den Armen genießen das Gefühl uns gegenseitig Halt zu geben.
Vorsichtig hebe ich meinen Kopf, versuche in seine Augen zu sehen.
„Wir finden einen Weg, wie ihr da rauskommt. Du und Ron", verspreche ich ihm, auch wenn ich nicht weiß, wie ich diesem Versprechen gerecht werden soll.
Seine Finger wandern zu meinem Gesicht, mit seinem Daumen streicht er zwischen meinen Augenbrauen entlang, versucht die Falten zu glätten, die sich dort aus Sorge gebildet haben.
„Abigail", behutsam spricht er meinen Namen, „Lass das meine und Ron's Sorge sein. Wir haben nichts zu befürchten und da ich im Moment keinen Ausweg weiß, können wir es erstmal nicht ändern."
Er gibt mir einen sanften Kuss auf die Lippen, streicht mit seiner Hand über mein Haar. Ich erwidere zögerlich dieses Kuss.
Das schlechte Gefühl, welches ich habe verschwindet nicht.
Die Angst und die Sorge um diesen Mann, dessen Lippen mich gerade so zart berühren, ist einfach zu groß und doch weiß ich, dass für ihn dieses Thema heute beendet ist und ich nicht weiter nachfragen brauche.
Er löst sich von mir.
Mit einem kleinen Schmunzeln greift er nach meiner Hand und zieht mich mit in sein Apartment.
Überrumpelt, stolpere ich hinter ihm her.
„Was hast du vor?", frage ich ihn erschrocken.
Lachend antwortet er: „Lass uns etwas Spaß haben."
Gut, Harry ist ein bisschen ins plaudern gekommen, was denkt ihr?
Ich möchte mich für fast 6k Reads, sowie 800 Sternchen bedanken und die unzähligen Kommentare. Ihr macht mich echt so glücklich. Das gibt mir das Gefühl, es ist gar nicht so schlecht, was ich hier so zusammen tippe. ♡
Okay, gerade als ich dieses Kapitel beendet habe, spielt meine Playlist The Weeknd mit "As You Are" und bitte dieses Lied ist irgendwie perfekt zu diesem Kapitel. Aus diesesem Grund muss ich euch das hier noch einmal verlinken.
Anni
[Hier müsste ein GIF oder Video sein. Aktualisiere jetzt die App, um es zu sehen.]
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