// Forty-six //
Ein paar Tage später bin ich auf der Arbeit. Es ist kurz vor Feierabend und wieder einmal habe ich die Spätschicht. Der letzte Gast hat sich gerade mit einem mickrigen Trinkgeld von mir verabschiedet. Obwohl das Café, noch mehr als eine halbe Stunde geöffnet hat, beginne ich mit dem aufräumen.
Wie immer, nach meiner Spätschicht, besteht Harry darauf mich abzuholen. Weiterhin möchte er mich nicht alleine gehen lassen und ich bin ihm dankbar dafür.
Während ich die Kaffeemaschine reinigen, höre ich hinter mir wie die Tür geöffnet wird. Ohne mich umzudrehen, rufe ich dem späten Gast zu, dass wir gleich schließen werden und es zumindest keinen Kaffee mehr geben würde.
„Ich möchte keinen Kaffee. Abby, ich mache mir Sorgen um dich", höre ich eine leise Stimme plötzlich dicht hinter mir.
Erschrocken drehe ich mich rum und sehe Olivia direkt vor mir stehen. Besorgt sieht sie mich an. Unsicher hebt sie ihre Hand winkt kurz und flüstert eine Begrüßung. Ich nicke nur. In meinem Kopf herrscht ein sofortiges Chaos. Bei dem letzten Treffen, der Selbsthilfegruppe bin ich nicht aufgetaucht, ihre Nummer habe ich blockiert. Es war also nur eine Frage der Zeit, bis die junge Frau hier auftauchen würde und doch hatte ich gehofft, dass sie es einfach sein lässt.
„Olivia, was willst du hier?", frage ich sie, drehe mich von ihr weg und widme mich wieder dem Kaffeevollautomaten. Meine Unsicherheit versuche ich zu überspielen, indem ich mich der Putztätigkeit widme.
„Abby warum brichst du den Kontakt ab und kommst nicht mehr zu unseren Treffen? Bist du wieder drauf?"
Erneut drehe ich mich um. Empört darüber, dass sie so von mir denkt, funkle ich sie an. Ohne mit der Wimper zu zucken, hält sie meinem Blick stand. Sieht mir prüfend in die Augen, über mein Gesicht, kontrolliert meine Erscheinung.
„Du brauchst gar nicht so misstrauisch schauen. Ich habe nichts genommen. Ich kann dir gerne eine Urinprobe geben, wenn es dich beruhigt", fahre ich sie patzig an und bereue es in diesem Moment auch schon wieder.
Sie macht sich nur Sorgen um mich und das zeichnet sie aus. Trotzdem entschuldige ich mich nicht. Vielleicht ist es besser, wenn ich sie von mir stoße. Ich darf sie da nicht mit reinziehen. Es ist besser für sie.
„Was soll ich denn sonst glauben, wenn du nicht mehr bei den Sitzungen erscheinst?", entgegnete sie ernst.
Fast wie eine Statur steht sie vor mir, scheint nicht zu wissen, ob sie sich setzten soll, oder lieber stehen bleibt. Ich komme ihr nicht zur Hilfe, stattdessen will ich mich wieder von ihr abwenden. Halte aber in meiner Bewegung inne, als ich sehe, wie Harry das Lokal betritt. Auch Olivia dreht sich um, hörbar zieht sie die Luft ein. Er trägt eine seiner engen schwarzen Jeans und ein schlichtes weißes T-Shirt. Seine dunklen Boots hinterlassen ein dumpfes Geräusch auf dem Boden, als er zwischen den Tischen auf uns zu kommt.
Der Dunkelhaarige geht souverän an Olivia vorbei, begrüßt sie lediglich mit einem Nicken, bevor er zu mir hinter den Tresen kommt, mich in eine innige Umarmung zieht, um mich zu küssen.
Ich weiß, dass sein Verhalten nur eine Show für die junge Frau ist. Diese Art der Begrüßung lässt keine Zweifel daran, dass wir noch immer zusammen sind. Olivia bemerkt dies auch, angewidert starrt sie Harry an.
„Du bist noch immer mit diesem Arschloch zusammen? Du weißt doch, dass er zu Keith gehört", entsetzt deutet sie mit dem Finger auf den Dunkelhaarigen. Ich sehe ebenfalls zu ihm. Er steht ruhig neben mir, hat noch immer seinen Arm um meine Taille gelegt.
Abschätzig lässt er seinen Blick über Olivia wandern.
„Ich wüsste nicht, was es dich angeht, mit wem Abigail zusammen ist", antwortet er unbeeindruckt.
„Du bist ein scheiß Dealer", faucht die Blonde meinen Freund an. Spuckt ihm die Worte förmlich vor die Füße.
Harry lässt seine Arm sinken, geht langsam, fast schon bedrohlich auf die junge Frau zu. Er bleibt dicht vor ihr stehen. Olivia muss ihren Kopf nach oben strecken, um weiterhin in sein Gesicht sehen zu können. Seinem bohrenden Blick hält sie unbeeindruckt stand. Mein Freund baut sich bedrohlich vor ihr auf, dabei überragt er sie um mindestens zwei Köpfe.
Weiterhin versucht Olivia ihre starke Fassade aufrecht zu erhalten, aber ich kann sehen wie sie ihre Finger zu Fäusten ballt und somit versucht das leichte Zittern ebendieser zu verbergen, welches Harry's Drohgebärden in ihr auslösen.
Sie tut mir unsagbar leid. Vielleicht fühlt sie sich in diesem Moment zurück in ihre Zeit mir Keith versetzt, aber ich unterbreche es nicht. Ich weiß, dass Harry ihr nichts tun wird. Er macht dies nur, um sie langfristig davor zu schützen, in eine Sache mit reingezogen zu werden, von der sie nicht die geringste Ahnung hat.
Der Dunkelhaarige weiß, wie man diese Spiele spielt. Innerhalb von Sekunden kann er von charmant zu bedrohlich wechseln. In den letzten Jahren, seines Lebens, hat er diese Fähigkeit quasi perfektioniert.
„Ich denke du solltest dich aus Dingen raushalten, von denen du keine Ahnung hast, Olivia."
Ihren Namen spricht Harry langsam aus. Betont jede Silbe, sodass ihr bewusst wird, dass er ganz genau weiß, wer da vor ihr steht.
Unsicher weicht Olivia seinem Blick aus, sieht zu mir. Als sich unsere Blicke treffen, sehe ich weg. Die junge Frau hofft, dass ich mich in das Gespräch einmische. Ich Harry darum bitte, sie in Ruhe zu lassen. Sie bemerkt, dass dieser Versuch zu keinem Erfolg führt.
Ein weiteres Mal strafft sie ihre Schulter. Versucht die Fassung zurück zu gewinnen.
Sie ist wirklich mutig, dass muss ich ihr lassen. Ein weiterer Grund, warum ich mich hier für hasse. Sie tut es für mich, obwohl wir uns kaum kennen. Das zeichnet sie aus. Dennoch muss sie aus meinem Leben verschwinden. Es ist besser für sie.
Ich will sie auch gar nicht weiter mit meinen Problemen belasten. Sie soll sich auf sich selbst konzentrieren. Olivia wird ihren Weg auch ohne mich gehen. Jemand anderes, aus der Gruppe, wird sie sicherlich dabei unterstützen.
„Was willst du schon machen du kleiner nutzloser Dealer?", giftet sie Harry erneut an.
Kurz zucken seine Mundwinkel. Die Verachtung, welche sie ihm entgegenbringt, trifft ihn. Der Brünette möchte genau das nicht mehr sein, was sie ihm an den Kopf wirft. Olivia bemerkt diesen kleinen Riss in seiner Fassade nicht, dafür muss man ihn länger kennen, um hinter diese schauen zu können.
„Ich kenne diese netten Bilder von dir", Harry lässt seine Augen über Olivia's Körper wandern, zwinkert ihr provozierend zu, wenn ich nicht wüsste, dass es eine Show ist, die er gerade mit ihr abzieht, dann wäre ich sicherlich eifersüchtig. „Und das kleine Filmchen von dir und Keith", fügt er gehässig hinzu.
Olivia zieht die Luft ein, sieht in erschrocken an.
„Was für Bilder und welcher Filme?"
„Oh, du erinnerst dich nicht? Warst vermutlich viel zu high, aber Keith hat euch beide beim Sex gefilmt und du musst irgendwann im Vollrausch mal nackt für ihn posiert haben. Er hat sie mir alle gezeigt, auf seinem Handy."
Nun ziehe auch ich erschrocken die Luft ein. Ich traue Keith durchaus solche eine Gemeinheit zu. Hoffe allerdings, dass es nur eine Lüge ist, die Harry der jungen Frau in diesem Moment auftischt. Olivia verschränkt ihre Arme vor der Brust, also wolle sie sich und ihren Körper vor weiteren Blicken schützen. Sie sinkt in sich zusammen und lässt beschämt den Kopf hängen.
„Das hat er nicht-", beginnt sie, aber der junge Mann, mit den dunklen Locken, unterbricht sie mit einem nicken.
Olivia schluchzt auf, sie blinzelt versucht ihre Tränen zu unterdrücken. In diesem Moment tut sie mir unendlich leid, aber es ist zu ihrem Besten. Sie muss sich von mir fernalten und sie würde nicht so einfach aufgeben.
„Olivia sei dir gewiss, lässt du Abigail nicht in Ruhe und mischst dich weiterhin in unsere Beziehung ein, dann sorge ich dafür, dass diese Bilder und auch der Film öffentlich werden. Du wirst nie wieder einen Job finden und jeder wird dich als die Junkiebraut sehen, die du warst."
Mit einem Schritt nach hinten vergrößert der Dunkelhaarige den Abstand zwischen sich und ihr.
Wie angewurzelt steht sie da, lässt noch immer beschämt den Kopf hängen. Ich kann sehen, wie die Gedanken hinter ihren Augen rasen. Die Blonde versucht sich zu erinnern. Doch jeder ehemalige Abhängige weiß, dass man sich oft genug nicht mehr an das erinnern kann, was man im Schwebezustand gemacht, oder erlebt hat.
„Olivia du solltest gehen", sage ich vorsichtig.
Ein letztes Mal, bevor sie sich umdreht, sieht sie mich an. Schüttelt nur den Kopf, als kann sie nicht glauben, wen sie gerade vor sich stehen hat.
„Abby, hör doch was er für einer ist. Er wird dir das gleich antun", versucht sie mich zu überzeugen.
„Harry liebt mich. Geh jetzt", antworte ich nur und greife nach seiner Hand, als dieser wieder zu mir hinter den Tresen tritt. Demonstrativ beugt er sich zu mir runter, küsst mich auf die Wange.
„Einen schönen Abend noch Olivia", grinst er die junge Frau selbstgefällig an.
„Weißt du was Abigail, dann renn eben in dein Verderben. Ich habe es versucht. Mehr kann ich nicht tun."
Sie wendet sich ab und verlässt eilig den Laden. Energisch wirft sie die Tür hinter sich zu. Zurück bleibe ich mit Harry, der nun schwer ausatmet und die Schultern hängen lässt.
„Ich bin ein Arschloch. Es tut mir leid, dass ich so mit ihr umgehen musste", sagt er traurig, sieht mich dabei nicht an.
Ich streiche über seine Wangen, die kurzen Bartstoppeln kitzeln mich an meinen Handflächen.
„Nein, es musste sein, aber sag mir, gibt es diese Bilder und das Video wirklich?"
Der Gedanke, dass Olivia so etwas angetan wurde, tut mir weh und ich hoffe, dass es wirklich nur eine Lüge des Dunkelhaarigen war.
„Ich habe es mir nur ausgedacht. Ich hoffe nicht, dass es solche Bilder von ihr wirklich gibt. Leider traue ich Keith eine Menge zu."
Es beruhigt mich, dass Harry es nur erfunden hat, auch wenn er es nicht ganz ausschließt, dass nicht doch ein Fünkchen Wahrheit in seiner erfundenen Geschichte steckt. Ich glaube nicht, dass Olivia sich noch einmal melden wird. Harry's Show hat sicherlich die richtige Botschaft bei ihr hinterlassen. Vielleicht hat sie sogar dafür gesorgt, dass sie sich wirklich für immer von Keith fern hält. Ich hoffe es für sie und wünsche ihr nur das Beste. Dieser Schritt war notwendig, so weh er ihr und auch mir getan hat.
Harry hilft mir dabei, alles aufzuräumen, die Stühle hoch zu stellen und den Müll rauszubringen. Gemeinsam laufen wir nach Hause.
Wir reden nicht, schweigend gehen wir nebeneinander her. Ich drücke seine Hand, welche in meine liegt, damit er mich ansieht.
„Wie steht es um unsere neuen Papiere?", frage ich ihn.
„Morgen kann ich sie abholen, danach sollten wir nicht mehr viel Zeit verlieren und von hier verschwinden."
Er sieht mich an. Ich nicke nur. Jetzt geht alles so schnell. Bald werde ich all das hier hinter mir lassen. Bei niemanden darf ich mich persönlich verabschieden. Die Briefe, muss ich noch schreiben, anschließend werde ich sie mit der Post an Niall und meinen Vater schicken.
„Bist du dir sicher, dass du das immer noch durchziehen willst?" Besorgt mustert er mich, drückt meine Hand fest.
„Natürlich, ich bleibe bei dir. Wir stehen das gemeinsam durch", antworte ich ihm ehrlich, während ich mich an einem aufbauenden Lächeln versuche, an welche ich allerdings grandios scheitere.
Ich will es wirklich, dennoch lassen mich die Schuldgefühle gegenüber den Menschen, die ich zurücklasse, nicht los. Doch für diesen Mann werde ich es tun.
Wir kommen an unserem Haus an. Im schwachen Licht der Straßenlaterne kann ich aus etwas Entfernung eine Gestallt erkennen, die auf den Stufen zu unserer Veranda sitzt. Ebenso erkenne ich das aufglühen einer Zigarette.
Nervös sehe ich zu Harry. Augenblicklich bemerkt er meine Anspannung bemerkt.
„Alles gut Abby, das ist nur Ron", antworte er mir und streicht beruhigend mit seinen Daumen über meinen Handrücken. Der Dunkelhaarige hat seinen besten Freund auch schon aus einiger Entfernung erkannt.
Als wir näher kommen, reckt der Rothaarige seinen Kopf in die Höhe. Sobald er uns erkannt hat, pustet er den Rauch aus seinen Lungen, steht auf und drückt die Zigarette unter seinen Turnschuhe aus.
„Was machst du hier Pumuckel?", begrüßt Harry seinen besten Freund.
Dieser scheint in keiner guten Stimmung, denn sofort begrüßter er uns barsch, indem er sagt: „Verdammt, warum hast du dein scheiß Handy aus? Ich versuche dich seit einer Stunde zu erreichen."
„Alter beruhig dich. Ich habe mein Handy nicht, oh."
Harry sieht erschrocken auf das kleine Gerät, welches er aus der Tasche seiner Jeans gezogen hat. Ich kann erkennen, dass der Bildschirm schwarz ist und auch bleibt, als er den Homebutton drückt.
„James will uns sprechen. Er klang wütend, weil er dich nicht erreichen kann. Wir müssen zu ihm."
„Was will er?", fragt Harry direkt und lässt seine schlanken Finger aus meiner Hand rutsch um sich stattdessen mit diesen nervös durch seine kurzen Locken zu fahren.
„Keine Ahnung, wollte er mir nicht sagen. Er meinte nur, dass er uns so schnell wie möglich bei sich zu Hause erwartet."
Der Rothaarige sieht seinen besten Freund abwartend an, unruhige wechselt er dabei von einem Fuß auf den anderen.
„Gut, dann lass uns fahren. Bist du mit deinem Auto hier?"
Ron nickt und will sich augenblicklich auf dem Weg zu seinem Auto machen. Harry möchte ihm folgen, doch ich halte ihn zurück, indem ich nach seinem Handgelenk greife.
„Du willst da jetzt wirklich hin?", frage ich ihn besorgt.
Mit zusammengepressten Lippen nickt der Brünette.
„Ich habe keine Wahl, wenn wir nicht gehen, wird er zu uns kommen."
„Aber, was ist-"
„Süße, mach dir keine Sorgen. Es geht bestimmt wieder um irgendeinen Kunden, der nicht zahlt. Wenn ich nachher wieder zu Hause bin, komme ich zu dir. Ich liebe dich." Die letzte drei Worte flüstert er mir ins Ohr, bevor er mich zum Abschied küsst.
Ron steht noch immer angespannt hinter Harry und beobachtet uns.
Ich sehe den Rothaarigen an.
„Passt bitte auf euch auf", sage ich noch, während sich beide wegdrehen, um zum Auto zu gehen.
Harry steigt auf der Beifahrerseite ein. Bevor Der Rothaarige sich hinter das Steuer setzt, lächelt er mich zögerlich an.
„Kopf hoch Abby, übermorgen sind wir hier verschwunden, dann wird alles besser."
Zum Abschied hebt er die Hand, anschließend lässt er sich in den Sitz fallen. Die Tür fällt zu und der Motor wird gestartet.
Wenig beruhigt sehe ich dem Auto hinterher, wie es davon fährt.
Ich habe es geschafft, ein Update und das so früh am Morgen. Jippy!
Ich entschuldige mich, dass es in der letzten Woche so unregelmäßig war, kann aber nicht versprechen, dass es diese Woche besser wird. Das nächste Update strebe ich in 3 Tage an. Daumen drücken, dass ich es dieses Mal schaffe.
Die Widmung geht heute an mein Mamisch, weil ich sie liebe und sie mich immer, egal in welchem Alter, unterstützt hat.
harrysay ist für das wunderbare Cover verantwortlich und articulateme für das tolle Edit. Das erste überings, was ich zu UtH erhalten habe. Tausend Dank an euch beide. :D
Anni
Bạn đang đọc truyện trên: Truyen247.Pro