// Forty-three //
„Warum? Was genau machst du?", frage ich ihn.
Seine Augen ruhen kurz auf mir. Es macht auf mich den Eindruck, als würde er überlegen, ob er mir wirklich jedes Detail erzählen kann, oder will. Ich bin mir nicht sicher.
Gerade als ich ihm sagen möchte, dass er versprochen hat alles zu erzählen und die Wahrheit zu sagen, holt er Luft, richtet seinen Blick gerade aus. Ich folge diesem, habe das Gefühl, als würde er sich schämen, als könne er mir aus diesem Grund nicht in die Augen sehen.
„Ich habe mit Drogen zu tun. Wie überraschend", fügt er ironisch hinzu.
Ich beobachte ihn, die grünen Augen erwidern meinen Blick. Sehen mich fast fragend an, als erwarte er eine Reaktion von mir. Aber wie er schon sagt, die Tatsache, dass er wirklich mit den verbotenen Substanzen zu tun hat überrascht mich nicht mehr.
Ich lege meine Hand auf sein Knie, will ihn ermutigen weiter zu reden, ihm zeigen, dass diese Information mich nicht mehr von ihm weg treiben wird. Kurz sieht er zu meiner Hand.
„Früher habe ich gedealt. Ganz am Anfang. Ich habe dir ja erzählt, dass James mich quasi als Teenager angeworben hat. Das ging eine ganze Weile so. Ich habe an jeden verkauft. Egal, ob es in meiner Schule war, auf der Straße, in Clubs. Die üblichen Orten eben. Naja, du weißt ja sicherlich wie das ist.", spricht er monoton, spult diese Geschichte ab, als würde sie so an Bedeutung verlieren.
Natürlich weiß ich wie es ist. Er kennt die Orte, wo man dieses Teufelszeug bekommt genauso gut wie ich. Nur, dass wir auf der jeweils andere Seite standen.
Weiterhin sage ich nichts. Ich warte einfach nur ab, wie viel er von sich aus erzählt. Ohne, dass ich nachfragen muss.
„Irgendwann fragte er mich, ob ich nicht Lust hätte mehr Verantwortung zu übernehmen und somit auch mehr Geld zu verdienen. Ich war gerade neunzehn geworden, natürlich wollte ich mehr Geld verdienen und es erfüllte mich mit Stolz, dass James auf mich zu kam."
Harry zuckt mit den Schultern, wie wenn er sich für seine Entscheidung bei mir entschuldigen möchte. Doch auch diese kann ich ihm nicht übel nehmen. Vielen würden sich immer für das vermeintlich leicht verdiente Geld entscheiden, ohne über die Konsequenzen auch nur eine Sekunde nachzudenken.
„Meine neue Aufgabe war es, die anderen Dealer zu überwachen. Die Gelder einzutreiben, ihnen die Ware zubringen und so weiter. Ich fungierte quasi als der Laufbursche für James. War für alle, oder besser bin es noch, der Ansprechpartner."
„Jetzt verstehe ich auch, was du mit leitender Angestellter eines Vertriebsunternehmens meinst", spreche ich meine Erkenntnis laut aus. Traurig lächelnd nickt der Dunkelhaarige und bestätigt meine Vermutung.
„Naja auf jeden Fall, mache ich diesen Job auch noch heute. Ron, als mein bester Freund, hat natürlich mitbekommen, dass ich irgendwie an Geld gelangt bin. Er kommt auch nicht gerade aus reichen Verhältnissen. Dumm und überheblich, wie ich damals war, habe ich vor ihm geprallt, wie cool dieser Job ist und wie schnell mir das Geld nur so zufliegen würde. Ron war natürlich sofort Feuer und Flamme. Kurz um, habe ich James gebeten, dass er ihn aufnimmt. James hat, obwohl er nur wenige Jahre älter ist, mich immer wie eine Art Sohn behandelt."
Er kratzt sich an seiner rechten Schläfe.
„Oder sagen wir besser, wie einen kleinen Bruder. Das klingt unverfänglicher", scherzt er halbherzig.
Ein kläglicher Versuch, die gedrückte Stimmung in dem Auto etwas zu lockern.
„Ron wurde natürlich aufgenommen. Heute frage ich mich, ob James ihn nicht von Anfang an, als eine Art Druckmittel gegen mich gesehen hat. Meine Mum und meine Schwester haben James nie so wirklich interessiert. Er hat schnell mitbekommen, dass ich mit ihnen gebrochen habe. In diesem Punkt scheint er wirklich keine Ahnung zu haben, wie viel sie mir noch immer bedeuten."
Traurig sieht der Dunkelhaarige, durch die Frontscheibe, in die Ferne.
Ich hoffe Harry hat recht und James hat wirklich keine Ahnung. Es würde den jungen Mann vermutlich brechen, wenn seiner Familie etwas passiert und es seine Schuld wäre .
„Niemand weiß, dass ich früher regelmäßig nach Hause gefahren bin, um zu sehen, wie es ihnen geht. Nicht einmal meine Mum und Gemma. Abigail, du bist die Erste, der ich das erzähle. Ich musste einfach wissen, dass sie in Sicherheit sind."
„Weiß James wo sie wohnen?", frage ich ihn.
Harry schüttelt mit dem Kopf.
„Nicht mehr. Sie sind umgezogen. In einen anderen Bundesstaat. Ich habe veranlasst, dass sie genügend Geld für einen Umzug haben. Habe es wie eine Erbschaft aussehen lassen. Irgendein verschollener Onkel, über den nie gesprochen wurde, vermacht seiner Nichte, welche er nicht persönlich kennt, ein Haus und einen Haufen Kohle. Ist ja auch nicht wichtig. Auf jeden Fall sind sie weit genug weg. Seid circa einem Jahr. So lange habe ich sie auch nicht mehr gesehen. Es ist zu riskant, dass James doch irgendwie rausbekommt, wo sie wohnen, wenn ich dort hinfahren. Ich habe nun jemanden, der mir in regelmäßigen Abständen sagt, dass alles in Ordnung ist."
„Du musst sie sehr vermissen."
Ich lasse sein Knie los. Streiche liebevoll durch seine dichten Haare, runter zu seinen Wangen. Der junge Mann greift nach meiner Hand, verschränkt unsere Finger miteinander und legt sie auf seinem Bein ab.
„Mehr als du dir vorstellen kannst. Sie für diesen Job zu verlassen, war der höchste Preis, den ich zahlen musste. Ich will nicht nochmal so eine Preis zahlen müssen. Abigail, meine größte Angst ist es, dass James von dir erfährt. Er heraus finden könnte, was du mir bedeutest. Das darf nicht passieren."
Seine Finger drücken meine Hand fester, als er diese Worte spricht. Deutlich spüre ich die Ringe, die sich in meine Haut bohren.
Harry sieht mich direkt an.
„Kennst du Keith wirklich nicht?", fragt er mich.
Verwundert über den plötzlichen Themenwechsel, ziehe ich meine Augenbrauen zusammen. Sehe ihn skeptisch an.
„Nein, wirklich nicht. Ich hatte bis zu dem Telefonat, als Olivia mir gesagt hat, dass sie Ron kennt, nicht mal eine Ahnung, dass dieser Typ Keith heißt.", antworte ich ihm ehrlich.
Meine Antwort scheint den Dunkelhaarigen etwas zu beruhigen, der Griff um meine Hand wird gelockert.
„Das ist gut", sagt er und sieht auf das Lenkrad vor ihm. Er schient über etwas nachzudenken.
„Warum ist das so wichtig? Ist er nicht nur irgendein Dealer?"
Harry blinzelt, fokussiert seinen Blick auf etwas. Ich habe ihn wohl wirklich aus seinen Überlegungen gerissen.
„Ja ist er, aber Keith wäre gerne mehr, um genau zu sein hätte er gerne meine Position. Dafür würde er viel tun, wenn nicht so gar alles. Ich bin mir unsicher, wie weit er gehen würde, aber ich schätze ihn als skrupellos ein."
„Ich auch", bestätige ich seine Aussage.
Harry's fragender Blick lässt mich meine Vermutung näher ausführen.
„Wer sich an ehemaligen Junkies, die in einer Selbsthilfegruppe auf Beistand hoffen ranmacht, um diese erneut abhängig zu machen, der geht auch über Leichen", antworte ich sachlich.
„Du hast recht. Abigail, damit haben Ron und ich wirklich nichts zu tun. Ich wusste, dass Keith so eine Masche abzieht. Er will damit Eindruck schinden bei James. Wie viel er doch verkauft und was das für eine genial Idee ist."
Harry verdreht die Augen, bevor er mit seiner Geschichte fortfährt.
„Er hat kein Gewissen. Ich bin weiß Gott auch kein Heiliger, aber das ist unterste Schublade. Ron war bei dieser Olivia in der Wohnung, um ihm zu sagen, dass er diese Scheiße lassen soll. Du kannst ihn selbst fragen, er wird dir das bestätigen und das eine Mal, als du mich mit Keith gesehen hast, an der Bushaltestelle. Weißt du noch?"
Fragend sieht er mich an. Ich nicke. Diesen Moment kann ich nur schlecht vergessen.
„Da habe ich ihm noch einmal deutlich gemacht, dass er sich von diesem Ort verpissen soll und sich ein anderes Gebiet suchen soll."
Es ergibt alles Sinn.
Natürlich, Harry ist noch immer ein Dealer, oder war einer. Im Grunde ist es gleich. Seine Erzählung lässt mich glauben, dass er das Ganze nicht mehr möchte, dass er aussteigen will aus diesem Geschäft.
„James lässt es zu, dass du diese Art der Verdienstmöglichkeit verhinderst?", hacke ich skeptisch nach.
Ich kann mir kaum vorstellen, dass sein Boss, dies so einfach hinnimmt. Im Grunde ist es doch leicht verdientes Geld. Wen, wenn nicht ehemalige Junkies kann man so schnell abhängig machen.
„Ich habe ihm gesagt, dass das Risiko zu hoch ist, dass jemand der Teilnehmer quatscht und die Polizei verständigt wird."
„Das hat er als Begründung akzeptiert? Ich kann nur schwer glauben, dass James wirklich Angst vor der Polizei hat. Bevor die an ihn gelangen, gibt es doch noch genug andere in der Rangordnung."
Harry nickt. Er kaut auf seiner Unterlippe.
„Du hast natürlich recht, aber du vergisst, dass ich eine Sonderstellung bei ihm habe und im Grunde ist es ihm auch egal, wo der Stoff verkauft wird. Er hat zu mir gemeint, ich soll Keith anbieten, dass er woanders verkaufen kann, wenn es mich so stören würde, dass er die Ex-Junkies anquatscht."
Harry klingt verbittert.
„James hat mich noch ausgelacht. Ich hätte ein weiches Herz und ich soll mich für diesen Abschaum nicht interessieren."
Entschuldigend sieht er mich an. Ich winke ab. Er wiederholt nur die Worte seine Bosses, es ist nicht seine Meinung, die er ausspricht. Das weiß ich.
Als Harry meint, er hätte ein Sonderstellung bei James, erinnere ich mich an das Zusammentreffen mit dem Typen im Supermarkt zurück. Dieser sagte doch, die ganze Stadt würde über die geile Aktion reden, die Harry gebracht hätte.
„Was hast du gemacht, dass du bei James eine Sonderstellung hast?", frage ich den Brünetten aus diesem Grund.
Der Angesprochen schluckt schwer. Ich sehe, wie sich sein Kehlkopf, unter der Haut an seinem Hals, auf und ab bewegt.
„James glaubt, dass ich jemanden umgebracht habe."
Erschrocken ziehe ich die Luft ein. Harry ein Mörder? Das kann nicht wahr sein. Das würde er nicht tun.
Doch, wenn ich daran denke, wie er Dave fast totgeschlagen hat, als er blind vor Wut war, zweifle ich.
„Hast du es getan?"
Zögerlich weiche ich ein Stück von ihm zurück. Ungewollt, mein Körper scheint instinktiv, von alleine zu handeln. Ich drücke mich mehr in Richtung Autotür.
Der Dunkelhaarige bemerkt mein Handeln. Traurig sieht er mich an. Meine Reaktion verletzt ihn. Er lässt meine Hand los und streicht mir beruhigend über die Haut am Oberarm. Mit meinen Augen folge ich den Bewegungen seiner Finger.
„Nein Abigail, ich habe nie jemanden umgebracht. Ich könnte mich selbst nicht mehr im Spiegel ansehen, müsste ich soweit gehen. Nein wirklich nicht. Glaubst du mir?"
„Ja", flüstere ich.
Unter den vorsichtigen Bewegungen seiner Finger an meiner Haut, entspanne ich mich.
„Aber warum glaubt James das?"
„Weil ich es so aussehen lassen habe. An dem Abend, als du bei mir warst, du weißt schon, meine Kaffeemaschine war defekt."
Kurz schmunzelt Harry, als er sich daran erinnert, wie er mich unter einem Vorwand in seine Wohnung gelockt hat, bevor er wieder ernst wird.
„Da habe ich doch einen Anruf bekommen. Es ging darum, dass jemand zum wiederholten Mal nicht gezahlt hat und James wollte, dass ich die Sache kläre. Ich bin hingefahren, nach dem du weg warst. Angetroffen habe ich einen jungen Typen, fast noch ein Kind. Der hatte keine Kohle. Er hätte nie bezahlen können."
Wieder blicken die grünen Augen ins Leere, als er spricht.
„Abigail ich kann doch niemanden töten. Schon gar nicht, wenn die Person noch fast ein Kind ist. Ich habe dem Jungen Geld gegeben, hab ihm gesagt er soll verschwinden, so weit wie möglich weg und sich nie wieder sehen lassen."
Dieses Mal bin ich es, die nach seiner Hand greift und unsere Finger ineinander verhakt.
„Ich weiß, dass du das nicht könntest. Harry, du bist kein schlechter Mensch. Du kennst nur keinen Ausweg. Warum hat James das geglaubt?", sage ich zu ihm.
„Ich habe zwei Obdachlose bestochen. Denen habe ich gesagt, was sie erzählen sollen. James habe ich erzählt, dass ich den Jungen beseitigt habe, nachdem er nicht zahlen konnte und die Leiche in einem See, tief im Wald, von mir versenkt wurde."
Mit der flachen Hand fährt er sich über das Gesicht. Die Augen sind geschloßen.
„Das Schlimme an der ganzen Sache ist, James feiert mich wie einen Kriegshelden für diese angebliche Tat. Dieses Arschloch feiert mich dafür, dass ich ein Mörder bin. Er liebt es, dass ich jetzt diesen Ruf auf der Straße habe. Seit dem zahlen sie alle und James ist glücklich. Ich fühle mich schuldig, obwohl ich es nicht getan habe. Aber ich weiß, was die Leute denken, die es wissen. Sie haben Angst vor mir, weil sie glauben, dass ich so skrupellos bin und ein mittellosen Typen eiskalt umbringe. Das ist ein Ruf, mit welchem ich nicht leben möchte"
Ich lausche seiner Geschichte. Erneut ist mein ganzer Körper angespannt. Immer wieder ertappe ich mich dabei, wie ich die Luft anhalte.
„Was ist, wenn die beiden Obdachlosen reden, die du bestochen hast?"
„Dann bin ich am Arsch."
Harry antwortet völlig unbeeindruckt, als wäre es eine Tatsache. Im Grunde ist es genau das. Kommt die Wahrheit raus, dann ist es vorbei für Harry. Die Gunst von James wäre verloren und auf der Straße wird man ihm keinen Respekt mehr entgegen bringen. Im schlimmste Fall könnte er umgebracht werden, weil er nicht mehr wichtig ist.
Die Erkenntnis trifft mich wie ein Schlag, lässt mich erschrocken einatmen. Meine Augen füllen sich mit Tränen. Ich weine, schluchze laut auf.
„Süße, warum weinst du?"
Harry versucht mich, so gut es ihm in dem Auto möglich ist, in den Arm zu nehmen.
„Irgendwie bekomme ich das hin. Es wird niemand die Wahrheit heraus finden. Beruhig dich, es ist alles okay."
Ich kann mich nicht beruhigen. Mir wird das ganze Ausmaß erst jetzt bewusst. Es wäre einfacher, wäre er einfach nur ein Dealer, aber Harry steckt so tief drin. Niemand kann einfach aussteigen aus diesem Milieu, schon gar nicht, wenn man so viel weiß, wie der Dunkelhaarige. Wer aussteigen will zahlt einen hohen Preis, oft genug ist es das eigene Leben.
Trotzdem sage ich zu Harry, unter Tränen, versuche dabei vergeblich das Beben in meiner Stimme zu verbergen:
„Du musst da raus, zusammen mit Ron. Ihr beide."
Harry antwortet nicht. Er hält mich weiterhin nur fest, während ich weine und mich minutenlang nicht beruhigen kann. Als ich ruhiger werde lässt er mich los. Umfasst mit seinen großen Händen mein Gesicht, mit den Daumen wischt er unter meine Augen entlang. Die Tränen fort, zurück bleibt seine Wärme auf meiner Haut.
„Du bist mein Ansporn. Für dich will ich da raus. Du gibst mir einen Grund, warum ich ein normales Leben führen will. Ich mit dir zusammen leben will."
Dann küsst er mich, drück liebevoll die pinken Lippen auf meine. Küsst meine Wangen. Trocknet so auch die letzten Tränen.
„Ich liebe dich Abigail. Wir schaffen das", flüstert er.
„Wir schaffen das. Ich liebe dich Harry."
Mit einem weiteren Kuss besiegeln wir unser Versprechen. Ich schließe die Augen und bete, hoffe, dass es so sein wird, dass wir es schaffen können. Zusammen.
Was sagt ihr zu Harry's Geschichte und was glaubt ihr, wie es weiter gehen wird?
Ich bedanke mich für über 5.000 Sternchen und bald haben wir die 40k Reads geknackt. :D
Anni
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